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MINA RICHMAN
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Machste halt mal Musik!
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Natürlich ist Mina Richman nicht wirklich ein "rich man". Aber das ist Cher ja auch nicht. Und die war es, die die Bielefelder Songwriterin zu ihrem Künstlernamen inspirierte. Und das kam so: Bei einem Interview im irischen TV erzählte Cher die Geschichte, dass ihre Mutter sie aufgefordert habe, sesshaft zu werden und einen reichen Mann zu heiraten - worauf die Gute geantwortet habe: "Mom - I am a rich man. I don't need to marry one." Und das sieht Mina Richman ähnlich: Sie braucht jedenfalls gewiss keine reichen Männer, um ihrer Musik den nötigen Nachdruck zu verleihen und ihre Träume verwirklichen zu können. Selbst ist Frau Richman!
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Seit 2020 ist Mina Richman bereits auf unseren Bühnen unterwegs - als Solo-Künstlerin, Aktivistin und als Support-Act für u.a. Enno Bunger und Alin Cohen. 2022 überraschte sie dann mit einer EP namens "Jaywalker", auf der sich vier vollkommen unterschiedliche ausgerichtete, englischsprachige Indie-Folkpop-Songs befanden, die klangen wie die Fingerübung einer Muttersprachlerin, die schon jahrelang im Geschäft ist. Das kommt übrigens daher, dass Mina ihren Master in Englisch und Philosophie machte. Zu jener Zeit war Mina noch dabei, sich eine eigene musikalische Identität zu suchen. Und spätestens seit dem Ende der Pandemie gibt es dann keine Bühne mehr, die vor Mina Richman und ihrer Band sicher sein könnte. Es ist also letztlich kein Wunder, dass es dann bis heute dauerte, dass die Debüt-LP "Grown Up" fertig gestellt werden konnte - und das ist auch gut so, denn die darauf versammelten Tracks wurden bei den erwähnten Live-Aktivitäten nicht nur auf ihre Tauglichkeit geprüft, sondern vor allen Dingen im Zusammenspiel auf ihren jeweiligen Idealzustand hin verdichtet. Oder? "Also ich hab' nicht so wirklich einen Plan gehabt", meint Mina, "die EP aus dem Mai 22 war eigentlich so eine 'na ja - warum eigentlich nicht?'-Sache. Ich hatte mir nicht vorgenommen zu studieren und dann mit der EP anzufangen und das Album zu planen. Ich habe irgendwann einfach angefangen Songs zu schreiben und diese dann ab und an bei Zusammenkünften mit Freunden zu spielen. Da meinten die dann 'Mina, kannst du das nicht mal irgendwann aufnehmen - wir möchten das unterwegs hören'. Und dann ist es so eskaliert. Ich habe auf Insta Cover geteilt und dann hat mich das Ladies&Ladys-Label angeschrieben, ob ich keine eigenen Songs hätte. Ich habe dann eine Förderung beantragt - und so kam dann die EP zustande. Die war ja noch sehr zusammengewürfelt vom Sound her - die Gitarre im Wohnzimmer und der Gesang da und die Drums woanders. Irgendwann war dann klar, dass es weiter geht. Ich habe dann die Band gefunden und wir haben angefangen, gemeinsame Songs zu schreiben."
