Die Explosion der Positivität
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Die australische Songwriterin Angie McMahon lebt in Melbourne - jener Stadt also, die von den Lockdown-Phasen auf dem fünften Kontinent mit am stärksten betroffen war und wo sie dann in der Pandemie zwei Jahre festsaß. Logisch, dass das Thema ihres zweiten Albums "Light, Dark, Light Again" nur sein konnte, für sich selbst einen Weg aus der Dunkelheit zu finden, indem sie sich - in der Isolation auf sich selbst zurückgeworfen - ihren Ängsten und Neurosen stellte. Zum einen ging es ihr dabei darum, zu sich selbst zu finden beziehungsweise, sich selbst zu akzeptieren und zum anderen durch die Konfrontation mit ihren Dämonen zu einer versöhnlichen Auflösung zu gelangen. Einen Weg, diese Entwicklung musikalisch einzufangen, bestand für Angie darin, die im stillen Kämmerlein in Melbourne geschriebenen Songs mit einem klaren Sounddesign im Hinterkopf anzugehen, der den Gedankenprozess, den sie selbst durchlief, widerspiegeln sollte. Sobald es dann wieder möglich war, zu reisen, entschied sich Angie, das Material zusammen mit dem Produzenten Brad Cook und einer Indie-Allstar-Band in North Carolina einzuspielen, so dass am Ende so etwas wie eine musikalische Reise dabei herauskam, auf die Angie die Menschen mitnimmt.
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Wie viele ihrer australischen KollegInnen lenkt Angie McMahon den Blick des Betrachters - zumindest mit Hinweisen in aktuellen Videos zu den Songs, "Exploding", "Fireball Whiskey" und "Saturn Returning" - zunächst mal auf die Belange indigener Gemeinschaften sowohl in ihrer australischen Heimat, wie auch in Kalifornien (wo die besagten Videos entstanden) - noch bevor es überhaupt um die Musik und ihr inhaltliches Anliegen geht. "Ja, mir ist aufgefallen, dass viele australische Musiker, mit denen ich auch zusammenarbeite, zuletzt sehr bestimmt auf die Rechte der indigenen Gemeinschaften bestehen", berichtet Angie, "das ist ein gemeinschaftlicher Standpunkt, den wir hier vertreten - und das gebietet uns ja schon alleine der grundlegende Anstand. Wir befinden uns noch in dem Prozess, uns sehr langsam mit diesem Teil unserer Geschichte abzufinden - mit der Kolonialisierung und dem Völkermord, der hier passiert ist. In unserer Verfassung wurden diese Dinge nie anerkannt. Es gab niemals den Gedanken daran, die Indigenen Gemeinschaften irgendwie zu entschädigen. Ich denke, dass die Musiker-Szene nun kompensieren möchte, was die Regierung versäumt hat und deswegen dieses Thema anspricht. Wir sind nach wie vor ein ziemlich rassistisches Land - und zwar auf eine ziemlich subtile, leise Weise. Wir Musiker sind darüber sehr verärgert. Eine der einfachsten Weisen, dieses Thema anzusprechen, ist für uns die Rechte der indigenen Gemeinschaften und deren Ansprüche anzuerkennen. Das ist ja nur wenig und sicherlich auch nicht genug, aber es hält die Diskussion über diese Themen aufrecht. Im Moment gibt es ja immerhin ein Referendum darüber, den indigenen Gemeinschaften mehr konstitutionelle Rechte einzuräumen." Dazu ist zu sagen, dass das Gespräch mit Angie stattfand, als das besagte Referendum noch lief und sie nicht wissen konnte, dass dieses mehrheitlich abgelehnt werden würde. "Ich habe das Gefühl, dass wir eigentlich noch mehr in dieser Hinsicht unternehmen müssen", fährt Angie fort, "ich denke, das wurde auch von der Black Lives Matter-Bewegung beeinflusst. Wir haben das so lange verdrängt - all diese Sachen, die den indigenen Kindern angetan wurden, die ganzen Probleme mit Alkohol und Drogen und so weiter. Wir können das doch nicht ignorieren. Ich als privilegierte, weiße Musikerin finde, dass es in unserer Verantwortung liegt, das Thema anzusprechen. Ich versuche bei meinen Shows dann auch etwas Geld einzusammeln, um ein paar Wohltätigkeitsorganisationen zu unterstützen, die in dieser Sache tätig sind."
