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TORTOISE
 
Blick zurück nach vorn
Tortoise
Zu behaupten, Tortoise hätten die Hörgewohnheiten der 90er mehr verändert als jede andere Band, ist keine Untertreibung. Legionen von Bands, angefangen bei Trans Am, Flying Saucer Attack, To Rococo Rot über A Minor Forest, Stereolab, June Of 44 bis zu den High Llamas, Tarwater oder Mogwai, haben sich im schier unendlichen Soundkosmos der Chicagoer Band bedient, die Begriffe wie "Chicagoer Schule" und Post-Rock mit Leben füllte. Zwischen Kraftwerk, Krautrock, Ambient, Filmmusik, Electronica und Prog-Rock haben es John McEntire, Doug McCombs, Dan Bitney, John Herndon und Bundy K. Brown geschafft, ihre ureigene Nische zu finden.
Dabei verlässt sich die Band in erster Linie auf die kühle Ästhetik ihrer Instrumentals, um ihr brillantes Zusammenspiel in den Vordergrund zu rücken. Seit dem 1996er Durchbruch mit dem Meisterwerk "Millions Now Living Will Never Die", auf dem vor allem der 21-minütige Opener "Djed" für Aufsehen sorgte, können Tortoise eigentlich nichts mehr falsch machen, egal ob mit dem "Mutterschiff" oder in unzähligen anderen Gruppen und Projekten der übersprudelnden Chicagoer Szene wie - tief Luft holen! - Eleventh Dream Day, Brokeback, Pullman, Directions In Music, Chicago Underground Duo, Gastr Del Sol, Aerial M, Toe 2000 oder The Sea And Cake. Nach dem größtenteils im Studio komponierten und vollelektronisch eingespielten "TNT" klingt das vierte Tortoise-Opus "Standards" - ihre erste Veröffentlichung auf dem berühmten britischen Elektroniklabel Warp - wieder bodenständiger und organischer.

Eine Entwicklung, die der Band sehr am Herzen lag, wie Bassist Doug McCombs der Gästeliste in Hamburg erklärte, als er uns zwei Tage nach Ende der letzten Tournee von Eleventh Dream Day das neue Tortoise-Album erklärte. "Als wir 'TNT' aufgenommen haben, begann John [McEntire, Tortoise Drummer und Produzent] gerade, sich mit ProTools auseinander zu setzen. Dieses Computerprogramm ermöglicht es dir zum Beispiel, ein Riff nur einmal zu spielen und es dann für die Wiederholungen zu loopen. Wir haben allerdings sehr schnell gemerkt, dass das die Sache viel zu einfach für uns macht. Alles klingt so sehr schnell nach Robotermusik. Für 'Standards' haben wir zwar nicht völlig auf ProTools verzichtet, aber versucht, computer- und handgemachte Sounds besser in Einklang zu bringen."

"Standards" ist der hörbare Beweis dafür, allerdings ist es nicht gerade ein Album, das die Band näher als bisher an die Underground-Elektronik-Pioniere heranbringt, die sich für gewöhnlich auf ihrem neuen europäischen Label Warp tummeln. Kein Wunder also, dass Doug die Entscheidung in erster Linie auf geschäftliche und nur bedingt auf musikalische Gründe zurückführt. "Das war einfach eine Entscheidung, die wir zusammen mit Bettina [Richards, die Frau hinter Tortoise' US-Label Thrill Jockey] getroffen haben. Es gab einige Meinungsverschiedenheiten mit unserem alten Label City Slang und es schien das Beste zu sein, etwas Neues auszuprobieren. Den Kontakt zu Warp hat ein guter Freund von uns aus London hergestellt, der auch unsere Shows in England mitorganisiert. Er hat mal bei Warp gearbeitet und ihnen die Idee schmackhaft gemacht. Wir hatten schon immer sehr viel Respekt vor Warp, vor allem, weil ihre Veröffentlichungen eine konstant hohe Qualität haben."

