Gaesteliste.de Internet-Musikmagazin



SUCHE:

 
 
Gaesteliste.de Facebook Gaesteliste.de Instagram RSS-Feeds
 
Interview-Archiv

Stichwort:



 
KARO LYNN
 
Emotionale Klangmalerei
Karo Lynn
Darauf hat Karo Lynn lange warten müssen: Nachdem die Pandemie wenige Wochen nach der Veröffentlichung ihres letzten Albums "Outgrow" im Frühjahr 2020 die Welt zum Stillstand gebracht hatte und an Live-Konzerte lange nicht zu denken war, geht die in Leipzig heimische Singer/Songwriterin nun tatsächlich auf Tour. Am ersten März-Wochenende startet eine Gastspielreise, auf der sie bis Ende des Monats an 18 Abenden überall in Deutschland zu sehen sein wird. Im Gepäck hat sie dann ihr letzten Herbst veröffentlichtes drittes Album, "A Line In My Skin", auf dem sie dem luftig-leichten Folk-Pop ihrer ersten Platten den Rücken kehrt. In vielen ihrer neuen Lieder rückt nun atmosphärische Tiefgründigkeit an die Stelle oberflächlich erscheinender Eingängigkeit: Sie taucht ab in eine düster funkelnde Klangwelt und findet in kraftvoll-gefühlsintensiven Dark-Pop-Songs mit Ecken und Kanten das perfekte Ambiente für ihre einzigartig dunkle Stimme. Passend zur Tour erscheint nun auch noch der Albumtrack "Still, Staring Ahead" in einer betörenden Piano-Session-Version.
Kein Zweifel: Auf "A Line In My Skin" findet Karo Lynn neue Ausdrucksformen, die abseits gängiger Mainstream-Konventionen zu Hause sind, und so selbstbewusst, wie sie dabei klingt, könnte man glauben, dass ihre Laufbahn als Musikerin schon früh vorbestimmt war. Doch auch wenn sie bereits mit zehn ganz klassischen Gitarrenunterricht bekam, schon als Teenager begann, die Songs anderer nachzusingen, dabei ihre eigene Stimme entdeckte und dann erste eigene Songs und Auftritte folgten, war für sie Musik als Karriere lange Zeit keine ernsthafte Option. "Eigentlich war es nie mein Ziel, Musikerin zu werden", verrät sie im Gespräch mit Gaesteliste.de. "Es gibt ja Kinder, die das schon von klein auf als Lebenstraum sehen, aber das hatte ich nie. Selbst als ich Gitarre gespielt habe und auch, als ich angefangen habe zu singen, war das nie mein großer Traum und Fokus. Ich bin da ehrlich gesagt ein bisschen reingerutscht und zufällig dort gelandet. Wenn man dann einmal drin ist und Songs schreibt und ein Album nach dem anderen produziert, kommt man natürlich schwer wieder raus…" Sie lacht, denn auch wenn sie ursprünglich lieber Ärztin als Künstlerin hatte werden wollen, beschäftigt sie die Musik natürlich inzwischen praktisch 24 Stunden am Tag.

Deshalb war die Pandemie für Karo Lynn nicht nur verlorene Zeit, wenngleich sie anfangs schon ein wenig gebraucht hat, sich auf die neue Situation einzustellen, schließlich brachte die Pandemie zwar mehr Zeit mit sich, gleichzeitig gab es in den Lockdowns aber auch wenig Chancen, neue inspirierende Erfahrungen zu machen, die Stoff für neue Songs hätten abgeben können. Letztlich hat sich in den vergangenen Jahren ein Stück weit Karo Lynns Blick auf das Songwriting verändert. Inzwischen übt sie sich nun bisweilen lieber in emotionaler Klangmalerei als in klassischem Storytelling. "Zuvor war das für mich immer ein Fluss", sagt sie über ihre Herangehensweise an das Songschreiben. "Es kam, wenn es da war. In den letzten Jahren dagegen war das ein Arbeitsschritt, den ich explizit angehen musste. Das klingt vielleicht negativ - Ich muss mich hinsetzen und Songs schreiben! -, aber das war es am Ende gar nicht. Ich glaube, dass es manchmal ganz gut sein kann, wenn man einen gewissen Druck hat oder eine Deadline, an die man sich halten muss. Seitdem schreibe ich Songs anders - und das ist gar nicht schlecht!"

