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JOSH RITTER
 
Der spirituelle Agnostiker
Josh Ritter
Eine Karriere wie die von Josh Ritter kann man sich auch nicht ausdenken: 1976 in Moscow geboren (allerdings nicht in Russland, sondern in Idaho) und schon früh durch die Plattensammlung seiner Eltern und den Beruf seiner Mutter als Hirnforscherin geprägt, kaufte er seine erste Gitarre in einem K-Mart und wandelt seither auf den songwriterischen Spuren der großen Altvorderen wie z.B. Bob Dylan und Johnny Cash. Mit 21 nahm er sein erstes Album auf, tourte dann auf Einladung von Glen Hansard als Support für dessen Band The Frames. Es folgten weitere Alben und Touren - unter anderem mit Joan Baez, die seinen Song "Wings" eingespielt hatte und ihm wertvolle Tips gab - wie zum Beispiel besser auf andere zu hören, als auf die Stimmen im eigenen Kopf. Das indes schlug er zunächst in den Wind und heiratete 2009 erst mal sein Kollegin Dawn Landes. Die Ehe ging indes schnell in die Brüche - was aber zum einen zwar düstere aber unterhaltsame konfessionelle Alben von beiden Parteien zeitigte und Josh auch nicht davon abhielt, mit seiner jetzigen Partnerin Haley Tanner in Woodstock eine Familie zu gründen, eine eigene Tochter zu bekommen und 2018 eine weitere zu adoptieren. Dazwischen folgten weitere Tonträger und Touren - und nicht zuletzt bislang zwei Romane namens "Bright's Passage" 2012 und "The Great Glorious Goddamn Of It All", den Josh in der Pandemie veröffentlichte. Das nun vorliegende 11. Studio-Album "Spectral Lines" ist indes kein uneheliches Kind der Pandemie, sondern der erfolgreiche Versuch, einen Gegenentwurf zu dem Rock-Experiment des Vorgänger-Albums "Fever Breaks" aufzulegen - das er mit Jason Isbell & The 400 Unit eingespielt hatte.
Auf Joshs Wikipedia-Seite heißt es, dass er bekannt sei für seinen "unverkennbaren Americana-Stil und seine erzählerischen Texte." Das sind beides Features, die er für "Spectral Lines" weitestgehend über Bord geworfen zu haben scheint - denn noch nie hat sich Josh weiter von seinen Americana- und Storyteller-Roots entfernt, als auf diesem Album. "Ich mag den Begriff 'unverkennbar'", lacht Josh, "aber ich bin mir gar nicht sicher, in welchem Stil ich das neue Album gemacht habe. Ich denke, dass es für mich in Ordnung ist, wenn mir die Menschen ein Label verpassen, denn ich denke nie darüber nach, in welchem Stil ich arbeite. Speziell bei diesem Projekt." Lange Rede kurzer Sinn: Josh zielte bei den Arrangements seines neuen Materials auf einen impressionistischen, klangmalerischen Ansatz ab. Auf der anderen Seite gibt es dann allerdings auch Stücke wie "For Your Soul" - ein Song mit einem hymnischen Mitsing-Refrain, der in einer besseren Welt wohl sicherer ein Anwärter für die vorderen Plätze der Charts wäre. "Haha - der ist gut", freut sich Josh, "das ist der erste Song, mit dem ich das schreckliche Gefühl durchbrochen hatte, vielleicht gar nicht mehr schreiben zu können." Josh litt also an einem Writers-Block? "Ja", bestätigt er, "vor dem Ausbruch der Pandemie und bevor es Impfstoffe gab, lag meine Mutter im Sterben. Wir haben damals die Kinder ins Auto gepackt und sind quer durch das Land gefahren, haben in leeren Hotels übernachtet und wussten dabei ja noch nicht, was COVID war. Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie ich mich plötzlich mit meiner Frau und zwei kleinen Kindern in einem winzigen Haus meines Geburtsortes wiederfand und darauf wartete, dass meine Mutter sterben würde. Ich wende mich eigentlich immer der Musik und der Kunst zu, wenn ich nach einem Gefühl der persönlichen Sicherheit suche - aber in dieser Situation funktionierte das einfach nicht. Ich fühlte mich der Welt schutzlos ausgeliefert. Als ich mir dann in der Situation wiederfand, dass ich mich in diesem kleinen Haus im Spiegel betrachtete und mir selbst Mut zusprach, entstand die Idee, mich mit der Würde zu beschäftigen, die durch kraftvolle - wenn auch nicht schöne - Erlebnisse entsteht. Das sind Dinge, die größer als das Leben sind und denen man sich stellen und würdig erweisen muss. Und da hatte ich dann die Zeile 'du musst um deine Seele kämpfen' in meinem Kopf und machte aus dieser Idee einen Song. Das fiel mir dann überraschend einfach - auf jeden Fall aber einfacher, als den Rest der Songs zu schreiben." Kein Wunder also, dass daraus dann eine lebensbejahende Hymne in Form eines Upbeat-Pop-Songs wurde.

