Gaesteliste.de Internet-Musikmagazin



SUCHE:

 
 
Gaesteliste.de Facebook Gaesteliste.de Instagram RSS-Feeds
 
Interview-Archiv

Stichwort:



 
TINY RUINS
 
"Das Songschreiben hat für mich etwas Meditatives"
Tiny Ruins
Es gibt Bands, die schleichen sich fast unbemerkt ins Herz ihrer Hörerinnen und Hörer. Tiny Ruins, daran besteht kein Zweifel, sind eine solche Band. In seinem einfühlsamen Sound vereint das Quartett um Mastermind Hollie Fullbrook nun schon seit mehr als einem Jahrzehnt zarten Singer/Songwriter-Folk, lebhaften Indie-Pop und psychedelisch umspülten Dream-Pop. Mit jedem neuen Album - auf den Erstling "Some Were Meant For Sea" im Jahre 2011 folgten drei Jahre später "Brightly Painted One" und 2019 "Olympic Girls" - haben sich Tiny Ruins musikalisch weiter geöffnet, doch im Kern hat sich ihr Tun nicht verändert. So setzt sich Fullbrook auf dem famosen neuen Album "Ceremony" beeindruckend offen und aufrichtig mit persönlichem Verlust und der natürlichen Schönheit ihrer Heimat nahe des Manukau Harbours in Auckland auseinander, während ihre kongeniale Band diese Gedanken facettenreicher und komplexer, aber doch stets bemerkenswert unaufdringlich und mit tröstendem Unterton orchestriert und so für ein echtes Glanzlicht sorgt.
Kein Zweifel, auf dem neuen Tiny-Ruins-Album hat Hollie Fullbrook das Besondere immer fest im Blick. Die elf Lieder auf "Ceremony" sind vollgestopft mit intuitiven Beobachtungen, mit denen sie das Besondere im Banalen aufspürt, denn als Songwriterin hat sie die seltene Gabe, schwierige Momente des Lebens mit schriftstellerischer Exaktheit und poetischer Note im Song-Format einzufangen und dabei stets das Offensichtliche auszuklammern - oder anders gesagt: Für Fullbrook ist das Schreiben ein Werkzeug, sie selbst zu sein. "Das Songwriting bietet mir die Möglichkeit, nach innen zu schauen und einen Teil von mir selbst zu finden, den gewissermaßen geheimen, privaten Teil, den ich nicht immer allen zeige", erklärt sie beim Video-Chat mit Gaesteliste.de. Tatsächlich fühlt sich "Ceremony" an wie eine Einladung in Fullbrooks eigenes Universum, wenngleich sich die 38-jährige Neuseeländerin mit der Platte weiter vom betörenden Fingerpicking-Folk ihrer ersten Veröffentlichungen entfernt und die Songs der neuen LP klanglich bisweilen so farbenfroh sind, dass man fast vergisst, dass die Texte auch weiterhin von Melancholie getränkt sind. "Das Songschreiben hat für mich etwas geradezu Meditatives", erklärt sie. "Du setzt dich nicht nur oberflächlich mit deinen Gedanken auseinander, sondern dringst tiefer in das Unterbewusstsein vor, fast so, als würdest du eine Verbindung mit deinem innersten Kern, vielleicht sogar deinem kindlichen Selbst herstellen. Für mich bedeutet das eine Rückkehr zu einer sehr persönlichen Denkweise, obwohl es nicht ganz die gleiche ist, die zu meinen frühen Songs geführt hat. Wenn ich heute Lieder schreibe, bin ich mir bewusst, dass Menschen sie hören werden. Das war sicherlich anders, als ich meine ersten Songs zu Teenagerzeiten geschrieben habe."

Doch nicht nur im übertragenen Sinne spielen viele der neuen Songs praktisch vor Fullbrooks Haustür, denn eine ganze Reihe Ideen nahmen in der zerklüfteten Landschaft des Manukau Harbour, des großen Naturhafens in ihrer Heimatstadt Auckland, Gestalt an. "Ich bin hier in dieser Gegend aufgewachsen", verrät Fullbrook. "Ich habe hier gelebt, seit ich zehn Jahre alt war, bis ich dann mit 18, 19 von zu Hause weggezogen bin. Ich habe lange an anderen Orten gewohnt und war viel auf Tournee unterwegs, aber vor ungefähr sechs Jahren bin ich dann in diese Gegend zurückgekehrt. Mit Anfang 30 begann ich, etwas sesshafter zu werden, und ich war auf der Suche nach etwas mehr Ruhe abseits der Großstadt. Mir stand der Sinn nach einem richtigen Heim, nach mehr Stabilität." Inzwischen ist Fullbrook verheiratet und Mutter einer kleinen Tochter und hat nicht nur wegen der Pandemie das ständige Leben auf gepackten Koffern ein Stück weit hinter sich gelassen.