Ihr erstes Album, "Frames", hatte Karo Lynn mit 16 geschrieben, jetzt, mit Mitte 20, fasziniert sie auf "A Line In My Skin" als Künstlerin, die gewachsen und gereift ist und inzwischen zielsicherer als je zuvor ihre Stärken ausspielt. Mit dem neuen Album macht sie nicht nur klanglich einen großen Satz nach vorn, sondern rückt auch ihre markant tiefe Stimme, die wie gemacht ist für die in bittersüße Melancholie getauchten neuen Songs, viel stärker in den Mittelpunkt. "Das ist total schön, dass dir das auffällt", freut sich Karo Lynn, "denn mein Produzent hat mir ganz am Anfang, noch bevor wir gestartet sind, die Frage gestellt, was ich klanglich möchte für dieses Album, was mein großes Ziel ist. Ich habe ihm dann zwei Sachen genannt: zum einen, dass meine Stimme einfach extrem im Vordergrund stehen soll, und zum anderen, dass ich geile Gitarrensounds möchte. Das war also pure Absicht!"

Die Fokussierung auf die Stimme betont auch die Texte der Lieder, bei denen Karo Lynn kunstvoll mit Assoziationen spielt, sich aber vor zu viel Eindeutigkeit hütet und ihrem Publikum so lieber viel Raum für eigene Interpretationen lässt. "Wenn ich Texte schreibe, gehe ich das total unbefangen an", erklärt sie. "Zumeist entsteht zuerst die Musik und dann der Text, das heißt, die Musik gibt oft schon eine Grundstimmung oder ein Grundgefühl vor, und wenn ich in dieses Gefühl eintauche, dann kommt mir meistens irgendeine Situation oder irgendein Gespräch oder irgendein Bild in den Sinn, über das ich dann schreibe." Dabei beweist sie auch immer wieder ein feines Händchen für das Außergewöhnliche. So findet sie immer wieder den Weg vom Persönlichen zum Gesellschaftlichen, etwa, wenn sie einen Bogen von der Vergänglichkeit der Liebe zu Klimakrise, Umweltzerstörung und Artensterben schlägt oder gewissermaßen im Vorbeigehen den lähmenden Stillstand der Pandemie zu thematisieren scheint.

Nachdem das Vorgängeralbum innerhalb von zwei, drei Monaten entstanden war, investierte Karo Lynn gemeinsam mit ihrem Produzenten (und Schlagzeuger) Cornelius Miller rund anderthalb Jahre in die betont detailverliebte und deshalb spürbar anspruchsvolle Produktion von "A Line In My Skin". Auch deshalb kann sie sich viel stärker mit der neuen Platte identifizieren, auf der die federleichten Akustikgitarren und die beschwingten Indie-Beats der Vergangenheit schwebenden Gitarrenmelodien und einer wohlig düsteren Synthie-Atmosphäre gewichen sind. "Bei diesem Album war ich selbst viel mehr am ganzen Produktionsprozess beteiligt, weil ich jetzt, nach neun Jahren, die es das Projekt nun schon gibt, einfach ein bisschen mehr Ahnung habe", sagt sie. "Das bedeutet natürlich auch, dass ich viel mehr meine DNA einbringen konnte, nicht nur beim Songwriting, auch in die Produktion, und viel besser sagen konnte, was mir gefällt oder wie es klingen sollte, und damit viel stärker die Richtung vorgeben konnte. Bei den Alben zuvor habe ich dem Produzenten eigentlich immer komplett freie Hand gelassen und erst am Ende gesagt: 'Ja, das finde ich gut so, das machen wir so!' Beim neuen Album war ich einfach viel, viel mehr dabei."

Eine wichtige Rolle spielte auch, dass es dieses Mal keine klare Trennung zwischen Songwritingprozess und Produktion gab, weil sich Karo Lynn und ihr Produzent schon früh einig waren, dass beides Hand in Hand gehen sollte. "Die Grundidee kam eigentlich immer von mir, aber das war vielleicht nur eine kleine Akkordfolge an der Gitarre oder am Klavier und vielleicht eine Textzeile", verrät sie. "Diese Basic-Ideen habe ich dann schon direkt meinem Produzenten geschickt, der dann schon die ersten Produktionsideen dazu gebastelt hat, bevor er mir das Ganze wieder zurückgeschickt hat. Dann habe ich vielleicht die Strophe geschrieben oder einen Chorus, und so ging das dann immer weiter hin und her." Später kamen dann auch noch weitere Musiker hinzu, die Karo Lynn mit einem Augenzwinkern allerdings lediglich als "ausführende Dienstleister" beschreibt.