Inhaltlich und musikalisch ist die Sache mit den indigenen Gemeinschaften aber kein Thema auf dem neuen Album. Hier geht es eher um Selbstfindung, Akzeptanz und ein allgemein positives Selbstbild. Wonach suchte Angie denn mit ihren neuen Songs unter dem Strich? "Ich denke, ich suchte einfach nach einer Wahrheit", berichtet Angie, "ich weiß nicht, ob du die Songwriterin Mary Gauthier kennst - aber sie hat mal in einem Podcast-Interview gesagt, dass ein Song dann fertig ist, wenn er die Wahrheit enthält. Das braucht gar nicht die exakte, faktische Wahrheit zu sein, sondern es reicht, wenn es das wahrste ist, das du als Songwriter sagen kannst. Ich denke, ich habe mich an diese Sache gehalten. Es ist auch wichtig, dass man sich gut fühlt, wenn man etwas singt. Man kann sich ja auf verschiedene Weise gut fühlen. Entweder, wenn man zu etwas tanzt und sich gut fühlt oder aber, wenn einen das, was gesagt wird gut fühlen lässt. Oder wenn man eine besonderen Raum geboten bekommt, in dem man sich drei Minuten lang gut fühlt. Es ist mehr so ein Gefühl - und ich denke, dass ich da meinem Bauchgefühl vertrauen musste." Und was war Angies musikalisches Ziel bei diesem Projekt? "Ich wollte auf jeden Fall eine positive Scheibe machen - auch weil ich wusste, dass ich die Songs auf der Bühne immer wieder spielen müsste", erklärt Angie, "das wollte ich zunächst mal für mich selbst, aber auch für andere machen, denn eine positive Energie ist ja immer aufmunternd." Heißt das dann, dass Angie die ganzen negativen Dinge dann in ihren Texten abgehandelt hat? "Ja, bestimmt", bestätigt Angie, "das Ganze war wie für mich wie eine Beschwörung, das Licht zurückzugewinnen. Es gab dann auch düstere Aspekte, über die ich nicht schreiben konnte, die auf eine andere Weise als in Songs zutage tragen. Aber als es um die Songs ging, sollten diese zwar ehrlich sein, aber ich wollte nicht, dass es darum ging, Zusammenbrüche zu dokumentieren, sondern am Ende die positiven, freudigen Aspekte hervorzukehren. Ich sitze also gar nicht so sehr im Dunkeln. Das war eine bewusste Entscheidung für diese Scheibe, weil ich einfach daran glaube, dass es keine eindeutige Weise gibt, Musik zu machen. Ich hätte mich ja auch dafür entscheiden können, eine richtig traurige Scheibe zu machen - aber ich wollte stattdessen bewusst Positivität vermitteln, auch weil ich die Scheibe zunächst für mich selbst gemacht habe."
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Die Produktion des Albums fand ja während der Pandemie-Phase statt. "Ja, ich weiß gar nicht, wie das Album ohne die Pandemie gelaufen wäre", erklärt Angie, "aber während der Lockdowns hatte ich auch viel Zeit mich mit Experimenten die Produktion und den Klang betreffend zu beschäftigen und Dinge auszuprobieren. Ich hatte dann irgendwann auch genug davon, in Australien festzusitzen, denn ich war zwei Jahre dort. Ich machte es mir also zum Ziel, zu reisen und mit anderen Leuten zusammenzuarbeiten." Und da kam dann irgendwann der Produzent Brad Cook ins Spiel? "Ja - ich suchte selbst nach einem neuen Management und habe ihn dann über sein Management kennengelernt. Ich kannte ihn natürlich schon über seine Arbeiten für Waxahatchee und andere. Alleine der Umstand, dass er eine Menge Scheiben gemacht hatte, die ich auch mag, hat mich dann überzeugt, mit ihm zu arbeiten." Angie arbeitete aber auch selbst an der Produktion der Scheibe mit, oder? "Ja - die Sache mit der Produktion war aber neu für mich", erklärt Angie, "ich hatte Demos für jeden Song gemacht und mir notiert, wo ich die dynamischsten Partien haben wollte. Das habe ich zuvor noch nicht gemacht, und ich denke, dass das den Sound beeinflusst haben könnte. Ich hatte jedenfalls eine bestimmte Vorstellung davon, was ich machen wollte - was auch ganz gut war, denn wir hatten nicht so viel Zeit im Studio. Ich war also schon froh, dass ich vorher viel Zeit hatte mir zu überlegen, was ich wollte."
