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SKULLCRUSHER
 
Selbstreflexion am offenen Fenster
Skullcrusher
Helen Ballentine alias Skullcrusher ist bereit für den nächsten Schritt: Gerade einmal vier Songs benötigte die ursprünglich aus Mount Vernon, New York, stammende, inzwischen in Los Angeles heimische Singer/Songwriterin auf ihrer selbstbetitelten Debüt-EP im Pandemie-Sommer 2020, um sich mit ihren dahingehauchten, ungemein intimen Songs aus dem Nichts ins Bewusstsein der Indie-Folk-Welt zu katapultieren, bevor es ihr mit dem Fünf-Track-Nachfolger "Storm In Summer" im vergangenen Jahr gelang, ihre musikalische Sinnsuche mit größerem Instrumentarium und breiter gefächerten Einflüssen beeindruckend organisch auf die nächste Stufe zu heben. Auf ihrem hinreißenden LP-Erstling "Quiet The Room" tauscht sie nun die Simplizität ihrer bodenständigen Folk-Anfänge gegen explorative Soundscapes, mit denen sie das unterschwellige Gefühl der Beklemmung und Verwirrung der Kindheitserinnerungen einfängt, die den Songs des Albums inhaltlich als roter Faden dienen.
Mit "Quiet The Room" lädt Helen Ballentine ihre Hörerschaft ein in ihre Welt. Dass die Lieder der LP bisweilen klingen, als seien sie am offenen Fenster aufgenommen worden, ist kein Zufall, sondern Sinnbild dafür, dass die junge Musikerin nun mehr als zuvor bereit ist, sich zu öffnen. In Songs wie "Building A Swing", "Outside, Playing" oder "Window Somewhere" fokussiert sich Ballentine auf verschwommene, aber oft schmerzvolle Kindheitserinnerungen, die vor allem mit der langwierigen Scheidung ihrer Eltern verknüpft sind, und übersetzt sie in ergreifende Songs, mit denen sie wiederkehrende Alpträume ihrer Kindheit und die dunklen Schatten eines familiären Traumas aufgreift und sie so für sich und ihr Publikum erfahrbar und bergreifbar macht.

Textlich führt uns "Quiet The Room" in die Vergangenheit, klanglich dagegen schlägt Ballentine hier ein neues Kapitel auf. Gemeinsam mit Produzent Andrew Sarlo, der zuvor bereits mit Big Thief oder Courtney Marie Andrews zusammengearbeitet hatte, setzt sie nun auf einen bemerkenswerten Breitbild-Ansatz mit spürbar mehr Intensität, bei dem organische und elektronische Elemente bruchlos zusammenfließen, ohne dass sie den bisweilen sanft psychedelisch umspülten Folk-Sound ihrer ersten Veröffentlichungen vollends aus den Augen verliert.

Im Februar 2023 kommt Ballentine erstmals für Konzerte in Berlin und Köln auch nach Deutschland, zuvor allerdings nahm sie sich Zeit für die Fragen von Gaesteliste.de.
GL.de: Helen, bei unserem letzten Gespräch hast du erzählt, dass du den Namen Skullcrusher für dein Projekt gewählt hat, um so mehr Distanz zwischen der Privatperson und der Künstlerin Helen zu schaffen. Fast könnte man meinen, die Rückbezüge auf Kindheitserinnerungen für "Quiet The Room" haben eine ähnliche Funktion, weil auch hier Abstand zu deinem jetzigen Leben besteht...