Trotz des stärkeren Einflusses, den Karo Lynn dieses Mal ausgeübt hat, ist die Musik natürlich nicht referenzlos. Bon Iver, The National, Ben Howard und Daughter sind alle bereits genannt worden, um die klangliche Neuausrichtung auf "A Line In My Skin" zu beschreiben, trotzdem ging es während der Entstehungsphase des Albums nie darum, sich zu sehr an anderen Künstlerinnen und Künstlern zu orientieren. "Wir haben uns stark auf das fokussiert, worauf wir in dem Moment Lust hatten", sagt Karo Lynn. "Wir wollten das machen, was sich für den Song gut anfühlt, ohne irgendwelchen Standards gerecht werden zu wollen oder uns an etwas zu orientieren, nur, weil es zuvor für andere schon gut funktioniert hat."
Das werden dann sicher auch die kommenden Konzerte ihrer Deutschland-Tournee unterstreichen, denn auch wenn unser Interview bereits vor den Proben stattgefunden hat und es deshalb noch nicht feststand, wie die Songs auf der Bühne letztendlich klingen werden, lässt Karo Lynn keinen Zweifel daran, dass ihr keine reine Reproduktion der Albumversionen im Live-Kontext vorschwebt. Denn auch wenn sie es "Monsteraufgabe" bezeichnet, die vielen Spuren der Studiofassungen auf bühnentaugliche Versionen für vier oder fünf Instrumente herunterzubrechen, will sie dabei möglichst nicht mogeln. "Mein Ziel ist es, dass nichts vom Band kommt, wenn wir live spielen. Ich möchte, dass wirklich alles dynamisch passiert und nichts per Knopfdruck", verrät sie. "Das ist eine große Herausforderung, und deshalb machen das heutzutage einfach auch nur sehr wenige. Natürlich ist es total legitim, wenn viel vom Band kommt, und ich verstehe auch, dass das sehr große Vorteile hat, ich finde es aber nach wie vor einfach schön, wenn es lebendig bleibt! Die Songs werden deshalb live auf jeden Fall anders klingen, aber vielleicht kommt man ja deswegen auch extra zum Konzert, weil es halt nicht 1:1 wie auf der Platte klingt!"

Die Tournee im März wird Karo Lynn an viele renommierte Orte wie die Kantine am Berghain in Berlin, das MTC in Köln oder den Hafen 2 in Offenbach führen, bevor sie in Leipzig in Naumanns Gaststube endet, doch wie sieht eigentlich Karo Lynns perfekter Auftrittsort aus? "In meiner Vorstellung passiert ein perfektes Konzert draußen und nicht in einem Raum", erwidert sie. "Tatsächlich hat mir mein Produzent diese Frage schon einmal gestellt: 'Was ist meine Traumvorstellung einer Location?' Da habe ich dann gesagt: 'Draußen, im Wald, mit ganz viel Nebel und einer mystischen Stimmung!' Ich glaube, das würde mega-gut zur Musik passen." Trotzdem ist natürlich auch für Karo Lynn letzten Endes die Performance wichtiger als allein das Ambiente, wie sie abschließend gesteht: "Ich mag es auf jeden Fall immer, wenn die Frontperson einfach eine krasse Bühnenpräsenz hat, eine Ausstrahlung! Es muss musikalisch nicht mal perfekt sein, wenn man einfach das Gefühl hat, die Person, die da vorn steht, nimmt gerade einfach den ganzen Raum ein. Das finde ich total beeindruckend, und das ist auch immer ein bisschen mein Ziel, muss ich sagen!"



Weitere Infos:
www.karolynn.de
facebook.com/karolynnmusic
www.instagram.com/karolynnmusic
Interview: -Carsten Wohlfeld-
Foto: -Antje Kröger-
Karo Lynn
Aktueller Tonträger:
A Line In My SKin
(Strays Don't Sleep/Kontor/edel)
jpc-Logo, hier bestellen

 
 

Copyright © 1999 - 2024 Gaesteliste.de

 powered by
Expeedo Ecommerce Dienstleister

Expeedo Ecommerce Dienstleister