GL.de: Emily, du bist nun schon seit einigen Jahren in Chicago heimisch, hast aber während der Pandemie auch viel Zeit in deiner alten Heimat Madison verbracht. Was bedeutet "Zuhause" für dich?
Emily: Das ist eine tolle Frage! Wir sind jetzt seit fünf Jahren in Chicago und wir lieben es, hier zu leben. Meine Bandkollegen und ich wohnen in einem Umkreis von etwa einer Meile voneinander entfernt, sodass wir uns oft sehen und viel Zeit miteinander verbringen. Wir sind alle in Madison aufgewachsen, die Jungs kennen sich seit ihrer Kindheit. Ich habe sie auf dem College kennengelernt, aber ich denke, dass wir eine wirklich tiefe Bindung zu Wisconsin haben und unsere Zeit des Aufwachsens dort haben, und ich habe auch einen Großteil des Albums in einer Hütte im ländlichen Wisconsin geschrieben. Ich denke, dass sich die Definition von Zuhause für mich ständig ändert. In letzter Zeit versuche ich, mir ein Gefühl von Zuhause zu schaffen, egal wo ich bin, weil wir so viel unterwegs sind, was sich wirklich verwirrend anfühlen kann. Ich versuche deshalb, mir eine Art Umgebung zu schaffen, die sich angenehm anfühlt, egal wo ich bin. Das ist das, woran ich im Moment am meisten interessiert bin.
GL.de: Der Female-fronted-Indierock mit 90er-Jahre-Vibe erlebt derzeit eine kleine Renaissance, und zumeist sind es die Frontfrauen, die die Projekte starten. Slow Pulp dagegen waren eigentlich eine Jungs-Band, bevor du eher zufällig dazugestoßen bist. Hat das einen Einfluss auf eure Herangehensweise?
Emily: Ja, absolut! Ich war zunächst nur als Backgroundsängerin und Rhythmusgitarristin in die Band aufgenommen worden. Bevor ich dazustieß, hatte ich angefangen, mit unserem Gitarristen Henry Songs zu schreiben, nur so zum Spaß, um mal mit jemand Neuem Musik zu machen. Irgendwie ist dann in letzter Minute einer dieser Songs, den er und ich geschrieben hatten, auf einer EP der Jungs gelandet, obwohl ich eigentlich nur ein bisschen Gesang und Instrumentierung beisteuern sollte. Von da an ging es langsam voran. Es war keinesfalls so, dass eines Tages jemand sagte: "OK, Emily, du bist jetzt die Frontperson, du singst und schreibst die Gesangsparts der Songs!" Das ging eher Schritt für Schritt, jemand fragte: "Oh, kannst du dieses Lied singen, das ich geschrieben habe?" oder "Möchtest du versuchen, einen Gesangspart für dieses Lied zu schreiben?" Wir lernen immer noch, wie wir am besten zusammen schreiben, und ich denke, dass ich für das nächste Projekt ein bisschen mehr in die Rolle der Frontperson schlüpfen werde und einen Großteil des Text- und Melodienschreibens übernehme. Wir sind irgendwie in unsere Rollen hineingestolpert, was in mancher Hinsicht Spaß macht und auf andere Weise manchmal zu Verwirrung führen kann. Aber ich hätte es nicht anders machen wollen. Wir entwickeln uns ständig weiter und sind, glaube ich, deshalb sehr experimentierfreudig.
GL.de: Euer erstes Album musstest ihr COVID-19-bedingt räumlich getrennt voneinander aufnehmen, doch anders als die meisten Künstlerinnen und Künstler habt ihr offenbar Gefallen an dieser Arbeitsweise gefunden und sie nun auch ohne den Zwang einer Pandemie für "Yard" angewandt. So hast du auch dieses Mal den Gesang mit deinem Vater Michael, der selbst Musiker ist, aufgenommen!
Emily: Wir haben uns angeschaut, was im Entstehungsprozess von "Moveys" gut funktioniert hat, und uns gesagt: Was nicht kaputt ist, kann man auch nicht reparieren! Die Zusammenarbeit mit meinem Dad hat beim ersten Mal so gut geklappt, dass ich sie am liebsten ewig fortführen würde! Natürlich kann es manchmal kompliziert und anstrengend sein und wir streiten auch mal, aber es ist auch etwas ganz Besonderes. Dass ich während der Pandemie viel Zeit mit meinen Eltern verbracht habe, hat meine Beziehung zu ihnen auf eine positive und wertschätzende Weise in ein neues Licht gerückt, und daran möchte ich so lange wie möglich festhalten."
