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KING HANNAH
 
Das Entdecken der Möglichkeiten
King Hannah
Auf ihrem feinen LP-Erstling "I'm Not Sorry, I Was Just Being Me" warfen King Hannah vor zwei Jahren einen sehnsuchtsvollen Blick über den Großen Teich und fanden im Dunstkreis von Blues, Country, Folk und Rock zu ihrer eigenen, sanft psychedelisch umspülten Ausdrucksform voller Ecken und Kanten. Die allenthalben gelobte Platte ermöglichte dem im englischen Liverpool heimischen Duo auch eine erste ausgiebige Gastspielreise durch die USA, auf der sie sich immer wieder mit der prekären Realität abseits der blendenden Lichter der großstädtischen Zentren konfrontiert sahen. Erfahrungen, die sich nun tief in die oft wohlig düsteren Songs ihres beindruckenden zweiten Albums eingegraben haben. Auf "Big Swimmer" kann man der Band beim Entdecken der Möglichkeiten zuhören, wenn sie nicht nur textlich, sondern auch klanglich ihren Horizont erweitert.
King Hannah wollen mehr: Ohne die eigene Vergangenheit zu vergessen, haben Gitarristin und Sängerin Hannah Merrick und Gitarrist Craig Whittle bei der Entstehung von "Big Swimmer" akribisch darauf geachtet, dass die Bandbreite dieses Mal deutlich größer ist. Gemeinsam mit der Rhythmusgruppe Conor O'Shea am Bass und Jake Lipiec am Schlagzeug größtenteils live im Studio aufgenommen, um die Magie des Zusammenspiels und die menschliche Note zu betonen, ersetzen sie unter der Produzenten-Regie von Ali Chant (PJ Harvey, Aldous Harding, Squirrel Flower) die kratzigen Low-Fi-Elemente durch mehr lebendiges Rock-Flair, tauschen die dräuende Grundstimmung früherer Veröffentlichungen gegen das Spiel mit mehr Dynamik ein, und selbst stimmlich finden sie nun immer öfter vom verführerisch-lethargischen Sprechgesang zu mehr gesanglichen Parts und finden so stringent und konsequent zugleich zu einem dezenten und doch spürbaren Update ihres Sounds.

Auch textlich blicken King Hannah über den Tellerrand. Die sechswöchige Tournee durch die USA, die dem ersten Album folgte, versorgte die Band mit vielen aufregenden, oft auch erschütternden Momentaufnahmen von der Schattenseite des amerikanischen Traumes, sei es der Junge ohne Schuhe unter einer Brücke in Philadelphia, der von einem Mann mit einem fiesen Schnurrbart und einem Hammer misshandelt wird ("Milk Boy"), oder die unwirkliche Szenerie aus Tankstellen, Waschmaschi¬nen, Sandwichautomaten und halb beleuchteten Schnellrestraurant-Schildern, die "Somewhere Near El Paso" beherrscht. Auch "New York (Let's Do Nothing)" und "John Prine On The Radio" verraten bereits im Titel ihre amerikanische Färbung, während "Suddenly, Your Head" als Hommage an einen der größten US-Songwriter unserer Zeit, Bill Callahan, durchgeht.

Wie die Band ihre Anfänge in den Fängen der Pandemie erlebt hat, wie sie ihre klangliche Weiterentwicklung vorangetrieben hat und wie es dazu kam, dass auf "Big Swimmer" Sharon Van Etten als Gast auftaucht - all das und mehr verrieten Hannah und Craig im Zoom-Interview mit Gaesteliste.de.
GL.de: Eure Debüt-EP "Tell Me Your Mind And I'll Tell You Mine" mit der Single "Crème Brûlée" und auch eurer LP-Erstling „I'm Not Sorry, I Was Just Being Me” sind während der Pandemie erschienen, und das war natürlich eine schwierige Zeit. Wie zufrieden seid ihr damit, wo ihr jetzt steht?