Die Mina Richman Band besteht übrigens aus den befreundeten Musikern Friedrich "Freddy" Schnorr von Carolsfeld an der Gitarre, Alex Mau an Bass und Keyboards und Drummer Leon Brames. Eben weil die Musiker im Zusammenspiel einerseits zu einer Einheit zusammenwachsen und dabei andererseits Minas Gesang genug Raum zur Entfaltung bieten, sind sie ein ziemlich heißes Ticket in Sachen Live-Performance. Wie ging es dann weiter, nachdem die Band zusammen gefunden hatte? "Dann war klar, dass wir irgendwann ein Album machen würden", führt Mina aus, "aber wir hatten keinen Zeitplan. Also haben wir erst mal gemacht. Wir haben voll viel live gespielt und gar nicht so viel geschrieben. Natürlich entstanden auch mal Songs, die wir dann live ausprobiert haben. Irgendwann habe ich dann gesehen, dass übermorgen Antragsfrist für die Initiative Musik ist und dann haben wir einen Antrag gestellt - was sollte auch schon passieren? Dann haben wir die Sache tatsächlich bekommen. Irgendwann kam eine Mail, die sagte: Hier sind deine 20.000,- Euro - jetzt mach dein Album. Dann sagte ich mir - 'Ach so - dann manchen wir jetzt wohl ein Album'. Dass das dann noch so lange gedauert hat, lag in erster Linie daran, dass wir so viele Konzerte gespielt haben. Dann habe ich mir 2022 auch noch den Fuß gebrochen und war drei Monate aus dem Game raus." Nicht ganz, denn trotz gebrochenem Fuß spielte Mina dann doch den einen oder anderen Gig - mal im Sitzen, mal mit Krücke - aber immerhin. Wie ging dann die Produktion der LP vonstatten? "Wir haben Tobias Siebert kennengelernt", berichtet Mina. Tobias - der mit seinen Bands Delbo und Klez.e und seinem Projekt And The Golden Choir ja selbst auch Erfahrungen als Songwriter und Performer hat - hat sich in letzter Zeit vor allen Dingen aber einen Namen als Produzent in der Indie-Szene gemacht. So produzierte er etwa Enno Bunger, Juli, Kettcar oder Phillip Boa - und zuletzt das Album "New Woman" von Lùisa (die auch als Gast auf dem Album von Mina zu hören ist). "Ja, daher kannte ich Tobias auch schon bevor wir uns getroffen haben", ergänzt Mina, "den ersten Song konnten wir aber erst im April 2023 aufnehmen und sind dann Juli/August zu ihm gefahren. Tobi hat sich mit seiner Frau in der Nähe der polnischen Grenze einen Bauernhof in Mecklenburg-Vorpommern gekauft und renoviert und sich dort ein Studio eingerichtet. Wenn man dann noch weiter rechnet - mit den vielen Single-Auskoppelungen, die man heute ja einfach machen muss und überlegt, wie lange Vinyl braucht, dann braucht das eben seine Zeit und mit Produktion, Mixing und Mastering haben wir dann gesagt, dass es März werden müsse."
Obwohl Tobias Siebert natürlich auch über Computertechnik verfügt, legt er als Produzent ja doch sehr viel Werk auf eine organische, analoge Herangehensweise. War das Mina denn wichtig? "Ja", beantwortet sie die Frage, "ich bin aufgewachsen mit Michael Jackson, Vaya Con Dios, Queen oder Prince - also mit sehr viel analoger Musik. Zu elektronischer Musik habe ich mich immer schon nur sehr begrenzt hingezogen gefühlt - und wenn, dann nur wenn sehr viel Analoges drin war - wie bei Prince. Ich höre so zum Beispiel auch sehr gern Moloko - weil da auch echte Gitarren drin sind. Das brauche ich irgendwie." Die Vielzahl der Inspriationsquellen, derer sich Mina und ihre Jungs bedienen, führen dann dazu, dass es praktisch unmöglich ist, Minas Musik zu kategorisieren. Ist das nun Folk-, Indie-, Soul-, Blues-, oder Gospel-Pop? Die Antwort auf diese Frage muss lauten: Ja und noch viel mehr (Sprechgesang zum Beispiel). Während Mina selbst auf der Bühne auch schon mal zu Instrumenten greift - etwa auch einer Ukulele -, konzentriert sie sich auf der Scheibe fast ganz auf den Gesang. Auch hier sind dann keine direkten stilistischen oder Genre-Manierismen zu erkennen. Gab es denn da bestimmte Inspirationsquellen oder hat Mina ihren Gesang an der gemeinsam mit der Band ausgearbeiteten Musik ausgerichtet? "Eher letzteres", meint sie, "wir haben uns natürlich auch schon mal einen Song ausgesucht und uns angeschaut, was da passiert - aber am Ende ist es ein sehr eigenes Suchen mit wenig Einflüssen geworden und wir haben dann eher im Studio geschaut, wohin wir uns soundmäßig orientieren wollten. Da war auf jeden Fall Amy Winehouse dabei - wo wir gesagt haben, dass wir den Drumsound haben wollten. Bei einem Song wussten wir nicht so recht, wie wir anfangen sollten und ich habe dann gesagt, wir sollten mal Alicia Keys' 'Fallen' anhören. Ich habe mich dabei aber durchaus immer an den Frauen orientiert." Letzteres hat hat damit zu tun, dass Mina als queere Musikerin mit Migrationshintergrund ja auch bestimmte moralische Verpflichtungen und Neigungen hat.