Dabei sind wir wieder an dem Punkt angelangt, dass Künstler in gewisser Weise privilegiert sind, weil sie über ihre Kunst solche schwierigen Situationen besser verarbeiten zu können, als Menschen, die über keinen kreativen Impetus verfügen. "Absolut", bestätigt Josh, "und dafür, dass ich dieses Outlet habe, bin ich auch außerordentlich dankbar. Das hängt auch damit zusammen, dass ich mich darin limitiert sehe, solche Dinge sprachlich auszudrücken. Denn solche Gefühle können nicht wirklich ausgesprochen werden. Wenn man solche Dinge ausspricht, verlieren sie - jedenfalls teilweise - sofort an ihrer Bedeutung und Wirkung. Wie können wir auch solche Gefühle wie Trauer oder die Angst um unsere ganze Welt in Worte fassen? Das ist fast wie Elektrizität, die in ihrer schönen, reinen Form durch einen Draht fließt, und dabei stetig ein wenig von ihrer Kraft verliert. So geht es mir bei Songs. Man kann diese gefühlsmäßig erfassen - aber niemals adäquat beschreiben." Na ja: Das Schöne ist ja, dass Songs sowieso nicht alleine über Worte funktionieren - es gibt da ja auch noch die Musik. "Das stimmt wohl", schmunzelt Josh. Wenn Josh jetzt schon die Analogie mit der Elektrizität anführt, wäre das ja eine gute Gelegenheit, ein Mal auf den Titel des Albums einzugehen: An welche Art von Spektral-Linien dachte er denn, als der das Album so benannte? "Ich kam darauf, als ich darüber gelesen habe, wie man mit dem James Webb-Teleskop nach außerhalb des Sonnensytems liegenden Planeten sucht", berichtet Josh, "das ist ja eine pure, typisch menschliche Sache - nach Verbindungen nach anderen zu suchen. Die Spektrallinien die ich meine, sind die Auren von Planeten, die entstehen, wenn diese ihren Heimat-Stern umkreisen und dabei kurz das Licht der Atmosphäre sichtbar wird. Ich finde, dass 'spektral' auch ein sehr schönes Wort ist, das das umfasst, was ich als gespenstische Worte für reale Dinge beschreiben würde. Es geht also tiefgründig um die Idee, eine Verbindung oder die Gemeinschaft mit anderen zu suchen."

