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Interview-Archiv

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JESS WILLIAMSON
 
In der Hand des Göttlichen
Jess Williamson
Ihr letztes Album "Sorceress" hatte die inzwischen zwischen L.A. und dem texanischen Marfa pendelnde Songwriterin Jess Williamson noch vor der Pandemie fertigstellen können. Seither ist eine Menge passiert: Gerade als die Sache mit den Lockdowns losging, ging die Beziehung zu ihrem langjährigen Partner in die Brüche und Jess fand sich in der Isolation dann quasi unfreiwillig damit konfrontiert, auf sich selbst zurückgeworfen zu sehen, denn auch als Musikerin hatte sie ja plötzlich keine großen Möglichkeiten mehr, mit anderen in Kontakt zu treten. Deshalb griff sie gerne zu, als sich die Möglichkeit bot, zusammen mit ihren Freunden Meg Duffy und Jarvis Taverniere eine Benefiz-Single Namens "Pictures Of Flowers" einspielen zu können - wenngleich auch nur im Distanz-Modus. Diese Erfahrung war dann wichtig mit Bezug auf Jess' neues Album "Time Ain't Accidental", denn bei diesem Projekt entdeckte Jess für sie neue musikalische und kreative Produktionstechniken, die nun auch auf dem neuen Werk zum Tragen kamen.
Freilich: Bevor sich Jess ernsthaft mit einem neuen eigenen Projekt beschäftigen konnte, sah sie in einer Kollaboration mit Katie Crutchfield (Waxahatchee) in dem Projekt Plains die Möglichkeit, sich in ihrem ursprünglichen Lieblingsmetier - dem klassischen Country-Song - noch ein Mal so richtig auszuleben. Als die Pandemie sich dann langsam dem Ende zuneigte, traf sie bei einem Spaziergang zufällig ihre Nachbarin - und das war dann Natalie Mehring a.k.a. Weyes Blood. Und diese Bekanntschaft entwickelte sich dann zu einer Freundschaft - und einer gemeinsamen Tour in den USA auf der Jess Williamson dann Wyes Blood supportete. Moment mal: Da gehen die beiden Frauen mit den zur Zeit schlicht und ergreifend schönsten Gesangsstimmen gemeinsam auf Tour. Wäre es denn da nicht mal an der Zeit, dann auch etwas gemeinsam zu machen? "Das würde ich sehr gerne tun", schwärmt Jess, "wir haben darüber noch nicht gesprochen - aber Natalie: Falls du das hier lesen solltest - ich würde gerne mal was mit dir machen."

Kommen wir aber mal zum Thema. Als Jess Promo für ihre letzte Scheibe "Sorceress" machte, waren die ersten Lockdowns Realität. Damals war natürlich noch nicht abzusehen, wie lange die Sache mit der Pandemie dauern würde, nur dass Jess mit der Scheibe nicht auf Tour gehen können würde, war schon klar. Es gab dann ja das Single-Projekt "Pictures Of Flowers". War das dann zugleich die Initialzündung für das nun vorliegende Album "Time Ain't Accidental"? "Ja danke - das ist deswegen eine tolle Frage, weil das damals über mein Label zustande kam", berichtet Jess, "die stellten damals nämlich gerade eine Lockdown-Serie zusammen. Die haben dann verschiedene Musiker gefragt, ob sie nicht etwas zu Hause aufnehmen könnten. Das sollte dann als Benefiz-Serie namens 'Looking Glass' als veröffentlicht werden. Als sie mich gefragt hatten, dachte ich zunächst, dass ich das gar nicht leisten könne, weil ich kein entsprechendes Equipment oder die Fähigkeiten hatte. Weil ich aber im Lockdown saß und die ganze freie Zeit zur Verfügung hatte, fragte ich mich, ob ich es nicht einfach mal versuchen sollte. Und es war ja nicht verboten, ein paar Freunde zu fragen, ob sie mir aus der Distanz dabei helfen könnten. Ich schrieb dann diesen Song dezidiert über diesen Zeitabschnitt und die Angst vor der Pandemie als Tourmusikerin und habe es zu Meg Duffy geschickt, weil sie eine gute Freundin von mir ist. Sie hatte dann sofort zugesagt, einen Gitarrenpart beizusteuern. Auf gewisse Weise waren wir ja zu der Zeit alle frei. Und dann hat mein Freund Jarvis Taveniere - der auch ein toller Produzent ist - hat das ganze zusammengeführt und ein bisschen Bass gespielt. Es ist dann alles auf eine recht organische Weise zusammengekommen, weil ich mutig genug war, es