Dennoch hat sie die ersten Eingebungen für ihre Songs oft, wenn sie in Bewegung ist. In der Vergangenheit waren das oft flüchtige Momente auf ihren Konzertreisen, aber selbst während des COVID-19-Stillstandes hat sich das nur bedingt geändert - dank der beiden Hunde, die sie während der Pandemie adoptiert hat. Weil ihre energiegeladenen Vierbeiner jeden Tag viel Auslauf benötigten, lernte sie ihre Umgebung, all die kleinen Strände, Buchten und Mündungen rund um den Hafen, von einer ganz anderen Seite kennen. Diese Orte unweit ihres Heims in den Waitākere Ranges dienen ihr nun als Kulisse für die Lieder auf "Ceremony". "So viel öfter draußen und in der Natur unterwegs zu sein, hat meine ganze Perspektive auf das Leben erweitert, das war wirklich erstaunlich", gesteht sie. "Vieles auf dem neuen Album dreht sich deshalb um die Erfahrung, die Geschehnisse des Lebens zu verarbeiten, indem man in der Umwelt unterwegs ist, aber auch darum, wie diese Umwelt die Art und Weise verändert, wie man die Dinge verarbeitet. Das ist ein wirklich großer Teil des Albums."

Doch nicht nur textlich, auch klanglich näherte sich Fullbrook ihrer Musik von einer unbekannten Seite. Denn obwohl sie in den neuen Songs Verwirrung, Verlust und Entwurzelung thematisiert und sie selbst die Lieder als "traurig" bezeichnet, suchte sie - anders als auf ihren ersten drei Alben - dieses Mal nach Mitteln und Wegen, diesen Aspekt nicht auch noch klanglich in den Mittelpunkt zu rücken. "Anstatt sich der Melancholie zuzuwenden, sagte die Band dieses Mal: 'Lasst uns das Gegenteil tun und die freudigen, überschwänglichen Gefühle betonen'", erinnert sie sich. Unterstützung dafür fand sie bei ihrer fantastischen Band, bei Bassistin Cass Basil, Schlagzeuger Alex Freer und Gitarrist Tom Healy, der das Album auch produzierte und dabei einen wunderbar warmtönenden, einschmeichelnden Sound schuf. Trotz der sanften klanglichen Verschiebung fühlt sich "Ceremony" allerdings nie wie ein Bruch mit der Vergangenheit an. Der rote Faden, der sich durch das ganze Schaffen von Tiny Ruins zieht, bleibt auch dieses Mal stets erkennbar. Der Grund dafür ist denkbar simpel. "Ich arbeite jetzt schon seit zehn, elf, zwölf Jahren mit den Leuten in meiner Band zusammen", sagt Fullbrook. "Es gibt also eine Kontinuität, weil wir alte Freunde sind und wir schon so lange zusammen spielen, dass auch sie wirklich Teil der Geschichte der Band sind. Viele andere Künstlerinnen und Künstler wechseln ihre Musikerinnen und Musiker bei jeder neuen Platte aus - oft auch mit prima Ergebnissen -, aber ich schätze mich wirklich glücklich, dass die Leute, mit denen ich zusammen angefangen habe, inzwischen zu großartigen eigenständigen Künstlerinnen und Künstlern aufgeblüht sind. Sie sind in der Lage, ihre eigene musikalische Sprache in meine Songs einzubringen und haben dabei die Geschichte von Tiny Ruins stets im Hinterkopf."