Craig: Ich bin sehr zufrieden. Wir arbeiten schon lange zusammen, aber seit wir angefangen haben, Sachen zu veröffentlichen - wie du schon sagtest, war das während der Pandemie -, ging alles ganz schnell. Wir konnten ja erst nach der Pandemie mit dem Touren beginnen. Das ist nun gerade einmal zwei Jahre her, und jetzt sind wir schon bei der zweiten Platte. Das fühlt sich für uns sehr schnell an, und wir sind sehr dankbar dafür, wo wir stehen.

Hannah: Es fühlt sich an, als ob wir auf dem richtigen Weg sind. Es geht in die richtige Richtung. Allerdings fühlt es sich immer noch wie der Anfang an, denn wir wollen noch sehr lange weitermachen.

Craig: Ja, wir wollen Langlebigkeit und eine Karriere, die lange anhält. Deshalb wollen wir einfach weiterhin gute Musik machen und jedes neue Album soll uns auf die nächste Stufe bringen. Hoffentlich schaffen wir das.

GL.de: Diese Geisteshaltung kommt auf dem neuen Album sehr gut rüber, denn es stellt tatsächlich eine völlig logische Weiterentwicklung dar, und ihr klingt wirklich so, als sei euch eine lange Karriere wichtiger als kurzfristiger Erfolg…

Hannah: Wir sind sehr froh, dass du das bemerkt hast, denn das ist etwas, über das wir viel nachgedacht haben. Ein zweites Album ist immer etwas kniffelig, weil man dem treu bleiben will, was man liebt und wer man ist, und gleichzeitig will man natürlich auch wachsen. Wir waren uns sehr bewusst, dass wir unser britisches Publikum erweitern mussten, was für uns schwierig ist, weil unsere Musik nicht unbedingt so gut in Großbritannien ankommt. Darüber haben wir viel nachgedacht, wollten aber auch sicherstellen, dass wir das, was wir tun, wirklich lieben und nicht nur einem Trend folgen. Wir wollen nicht eine Trendband sein, die nächstes Jahr schon wieder verschwunden ist. Trotzdem wollen wir Platten verkaufen und ein Auskommen haben. Wir wollten die Hörer behalten, die vom ersten Tag an dabei waren, also die Leute, die "Crème Brûlée" [die allererste Single] geliebt haben, aber wir wollen auch, dass sie "New York Let's Do Nothing" [vom neuen Album] lieben. Das hatten wir bei den Aufnahmen immer im Hinterkopf.

GL.de: Im Pressetext wird erwähnt, dass ihr ein neues Verständnis eures Sounds und eurer Stärken habt. Ist das tatsächlich eine neue Entwicklung?

Hannah: Ich würde sage, ja! Es ist ein natürliches Wachstum, wir haben jetzt mehr Selbstvertrauen!
Craig: Es gab Elemente auf der EP, die wir nicht so sehr lieben, die wir auf dem ersten Album, nun, vielleicht nicht korrigiert, aber leicht verändert haben, und genauso gibt es die Elemente des Debütalbums, die sich an dem Punkt, an dem wir jetzt sind, nicht mehr ganz authentisch anfühlen - das Ganze ist einfach eine Entwicklung. In den letzten zwei Jahren haben wir 150 Shows oder so gespielt und eine Menge neuer Musik und Bands entdeckt, die jetzt zu unseren Favoriten zählen, und das wollten wir in der Musik zeigen - dass wir in den letzten zwei Jahren nicht stillgestanden haben. Aber es gibt natürlich Elemente, die wahrscheinlich immer da sein werden, wie lange, langsam wachsende Songs, die Zeit brauchen, um sich zu entwickeln, große Gitarren und super-intimes Songwriting. Diese Elemente sind immer noch da, aber der Sound ist nun ein anderer.

