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Interview-Archiv

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MEGA BOG
 
Heilige Musik
Mega Bog
Schon bevor Erin Birgy ca. 2009 den heutigen Künstlernamen ihres Alter Egos Mega Bog annahm, führte die ursprünglich aus Idaho stammende Künstlerin ein bewegtes Leben - nicht nur als Musikerin mit Projektnamen wie Little Swamp oder Midi Marsh, sondern auch als Rodeo-Queen und - ähem - Porno-Darstellerin. Kurzum: Erin Birgy hat so einiges zu erzählen. Das tut sie aber seit jeher nicht als Geschichtenerzählerin, sondern mit allen ihr als Musikerin zur Verfügung stehende Mitteln und regelmäßig in Zusammenarbeit mit James Krivchenia (Big Thief) und Meg Duffy (Hand Habits) auf eine recht experimentelle, avantgardistische Manier. Stilistisch und was das Genre betrifft überrascht Mega Bog dabei immer wieder mit überraschenden Entscheidungen und zählt dabei so gegensätzliche Sachen wie Jazz, Psychedelia, Prog, New Wave, Glamrock oder Artpop zu ihren Inspirationsquellen. Am Vorabend der Pandemie zogen sich Erin und James Krivchenia in eine Hütte in New Mexico zurück, wo dann die Songs und das Konzept des nun vorliegenden sechsten Albums "End Of Everything" entstanden.
Nicht ganz freiwillig, wie Erin einräumt: "Ich habe die Songs während der Pandemie geschrieben - hatte jedoch einen ungewöhnlich große Pause von acht oder neun Monaten gemacht, während ich ansonsten eigentlich immer täglich geschrieben habe", berichtet Erin. Ich musste mir dann immer anhören, dass ich doch eigentlich produktiv sein sollte, jetzt, wo ich so viel Zeit zur Verfügung hatte. Ich sagte dann aber, dass ich gar nicht produktiv sein wollte, weil meine Musik ja keine Industrie ist und ich mit sowas nichts zu tun haben wollte. Da ich aber mit meiner Musik ansonsten immer meinen Schmerz verarbeite - der sich in der Zeit vermehrt manifestierte, musste irgendwann etwas passieren - und die neuen Songs kamen dabei heraus. Einige Sachen passierten also, die es unbedingt notwendig machten, dass ich wieder Songs schrieb. James und ich hatten dann 2021 einen ziemlich großen Stapel an Songs und ein paar Sprachnotizen, die einfach passieren mussten. Das ist dann ziemlich schnell passiert - nach einer langen Phase der Reflexion." Wenn Erin sagt, dass Musik für sie keine Industrie sei, dann stellt sich natürlich die Frage, welche Bedeutung Musik für sie stattdessen haben könnte. Ein kluger Mensch sagte mal, dass man Musik am besten als Hobby betrachten solle. "Nun ein Hobby impliziert ja, dass es da doch noch eine Industrie gibt", überlegt Erin, "ich bin der Meinung, dass man Musik als etwas Heiliges betrachten sollte. Ich würde sagen, dass man sich der Musik mit einer Art Ergebenheit nähern sollte. Es ist dann seltsam, wenn ich diese Vorstellung in der einen Hand halte, und die Vorstellung, dass ich auch eine Schauspielerin und Teil eines Paares bin, sich in der anderen befindet."