Helen Ballentine: Hmm, ich bin mir nicht sicher. Mich auf die Kindheitserinnerungen zu besinnen, dient eher dazu, dem Publikum mehr Kontext zu vermitteln, damit es nachvollziehen kann, wer ich bin, und um mich besser zu verstehen. Natürlich kann das auch dazu dienen, bestimmte Informationen zu schützen, weil ich sie auf eine Art und Weise präsentiere, sie sich sicher anfühlt. Die Entscheidung, welche Erinnerungen für einen Song an die Oberfläche gespült werden, fälle ich allerdings nicht besonders bewusst. Ich setzte mich einfach hin und beginne zu schreiben, und das fördert bestimmte Dinge zutage. Wenn ich dabei auf Textzeilen stoße, die sich anfühlen, als wären sie zu spezifisch oder als würde ich zu viel preisgeben, bedeutet das nicht, dass ich sie nicht verwende. Es bedeutet lediglich, dass ich die Wortwahl etwas justiere, damit es eher vage klingt. Die Idee, den Namen Skullcrusher als Rüstung zu sehen, habe ich nicht aufgegeben, aber ich bin mir nicht sicher, wie gut das funktioniert (lacht). Inzwischen fühlt sich Skullcrusher oft eher wie der Rahmen an, den ich dem Projekt geben möchte.

GL.de: Auch wenn du dabei vor allem das Publikum im Sinn hattest: Hat die Beschäftigung mit der eigenen Vergangenheit auch neue Erkenntnis für dich selbst zutage gefördert?

Helen Ballentine: Ja, ich habe definitiv das Gefühl, dass ich während des Schreibens und während der Aufnahmen viel verarbeiten konnte. Das war eine Zeit der Selbstreflexion, und über sich selbst nachzudenken, führt immer dazu, dass man daran wächst. Diese Platte ganz speziell hat dafür gesorgt, dass ich jetzt viel mehr im Reinen mit mir selbst und dem Projekt bin. Als ich angefangen habe, war ich sehr nervös, wenn es darum ging, was die Leute von mir und meiner Musik denken, da es nun mal wirklich schwer ist, das auszublenden. Das ist nicht vollends verschwunden, aber ich glaube, dass ich mich bei dem, was ich im Leben und mit diesem Projekt tue, nun viel selbstsicherer fühle. Die Platte hat mir geholfen, meinen Frieden mit verschiedenen Dingen zu machen.

GL.de: Im Pressetext, den Nandi Rose von Half Waif verfasst hat, heißt es, dass du dich statt auf die Unschuld der Kindheit eher auf die Komplexität der Kindheit konzentrierst. Ist das ein natürlicher Instinkt oder ein bewusst gewähltes Stilmittel gewesen?

Helen Ballentine: Ich denke, das ist in erster Linie ein natürlicher Instinkt. Ich habe mich nicht bewusst dazu entschieden, Kindheit zum Thema des Albums zu machen und es zu erforschen. Es war einfach der rote Faden, der sich mit der Zeit herausgeschält hat. Allerdings haben mich Kinderfilme oder überhaupt alles, was speziell auf Kinder zugeschnitten ist, schon immer angezogen, weil ich es spannend finde zu sehen, was wir als relevant erachten, wenn es darum geht, was Kinder sehen und erfahren sollen.

GL.de: Trotz der persönlichen Bezüge bist du sehr geschickt darin, belanglose Matter-of-Fact-Schilderungen zu vermeiden. Fällt dir das leicht oder muss du erst einmal viele langweilige Lieder schreiben, bis sich die interessanten herausschälen?

Helen Ballentine: Ich denke, eine klare Trennung gibt es da nicht, denn für gewöhnlich durchläuft ein Song ja viele verschiedene Stadien der Entwicklung. Für mich ist das eher wie bei der bildenden Kunst. Zuerst existiert das Konzept nur in deinem Kopf und die Leinwand ist noch leer. Dann kommen die Materialien und all die anderen Aspekte ins Spiel und du entscheidest, auf welche davon du dich fokussieren willst. Je nachdem, welche Perspektive du wählst, kannst du Sinn in jedem der Elemente des Prozesses finden. Ich denke dabei an verschiedene Bewegungen innerhalb der bildenden Kunst. Manche Künstlerinnen und Künstler wollen sich nur mit den Ideen in ihrem Kopf auseinandersetzen, folglich sind die Materialien für sie eher unbedeutend, andere dagegen wollen die Farbe in den Vordergrund stellen und so weiter. Es gibt ganz viele verschiedene Herangehensweisen, und alle sind interessant und haben meiner Meinung nach etwas für sich. Der Songwritingprozess ist für mich ähnlich, wenngleich durch die Produktion danach natürlich unweigerlich mehr Komplexität und technische Aspekte ins Spiel kommen. Aber wenn du dich nicht nur auf Gesang und Gitarre konzentrierst, kannst du die klangliche Komplexität eines Songs etwas besser ausdrücken und dich da mehr einklinken.

