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Das nächste Abenteuer
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Ziemlich genau zehn Jahre ist es inzwischen her, dass E ihre allererste 7"-Single, "I Want To Feel Good", veröffentlicht haben. Vier unüberhörbare Alben später sucht sich das explosive US-Trio auf den Schultern der Idole der No-Wave-Szene nun mit der just veröffentlichten LP "Living Waters" neue Herausforderungen und lässt sich dabei spielerisch auf ungewohnte Perspektiven und ein erweitertes Instrumentarium ein. So beweist Ernie Kim gleich auf seinem ersten Album mit der Band, dass er mehr als nur Schlagzeuger ist, und tut sich auch als Saxofonist und - bei zwei Songs - als Leadsänger hervor. Gitarrist/Sänger/Tüftler Jason Sanford, der schon in der Vergangenheit mit seinen selbstgebauten Gitarren und Effekten für Aufsehen gesorgt hatte, war auch dieses Mal nicht untätig, und selbst Gitarristin/Sängerin Thalia Zedek wurde erfinderisch. Ende Juni startet zudem die Deutschland-Tournee von E, auf der Auftritte in Tübingen, Wetzlar, Berlin und Leipzig sowie beim Fusion Festival in Lärz geplant sind.
"Jede neue Platte ist ein neues Abenteuer, und nicht genau zu wissen, wohin es einen führen wird, ist Teil des Spaßes", sagt Thalia Zedek, einst bei Uzi und Live Skull, später bei Come und seit vielen Jahren als Frontfrau der Thalia Zedek Band aktiv, im Gaesteliste.de-Interview. Für das neue Album von E, das wie schon die letzten beiden Veröffentlichungen beim tschechischen Boutique-Label Silver Rocket erscheint, gilt das in besonderem Maße. Mit "Living Waters" knüpfen die drei erfinderischen Amerikaner einmal mehr an alte Grundwerte an, öffnen sich aber gleichzeitig mehr denn je neuen Einflüssen und gehen so zwischen smartem Songwriting und der puren Freude am Experiment weiterhin unbeirrt ihren eigenen Weg zwischen erfrischend chaotischen Ausbrüchen, dem gekonnten Spiel mit der Dynamik von Licht und Schatten und einem sicheren Gespür für Songwriting, was an anderer Stelle bereits lobende Vergleiche mit dem Spätwerk von Sonic Youth inspiriert hat.

Auch das fünfte Album des Trios ist eine echte Gemeinschaftsarbeit, Produkt des kollaborativen Ansatzes, den E schon seit ihren frühesten Tagen in den Mittelpunkt ihres Tuns gerückt haben, was dazu führt, dass auch auf "Living Waters" das Zusammenwirken der individuellen Stimmen, dystopischen Texte und instrumentellen Performances bisweilen größer anmutet als die Summe der einzelnen Teile. Das spiegelt auch die akribische Entstehungsgeschichte des Albums wider. Remote und persönlich hatten sich die drei Protagonisten in Boston, Massachusetts (Zedek und Kim) und Boulder, Colorado (Sanford) rund ein Jahr Zeit genommen, ihre Ideen zu verdichten, bevor das Album im vergangenen Dezember mit dem langjährigen Weggefährten Andy Hong am Mischpult in dessen Rare Signals Studio in Cambridge, Massachusetts, eingespielt wurde. Das Resultat ist eine Platte, die E furchtlos, unkonventionell und authentisch zeigt.