GL.de: Was waren denn die wichtigsten Lektionen, die du als Kind eines Musikers lernen konntest und die du jetzt auf dein eigenes Tun in der Band anwenden kannst?
Emily: Ich denke, das Wichtigste war sicherlich, das Vertrauen in mich selbst zu finden, damit ich meinen eigenen Weg gehen kann. Das ist etwas, das mir mein Vater immer eingebläut hat: Vertraue auf dich selbst, sei du selbst und lass dich nicht durch all die Dinge ablenken, die eine Musikkarriere mit sich bringt. Freundlich und verständnisvoll zu sein, das ist das, was meine Bandkollegen und ich alle anstreben. Einfach ehrlich und kommunikativ zu sein und zu schauen, wohin das Ganze führt.
GL.de: Du hast in den vergangenen Jahren einige echte Krisen meistern müssen, zuerst hatten deine Eltern einen schweren Autounfall, in dessen Folge du temporär nach Madison zurückgekehrt bist, um dich um sie zu kümmern, dann wurdest du durch eigene gesundheitliche Probleme zurückgeworfen. Hat sich dadurch dein Verhältnis zum Musikmachen verändert?
Emily: Ja, absolut! Das Schreiben ist für mich in dieser Zeit zu einer Sache geworden ist, die einfach nur Spaß macht. Ich meine, ich habe natürlich immer noch Momente, in denen mir alles schwerfällt und ich meine Zweifel habe, aber ich versuche, mir das so vorzustellen: Musik ist eine meiner absoluten Lieblingsbeschäftigungen, aber sie ist nicht die wichtigste Sache in meinem Leben - und das muss sie auch nicht sein. Ich schätze meine Beziehungen zu anderen Menschen und meine Beziehung zu mir selbst sehr, und das wird immer Vorrang haben. Ich versuche, der Musik Raum zu geben, damit sie etwas Besonderes ist. Ich bin sehr dankbar und sehr glücklich, dass ich das tun kann, aber ich lasse nicht zu, dass sie mein Leben negativ beeinflusst.
GL.de: Mal ganz allgemein gefragt: Was macht einen Slow-Pulp-Song aus?
Emily: Ich denke, das verändert sich ständig, weil ich immer wieder von neuen Dingen inspiriert oder in meinem Songwriting geleitet werde. Eines ist allerdings doch immer gleich: Wenn ich an einem Song arbeite, habe ich für gewöhnlich die Akkorde - Gitarre, Bass oder was auch immer - und dann beginne ich, dazu wahllos Wörter zu singen, und dabei schält sich normalerweise eine Art von Statement heraus, das mir sagt, wovon der Song handelt. Für gewöhnlich ist das etwas, das gerade in meinem Leben relevant ist. Gleichzeitig mag ich es, mich beim Songwriting nur vage zu äußern. Wenn man über weniger spezifische Themen schreibt, gibt das dem Publikum die Chance, eigene Geschichten auf den Song zu projizieren. Das mag ich auch an den Songs anderer - wenn man ein Lied nehmen und es ganz zu seinem machen kann. Mein größter Wunsch beim Musikmachen ist, dass andere Menschen sich darin wiederfinden können. Natürlich schreibe ich die Songs erst einmal für mich, aber das i-Tüpfelchen ist, wenn andere daran teilhaben. Ich weiß es wirklich zu schätzen, wenn Leute mir wirklich persönliche Dinge anvertrauen, wenn sie über ihre Beziehung zu den Songs sprechen, weil ich weiß, dass das alles andere als leicht ist. Wenn die Menschen dann ihre Erfahrungen mit mir teilen, ist das ein unglaubliches Gefühl für mich, und ich hoffe, dass es für sie auch ein unglaubliches Gefühl ist, in der Lage zu sein, sich zu öffnen und über diese Dinge mit jemand zu sprechen. Natürlich habe ich nicht übermäßig Zeit, mit den Leuten darüber zu reden, was in ihnen vorgeht, aber ich hatte noch nie das Gefühl, dass es eine Bürde oder ein Problem war, wenn mir jemand erzählt, was er oder sie gerade durchmacht.
