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JULY TALK
 
Der Zweig im Boden
July Talk
"Das neue July Talk-Album ist auf eurer Seite" heißt es auf dem Twitter-Account der kanadischen Band July Talk. Und weiter: "Das neue July Talk-Album wurde nicht von künstlichen Intelligenzen geschrieben" oder "Das neue July Talk-Album bringt alles zum Tanzen, was es berührt" und schließlich: "Das neue July Talk-Album basiert auf einer wahren Geschichte." Auch wenn es sich dabei nur um geschickt platzierte Bonmots mit Promo-Appeal handelt, fassen diese Tweets recht anschaulich zusammen, worum es Peter Dreimanis und Leah Fay auf dem neuen Album "Remember Never Before" geht. Nachdem "Pray For It" - das Vorgänger-Album des inzwischen zum Sextett mutierten kanadischen Ensembles - noch vollständig in den Wirren der Pandemie hängen bleiben musste, wollen July Talk mit dem neuen Album nämlich mit frischem Schwung und jeder Menge Energie wieder dorthin, wo sie herkommen: Mit organischer Rockmusik auf die Bühnen der Welt. Nachdem die bisherigen drei Alben der Band stets NACH ausgedehnten Live-Projekten geschrieben und aufgenommen wurden, entstand nämlich das neue Album unter genau umgekehrten Vorzeichen während der Stagnationsphase der Pandemie und wurde demzufolge enorm von dem Drang und dem Sehnen nach Live-Musik geprägt - was dann auch dazu führte, dass es erstmalig gelang, den unglaublichen Live-Drive, den July Talk gemeinhin auf der Bühne entfalten, auch im Studio adäquat einzufangen.
Bedeutet das eigentlich, dass die Songs im Studio gemeinsam als Band ausgearbeitet werden? "Das ist bei jedem Song ein bisschen anders - aber bei einigen ist das tatsächlich so", führt Peter Dreimanis aus, "zum Beispiel bei 'When You Stop', 'I Am Water' und 'After This'. Wir haben etwa mit Kevin Drew von Broken Social Scene als Produzenten zusammengearbeitet - und so, wie ich die Sache sehe, arbeitet diese Band aus dem Moment heraus ohne allzusehr vorauszuplanen. Das sind zwar Freunde von uns, deren Prozess mir aber nach wie vor ein wenig geheimnisvoll erscheint. Deswegen haben wir es mal auf diese Weise versucht. Zum Beispiel bei 'After This'. Die Ideen entstanden dann aus dem Moment heraus. Wir sind ja alle Songwriter und ich habe auch immer ein paar Songs im Köcher, aber Kevin war dann gar nicht daran interessiert mit fertigen Ideen und aufgeladenen Erwartungshaltungen zu arbeiten. Stattdessen haben wir zusammen gejammt, bis wir etwas gefunden hatten, das wir mochten und haben dann die Texte geschrieben, wie sie dazu passten. Bei 'When You Stop' entstanden die Lyrics auch während des Jams und bei 'I Am Water' formulierte Leah den Text aus, während wir spielten. Das war ganz interessant, weil es für uns ein neuer Prozess war. Das war auch interessant in der Zusammenarbeit mit Dani Nash, denn auf diese Weise konnte man zum Beispiel den Text sozusagen mit der Snare Drum spielen." Dani Nash ist dabei - neben Danny Miles - die zweite Drummerin von July Talk. "Ja, Dani Nash ist in Toronto eine richtige Legende", führt Leah aus, "sie hat auch Solo-Projekte am Start und spielt seit 2016 als Drummerin bei Live-Shows mit uns zusammen. Wir haben nun auch angefangen, mit ihr zusammen zu schreiben. Das ergibt eine ganz neue Energie mit einer zweiten Drummerin und macht die Sache mehr tanzbar." "Es geht da auch um die Intuition", ergänzt Peter, "das ist dann wie bei einem Jam."