Wohl auch deshalb ist "Ceremony" das musikalisch bislang abwechslungsreichste Tiny-Ruins-Album geworden, auf dem der Weg von der minimalistischen Intensität einer klassischen Folk-Nummer wie "Diving & Soaring" zum wuchtigen Neil-Young-And-Crazy-Horse-Vibe von "Dorothy Bay", dem unwiderstehlichen Groove von '"In Light Of Everything" oder dem sonnendurchfluteten Pop-Ohrwurm-Flair von "Dogs Dreaming" nicht weit ist. Tatsächlich darf man sich einbilden, dass die unterschiedlichen Einflüsse der vier Musikerinnen und Musiker dieses Mal offener zutage treten als auf früheren Alben. "Oh, das ist interessant, denn das haben wir nicht bewusst getan", verrät Fullbrook. "Ich denke, wir sind einfach alle große Musikfans mit ziemlich unterschiedlichen Vorlieben und sprechen tatsächlich ständig über andere Künstlerinnen und Künstler. Wir gehen die Aufnahmen zwar nie so an, dass wir sagen: 'Lasst uns mal etwas wie JJ Cale versuchen', aber ich erinnere mich, dass Tom zu Beginn der Aufnahmen sagte, dass Lou Reeds 'Transformer'-Album gerade eine große Sache für ihn sei und er die Platte zuletzt oft gehört und sich über die klanglichen Aspekte Gedanken gemacht hatte. Weil er das Album produziert hat, war es seine Aufgabe, zu überlegen, in welcher Klangwelt die Platte zu Hause sein sollte. Der Neil-Young-Einschlag von 'Dorothy Bay' geht sicherlich auch auf ihn zurück, denn er ist nun mal der Gitarrist! Wir alle lieben den Sound von alten Rock- und Psychedelic-Rock-Platten, ohne uns davon zu sehr leiten zu lassen. Manchmal schwebt mir allerdings eine gewisse Atmosphäre vor, wenn ich einen Song schreibe. Ich erinnere mich, dass sich 'Dogs Dreaming' wie ein Bruce-Springsteen-Lied anfühlte, einfach, weil es ein Road-Song ist. Es vermittelte dieses Gefühl einer staubigen Stadt irgendwo in Kalifornien. Dass dir beim Schreiben und Aufnehmen andere Künstlerinnen und Künstler durch den Kopf gehen, passiert ja ganz oft. Ohne dass man sich absichtlich in diese Richtung bewegt, ist es dann oft unausweichlich, dass man diese Einflüsse kanalisiert."
Dass die Band die Aufnahmen mit einem wachen Blick für liebevolle Details angegangen ist, verraten allein schon die Credits der LP, die - "für die Nerds da draußen", wie Fullbrook lachend zugibt - nicht nur die Instrumente, sondern sogar die vielen verschiedenen Modelle ausweisen, die bei den Aufnahmen zum Einsatz kamen. "Wir haben dieses Mal einiges anders gemacht", erzählt Fullbrook. "Wir haben zum Beispiel keine Verstärker verwendet, nur Gitarren mit DI-Box, wir haben weniger Akustikgitarren eingesetzt, das Schlagzeug betont trocken klingen lassen und auf viel Variation beim Basssound gesetzt. Cass hat insgesamt sechs verschiedene Instrumente benutzt! Die Klangpalette, die wir für diese Platte verwendet haben, vermittelte mir ein Gefühl von Sanftheit, Intimität und Nähe. Es ging nicht nur um Traurigkeit, sondern um eine ganze Reihe von Emotionen: Es gab süßliche Klänge, niedliche Klänge und manchmal geradezu lustige Klänge." Zudem hatten Fullbrook und die Ihren gleich zu Beginn der Sessions beschlossen, dass sie in der Lage sein müssten, alle Songs zu viert live zu spielen. Das hat sie davon abgehalten, Hunderte Overdubs aufzunehmen, die sie später nicht live hätten reproduzieren können. Am Ende führte das zu einer Beschränkung auf die Basics, auf Bass, Schlagzeug, akustische und elektrische Gitarren und ein wenig Orgel. "Das hat dazu geführt, dass der Sound ziemlich frei ist, zumal die Platte relativ schnell eingespielt wurde, nachdem wir die Songs in die richtige Form gebracht hatten", erklärt Fullbrook. "Die Platte hat für mich deshalb eine gewisse Leichtigkeit. Obwohl es ursprünglich sehr bedrückende Songs über Trauer und schwere Zeiten waren, sind sie am Ende zu etwas Größerem und Schönerem geworden."
Weitere Infos:
www.tinyruins.com
www.facebook.com/tinyruins
instagram.com/tiny_ruins
tinyruins.bandcamp.com
Interview: -Carsten Wohlfeld-
Foto: -Frances Crater-
Tiny Ruins
Aktueller Tonträger:
Ceremony
(Marathon Artists/Bertus)
jpc-Logo, hier bestellen

 
Banner, 234x60, ohne Claim, bestellen
 

Copyright © 1999 - 2024 Gaesteliste.de

 powered by
Expeedo Ecommerce Dienstleister

Expeedo Ecommerce Dienstleister