GL.de: Lass uns ein wenig über euren Sound sprechen, in dem spürbar der 90er-Jahre-Indierock nachhallt. Was fasziniert euch besonders an dieser Ära aus?
Emily: Das ist einfach der Sound, auf die wir uns alle einigen konnten, als wir angefangen haben, gemeinsam Musik zu machen. Ich denke, das liegt vielleicht daran, dass das die erste Musik ist, an die wir uns aus unserer Kindheit erinnern können. Wir lieben zum Beispiel Garbage, die ein ganz wichtiger Einfluss für uns sind, und wenngleich Shirley Manson aus Schottland kommt, stammt der Rest der Band doch aus Wisconsin. Da spielt also auch noch ein bisschen Heimatstolz mit rein. Wir lieben auch die Smashing Pumpkins, die ja aus Chicago stammen - unser Faible für die Ära ist also eng mit der Liebe für den Mittleren Westen verknüpft. Abgesehen davon fühlten wir uns alle einfach von Gitarrenmusik angezogen.
GL.de: Auf der neuen Platte springt ihr munter durch Genres und Stimmungen, ohne den roten Faden aus den Augen zu verlieren. Glücklicher Zufall oder Masterplan?
Emily (lachend): Nein, wir haben keinen Masterplan, das ist vielleicht offensichtlich? Wir schreiben einfach viel und verarbeiten auf dieser Platte eine Menge verschiedener Einflüsse, und deshalb ist sie am Ende "all over the place". Wenn wir Songs schreiben, versuchen wir immer, das zu verfolgen, was die Wurzel des Liedes ist, und ich finde, unser Gitarrist Henry, der unsere Platten auch produziert, ist richtig gut darin, einen Song zu hören und sofort zu wissen, in welcher Welt er zu Hause sein muss. Ich muss allerdings gestehen, dass es mir gefällt, dass die Platte so abwechslungsreich ist. Ich denke da immer an ein Album wie "Rumours" von Fleetwood Mac. Nicht, dass ich unsere Platte mit einem der besten Alben überhaupt vergleichen möchte, aber "Rumours" wirklich querbeet, und ich mag Alben, die dich in gewisser Weise mit auf eine Reise nehmen.
GL.de: Vor einigen Monaten seid ihr im Vorprogramm von Death Cab For Cutie in Europa unterwegs gewesen, in den USA habt ihr für die Pixies eröffnet. Gab es irgendetwas, das ihr euch bei diesen alten Hasen abschauen konntet?
Emily: Oh Gott, ich habe das Gefühl, dass man bei jeder Tour jede Menge lernen kann! Vor allem die Mitglieder von Death Cab For Cutie sind einfach wundervolle Menschen. Ich hatte das Gefühl, dass sie uns unter ihre Fittiche genommen haben, sie waren sehr freundlich und unterstützend und haben sich wirklich für unser Tun engagiert. Zu ihnen eine Freundschaft aufbauen zu können, war etwas ganze Besonderes. Richtig cool war auch, wie bodenständig sie sind. Obwohl sie das alles schon viel länger machen als wir und sich in ihrer Karriere an einem ganz anderen Punkt befinden, hat mich die Art und Weise, wie sie miteinander umgehen, miteinander scherzen, sehr an uns erinnert. Obwohl sie einen so langen Weg hinter sich haben, es ist ihnen gelungen, nicht den Spaß zu verlieren und Freunde zu bleiben. Das ist etwas, das wirklich bei uns hängengeblieben ist, vor allem nach der Tournee mit Death Cab. Ich denke, der Schlüssel zu ihrem Erfolg liegt in vielerlei Hinsicht darin, wie unverstellt und authentisch sie sind. Außerdem war es einfach so cool zu sehen, wie bereitwillig sich das Publikum auf uns eingelassen hat, vor allem bei den Pixies. Ich war mir nicht sicher, wie das ausgehen würde, aber die Erfahrung hat uns gezeigt, wie Musik sich über Zeit und Raum hinwegsetzen kann. Es war auch wirklich cool zu sehen, wie altersmäßig breit gefächert die Pixies-Fangemeinde war und wie viele Fans im Teenager-Alter es gab. Es ist etwas ganz Besonderes, sich in der Musik diese Zeitlosigkeit bewahren zu können.
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