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MYNOLIA
 
Zwischen Offenheit und Mysterium
Mynolia
Es gibt Platten, bei denen stimmt einfach alles. "All Things Heavy", das fabelhafte Debütalbum der derzeit in Berlin heimischen Weltbürgerin Maja Presnell alias Mynolia ist genau solch eine Platte. In Zeiten, in denen immer mehr Künstlerinnen und Künstler spezifischen Zielen nachjagen und sich mit der Aussicht auf mehr Sichtbarkeit und Erfolg bereitwillig in Schubladen zwängen lassen, ist Mynolia eine wohltuende Ausnahme. Auch wenn ihre Musik natürlich nicht in einem Vakuum entsteht - mit ihrem melancholischen Indie-Pop streift sie die heitere Gelassenheit, mit der zuletzt Weyes Blood alte Tugenden des Laurel-Canyon-Folk für das Hier und Jetzt adaptierte, die wunderbar dezenten elektronischen Elemente atmen den Geist von Bat For Lashes oder Men I Trust -, scheint es für Mynolia die leichteste Übung zu sein, das Fehlen einer klaren Identität in ihren größten Trumpf zu verwandeln.
Die bemerkenswerte Selbstverständlichkeit, mit der Mynolia die Rolle der Außenseiterin als Stärke begreift, hallt auch auf ihrem an dieser Stelle bereits zur Platte der Woche gekürten LP-Debüt nach, das nach der digitalen Veröffentlichung im Dezember vor wenigen Tagen endlich auch auf Vinyl erschienen ist. Inhaltlich setzt sie in den besten Momenten auf ungeschminkte Emotionalität und eine Symbiose aus düsterer Verträumtheit und lyrischem Surrealismus, schlägt aber auch immer wieder den Bogen von der persönlichen zur globalen Betrachtungsweise. Statt allein in Schwermut zu baden, richtet sie ihre Aufmerksamkeit mit einem Augenzwinkern lieber auf die kleinen Absurditäten des Alltags und findet so in ihren von Kummer und Sarkasmus gleichermaßen getränkten Texten im Spannungsfeld von ungeschöntem Realismus und eskapistischer Unwirklichkeit beim Herauszoomen neue Perspektiven. Auch klanglich sucht sich Mynolia mit den Songs auf "All Things Heavy" ihren Weg stets ein Stück weit abseits des ausgetrampelten Pfades, wenn sie Inspiration aus Weltmusik schöpft und ihre Einflüsse von traditionellen Volkschören, östlicher Flötenmusik, Chorgesang und Oper in ihr Tun einflicht, ohne dass es sich wie ein Gimmick anfühlt.

Diese künstlerische Offenheit kommt nicht von ungefähr, denn Mynolia ist gewissermaßen im Dazwischen zu Hause: Aufgewachsen an verschiedenen entlegenen Ecken der Welt, ist sie inzwischen in Berlin heimisch, doch auch heute noch prägt das Unterwegssein ihr Weltbild nachdrücklich. Die erste Tournee zu ihrem Album fand unlängst nicht etwa in den USA - wo sie in wenigen Tagen beim berühmten SXSW-Festival in Austin, Texas, gastieren wird - oder in Deutschland statt - wo es bald zumindest eine Release-Show in Berlin geben soll -, sondern ausgerechnet in Marokko. Passend dazu erwischen wir Mynolia für unser Interview in einer mit allerhand Gitarren vollgestopften Blockhütte irgendwo im Nirgendwo von Arkansas...
GL.de: Was bedeutet für dich "Zuhause?"

Mynolia: Ich denke, ich habe mir im Pressetext ein wenig in die Karten schauen lassen, und vielleicht ist es auch in meinen Texten offensichtlich, dass das ein großes Thema für mich ist. Ironischerweise habe ich trotzdem keine gute Definition für "Zuhause". Letztlich würde ich sagen, dass Zuhause für mich der Ort ist, an dem die guten Menschen sind.

GL.de: Du hast an den verschiedensten Enden der Welt gelebt. Gab es bestimmte Orte, die dich nachhaltig beeindruckt haben?