Kevin Drew war aber nicht der einzige Produzent, der seine Hände im Spiel hatte, denn neben Kevin arbeiteten July Talk auch mit Graham Walsh zusammen und nicht zuletzt - bandintern - mit Ian Docherty. Merkwürdigerweise führte das aber nicht zu drei unterschiedlichen Klangbildern, sondern zum bislang sogar kohärentesten July Talk-Album. "Das ist interessant", erklärt Leah, "wir arbeiteten mit Graham Walsh dann an den Songs, die nicht spontan im Studio entstanden sind, sondern die wir bereits als Band gespielt hatten. Mit Graham haben wir ja auch auf dem letzten Album schon zusammengespielt. Er spielt selbst auch in einer Band namens Holy Fuck und ist eine Art Klang-Zauberer, der eine Menge von den atmosphärischen Elementen auf der neuen Scheibe kreiert hat, von denen man nicht so genau sagen kann, woher sie überhaupt kommen. Das erzeugte dann ein gewisses nostalgisches Feeling. Unser Gitarrist Ian ist mittlerweile auch ein sehr guter Produzent und Tontechniker. Während der Pandemie hat er mit seiner Partyband Wayne Gretzky einen Übungskeller eingerichtet, wo wir dann auch geübt haben und er uns produzierte." "Das war alles sehr Low-Key. Die Sache ist die, dass es uns darum geht, während des Probens Momente einzufangen, in denen alles stimmt", ergänzt Peter, "wie zum Beispiel Neil Young das auch macht. Ian ist sehr gut darin, solche Momente einzufangen, ohne dass wir uns verbiegen müssten. Es ging nicht darum, alles auszutarieren, bis es perfekt war - aber auch nicht darum, Sachen aufzunehmen, die es nicht wert gewesen wären. Es ging aber sehr wohl darum, die Balance zu wahren - und darin ist Ian sehr gut, denn er ist auch ein guter Techniker - der übrigens seine eigenen Verstärker baut." Mal so gefragt: War die Pandemie vielleicht für July Talk eine Art Katalysator in Sachen Energie und Tempo? "Nein, eher ein Beschleuniger", meint Leah, "das wird auch in den Themen des Vorgängeralbums 'Pray For It' deutlich. 2016 und 2017 haben wir auf eine gewisse Weise ja bereits das drohende Ungemach erahnen können. Natürlich nicht indem wir eine Pandemie voraussehen hätten können - aber in dem Sinne, dass wir Düsternis, Hass, den Klimawandel und alles mögliche wahrnehmen konnten, ließ sich etwas Unheilvolles erahnen. Insofern kam die Pandemie sicher nicht aus dem Nichts. Wir haben jedenfalls geahnt, dass das System langsam kaputt ging und sich irgendetwas ändern müsste. Dieses Gefühl hatten wir eine ganze Weile und ich denke, dass durch Covid mehr Menschen in dieser Richtung zu denken begannen und wir als globale Gemeinschaft dieses Gefühl teilten. Covid hat dabei als Beschleuniger gewirkt - und zwar ziemlich aggressiv und auch in anderen Bereichen der Gesellschaft. Man konnte sich dann zwischen Hoffnung und Verzweiflung entscheiden - und es ist ziemlich offensichtlich zu erkennen, wer sich für Hoffnung und wer sich für Verzweiflung entscheidet." Es ist ja sicherlich auch keine schlechte Idee, der Pandemie nicht mit Trübsinn, sondern mit einer gewissen Portion Wut im Bauch gegenüberzutreten. "Genau", pflichtet Leah bei, "das ist etwas, über das wir uns auch viel unterhalten haben. Dabei haben wir auch über unsere Eltern und unsere Großeltern nachgedacht." Dazu muss man noch wissen, dass der Song "After This" eine Tonaufnahme von Leahs Großmutter Stella beinhaltet, in der diese sich über den Zustand des Universums Gedanken macht. "Ja, wenn man über diese globalen Ereignisse nachdenkt, gerät man zwangsläufig an den Punkt zu überlegen, was die Welt schon alles durchgemacht hat - und wie anpassungsfähig deine Großeltern gewesen sind; wie sie Kriege überstanden, Ozeane überquert und gemacht haben, was immer notwendig war zu überlegen und dass das der Grund dafür ist, dass du überhaupt existierst."