Um das noch mal auf den Punkt zu bringen: Wir reden hier mit jemanden, der für sein erzählerisches Storytelling bekannt ist. War "Spectral Lines" denn von vorneherein in diesem Zusammenhang als philosophische Fingerübung angelegt? "Ja", überlegt Josh, "das ist wohl wahr, denn das Stellen von Fragen half mir tatsächlich, mich durch die Songs zu führen, die ich schließlich auf die Scheibe nahm. Für gewöhnlich fällt mir der Titel eines Albums nämlich immer zu einem viel späteren Zeitpunkt ein - wenn ich einen Überblick über die ganze Sache habe. 'Spectral Line' fiel mir aber bereits ein, als ich halb fertig war - und hat mir das Gefühl vermittelt, dass ich mit den Songs eine Art Sonde in die Welt aussenden wollte. Sowas wie die Voyager-Sonde, die unser Sonnensystem ja schon lange verlassen hat. Solch eine Idee als Leitmotiv zu haben, formte dann auch auf eine bewusste Weise, wie ich den Rest der Songs geschrieben habe." Und das war dann wie? "Nimm zum Beispiel den Song 'Whatever Burns Will Burn'", erklärt Josh, "ich habe mir vorgestellt, das Album einem wirklich kalten und brachen Ort einzuspielen. Sowohl der Song sollte sich emotional kalt und fatalistisch anfühlen, wie auch im wörtlichen Sinne. Dazu spielte ich eine Aufnahme der Windgeräusche auf dem Mars ein, die der Perserverance-Rover-Sonde aufgenommen hat. Das war eine bewusste Entscheidung, die ich getroffen habe, als sich 'Spectral Lines' als Idee verfestigt hatte."
Wenn man das jetzt alles konzentriert betrachtet: Betrachtet Josh seine Kunst denn in therapeutischer Hinsicht, um sich als Mensch und Persönlichkeit weiterzuentwickeln? "Absolut", räumt er freimütig ein, "meine Alben funktionieren für mich grundsätzlich in dieser Hinsicht. Sie helfen mir, meine Zeit zu markieren. Das ist ein ziemlicher Rush. Wenn ich auf meine Scheiben zurückblicke, dann finde ich, dass diese bestimmte Positionen in meinem Leben markieren - nicht, weil ich das so beabsichtigt hätte, sondern weil es sich so ergeben hat. 'Golden Age Of Radio' markierte etwa meine anfängliche Entscheidung, ein Musiker werden zu wollen. 'Hello Starling' markierte, wie ich das machen wollte und wie ich die Sache gestalten wollte. Jede Scheibe verändert dabei ein wenig, wie meinen jeweils nächsten Schritt angehen werde. Das passiert nicht, weil ich das so plane - ich stelle das erst im Nachhinein fest." Es gibt dann also keine Masterpläne bei Josh Ritter? "Nein", bestätigt er, "und ich denke, das hängt damit zusammen, dass ich nicht editiere, wie ich meine Songs schreibe. Was immer mir gerade einfällt, schreibe ich einfach. Das ist auch der Grund, warum viele meiner Songs nicht auf dieser und jener Scheibe landen - weil sie nämlich nicht passen. Eine grundlegende, ungefähre Philosophie zu Beginn ist natürlich ganz gut - aber dann muss ich es laufen lassen. Ich habe dieses Mal zum Beispiel eine Menge längerer, erzählerischer Songs geschrieben, die ich sehr mag und auch gerne geschrieben habe - die aber einfach nicht auf diese Scheibe passten." Musik hat also ein Eigenleben, richtig? "Absolut", bestätigt Josh erneut, "und es ist lustig, dass du das sagst, denn daran habe ich früher gar nicht geglaubt. Ich habe früher immer gedacht, dass ich mit meinem Hirn auf natürliche Weise alles kontrollieren könnte. Aber ehrlich gesagt, fühlt sich das heutzutage für mich zu sehr nach einem externalisierten Prozess an. Wenn ich schreibe, dann fühle ich mich zunehmend als Katalysator. Natürlich kann ich einen Rahmen festlegen und mich in die richtige Stimmung versetzen, wenn ich schreibe - der eigentliche Prozess ist aber ganz schön spooky. Oder magisch - was immer der Begriff ist, ich fühle mich dann wie ein spiritueller Agnostiker. Ich sage mir dann immer: Da muss doch noch etwas mehr sein. Hemingway sagte ein Mal, dass man - wenn man Glück hat - manchmal besser schreibe, als man es eigentlich könnte. Für mich ist das aber nicht Glück, sondern etwas anderes." Das Album zielt dabei aber doch nicht in eine esoterische Richtung, oder? "Nein - ich hoffe, dass es das nicht tut", zögert Josh ein wenig, "Esoterik kann manchmal schon interessant und als Werkzeug nützlich sein. Manchmal nützt Dylan ja die Esoterik, um seine Sichtweise auf die Songs zu etablieren. Aber manchmal muss man einfach auch sagen, was Sache ist. Nimm etwa 'In Fields' - das ist ein Song, der einfach ohne doppelten Boden auskommt. Esoterik ist sehr schön, wenn es richtig gemacht wird - aber das war nicht mein Ziel."