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Die Frage nach Referenzen sollte übrigens kein Vorwurf sein, denn Mina Richman zu beschuldigen, dass sie wie jemand anderes klänge, wäre äußerst unfair. Stattdessen sollte man sie besser dafür loben, dass sie nicht wie Phoebe Bridgers klingen will - wie so ziemlich jede zweite junge Frau, die sich heute für die Musik entscheidet. "Die höre ich auch nie", wirft Mina ein, "das ist vielleicht auch ganz gut so. Ich höre eh wenig Musik. Das heißt: Ich höre wahnsinnig viel Musik, aber ich höre sehr wenig unterschiedliche Musik. Ich kann mich nämlich schlecht auf neue Dinge einlassen. Das ist ein Problem für mich. Nicht, dass es mich im Leben bremste, aber es kann ewig dauern, bis ich mir ein neues Album anhöre. Auch von Künstlern, die ich total vergöttere. Bis ich mich in das letzte Album von Joan As Policewoman reingehört habe, habe ich drei Live-Shows gebraucht, bis ich dazu bereit war. Ich bewundere das immer, wenn Leute ganz viele neue Musik hören - weil ich das gar nicht kann. Ich habe immer meinen ganz kleinen Kreis von Musik, die sich für mich sicher anfühlt. Insofern habe ich auch gar nicht die Möglichkeit, mich an Leuten wie Phoebe Bridgers zu orientieren. Ich kenne die Frau natürlich und finde es auch großartig, dass die auf ihre FLINTA-Art soviel reißt, aber ich kenne ihre Musik halt nicht." Wie sieht es denn mit den Lyrics aus? Einige der Tracks wie "Grown Up", "Too Young" oder "The Woman I Am Now" sind beeindruckend altersweise Selbstportraits, wie sie geringere vielleicht erst am Ende einer langen, erfüllten Songwriter-Karriere zustande bringen und andere wie "Song Of Consent" oder "Baba Said" (das Mina spontan anlässlich des Falles Jina Mahsa Amini geschrieben hat) haben einen dezidiert politischen Unterton. Wie bekommt man denn so etwas ohne Masterplan (den Mina ja nicht gehabt haben will) hin? "Mein Masterplan war der, dass ich wirklich ehrlich sein wollte", meint sie dann, "ich hatte ja ursprünglich aus so einer Laune heraus gedacht: 'Machste halt mal Musik - mal gucken was passiert.' Dann habe ich gemerkt, dass die Leute mir zuhören und zu meinen Konzerten kommen. Bei der EP gab es auch schon ehrliche Geschichten - aber auch Ausgedachtes. Das ist ja auch total großartig, weil man mit den Geschichten von anderen, dem Hypothetischen und der Vorstellung 'was wäre wenn' arbeiten - und so auch wirklich berührende Songs schreiben kann. Aber ich habe mir gedacht, dass ich sehr ehrlich bin - auch bei Konzerten - und ich glaube dein Kollege Carsten hat geschrieben, dass ich mir tief in die Karten schauen lasse. Ich habe so ein bisschen das Gefühl, dass wenn ich meinem Publikum etwas schulde, das dann Ehrlichkeit ist. Die Leute hören mir zwei Stunden lang zu - und ich kann mir manchmal selber nicht zwei Stunden zuhören - und das ist dann eine immense Hingabe, dass Menschen mir so ihre Zeit schenken. Und dann möchte ich ihnen auch die Wahrheit sagen und nicht ihnen etwas vormachen. Natürlich will ich sie auch entertainen und erzähle dann man witzige Anekdoten, aber die Songs müssen ehrlich sein." Und was ist diesbezüglich Minas Rezept? "Nun, bei Songs wie 'Grown Up' oder 'Too Young' habe ich mir gesagt: Es tut noch nicht weh genug - lass mich da noch mal tiefer graben", führt Mina aus, "ich glaube ich habe halt zwischen der EP und der LP sehr viel reflektiert über mich. Dabei habe ich sehr viel über mich gelernt - auch die 'nicht schönen' Seiten. Ich habe gelernt, hinzusehen. Ich wollte und musste sehr, sehr dringend meinen Frieden mit mir finden und haben an diesem Alben sehr viel aus dem Prozess des Realisierens eingebracht."