GL.de: Musik und Text fühlen sich in deinen Songs so an, als seien sie untrennbar verbunden...

Helen Ballentine: Ja, ich denke, dass Text und Musik definitiv gemeinsam entstehen. Wenn ich mich darauf festlegen müsste, was zuerst da ist, wäre das vermutlich die Musik, die Akkorde, aber oft beeinflussen sich die beiden Teile gegenseitig. Zumindest gibt es keinen Part, den ich zuerst fertigstelle und mich dann erst dem anderen widme. Zumeist fange ich mit der Musik an, aber sobald sich dann die Worte anschleichen, kann das auch die Musik verändern. Letztlich schwirren beide ständig umeinander herum (lacht).

GL.de: Wie schwer fällt es dir, die Ideen in deinem Kopf tatsächlich in Songs und Sounds zu übersetzen? Bei den Texten ist das ja oft leichter, weil man eine Geschichte erzählen kann…

Helen Ballentine: Da bin ich mir nicht so sicher! Jeder hat verschiedene Wege zu kommunizieren, und ich habe für mich festgestellt, dass mich Worte allein oft etwas hemmen. Das ist auch der Grund, warum aus mir keine Schriftstellerin geworden ist (lacht). Die Musik dagegen vereint verschiedene Kommunikationsmethoden: die visuelle Seite, die klangliche und die textliche. Für mich ergibt es einfach Sinn, meine Ideen auf diese verschiedenen Arten zu vermitteln. Wenn ich mich auf eine Erinnerung beziehe, möchte ich nicht nur das Geschehene nacherzählen. Ich möchte vermitteln, was ich mit dieser Erinnerung verbinde, ganz egal, ob es vielleicht eine Farbe ist oder eine andere Sinnesempfindung. Dafür nutze ich dann vor allem klangliche Sprache. Manchmal ist es einfach natürlicher, auf diese Weise zu kommunizieren, zumal das Ganze auch noch den körperlichen Aspekt hat, weil du ein Instrument spielst und so dein Körper auch noch beteiligt ist. Manchmal drückt sich das in ganz simplen Dingen aus: Wenn du dich an etwas erinnerst, was dich wütend macht, spielst du vielleicht einfach härter. Dann ist es gewissermaßen dein Körper, der klanglichen Einfluss nimmt, und ich bin sehr froh, all diese verschiedenen Wege der Kommunikation zur Verfügung zu haben.

GL.de: Bislang hast du dich vor allem auf Kollaborationen mit Menschen aus deinem engsten Umfeld konzentriert, darunter auch dein Partner Noah Weinman. Für das neue Album hast du nun mit Andrew Sarlo zusammengearbeitet. Welche Erwartungen hast du damit verknüpft - und sind sie erfüllt worden?