Zwei der neuen Songs entstanden in Zusammenarbeit mit den Songwriter-Kolleginnen Meg Duffy ("I Am Already Enough") und Emma Louise ("Divine Fault Line"). Wie kam es denn dazu? Halfen diese Co-Writes vielleicht auch auf Angies Reise zur Selbsterkenntnis und Akzeptanz? "Das war definitiv der Fall", bestätigt Angie, "ich wusste bis dahin einfach nicht, wie man so etwas macht - also mit anderen an Songs zu arbeiten. Ich bin damals das Experiment auf eine Art 'fake-it-til-you-make-it'-Basis angegangen. Ich wollte aber diese Fähigkeit erlangen - auch weil mir das ermöglichte, mich von meinen eigenen Gedanken zu lösen. Die Zusammenarbeiten, die es auf die Scheibe schafften, waren dann solche mit Menschen, die wirklich verstanden hatten, was ich sagen wollte. Emma Louise ist ein gutes Beispiel. Ich hatte mich zuvor gar nicht so oft mit ihr abgehangen, aber wir haben uns dann getroffen und unterhalten und der Song 'Divine Fault Line' entstand dann auf eine ganz einfache Weise. Wir haben nämlich beide ähnliche Dinge durchgemacht und uns in einem ähnlichen System von Annahmen bewegt. Es war einfach schön, uns anzuschauen, uns zu verstehen und etwas Schönes daraus zu erschaffen, was wir auch beide mochten." Der Song "Divine Fault Line" spricht dabei das Thema der Selbsterkenntnis vielleicht am deutlichsten an und setzt es mit einer "göttlichen Sollbruchstelle" gleich, die es zu entdecken gilt. Der Song "Exploding" beschreibt dann die direkte Folge dieser Erkenntnis, indem Angie befreit jubiliert: "I hope I am always exploding, I hope I am always exploding. I see the stars, they’re supernoving. I hope that I’m always exploding."
In Songs wie "Letting Go" geht es ja auch darum, sich von Erwartungshaltungen zu lösen und sich so selber besser zu verstehen. Was war denn Angies Lösungsansatz, zu dieser Erkenntnis zu gelangen? "Ich realisierte, dass viele meiner Probleme - und vielleicht auch die von uns allen - aus einem Mangel an Mitgefühl uns selbst gegenüber herrühren", erklärt sie, "dieses Thema wurde zu meiner Antwort auf Vieles und zu meinem Lösungsansatz - mir nämlich selbst zu vertrauen." War diese Scheibe eigentlich schwieriger zu realisieren als das Debüt? "Ja, es war schon schwieriger", zögert Angie, "es war aber vor allen Dingen logistisch schwieriger. Ich hätte ja das Album wie meine erste Scheibe machen können, aber ich suchte nach einer Herausforderung. Die Berge, die ich zu besteigen hatte, waren also zwar nicht unbedingt musikalischer Natur, aber mit dem logistischen Prozess innerhalb der Industrie habe ich dieses Mal ganz schön zu kämpfen gehabt. Für die erste Scheibe hatte ich ja gar keine großen Erwartungen, aber für die zweite Scheibe schon - hauptsächlich an mich selbst. Ich war aber neugierig darauf, ob der Erfolg des ersten Albums sich auf das zweite auswirken würde und ob die Leute willens wären, meiner Entwicklung zu folgen - oder ob dieses Album vielleicht sogar das Ende darstellen könnte. Psychologisch war das neue Album also schon herausfordernd. Ich bin aber dankbar für die Entwicklung, denn ich will ja weiter lernen und an mir arbeiten."
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Eigentlich war Angie schon dabei, die Songs der neuen Scheibe auf einer Europa-Tour auch in unseren Breiten vorzustellen, als sie sich eine erneute Covid-Infektion einfing und die Tour abbrechen musste. Inzwischen ist sie aber wieder auf dem Damm und hat versprochen, die ausgefallenen Dates dann im nächsten Jahr dann nachzuholen.
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Weitere Infos:
angiemcmahon.com
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Interview: -Ullrich Maurer- Foto: -Bridgette Winter-
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Aktueller Tonträger: Light, Dark, Light Again (Gracie/Membran)
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