einfach mal zu machen. Ich hatte zuvor noch nichts in dieser Art gemacht und da es geklappt hatte, war das dann die Basis für diese neue Scheibe, weil ich erkannte, dass ich solche Sachen auch alleine machen konnte. Das ist eine Art zu arbeiten, die für mich wirklich gut funktioniert." War es dann dadurch vorgegeben, dass Jess den Sound der neuen Scheibe "Time Ain't Accidental" bewusst ändern wollte? Immerhin hatte sie ihre Vorlieben für orthodoxe Country-Musik zuvor mit dem Projekt Plains - das sie mit ihrer Freundin Katie Crutchfield a.k.a. Waxahatchee - aus dem System gekegelt. "Was denkst du denn?", fragt Jess zurück, "meinst du, die neue Scheibe sei noch Country? Ich kann es wirklich selber nicht beurteilen." Höchstens in Sachen Storytelling - ansonsten dürfte Jess doch mit dieser Scheibe für sie neues Terrain betreten haben. "Auf gewisse Weise schon", zögert Jess, "es fühlt sich aber für mich auch irgendwie vertraut an. Eigentlich sind ja alle Country-Elemente noch da. Es gibt zum Beispiel ein Banjo auf der Scheibe - was das erste Instrument war, was ich gespielt habe. Es gibt Slide-Gitarren und ein Drum-Set. Aber es gibt auch Drumbeats, die ich auf einer App in meinem Handy gebastelt habe, das dann ich in meinen Computer gestöpselt habe. Es kommen da eine Menge Dinge zusammen, die wirklich mich repräsentieren, die ich aber noch nie alle zusammen auf einer Scheibe verwendet habe. Es fühlt sich also alles vertraut an, aber ich denke, dass die Auflösung etwas vollkommen neues ergibt."

Auf der neuen Scheibe hat sich Jess dann ja mit Brad Cook als Produzent zusammengetan, der sich immer mehr als Spezialist für die Produktion von SongwriterInnen zu etablieren scheint. Und dann arbeitete sie auch noch mit Ben Schwab von Sylvie zusammen. "Ja, aber nur auf meiner Single 'Texas Blue' mit den beiden Townes Van Zandt-Covern 'Loretta' und 'Texas River Song'", berichtet Jess, "ich bin aber trotzdem froh, dass du ihn erwähnst, denn er ist ein guter Freund von mir. Brad kannte ich schon von unserer gemeinsamen Arbeit an der 'Plains'-Scheibe und ich weiß jetzt, wie er arbeitet. Es gibt da eine Menge Vertrauen." Gab es denn einen Masterplan? "Nein - ich wusste aber, was ich auf der Scheibe haben wollte", führt Jess aus, "ich wollte Steel-Gitarren und Holzbläser. Es sollte echte Live-Drums geben und eine akustische Instrumentierung. Aber ich hatte auch diese Demos, die die ganzen Beats enthielten, die ich zu Hause programmiert hatte. Ich hatte gar nicht darüber nachgedacht, diese einzusetzen. Ich hatte nur gedacht, dass das etwas wäre, auf dem man aufbauen könnte. Es war dann Brad, der mein Handy in den Computer gestöpselt hatte und meinte, wir könnten das verwenden. Ich meinte: 'Nein das geht doch nicht - das kommt doch von einer kostenlosen iPhone-App' - wovon er sich aber nicht abhalten ließ. Ich hatte eigentlich gar nicht geplant, in eine solche Richtung zu gehen - war aber wohl unbewusst dafür bereit, denn ich hatte ja diese Sachen angeschleppt und sie repräsentierten ja auch das, was ich gemacht hatte." Es scheint eine Spezialität von Brad Cook zu sein, das technisch realisieren zu können, was die Musikerinnen sich vorstellen, aber nicht so recht artikulieren können - das berichtete neulich nämlich Suki Waterhouse, der Brad ja auch produktionstechnisch unter die Arme gegriffen hatte. Bei Fenne Lily dürfte das ähnlich gewesen sein. "Ja, total - das stimmt", pflichtet Jess bei, "es ist auch deswegen nett, weil ich zuvor immer gedacht hatte, dass ich immer alles wissen und erklären müsste und wie ich die Sounds haben wollte. Ich habe mich im Studio immer ein wenig unzulänglich gefühlt. Bei Brad ist das aber so, dass er sich das alles selbst zusammenreimen kann. Ich kann mit ihm über die Energie eines Songs sprechen und Referenzen anführen und er kann dann selbst damit etwas Neues machen, ohne dass ich ihm wegen jedes Details im Nacken sitzen müsste. Brad ist in dieser Hinsicht wirklich mein Traumproduzent."