Nun ist das nicht so, dass alle diese Überlegungen und Konstrukte aus den Lyrics von July Talk herausgehört werden könnte, denn diese bestehen ja im weitesten Sinne aus stark codierten Dialogen. "Weißt du, es ist witzig", zögert Peter, "aber als wir die Band starteten, hatten wir ja viele Projekte am Laufen und wir wussten, dass wir die Sprache als Stilmittel bei July Talk verwenden wollten, um dieses Projekt von den anderen abzusetzen. Wir hatten immer diese unterschiedlichen Stimmen und wollten von Anfang an mit Hin- und Her-Elementen arbeiten. Das war Anfangs recht einfach, ist aber mit der Zeit immer stärker auf einem unterbewussten Level passiert. Für mich braucht es immer länger, in den Prozess einzutauchen, um erkennen zu können, wie die Texte und die Songs zusammenhängen oder sich widerspiegeln. Wenn man erst mal einmal das Gefühl dafür hat, dann hat man ein gewisses Verständnis dafür, was ein bestimmter Song beim Zuhörer auslösen soll und man möchte dann, dass das in einem freien Format passiert - wie beim Shapeshifting. Man möchte das alles nicht ausbuchstabieren. Wenn man es nämlich ausbuchstabiert, dann ist es tot. Mann ist das schwierig über Texte zu reden." Nun es hat ja auch niemand gesagt, dass das leicht ist - da müssen wir aber durch. "Na, sagen wir mal, dass Leah und ich uns heutzutage immer weniger absprechen müssen, uns aber ganz intensiv zuhören und unsere Ideen wirken lassen, um wissen zu können, wie wir die Aufgaben das nächste Mal angehen sollten", versucht Peter das Gesagte zu konkretisieren, "auf dieser Scheibe gibt es sehr viele Reaktionen aufeinander, die wir nicht durch endlose Gespräche erörtern mussten - es ist alles sehr intuitiv passiert. "Auf der anderen Seite reden aber schon noch miteinander", wirft Leah schmunzelnd ein, "wir vertrauen uns heute nur stärker als jemals zuvor."

Der Prozess, wie Peter ihn beschreibt, erinnert ja in gewisser Weise an die assoziative Herangehensweise der Beat Poeten - die Gedanken aus dem Unterbewusstsein aneinanderreihten, oder? "Wir vertrauen heutzutage mehr auf unsere Intuition", meint Leah, "früher haben wir mehr ausbuchstabiert - aber heutzutage stecken wir einfach einen Zweig in den Boden und schauen dann mal, was daraus wird." "Es gibt aber einen Unterschied zu der Methode der Beat Poets", gibt Peter zu bedenken, "denn als Musiker hast du eine Deadline. Darüber spricht kaum jemand, aber in dem Augenblick, wo du die Aufnahmetaste drückst und der Gesang aufgenommen ist, kannst du nichts mehr ändern. Dabei ist es nicht so, dass wir dauernd die Texte editieren, denn wenn ich das tue, bereue ich das nachher meistens. Aber ich würde doch sagen, dass es einen Tag gibt, an dem Leah und ich uns das Ergebnis gemeinsam anschauen und dann übereinstimmen, ob das, was wir gemacht haben Sinn macht oder nicht. Die Deadline lauert dabei immer im Hintergrund. Am Ende des Tages, wenn man Abends zu Bett geht, ist das Wasser dann sozusagen mit dem Fluss weggespült worden. Das ändert natürlich den Ansatz, inwieweit man noch intuitiv etwas ändern könnte. Die Beat Poets und Autoren generell können aber immer wieder ändern und editieren."
Das hört sich jetzt so an, dass sich Peter und Leah in gewisser Weise auch selbst nicht immer ganz genau erklären können, was und worüber sie da gerade immer so singen. Ein wenig Mystik muss also erhalten bleiben, oder? "Bei gewissen Songs ist das ganz gewiss so", bestätigt Leah diese Vermutung, "uns ist auch klar geworden, dass das Schreiben von Songs eine gewisse Methode ist, Dinge zu verarbeiten. Und dann entdeckt man Wochen oder vielleicht sogar erst Jahre später, was man eigentlich aussagen wollte." Die genaue Bedeutung der Worte ist aber auch nicht ausschlaggebend, denn bei July Talk geht es ja nicht um Geschichten oder Botschaften, sondern um die Vermittlung eins Lebensgefühles - vor allen Dingen von der Bühne aus. Eine Kanada-Tour ist bereits gebucht - danach wollen July Talk aber auch in den USA und in Europa touren. Da werden wir uns aber vermutlich noch etwas gedulden müssen.
Weitere Infos:
www.julytalk.com
www.facebook.com/JulyTalk
twitter.com/julytalk
www.youtube.com/@JulyTalk/videos
www.instagram.com/julytalk
Interview: -Ullrich Maurer-
Foto: -Colin Medley-
July Talk
Aktueller Tonträger:
Remember Never Before
(Six Shooter/Membran)
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