Josh Ritter
Was hat Josh denn musikalisch inspiriert - also außer dem Track 'Crimson & Clover', dessen Gitarrenriff er in seinem eigenen Song "Someday" sozusagen neues Leben einhaucht? "Großartig", lacht Josh, "mal überlegen: Eine Sache, die ich sehr mag, ist wie Nina Simone die Stille eingesetzt hat - oder Jeri Southern. Weißt du: Diese Leute kommen dir gesanglich nicht vom Hügel entgegengelaufen - wenn du weißt, was ich meine. Es geht darum, gesanglich zu schweben - und das ist ein schönes Bild. Lass den Song den Song sein. Wenn ich Nina Simone oder Jeri Southern höre, dann höre ich, wie der Gesang dem Song erlaubt zu sein, was er sein möchte. Das ist wie bemaltes Glas. Ich bin in der lutheranischen Kirche aufgewachsen - und dort sind die Hymnen einfach da. Du singst sie, wie sie sein sollen und experimentierst nicht damit rum. Dieser Gedanke hat mich immer getragen." Welche Arten von Instrumenten verwendet Josh auf der neuen Scheibe? Da passiert klanglich eine ganze Menge und es lässt sich nicht immer heraushören, welche Sound wie entstehen? "Also oft war die Basis einfach mein Produzent Sam Kassirer am Piano oder ich an der Gitarre", gesteht Josh, "das bildete dann den Kern des Songs - aber nicht den Kern der Produktion. Was ich wollte war eine Art (Klang-)Schwall, der sich durch die ganze Produktion zöge, in etwa so, wie wenn man ein Aquarell feucht in feucht malt. Die Instrumentierung sollte dieses Feeling vermitteln. Dazu gehörten alle möglichen Instrumente wie z.B. eine Farfisa-Orgel, die ich bisher nur klanglich wahrgenommen - aber noch nie benutzt hatte." Musik als Malerei? Wie setzt man das denn technisch um? "Ich weiß gar nicht recht", überlegt Josh, "ich denke, das hängt vom Song ab und wie ich diesen betrachte. Ich denke, dass man es am Besten auf eine musikalische Weise macht, indem man das übliche Formatschema aufbricht. Ich wollte jedenfalls etwas wirklich Außergewöhnliches erzielen. Ich werde ja immer als Americana-Künstler gesehen - wobei ich selber gar nicht so recht weiß, was das sein soll, denn ich denke nicht in Kategorien wie Genres und Stilen. Ich spiele immer das, was ich fühle. Was ich mit diesem Album erreichen wollte, war, dass es eben nicht wie ein typisches, normales Americana Album klingt."
Weitere Infos:
joshritter.com
www.facebook.com/joshrittermusic
www.instagram.com/joshritter
www.youtube.com/joshritter
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Sam Kassirer-
Josh Ritter
Aktueller Tonträger:
Spectral Lines
(Pytheas/Membran)
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