Es ist ja schon seltsam, dass Musik heutzutage oft mit einem gewissen Konkurrenz-Gedanken betrachtet wird. Musik ist doch kein Wettbewerb, oder? "Nein, es geht eher um die Gemeinschaft mit anderen und die Universalität des Universums", philosophiert Erin, "die Musik ist dabei die verbindende Kraft und ich fühle mich geehrt, ein Verwalter dieser Idee sein darf. Wenn man Musik praktiziert, dann stellt man fest, dass die Musik die Wurzel all dessen ist, was gut ist. Damit geht eine Menge Verantwortung einher. Wenn man das als Industrie oder Wettbewerb betrachtet, verliert man das alles. Du verlierst nicht nur etwas, sondern du wirst kompromittiert. Ja - jeder der sagt, er brauche etwas im Austausch für seine musikalischen Bestrebungen - wie zum Beispiel Geld -, ist kompromittiert. Es ist aber eine unausgewogene Situation, die man dann für sich bewerten muss. Ich würde sagen, dass ich meine Musik schreibe und dass ich meine Freunde habe, steht für mich an erster Stelle. Ich habe dann meinen Beitrag geleistet, wenn ich musiziere. Es ist natürlich großartig, wenn das dann jemand mag und teilen möchte - aber ständig an den Erfolg zu denken, macht viele Leute kaputt. Es zerstört den Prozess, das Selbstbewusstsein und den Mut."
Wie erklärt sich denn der Titel der LP "End Of Everything"? Geht es vielleicht gar nicht um das bevorstehende Ende der Welt im Angesicht der Apokalypse, sondern um das Ende der von Erin beschriebenen Entwicklung ihrer Songs? "Ja, der Albumtitel ist zugegebenermaßen sehr dramatisch", gesteht sie, "und es gibt sowieso jede Menge Drama. Aber ich denke, man erkennt so, dass es nicht einfach gewesen ist, diese Songs zu schreiben und man erkennt auch den Endpunkt der Entwicklung und man kann sehen, dass schöne Songs daraus erwachsen können. Der Titel hat aber eine doppelte Bedeutung. Ich denke, es gibt schon auch diese Endzeitstimmung. Ich meine: Hier, wo ich gerade in L.A. sitze, schwirren drei Helikopter über meinem Kopf, neben an ist ein vergifteter Fluss, es schwimmt blaues Haar im Abfluss, das sich mit Müll vollsaugt - das ist alles ziemlich dystopisch! Die apokalyptische Stimmung, die viele heute beobachten, hat schon ihren Grund. Der Zustande des Klimas, der Zustand der Erde, in einem Polizeistaat zu leben - da gibt es so viel Schaden und so viel Unausgewogenheit und so viel, was nicht mehr zu retten ist. Es gibt heute eine Hoffnungslosigkeit, die unausweichlich erscheint. Es ist das Ende unserer Welt, das sich da ankündigt - oder das Ende der geologischen Welt, des Tierreiches, der Menschheit der Ethik. Ich stelle mir also die Frage, welche Teile da abzusterben drohen - oder welche vielleicht absterben sollten. Was bedeutet das, wenn man nach vorne blickt - denn der Tod ist ja nie das Ende - und was passiert danach?" Dabei hält Erin in dem Song "Anthropocene" einen passendenden Hinweis parat: Es könnte ja um das Ende des Zeitalters des Menschen gehen. "Ja" meint sie dazu, "mit Sicherheit." Was meint Erin denn damit, wenn sie sagt, dass sie in einem Polizeistaat lebt? "Das meine ich eher generell", erläutert sie, "ich spreche über die Militärausgaben, die in Amerika weit übertrieben sind. Es gibt jeden Tag mehr Schießereien, an denen auch die Regierung und Institutionen beteiligt sind. Das Schießen ist das Hobby, das hier alle so sehr lieben. Das hat auch alles irgendwie mit dem Ende zu tun, das ich meine. Als ich aufwuchs, wurde man gefördert, ein Lehrer zu sein. Heutzutage gibt es kein Geld mehr für Lehrer und für die Ausbildung. Aber dreiviertel des kommunalen Budgets geht ins Militär oder die Polizei. Man gibt fünf Millionen Dollar aus, damit den ganzen Tag Helikopter in der Luft sind und es gibt Dutzende davon zu jeder Zeit. Dann gibt es extreme Klassenunterschiede hier. Das hat sich besonders während COVID bei den Menschen bemerkbar gemacht, die nicht wissen, wie man sich durch die Bürokratie kämpft. Ich bin zum Beispiel in sehr armen Verhältnissen aufgewachsen - und ich weiß auch nicht, wie man sich durch die Bürokratie kämpft, habe aber eine gute, starke Gemeinschaft von Freunden, die das Problem kennen. Eine Menge Menschen haben viel verloren - und man sieht das. Seit kurzem gibt es ein Gesetzt in Kalifornien, das es verbietet, obdachlos zu sein. Man kann tatsächlich verhaftet werden, wenn man auf der Straße schläft - und die Obdachlosenheime füllen sich, wobei die sowieso nicht die beste Option sind, wenn du obdachlos bist. Und da gibt es keinerlei Unterstützung vom Staat. Es ist alles eine große Schande."

