An den Tag, an dem Brian Fallon endgültig beschloss, seine Band The Gaslight Anthem nach rund acht Jahren Pause wieder zusammenzutrommeln, kann sich der Frontmann der Rocker aus New Jersey noch ganz genau erinnern. Es war der 14. September 2021, der Tag, an dem er gemeinsam mit Jon Bon Jovi und John Rzeznik von den Goo Goo Dolls ein Fundraiser-Konzert für den Gouverneur seines Heimatstaates, Phil Murphy, spielen sollte. "Jon Bon Jovi wollte, dass wir uns vorher alle zum Abendessen treffen, und auf dem Weg dorthin sagte ich meiner Frau, nachdem ich ungefähr ein Jahr lang nur für mich darüber nachgedacht hatte, ohne jemand davon zu erzählen: 'Ich glaube, es ist Zeit, die Band wieder zusammenzubringen!'", erinnert er sich im Gaesteliste.de-Interview. "Sie war völlig baff!" Als dann beim gemeinsamen Essen auch noch Bon Jovi und Rzeznik anfingen, von The Gaslight Anthem zu schwärmen, wusste Fallon, was zu tun ist: "Ich habe das als Zeichen betrachtet, dass ich in meiner Denkweise auf dem richtigen Weg bin." Zwei Jahre später erscheint nun "History Books", das lang erwartete Comeback-Album von The Gaslight Anthem.
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Für unser Gespräch erwischen wir Brian Fallon daheim in New Jersey. Es ist Anfang September, Labour Day, ein gesetzlicher Feiertag in den USA, aber das ist für den Gaslight-Anthem-Vordenker nicht der einzige Grund, sich zu freuen. "Die meisten Leute begehen heute den Labour Day, aber für uns, die wir am Strand leben, markiert das den Start für den 'local summer', den Sommer der Einheimischen, denn nach dem Labour Day fahren all die Leute, die nicht von hier sind, wieder nach Hause und verziehen sich endlich von unseren Stränden!"
Viel Zeit, faul im Sand zu liegen, hat Fallon derzeit aber nicht. Ein paar Tage nach unserem Interview beginnt die US-Tournee seiner Band, Deutschland-Konzerte sind für März 2024 und den nächsten Sommer schon jetzt fest eingeplant. Doch nicht nur deshalb ist Fallon die Freude darüber, dass The Gaslight Anthem nun endlich wieder vereint sind, förmlich anzusehen. Nicht, dass seine spürbar gedämpfteren Solo-Platten der letzten Jahre schlecht gewesen wären, aber keine Rolle, das steht ohne Zweifel fest, verkörpert der grundsympathische Amerikaner mit den tätowierten Armen besser als die des Punkrock-Springsteens – oder wie es im Wachszettel zum inzwischen sechsten Album der Band so treffend heißt: "Wie so viele der essentiellsten Rockbands haben The Gaslight Anthem die seltene Gabe, im unausweichlichen Schmerz des Lebens Ruhm zu finden. Auf 'History Books' bringt Band ihre gefühlvolle Art von Punk in zehn mitreißende Songs ein, die alles von Sterblichkeit über Geisteskrankheiten bis hin zu den prekären Dimensionen menschlicher Beziehungen erkunden. "
Als Fallon und seine Mitstreiter Alex Rosamilia (Gitarre), Alex Levine (Bass) und Benny Horowitz (Drums) vor zehn, zwölf Jahren in schneller Folge die Alben "The ‘59 Sound" und "American Slang" veröffentlichten, schien es nur noch eine Frage der Zeit, bis das Quartett laut, rau und eindringlich zu seinen offensichtlichen Idolen aufschließt. Doch schon bald kam etwas Sand ins Getriebe, und vor acht Jahren war dann sogar alles aus - zumindest vorläufig. Jetzt melden sich Fallon und Co. zurück. Mit "History Books" versucht das in Originalbesetzung wiedervereinte Quartett erst gar nicht, sich neu zu erfinden, sondern setzt vor allem auf alte Stärken - mit Erfolg!
Doch was war eigentlich genau schiefgelaufen, dass wir so lange auf The Gaslight Anthem verzichten mussten? "Ich denke, wenn man jung ist, ist die Musik alles, was man konsumiert, und gewissermaßen verzehrt sie einen", versucht sich Fallon an einer Erklärung, bevor er lachend hinzufügt: "Wenn man dann erfolgreich wird, kann es passieren, dass sie einen gegen seinen Willen verzehrt! Wenn man Glück hat, kommt man irgendwann zum Ausgangspunkt zurück, und ich habe das Gefühl, dass wir jetzt an diesem Punkt stehen. Ich würde zwar nicht sagen, dass mir die Musik entrissen wurde, aber die Freude daran war für eine Weile auf jeden Fall verschwunden. Jetzt spüre ich, dass diese Freude tatsächlich intensiver ist als am Anfang, weil mir klar ist, wie besonders sie ist."
Nach besagtem Fundraiser vor zwei Jahren ging deshalb alles ziemlich schnell. Nur zehn Monate später stand die Band zum Start ihrer "World Tour 2022" auf der Bühne der Berliner Columbiahalle, und auch ein neues Album war da längst beschlossene Sache. Musikalisch schließen The Gaslight Anthem mit "History Books" nun an alte Stärken an - und sogar ein Duett mit Bruce Springsteen findet sich auf dem Album. Allerdings tut die Band nicht so, als hätte sich das Rad der Zeit nicht weitergedreht. So gibt es auch eine Reihe ruhigerer Momente auf der LP, weil Fallon inzwischen klargeworden ist, dass er seine Songs nicht aufteilen muss. Während er früher die lauten Nummern für die Band reservierte und die leisen Töne für seine Solo-Platten aufsparte, ist dieses Mal alles auf einem Album erlaubt.
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Textlich dagegen war Fallon sehr darauf bedacht, den besonderen Geist, der seine früheren Songs für The Gaslight Anthem umweht hatte, auch dieses Mal einzufangen. Ein Paradebeispiel dafür ist die erste Single "Positive Charge", eine wuchtige Hymne, die perfekt das Wir-Gefühl einfängt, das zwischen der Band und ihren Fans existiert. "Ja, definitiv! Das ist ein Song für eine große Rock-Bühne, und das war auch einer der ersten, wenn nicht der erste Song überhaupt, den ich für die neue Platte geschrieben habe", verrät Fallon. "Es war sofort klar, wonach mir der Sinn stand. Es geht direkt mit 'Boom!' los - laut muss es sein! Da kommt alles in einer Nummer zusammen: Ich spreche mich selbst an, die Band und das Publikum - das ist ein Song für alle!"
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