Helen Ballentine: Ich denke, es hat wirklich gut funktioniert, aber ich war schon ein wenig nervös, jemand anders einzuladen, weil mir bewusst ist, dass ich sehr gut mit Leuten zusammenarbeite, die ich sehr gut kenne (lacht). Was mich beruhigt hat, war allerdings gleich das erste, noch dazu sehr lange Gespräch mit Andrew, weil er nicht nur an den technischen Zielen der Platte, sondern auch am Kontext interessiert war . wer ich bin und was ich als Künstlerin tun will. Er ist jemand, der sich eines Projekts in Gänze annimmt. Das hat mich sehr angesprochen, und ich hatte das Gefühl, dass wir zusammen direkt von Beginn an tief einsteigen konnten. Außerdem gefiel mir, dass wir zwar beide eher aus der Folk-Ecke kommen, er aber ein Interesse daran hatte, die Produktion etwas experimenteller zu gestalten, denn genau das wollte ich auch. Der Wunsch, einfach einiges auszuprobieren und verschiedene Einflüsse zuzulassen, hat uns also auch verbunden. Ganz abgesehen davon ist er natürlich auch technisch sehr versiert, und auch das war prima (lacht)!

GL.de: Geschrieben hast du die Lieder in deiner Wahlheimat Los Angeles, aufgenommen aber hast du sie im Chicken Shack in Stanfordville, New York, nah der Heimat deiner Kindheit und Jugend. War das nur fürs Gefühl, oder denkst du, dass das echte Spuren auf der Platte hinterlassen hat?

Helen Ballentine: Es ist oft schwer einzuschätzen, wie viel Einfluss deine Umgebung auf dich nimmt, aber ich denke, der Einfluss ist auf jeden Fall vorhanden. Als ich die Songs in Los Angeles geschrieben habe, war mir bereits bewusst, dass ich mir für die Aufnahmen eine andere Umgebung suchen muss. Der Ort selbst hat buchstäblich Spuren hinterlassen, weil wir zum Beispiel das Silo in der Scheune für Echoeffekte genutzt haben, ganz abgesehen davon, dass die Platte viele natürliche Geräusche wie Grillenzirpen enthält, die man nur dort in der Gegend findet und die mich tatsächlich an meine Kindheit erinnert haben. Ich denke, es war wichtig, das Album an einem Ort aufzunehmen, an dem wir in der Lage waren, das einzufangen. Außerdem ist mein Gemütszustand eher nostalgisch, wenn ich hier bin. Ich denke, das ist ganz natürlich, wenn man zum Ort seiner Kindheit zurückkehrt, denn manchmal sind es die kleinen Dinge, wie der Geruch in der Luft, die dir helfen, dich deinen Erinnerungen zu öffnen. Ich denke, das war fraglos wichtig.

GL.de: Du hast vorhin erwähnt, dass es immer verschiedene Versionen von Songs gibt. Im letzten Jahr hattest du nun endlich die Chance, mehr live zu spielen, auch eine erste Tournee außerhalb der USA, in Großbritannien, hast du inzwischen absolviert. Deshalb zum Schluss die Frage: Welchen Einfluss hat das auf dich und deine Musik?

Helen Ballentine: Es war tatsächlich sehr interessant herauszufinden, wie ich mich den Songs bei der Live-Umsetzung nähern will. Um ein spezifisches Beispiel zu nennen: Viele der Songs auf dem Album wurden mit einem Click aufgenommen. Live dagegen habe ich kein Schlagzeug und mag es sehr, die Lieder in beliebigem Tempo zu spielen und mir so viel Zeit zu nehmen, wie ich brauche. Daran habe ich mich inzwischen ziemlich gewöhnt, und wenn ich mir jetzt das Album anhöre, denke ich: Hui, das ist aber ganz schön schnell (lacht!) Mir gefällt es, dass die Songs auf der Bühne offener sind. Ich mag es nicht, die Songs live nur nachzuspielen, denn ich finde, es macht viel mehr Spaß, ein bisschen zu experimentieren.
Weitere Infos:
www.skullcrusher.online
www.facebook.com/SkullcrusherLA
www.instagram.com/skullcrusher.online
imskullcrusher.bandcamp.com
Interview: -Carsten Wohlfeld-
Foto: -Angela Ricciardi / Silken Weinberg-
Skullcrusher
Aktueller Tonträger:
Quiet The Room
(Secretly Canadian/Cargo)
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