Jess musste bei diesem neuen Projekt nicht nur mit der Pandemie und den Lockdowns zurecht kommen, sondern auch mit dem Umstand, dass sie von ihrem langjährigen Partner verlassen worden war und aus diesem Grunde einen Neuanfang in Los Angeles suchen musste. Das erklärt dann auch den melancholischen Charakter der neuen Songs und wie viele davon sich indirekt mit diesem Thema auseinandersetzen - wie zum Beispiel auch der Track "Hunter", in dem Jess die Qualitäten der Liebe und eines möglichen Beziehung mit Zeilen wie folgenden umschreibt: "I want a mirror - Not a piece of glass" oder "My love is pure as the universe - Honest as an ashtray". Auf solche Analogien muss man ja auch erst mal kommen - da braucht es ein Auge für die ausschlaggebenden Details, von denen man dann auf etwas Größeres schließen kann. "Na ja - das ist für mich das Bild einer Gruppe von Leuten, die um einen Tisch herum sitzen, dabei rauchen und dann ehrlich zueinander sind. Der Aschenbecher enthält dann die Beweise. Wenn du jemanden besuchst, der einen Aschenbecher voller Zigarettenkippen hat, dann verrät der dir Einiges. Ich denke oft darüber nach, wie kraftvoll spezifische kleine Details wie diese sein können. Da kommt mir Leonard Cohen in den Sinn. Er macht das so großartig. 'Your Famous Blue Raincoat' oder 'No One Fell In Love For Us in 1961' - das sind Zeilen, die sehr spezifisch sind und obwohl ich nicht dabei war, fühle ich mich, als wäre ich mit Leonard Cohen in einem Raum, wenn ich so etwas höre. Eines meiner Lieblingsbücher ist 'Songwriters on Songwriting' von Paul Zollo. Kennst du das? Es ist toll. Ich nutze es zwar gerade, um einen Lautsprecher draufzustellen, aber muss es mal wieder rausziehen um es mir nochmal anzusehen. Leonard Cohen selbst hat in Interviews davon gesprochen, wie wichtig es ist, spezifische Details zu verwenden. Einige meiner Lieblingssongs enthalten so etwas. Für mich fühlt es sich manchmal an, wie einen Film über mein Leben zu machen, wenn ich einen Song schreibe. Im Film sind ja auch die kleinen Details so wichtig."

Kommen wir noch mal auf Leonard Cohen zurück: Auf ihrer neuen Scheibe hat Jess einen Song namens "God In Everything" - womit wir beim Thema Spiritualität wären. Nun singt Jess in diesem Song nicht wirklich davon, dass sie zu Gott gefunden habe - aber das Thema (oder diese Formulierung) scheint ihr schon zu liegen, denn auf ihrem letzten Album "Sorceress" sang sie in dem Song "Wind On Tin" immer wieder die Zeile "I Found God" - wenn auch damals schon ohne wirklichen religiösen Bezug. "Also weißt du - ich bin nach L.A. gezogen und habe meine Heimat Texas zurück gelassen", verrät Jess, "und als ich hier ankam, war es ganz schön einsam für mich. Es war aber auch irgendwie spirituell. Ich verwende zwar das Wort 'Gott', aber es könnte genau so gut das 'Universum' oder eine 'höhere Kraft' oder 'Quelle' heißen. Ich sage 'Gott', weil das ein Wort ist, das sich leicht sagt und die Leute wissen, was gemeint ist. Als ich hierher zog, dachte ich, dass ich das wegen meiner Karriere getan hätte. Jetzt weiß ich aber, dass ich wegen spiritueller Gründe hierher kommen musste. Ich habe hier einen spirituellen Weg gefunden. Den Song 'God In Everything' habe ich zu einer Zeit geschrieben, als ich mein Zuhause sehr vermisst habe. Ich realisierte aber, wie wichtig es für mich war, hierher gekommen zu sein - weil ich nur hier diese Spiritualität finden konnte. Deswegen heißt das Album auch 'Time Aint Accidental', denn Zufälle gibt es nicht für mich." Die Sache mit der Spiritualität geht aber für Jess noch weiter. "Ich lebe hier in einem Ortsteil namens Los Feliz, der nahe dem Griffith-Park gelegen ist, wo es diese wunderschöne, riesige Wildnis gibt", erzählt sie, "es gibt dort auch diese Philosophical Research Society, die 1934 von Manly Palmer Hall gegründet wurde, um das Studium philosophischer Schriften zu fördern. Da kann ich zu Fuß hingehen und die Veranstaltungen besuchen. Ich bin gerade auf einer Mission alles zu lesen, was Hall geschrieben hat. Angefangen