Mynolia: Ich denke, am meisten beeindruckt haben mich die Stationen, an denen die natürliche Umgebung besonders markant und eindrucksvoll war. Ich hatte das Glück, an einigen dieser Orte zu leben. Ich bin auf der Nordinsel Neuseelands aufgewachsen und dann auf ein Eiland vor der Westküste Kanadas gezogen. Interessanterweise war die Landschaft und selbst das Temperament der Menschen dort ziemlich ähnlich, in dieser Hinsicht haben mir die kulturellen Gegebenheiten und die natürliche Umgebung ein Gefühl von Zuhause vermittelt. Ich grübele und schreibe viel darüber, welche Bedeutung die Ozeane und ganz allgemein die natürlichen Elemente haben, wie sie unser Leben begleiten und was wir von ihnen lernen können. Wenn du dich in einem Betondschungel einer Großstadt wiederfindest, schlägt sich das natürlich auf dein Denken nieder, aber das Gleiche gilt auch für einen schönen Küstenstreifen.

GL.de: Wir leben in Zeiten, in denen sich immer mehr Kreative mit der vagen Aussicht auf Erfolg bereitwillig in gängige Schubladen fügen, während es für dich ein Leichtes zu sein scheint, das Fehlen einer klaren Identität in etwas Positives zu verwandeln.

Mynolia (lachend): Es wäre schön, wenn das so wäre, aber ich denke, ich habe in der Angelegenheit keine große Wahl. Ich war oft am Rand der Musikszenen in verschiedenen Städten und in verschiedenen Kulturen unterwegs, ohne je richtig dazugehört zu haben, aber das hat mich dazu gebracht, mein eigenes Ding zu machen und zu hoffen, dass die Leute es mögen, auch wenn es nicht in eine bestimmte Schublade passt. Doch obwohl das Fehlen einer Struktur durchaus etwas für sich hat, heißt das nicht, dass ich mir nicht manchmal wünsche, dass ich sie hätte (lacht) Abgesehen davon passt meine Musik natürlich in alle möglichen Schubladen. Ich bin ja nicht Björk!

GL.de: Lass uns kurz einen Schritt zurückgehen: Wie bist du eigentlich zur Musik genkommen?

Mynolia: Das hat zufällig und ganz organisch angefangen. Niemand in meiner Familie macht Musik, aber mein Großvater mütterlicherseits hatte, solange ich denken kann, immer ein Klavier in seinem Wohnzimmer stehen. Er konnte darauf vielleicht zehn Songs spielen, denn er hatte ein gutes Ohr und schnappte die Melodien einfach auf. Es gibt Babyfotos, auf denen er mit mir am Klavier sitzt und mir etwas zeigt, als ich zwei Jahre alt war. Irgendwann wurde meinen Eltern dann klar, dass das mein Ding war, denn als wir in einem Haus wohnten, in dem der Vormieter ein Klavier zurückgelassen hatte, war ich gar nicht davon wegzubekommen. Meine Mutter stellte es dann in mein Zimmer, damit ich vor mich hin klimpern konnte, ohne sie zu sehr zu nerven. Als ich 13 war, besorgten mir meine Eltern eine Gitarre. Natürlich wussten sie, dass ich Linkshänderin war, allerdings war ihnen der Unterschied zwischen Gitarren für Rechts- und Linkshänder nicht bewusst, und wenn du ein Instrument gebraucht kaufst, kannst du es nicht einfach zurückgeben. Also musste ich das Beste aus der Situation machen. Letztlich entpuppte sich das Ganze aber als großartiges Missgeschick, denn keine echte Identität, kein Zugehörigkeitsgefühl zu haben, ist kompliziert genug, dann aber auch noch linkshändig Gitarre zu spielen, macht es nur noch schlimmer. Jetzt kann ich mir zumindest an jedem Lagerfeuer problemlos die Gitarre schnappen.

GL.de: Die Songs auf "All Things Heavy" klingen frisch und neu und aufregend, gleichzeitig aber oft auch so vertraut, als hätten sie schon immer existiert. Bisweilen haben sie diesen besonderen Vibe, den auch Keith Richards im Sinne hatte, als er einst sagte, Songs seien wie Geschenke, die man erhält, wenn man seine Antenne ausfährt. Sieht du das auch so?

Mynolia: Zunächst einmal: Das ist ein tolles Feedback, ich kann nur hoffen, dass die Lieder so beim Publikum ankommen. Dem Zitat von Keith Richards kann ich voll zustimmen. Ich denke, es ist ganz allgemein gut für Künstlerinnen und Künstler, nicht zu besitzergreifend zu sein, wenn es um ihr Tun geht. Letztlich ist es nur ein Rezept, das aus den Zutaten um sie herum besteht, die sie im Vorbeigehen aufsammeln. Manche Menschen sind dabei gewissermaßen poröser und nehmen viele verschiedene Einflüsse in sich auf, und manche haben dicke Mauern um sich herum und es köchelt nur in ihrem Innern vor sich hin, bis es dann irgendwann herausplatzt. Ich selbst bin in künstlerischer Hinsicht immer schon langsam gewesen. Es hat lange gedauert, bis ich mich dazu entschlossen habe, ein Album zu veröffentlichen, und dann hat sich plötzlich alles von selbst ergeben.