Könnte man das so sehen, dass die neue Mega Bog-Musik auf der musikalischen Seite dann als gewisses Gegenmittel zu der Untergangsstimmung der Welt gedacht ist? "Auf gewisse Weise ja", meint Erin, "ich habe mich einfach der Werkzeug bedient, die ich auch kannte. Ich weiß nicht, wie man gewisse Probleme lösen könnte. Ich kann keine Klassenunterschiede aufheben. Ich weiß nicht, wie man als Einzelner mit der Polizei umgehen soll. Aber was ich weiß, ist wie man mit der Musik umgehen kann. Ich weiß, wie ich meine Gemeinschaft stärken und sie inklusiver werden lassen kann. Es ist vielleicht nicht das richtige Wort, aber ich würde es 'magisch' nennen, weil das ein Begriff ist, der einer spirituellen Geisteshaltung entspringt. Das hat auch einen sozio-ökonomischen Hintergrund: Ich brauche etwas, an das ich glauben kann - denn ansonsten ist dann alles vorbei. Ich kann mich zwar den Umständen ergeben; aber da gibt es immer noch positive Schwingungen und Schönheit an dieser Vorstellung - anders als wenn ich mich aufgeben würde. Das will ich für niemanden. Ich möchte, dass sich alle der Umstände und des Chaos bewusst werden - aber immer noch wissen, dass sie etwas haben, an das man glauben kann. Man darf aber niemals aufgeben - du weißt was ich meine!"

War es denn einfacher solch einfache Musik zu machen, als die komplexen und vielschichtigen Arbeiten, die für gewöhnlich die Basis von Mega Bog sind? "Auf keinen Fall", lacht Erin, "wir sind ja eine jazzige, Prog-Rock Band - und das ist es, womit wir uns auskennen." Mit "wir" meint Erin sich selbst, ihren Partner James Krivchenia von Big Thief und Megan Duffy von Hand Habits sowie eine große Schar von Gästen. "Wir mussten erst mal die ganzen Techniken erlernen, die Leute, die heutzutage Musik mit dem Computer machen, drauf haben - wir aber eben nicht. Wir mussten erst mal viel über das Synchronisieren, Arpeggios und Midi lernen - denn das haben wir überhaupt nicht verstanden. Das mussten wir uns erst mal drauf schaffen. Speziell James und ich haben uns wie in der Schule gefühlt." Da ist es ja gut, wenn man auf Kollegen zurückgreifen kann, denen man vertrauen kann, richtig? "Absolut", bestätigt Erin, "ich gehe in Kollaborationen geradezu auf. Jemand hat mir neulich gesagt, dass ich rüberkäme wie eine Sektenführerin. Das bin ich aber ganz und gar nicht. Ich mag es aber, eine Arbeitsumgebung zu erschaffen, in der jeder sein Potential einbringen kann, ohne die Richtung exakt vorzugeben. Ich habe aber eine Vision, die ich darlegen kann, aber da ich dieses Grundvertrauen in die Musiker habe, haben sie mehr Freiheiten als Angestellte, die einer Partitur folgen."
Okay - eine Sache müssen wir noch diskutieren; und das ist das Covermotiv. Dieses zeigt ein Gemälde des nichtbinären Künstlers Joel Gregory, das dieser nach einer Aktfotografie von Erin gefertigt hat. Was hat es damit auf sich? "Bevor ich Musikerin war, habe ich in der Pornographie gearbeitet", erklärt Erin, "und das Foto entstand bei einer der Sessions. Ich schickte das an Joel, meinen ältesten Freund und meine erste Liebe, mit dem ich stets in Kontakt blieb und dessen Gemälde ich sehr schätze. Wir haben uns dann über die Anatomie des Körpers, Verletzlichkeit und Wut unterhalten. Da steckt eine Menge Wut in dem Artwork und dem musikalischen Projekt. Wir haben dann Bilder ausgesucht, die uns geeignet erschienen. Es gibt das Bild eines Vulkans auf der Rückseite, es gibt eine dämonische Lilie, den nackten Körper, böses geschmolzenes Wachs unter einem Obi-Strip. Wir haben dann die Ideen hin und hergeschoben und er hat eine ganze Weile daran gearbeitet und es machte dann irgendwie Sinn." Ist dieses Bild dann sozusagen die metaphorische bildliche Darstellung dessen, was Erin mit ihrer neuen Musik vermitteln möchte? "Auf gewisse Weise schon", bestätigt Erin diese Vermutung. "End Of Everything" dürfte all jene überraschen, die gerade die gerade auf die avantgardistische Quirligkeit der "Jazzy-Prog-Rock-Band" des Mega Bog Projektes zu schätzen gewusst haben. Es bietet aber auch eine gute Möglichkeit eine neue Facette im Wirken von Erin Birgy zu entdecken.
Weitere Infos:
megabog.com
www.facebook.com/megabogmusic
www.instagram.com/mega_bog
www.youtube.com/@megabogmusic/videos
Interview: -Ullrich Maurer-
Foto: -Amanda Jasnowski Pascual-
Mega Bog
Aktueller Tonträger:
End Of Everything
(Mexican Summer/Membran)
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