habe ich mit 'The Secret Teachings Of All Ages' - was ich auch oft als Inspirationsquelle hernehme. Der Buchladen in der Socitey dort hat praktisch jedes Buch, das ich immer schon mal lesen wollte. Als ich das gesehen habe, dachte ich mir: Das ist meine zweite Schule. Das ist für mich alles kein Zufall. Dass ich hier in diesem Haus lebe, hat mir ganz neue Möglichkeiten eröffnet, von denen ich vorher nichts wusste." Wie war das denn früher? Hatte Jess früher mehr Pläne gemacht? "Na ja ich war schon ein wenig davon besessen, das Dinge immer auf eine bestimmte Weise laufen mussten. Und zwar auf meine Weise, von der ich dachte, dass es die einzig richtige sei. Ich habe mich da an Ideen festgeklammert. Besonders meine Musik betreffend. Ich erinnere mich daran, dass ich sehr angespannt war, als ich meine Tour für das 'Sorceress'-Album plante, weil ich davon ausging, dass alles so funktionieren müsste, wie ich es mir ausgedacht hatte. Als dann alles zumachte und die Tour abgesagt werden musste, fühlte ich mich auf gewisse Weise insgeheim erleichtert darüber, dass ich gezwungen war, innezuhalten und mit der Stresserei aufhören konnte. Ich kann dir sagen, dass ich jetzt - mit der neuen Scheibe - meinen Frieden gefunden habe. Ich habe da dieses Zitat von Manly P. Hall, das gut dazu passt und das besagt: 'Sorge dich nicht um das Resultat deiner Arbeit, denn das ist alles in der Hand des Göttlichen'. Das ist nun mein Motto. Ich habe eine eine Scheibe gemacht und mein Bestes gegeben - und nun ist alles in den Händen des Göttlichen. Ich brauche mich nicht darum zu kümmern, wer meine Musik hört und wer zu meinen Konzerten kommt. Natürlich werde ich weiter meine Aufgaben erfüllen, eine Band zusammenstellen und üben - aber was das Ergebnis angeht, bin ich machtlos. Also kann ich ja eigentlich genießen, was passiert."
Okay - kommen wir noch mal zur Musik zurück. Auf der Scheibe gibt es zwei Songs zum Thema "Two Step" - der eine heißt "Tobacco Two Step" und der andere "Topanga Two Step". Was hat es denn damit auf sich? "Diese beiden Songs repräsentieren zwei verschiedene Welten, in denen ich mich als Außenseiterin fühlte", erklärt Jess, "'Tobacco Two Step' handelt von der Idee nach Texas zurückzukehren, dort alte Freunde und die Familie zu treffen und die neue Version meiner Selbst, sich dabei wie eine Außenseiterin fühlte und 'Topanga Two Step' wurde in einer Zeit geschrieben, in der ich mich wirklich bemüht habe, in die Welt von Los Angeles einzufügen, neue Leute zu treffen und eine neue Community zu finden. Da habe ich festgestellt, dass ich da auch nicht so richtig hinpasste. Die beiden Songs gehören also irgendwie zusammen. Weißt du - da gibt es diese großartige Textzeile von Bright Eyes, die ich immer gemocht habe. Sie heißt: 'I feel more like a stranger each time I come home'. Während ich diese neuen Songs schrieb, habe ich versucht herauszufinden, wer ich bin, wenn ich alleine bin, wo mein Zuhause, was soll ich für mich selbst machen? Das hängt also alles zusammen." Hat sich der Kreis dann irgendwann für Jess geschlossen? "Ja, es ist nämlich so, dass ich mich heutzutage tatsächlich in L.A. zu Hause fühle. Aber da mein Freund in Marfa, Texas lebt, verbringe ich auch viel Zeit dort - und ich habe festgestellt, dass ich beides brauche. Zwei Orte zu haben, an denen ich mich zu Hause fühlen kann, funktioniert für mich zur Zeit sehr gut. Ich mag inzwischen L.A. und meine Community hier, die Spiritualität und sogar auch alleine zu sein. Auf der anderen Seite kann ich auch zu meinem Freund fahren und wir haben auch dort eine Community und man ist draußen und kann schwimmen und gärtnern. Ich brauche also wirklich beides."
Weitere Infos:
www.jesswilliamson.com
www.facebook.com/jesswilliamsonmusic
www.instagram.com/jesswilliamson
www.youtube.com/@jesswilliamsonmusic/videos
www.prs.org
Interview: -Ullrich Maurer-
Foto: -Jesse Lee Young-
Jess Williamson
Aktueller Tonträger:
Time Ain't Accidental
(Mexican Summer/Membran)
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