Die dezente Neuausrichtung auf "Living Waters" ist nicht zuletzt Neu-Schlagzeuger Ernie Kim geschuldet, der Gavin McCarthy ablöst, dem familiäre Verpflichtungen und die Reunion seiner alten Band Karate zuletzt nicht mehr genug Zeit für E ließen. Doch was macht Kim zum perfekten Ersatz für McCarthy, der auf allen der bisherigen Alben getrommelt hatte? "Sowohl Jason als auch ich sind seit Jahren mit Ernie befreundet", erklärt Zedek. "Er ist ein extrem talentierter Multiinstrumentalist und das Schlagzeug ist vermutlich nur sein drittes Instrument, nach Gitarre und Saxofon. Ich hatte ihn zuvor nur in einer einzigen Band, den Gondoliers, Schlagzeug spielen sehen, aber da ich wusste, was für ein Tausendsassa er ist, war ich mir sicher, dass er in Gavins große Fußstapfen treten könnte. Sein Schlagzeugstil verspielter und lockerer ist als der von Gavin - trotzdem klingt er bei den alten Songs, die wir mit Gavin geschrieben haben, großartig! -, und sein Musikgeschmack und seine Sensibilität sind eher experimentell." - "Wir kennen Ernie aufgrund gemeinsamer Freunde und ähnlicher musikalischer Interessen in der Tat schon seit Jahren", ergänzt Sanford und verrät auch gleich noch ein amüsantes Detail über den Rekrutierungsprozess: "Wir waren mit Ernie zelten. Camping ist ein ziemlich guter Test. Wenn man mit jemandem zelten gehen kann, dann kann man wahrscheinlich auch mit ihm auf Tour gehen. Ich wusste, dass Ernie ein großartiger Multiinstrumentalist ist, aber ich hatte ihn noch nicht Schlagzeug spielen gehört, als Thalia seinen Namen ins Spiel brachte. Ich wusste sofort, dass er von der Persönlichkeit her gut zu uns passen würde, aber ich hatte zunächst einige Bedenken, ob er dem Job musikalisch gewachsen ist. Ich beschloss, auf Thalias Intuition und Einfühlungsvermögen zu vertrauen, denn sie hat in den meisten Dingen recht. Das war in diesem Fall auch so! Ernie schlägt sich großartig in seiner neuen Rolle."

Auf "Living Waters" ist Kim nicht nur der Juniorpartner von Zedek und Sanford, sondern fester Bestandteil des basisdemokratischen Ansatzes der Band. Tatsächlich fügt er sich bemerkenswert nahtlos ein, obwohl oder gerade weil er gehörigen Respekt vor der neuen Aufgabe hatte. "Als Schlagzeuger und Performer auf Gavin zu folgen, war ziemlich einschüchternd, ganz abgesehen von der gewaltigen Aufgabe, all die alten Songs zu lernen", gesteht er. "Ich betrachte mich selbst als Musiker, der auch Schlagzeug spielt. Gavin ist zwar auch ein Multiinstrumentalist, aber er ist vor allem Schlagzeuger mit einem großen 'S'! Die Zeit, die ich damit verbrachte, Gavins Parts und kompositorische Entscheidungen intensiv zu studieren und zu ergründen, wie sie zu den beiden einzigartigen und unkonventionellen Stimmen von Thalia und Jason passen und sie ergänzen, hat mir geholfen, E zu verstehen. Das war von unschätzbarem Wert, als wir anfingen, gemeinsam Songs zu schreiben, denn ich fühlte mich wie ein kreativer Impulsgeber und echtes Mitglied des Trios."

Dass E auch nach einem gemeinsamen Jahrzehnt immer noch überraschen können, ist nicht zuletzt dem ungewöhnlichen Credo der Band geschuldet, denn Sanford befriedigt mit seinem Faible für selbst gebaute Instrumente und Applikationen nicht nur seinen inneren Daniel Düsentrieb. "Wir haben es hier mit einem Prozess zu tun, den ich als 'Dialog mit Materialien' bezeichne", erklärt er. "Manchmal geben die Instrumente Klänge oder Effekte vor, die zu Songs werden können, und manchmal gibt es eine Idee zu einem Song, die von den Instrumenten etwas anderes verlangt - oder gelegentlich sogar die Entwicklung eines neuen Instruments nahelegt."

Interessanterweise ist es auf "Living Waters" aber nicht allein Sanford, der sein Instrumentarium erweitert, sondern auch Zedek, die nun nicht mehr nur für Gitarre und Gesang, sondern auch vermehrt für die tiefen Töne zuständig ist: "Jason hatte darum gebeten, dass sowohl ich als auch Ernie mehr tiefe Töne spielen und so mehr den Raum füllen, der zuvor seiner Stompbox vorbehalten war. Ich denke, dass Jason einerseits weniger spielen wollte und uns andererseits so in eine neue Richtung drängen wollte. Ich nahm die Herausforderung an, und Ernie half mir, einen Weg zu finden, Bass und Gitarre gleichzeitig zu spielen, indem ich einen externen Tonabnehmer und ein Oktavpedal benutze. Das führte dazu, dass ich mir ganz neue Gedanken zu meinem Instrument machen und eine zusätzliche Rolle in der Band übernehmen musste. Deshalb habe ich mich dieses Mal stärker darauf konzentriert. Ich singe dieses Mal weniger, auch das ist ein Unterschied zu unseren früheren Platten."