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Was ist die größte Herausforderung für die Songwriterin Mina Richman? "Ruhig zu bleiben und geduldig", überlegt Mina, "gerade als Musikerin im Social-Media Zeitalter kannst du ja jederzeit sehen, was alle anderen machen. Wer bei welchem Festival spielt, wer welche Tour spielt, wer bei wem Support spielt. Und wir werden ja auch sehr von den Streaming-Anbietern in Zahlen verpackt. Und das kann durchaus ein Gefühl von Ungeduld auslösen - in dem Sinne: 'Ich müsste jetzt weiter sein und müsste mehr schaffen und wie komme ich dahin?' Das kann einem durchaus den Spaß verderben, wenn man es nicht mehr der Musik wegen macht, sondern um ein Ziel oder Meilensteine zu erreichen - die am Ende des Tage dann auch nur Zahlen sind. Natürlich ist es großartig, in größeren Hallen mit hunderten von Zuschauern zu spielen - es kann aber auch toll sein, vor 50 oder 60 in einem kleinen Laden zu spielen. Das ist dann so meine Herausforderung. Ich mache immer sehr schnell sehr viel selber und kann sehr ungeduldig sein. Das gibt mir natürlich auch einen krassen Antrieb, der es mir ermöglichte, ohne große Infrastruktur. Management, Booking Agentur und ohne Label jetzt da zu sein, wo ich bin. Aber es geht nicht darum, einen beeindruckenden musikalischen Lebenslauf zu haben. Ich mache es ja wegen der Musik und für die Konzerte und die Menschen, die mich sehen wollen." Das hört sich nach einem Langzeitprojekt an. "Ja, ich muss mir ja vor Augen führen, dass es um einen Marathon geht und nicht um einen Sprint", bestätigt Mina, "jeder Schritt nach vorne ist ein Schritt und es ist auch okay, wenn es nicht steil nach oben geht, sondern man langsam immer weiter geht und immer wieder mal ein paar mehr Leute zu den Konzerten kommen. Es ist auch schön sich die Zeit nehmen nehmen zu können und nicht über Nacht alle Augen Deutschlands auf sich gerichtet zu haben. Das erlaubt einem auch Fehler zu machen und gibt viel Freiheiten. Es gibt von der Struktur, die ich heute habe, keinen Druck irgendwelcher Art. So kann ich dann Freude daran haben, ein Album gemacht zu haben und damit auf Tour gehen zu können."
Das ist vielleicht sogar noch untertrieben formuliert, denn Mina und ihre Musiker sind wohl das, was man getrost als hoffnungslose Rampensäue bezeichnen darf. Will meinen: Die spielen einfach immer und überall - Tour oder nicht. Es sollte also kein Problem sein, sich von den Qualitäten von Mina Richman und ihren Musikern auf der einen oder anderen Bühne überzeugen zu können. Es lohnt sich auf jeden Fall.
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Weitere Infos:
minarichman.de
www.instagram.com/mina.richman www.facebook.com/mina.richman.music www.youtube.com/@minarichman6629/videos
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Interview: -Ullrich Maurer- Foto: -Jan Haller-
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Aktueller Tonträger: Grown Up (Windig/Cargo)
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