GL.de: "Big Swimmer" scheint direkter zu klingen, weniger verhallt vielleicht. Ist das ein Ergebnis des wachsenden Selbstvertrauens, das ihr gerade erwähnt habt?

Craig: Das ist der Einfluss der Künstlerinnen und Künstler, die wir lieben. Besonders stimmlich, zum Beispiel Bill Callahan.

Hannah: Ja. Als "Crème Brûlée", die EP und das erste Album entstanden sind, habe ich die ganze Zeit Mazzy Star gehört, und ihre Sachen sind in Hall getränkt. Ich bin immer noch besessen von ihnen, aber nicht mehr so sehr wie damals. Jetzt sind es Bill Callahan und all diese Leute, und das spiegelt sich auch im Sound wider. Alles ist eng mikrofoniert und trocken, trocken, trocken.

GL.de: Das Album wurde größtenteils live im Studio aufgenommen und konzentriert sich auf das Zusammenspiel der Musikerinnen und Musiker. Es wird auch viel mehr mit Dynamik gearbeitet. Wie ist das zustande gekommen?

Craig: Wir wollten nicht eindimensional sein. Wir wollten nicht die Band sein, bei der alle Songs zehn Minuten lang sind und alle klein anfangen und alle groß mit einer lauten Gitarre enden. Wir lieben diese Songs, aber wir haben auch schon viele davon, und außerdem spiegeln sie nicht ganz die Musik wider, die wir hören. Wir lieben viele verschiedene Arten von Musik, und deshalb haben wir versucht, mit dem neuen Album ein wenig Abwechslung zu schaffen, was Dynamik, Tempo und Energie angeht.

GL.de: Beim Titelstück und bei "This Wasn't Intentional" wirkt Sharon Van Etten als Gastsängerin mit. Im Telefonbuch wird die Gute ja nicht stehen, wie kam es also dazu?

Hannah: Damals, als wir "Crème Brûlée" veröffentlicht haben, teilte sie den Song auf ihrem Instagram-Feed und sagte, dass sie ihn liebe. Wir kontaktierten sie und bedankten uns bei ihr, weil wir natürlich sehr glücklich waren und sagten: Lass uns eines Tages mal zusammenarbeiten, wenn du dir das vorstellen konntest und sie war sofort einverstanden. Also haben wir E-Mails ausgetauscht und sind seitdem immer sporadisch in Kontakt geblieben, allerdings hatten wir immer im Hinterkopf, dass wir vielleicht mal zusammenarbeiten würden. Als dann dieses Album anstand, haben wir sie erneut gefragt, und sie war sofort offen dafür. Es war auch alles ganz ungezwungen, denn sie hat uns einfach gebeten, ihr zu schicken, was immer wir wollten. Wir schickten ihr die Demos der Songs, von denen wir dachten, dass sie stimmlich und textlich am besten zu ihr passen würden, und sie wählte "Big Summer" und "This Wasn't Intentional". Sie nahm ihre Gesangsspuren zu Hause in ihrer Garage auf und schickte sie uns. Anschließend mussten wir sie nur noch mit Ali Chant in die Tracks einfügen!

GL.de: Textlich hat eure erste Amerika-Tournee das Album stark geprägt. Ihr seid viel durch Europa getourt, ohne viele Road-Songs über diese Erfahrung zu schreiben. Was macht also den besonderen Reiz der USA aus?

Hannah: Es war das erste Mal, dass wir als Band dort waren, und es ist einfach so anders! Ich meine, natürlich gibt es viele unterschiedliche Gegenden in den USA, aber überall ist es komplett anders als dort, wo wir herkommen und wie wir aufgewachsen sind. Das hat uns wirklich gepackt, und daraus sind viele Geschichten entstanden.

GL.de: Was waren die größten Überraschungen? Gab es irgendwelche Momente, in denen das gerade beschriebene Gefühl besonders stark war?