Doch nicht nur offensichtliche Veränderungen sorgen auf "Living Waters" für frischen Wind. Auch wenn man ganz genau hinschaut, finden sich neue Details. "Auf der neuen Platte habe ich es wirklich genossen, mich auf das Reimen einzulassen", verrät Sanford. "In der Vergangenheit habe ich immer ein wenig dagegen rebelliert, indem ich manchmal Binnenreime oder unerwartete lyrische Strukturen verwendet habe, aber dieses Mal hatte ich wirklich Lust, Reime zu verwenden. Reime sind so interessant, weil sie ihre eigene Logik schaffen, und zwar eine Art von Traumlogik. Wenn sich zwei Wörter reimen, glaubt unser Gehirn, eine Verbindung zu erkennen, auch wenn die Bedeutung der Wörter keinen echten Zusammenhang hat. In dem Lied 'Gain Of Function' heißt es zum Beispiel: 'Are you hungry? Are you alone? ...Look at these forelimbs, see how they have grown.' Logischerweise hat die erste Hälfte des Reims wenig mit der zweiten zu tun, aber allein durch die Tatsache, dass sie sich reimen, wird eine unheimliche, traumhafte Verbindung zwischen den beiden Ideen hergestellt."

Inhaltich dagegen bleiben sich E treu: Der Blick unter die Oberfläche und das Aufzeigen von (versteckten) Dingen, die in der modernen Gesellschaft falsch laufen, ist eine Konstante in der gesamten Laufbahn der Band. Doch warum ist Musik eigentlich das richtige Medium, das richtige Mittel, um eure dystopischen Gefühle zu vermitteln? "Ich finde, dass die Musik und das Texten das perfekte Ausdrucksmittel sind, weil man sie so kombinieren und gestalten kann, dass sie zusammenarbeiten und sich gegenseitig verstärken", sagt Zedek. "Das Jahrzehnt, seit E schreibt und aufnimmt, war ein extrem turbulentes, und genau das kommt in unseren Songs zum Ausdruck!"
In wenigen Tagen startet nun die Europa-Tournee des Trios. Die erste mit Kim am Schlagzeug ist es nicht, da er bereits vor zwei Jahren McCarthy auf der letzten Gastspielreise in unseren Breiten vertrat. Trotzdem sei natürlich die Frage erlaubt, wie sich die Konzerte von E durch seinen Input verändert haben. "Ich denke, dass unsere Live-Show mit Ernie fröhlicher ist", sagt Zedek. "Er hat normalerweise ein breites Lächeln im Gesicht, wenn wir spielen, und das ist ein toller Ausgleich zum ernsteren Auftreten von Jason und mir. Wir freuen uns alle wirklich sehr darauf, die neue LP live zu spielen, weil wir bislang nur wenige Gelegenheiten dazu hatten. Wir spielen aber auch immer noch gerne unsere älteren Lieder, und die Sets werden das reflektieren."

Überhaupt steht für die drei trotz der oft düsteren Grundstimmung der Lieder die Freude am Musikmachen auch nach all den Jahren immer noch im Zentrum. "Ich bin am glücklichsten, wenn ich mit anderen Musikern spielen und Teil einer Gruppe von Individuen sein kann, die darauf abzielt, aus den einzelnen Teilen eine vereinte musikalische Kraft zu erschaffen", antwortet Zedek auf die Frage, was sie nach all den Jahren beim Musikmachen besonders glücklich macht. "Es fühlt sich wie ein riesiges Geschenk an, dass ich das hier immer noch machen kann", ergänzt Sanford. "Ich glaube, ich habe jetzt - je nachdem, wie man es zählt - 15 oder 16 Alben aufgenommen, und auch wenn ich hart dafür gearbeitet habe, bin ich einfach unglaublich glücklich und dankbar, dass die Leute immer noch interessiert sind. Dass Labels wie Silver Rocket weiterhin Platten herausbringen und dass die Leute immer noch zu den Konzerten kommen - das ist ein Segen." Auch Neu-Schlagzeuger Kim sieht die Chance, Musik machen zu dürfen, nicht als Selbstverständlichkeit an, wie er abschließend erklärt: "Mit Freunden Musik zu machen, sich gemeinsam Lieder auszudenken, das macht viel Freude! Ich bin dankbar für alle meine Bands und Bandkollegen, mit denen ich das tun kann, und für die Bostoner Musikcommunity. Mit lieben Freunden auf Tour zu gehen und für Leute von nah und fern zu spielen, das ist buchstäblich ein lebenslanger Traum, der wahr geworden ist!"
Weitere Infos:
www.instagram.com/e_theband
www.facebook.com/ABandCalledE
abandcallede.bandcamp.com
Interview: -Carsten Wohlfeld-
Foto: -Ben Stas-
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Aktueller Tonträger:
Living Waters
(Silver Rocket/Import)
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