GL.de: Bedeutet das, dass die Pandemie trotz all der damit einhergehenden Probleme auch etwas Positives für dich hatte, weil sie dir Zeit gegeben hat, noch einmal tiefer einzutauchen und an den Liedern zu feilen, um daraus ein echtes Album zu machen?

Mynolia: Ja, absolut! Ich denke, viele Leute, die sich auf die ein oder andere Weise als Perfektionistinnen und Perfektionisten sehen, würden wohl zustimmen, dass mehr Zeit zu haben etwas Gutes ist, gleichzeitig wissen aber auch alle, dass man an einem gewissen Punkt die Werkzeuge niederlegen und sagen muss: "Alles klar, was kommt das Nächstes?" Für mich war es ein bisschen von beidem. Es war schön, etwas mehr Zeit für die Arbeit an der Platte zu haben, aber kurz bevor durch die Lockdowns alles zu erliegen kam, hatte ich angefangen, mit meinem Trio aufzutreten, und das fühlte sich unglaublich gut an. Das hätte ich sehr gerne weiterverfolgt, allerdings weiß ich nicht, ob ich dann die Zeit gefunden hätte, dieses Album fertigzustellen.

GL.de: So sehr "All Things Heavy" auch dein Album ist, so hattest du doch auch Unterstützung von anderen. Wie schwer ist es dir gefallen, Kontrolle abzugeben?

Mynolia (lacht): Ich wollte auf jeden Fall den Ton angeben - und das war meiste Zeit auch der Fall! Ich hatte das Glück, fünf der Songs mit einem Freund, dem amerikanischen Produzenten und Multiinstrumentalisten Jeremy Black, aufnehmen zu können. Ich zeigte ihm die Demoaufnahmen, die ich am Computer gemacht hatte, und er ist definitiv meiner Vision für die Songs gefolgt. Wir haben auch nie getrennt voneinander gearbeitet und haben alles zusammen produziert und abgemischt. Er hatte in Sachen "layers" einige tolle Ideen, er spielte Schlagzeug und hauchte meinen abstrakten Visionen Leben ein. Das war eine schöne Mischung unserer unterschiedlichen Energien. Die anderen fünf Lieder habe ich dagegen allein mit einigen Freunden aufgenommen. Wir hatten einen Tontechniker, der mir aufs Wort gefolgt ist, obwohl es bestimmt ein Albtraum war, mit mir zusammenzuarbeiten, weil ich keinen Schimmer hatte, was vor sich ging, aber trotzdem genau im Kopf hatte, wie es klingen sollte. Ich bin froh, dass ich die Erfahrung der Kollaboration machen konnte, und ich bin definitiv offen dafür, mehr in dieser Richtung zu machen. Allerdings kann ich mir auch vorstellen, meine Bandmitglieder mehr einzubinden. Natürlich würden es immer noch meine Songs sein, aber es wäre schön, zusammen mit einer Reihe von Leuten etwas in die Welt zu bringen, das durch ein Konzept verbunden ist, in dem wir uns alle gemeinsam wiederfinden können. Ich freue mich darauf, auch das einmal auszuprobieren!

GL.de: Das klingt so, als wenn du noch viel vorhättest und nicht wie so viele andere derzeit auf schnelle große Hits abzielst...

Mynolia: Ja, die Langlebigkeit ist definitiv ein Ziel für mich. Wenn du dir kein Leben ohne das Musikmachen vorstellen kannst, dann solltest du zumindest versuchen, das zum Teil deiner Überlebensstrategie zu machen, weil du es ja so oder so nicht aufgeben würdest!


Weitere Infos:
www.mynolia.com
www.facebook.com/mynolia
www.instagram.com/mynolia_
mynolia.bandcamp.com
Interview: -Carsten Wohlfeld-
Foto: -Leonardo Julian Rossi-
Mynolia
Aktueller Tonträger:
All Things Heavy
(Bronzerat/Pias/Rough Trade)
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