Da drängt sich die Frage auf: Bedeutet der Wechsel zu Warp auch, dass uns zum neuen Album nun massig Remixe erwarten? Doug: "Nicht unbedingt. Vielleicht wird es auch gar keine geben, wir haben darüber noch nicht gesprochen. Allerdings sind wir schon mit 'TNT' langsam von dem Konzept der Remixe abgekommen. Je länger wir dabei sind, desto mehr haben wir selbst schon einige der Grundlagen der Remixes in die eigentlichen Songs eingebaut. Deshalb sind unsere Songs für uns inzwischen sehr viel endgültiger und konkreter als früher. Außerdem sind Remixes heute ja sowieso nur noch dazu da, das Interesse an einem Album weiter künstlich am Leben zu erhalten, indem man den Leuten ein und dieselbe Idee mehrmals verkauft. Zum derzeitigen Zeitpunkt hätten wir wohl einfach mehr Lust, gleich eine EP mit neuen Songs aufzunehmen, als alte Stücke remixen zu lassen."

Tortoise
Lassen wir uns also überraschen. Aber vielleicht hat Doug ja auch nur Angst, 2001 zu viel Freizeit zu haben? Zumindest scheint er nicht unbedingt unglücklich darüber gewesen zu sein, das Jahr 2000 eigentlich komplett auf Bühnen oder in Tonstudios verbracht zu haben. "Wenn man bedenkt, wie viel Zeit wir darauf verwenden, unsere Termine zu organisieren, ist schon fast verwunderlich, dass wir eigentlich mit all unseren Bands im Jahr 2000 Platten aufgenommen haben. Das Jahr 2001 wird wesentlich ruhiger für uns. Da gibt es zwar die lange Tournee mit Tortoise, aber wenn die einmal vorbei ist, haben wir wahrscheinlich erst mal ein ganzes Jahr frei. Nicht nur deshalb freue ich mich auf die Tournee. Ich mag es, unterwegs zu sein und nicht zu Hause sein zu müssen. Das ist zwar einerseits harte Arbeit, aber meistens betrachte ich es doch als Urlaub!"

Der (ent)spannendste Teil der Tournee, die die Band auch für rund ein Dutzend Shows nach Deutschland führen wird, ist für Tortoise natürlich das "All Tomorrow's Parties"-Wochenend-Festival Anfang April im englischen Camber Sands Holiday Centre. Nachdem nämlich letztes Jahr Mogwai die Ehre zuteil wurde, für das exklusive Festival die Bands zusammenzustellen, waren es dieses Mal Tortoise, die für das Line-Up sorgten. "Das war übrigens nicht so kompliziert und arbeitsaufwendig, wie es sich vielleicht anhört", erklärt Doug. "Es ist nicht so, dass wir uns selbst ans Telefon hängen und den Bands hinterher telefonieren mussten. Unser Freund, der uns auch bei Warp ins Gespräch gebracht hatte, ist für das Booking zuständig, und er hat von uns eigentlich nur eine Wunschliste bekommen, mit den Bands die wir gerne dabeihätten. Darunter waren auch ein paar 'unmögliche' Acts und von denen kommt jetzt sogar einer!"

Die Rede ist von Tom Verlaines legendärer New Yorker Wave-Band Television, die seit ihrer Trennung Ende der 70er nur für eine kurzlebige Reunion 1992 wieder auf die Bühne zurückgekehrt sind und in England neben so illustren Bands wie Boards Of Canada, Broadcast, The Sea & Cake, Tara Key & Rick Rizza, Yo La Tengo, dem Sun Ra Arkestra (!) und eben Tortoise zum ersten Mal seit fast einem Jahrzehnt wieder auftreten sollen. "Ich hoffe bloß, dass sie auch wirklich kommen", meint Doug vorsichtig. "Aber bei denen weiß man ja nie!"

Interview: -Carsten Wohlfeld-
Fotos: -Pressefreigaben-
Tortoise
Aktueller Tonträger:
Standards
(Warp/Zomba)

 
 

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