Craig: Wenn man aus Europa kommt, scheint es wie ein unerfüllbarer Traum, nach Amerika zu gehen. Dann tatsächlich dort zu sein - noch dazu gleich mit unserem ersten Album! -, war ein großes Glück für uns. Deshalb wollten wir jedes einzelne Detail unserer Erlebnisse in diesen sechs Wochen in uns aufsaugen. Es ist seltsam, dort zu sein, denn einerseits fühlt sich vieles vertraut an, weil man durch Filme und Fernsehen damit aufgewachsen ist, aber es gibt auch unglaublich viele Dinge, die einem vollkommen fremd sind, wenn man aus Europa oder Großbritannien stammt. Hannah hat ganz bestimmte Momente festgehalten, die wir dort erlebt haben und die uns im Gedächtnis geblieben sind.

GL.de: Wusstest du damals schon, dass aus diesen Beobachtungen Songs werden würden und dass sie wahrscheinlich das Rückgrat eurer nächsten Platte bilden würden?

Hannah: Nein. Aber "Milk Boy" zum Beispiel, das war so schockierend zu sehen, das ging mir nicht mehr aus dem Kopf, ich habe das nie vergessen. Als es darum ging, Songs zu schreiben, wusste ich, dass es eine gute Geschichte abgeben würde - zumindest in meinem Kopf, weil es so visuell ist und man es wirklich "sehen" kann.

GL.de: Es gibt neben den beiden schon erwähnten noch eine Reihe weiterer Songs, die von Menschen und Orten handeln, etwa "New York, Let's Do Nothing" und "John Prine On The Radio". Dabei ist - analog zur Musik des Albums - auch das Storytelling viel direkter. Hat sich eure Herangehensweise an das Songwriting verändert?

Hannah: Ich glaube nicht, dass es sich verändert hat. Der eigentliche Schreibprozess ist derselbe geblieben, aber ich glaube, die Geschichten sind, wie du schon sagtest, aufgrund der Dinge, die wir gesehen haben, einfach direkter. Ich denke, wir haben schlichtweg mehr schreckliche Szenen gesehen als je zuvor, aber natürlich auch schöne. Außerdem spiegelt das die Künstlerinnen und Künstler wider, die wir jetzt hören und die wir zuvor nicht gehört haben, wie Bill Callahan, Silver Jews oder auch Joni Mitchell. Diese Leute sind sehr, sehr direkt mit ihren Geschichten und der Art, wie sie sie erzählen, sehr detailliert, und das lieben wir.
GL.de: Letzte Frage: Welchen Stellenwert hat die Musik in eurem Leben und wie hat sie sich im Laufe der Jahre verändert?

Hannah: Oh, ich denke, sie diente schon immer demselben Zweck. Es geht darum, dass sie einen glücklich macht und man sich gut fühlt. Der Unterschied zwischen jetzt und früher ist, dass sie jetzt unser Vollzeitjob ist. Das ist wahrscheinlich die größte Veränderung, obwohl es weiterhin unverändert ist, wie wir mit ihr umgehen und über sie denken. Wir sind immer noch mit dem gleichen Herzblut bei der Sache und haben die gleichen Ziele und Ambitionen - es sind einfach nur ein paar Jahre vergangen.

Craig: Ich sehe das auch so. Es gibt jetzt etwas mehr Druck, weil du weißt, dass alles, was du tust, und alles, was du schreibst, auf einer Platte landen könnte, die die Leute anschließend hören. Die Erwartungshaltung ist deshalb etwas größer, wenn wir an etwas arbeiten. Dennoch fühlen wir immer noch dasselbe für unsere Musik.
Weitere Infos:
www.kinghannah.com
www.instagram.com/kinghannahmusic
www.facebook.com/kinghannahmusic
Interview: -Carsten Wohlfeld-
Foto: -Katie Silvester-
King Hannah
Aktueller Tonträger:
Big Swimmer
(City Slang/Rough Trade)
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