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CHRIS COHEN
 
Zwischen Eingängigkeit und Eigentümlichkeit
Chris Cohen
Mit Ende 40 hat der heute in der kalifornischen Bay Area heimische Tausendsassa Chris Cohen schon ein paar Runden um den sprichwörtlichen Block gedreht. Einst war er Mitglied der Indierock-Heroen Deerhoff, später gab er bei der Art-Rock-Band The Curtains den Ton an, bevor er vor rund zwölf Jahren begann, Platten als Solist zu veröffentlichen, um seine Vorstellung von einer beiläufig komplexen Popmusik so ungefiltert wie möglich Realität werden zu lassen. Wie es klingt, wenn Cohen diese Idee seiner halb psychedelischen, halb paisleyfarbenen Songwritingwelt in Töne übersetzt, kann man auch auf seinem neuen Album "Paint A Room" wieder hören, wenn er scheinbar mühelos den Sweetspot zwischen Pop und Weirdness trifft.
Es ist schon bemerkenswert, mit welcher Selbstverständlichkeit Chris Cohen auch auf seinem inzwischen vierten Solowerk immer wieder bei herrlich komplexen Songgebilden landet, die er im Studio erstmals gemeinsam mit seiner Touringband statt wie zuvor bei "Overgrown Path" (2012), "As If Apart" und "Chris Cohen" (2019) im Alleingang eingespielt hat. Der Wunsch nach mehr Zusammenarbeit mit anderen wurde übrigens nicht zuletzt dadurch geweckt, dass er seine Brötchen als Produzent und Sideman für andere Künstlerinnen und Künstler verdient. In der Vergangenheit arbeitete er unter anderem mit Hochkarätern wie Weyes Blood, Kurt Vile, Le Ren und Marina Allen zusammen. Auf "Paint A Room" führt Cohen das zu Liedern, die immer noch von seiner Liebe für die klassische handgemachte Musik der 60er, 70er und 80er zeugen, sich aber nicht nur wegen der fabelhaften Bläserarrangements von Jazzer Josh Johnson mehr denn je über Genregrenzen hinwegsetzen. Konzerte in Köln, Hamburg und Berlin sind für Dezember geplant, zuvor allerdings stellte sich Cohen den Fragen von Gaesteliste.de.

GL.de: Chris, um mal ganz allgemein einzusteigen: Was inspiriert dich, und wie gelingt es dir, nach all den Jahren, die Leidenschaft für dein Tun nicht zu verlieren?

Chris Cohen: Ich denke, mich inspiriert einfach das, was mir am nächsten ist. Ich lasse mich von meinen Freunden und meiner unmittelbaren Umgebung beeinflussen. Ich fühle mich von dem Gedanken inspiriert, etwas Neues zu machen, etwas aus dem Nichts zu erschaffen, denn Musik kommt ja scheinbar aus dem Nichts. Das ist immer noch eine spannende Sache für mich: der Gedanke, dass man wieder von vorne anfangen kann, und dass jede Sekunde, in der man Musik spielt, ein ganz neuer Moment ist, und alles könnte passieren. Ich denke, allein das zu wissen hält mein Interesse wach.

GL.de: Du verzichtest auf dramatische Wendungen von Album zu Album, jede neue Platte von dir klingt wie ein weiterer Teil eines größeren Puzzles. Geschieht das mit Absicht?

Chris Cohen: Ich finde, dass man sich in der Musik von seiner besten Seite zeigen kann. Ich versuche, so nah wie möglich an die wesentlichen Eigenschaften meines Selbst heranzukommen, und die Musik entspringt einfach dem, was und wer ich bin. Ich bin in diesen Dingen nicht sehr berechnend. Ich glaube, ich versuche einfach, mich selbst zufriedenzustellen und etwas zu machen, das meine Sinne anspricht. In meiner eigenen kleinen Welt fühlt sich jedes dieser Alben für mich ganz anders an, auch wenn ich weiß, dass sie sich in den Augen anderer Leute vielleicht nicht so drastisch voneinander unterscheiden. Ich denke, ich versuche einfach, den Ideen jedes einzelnen Songs, der Inspiration jedes einzelnen Songs, treu zu bleiben. Aber letzten Endes ist es ein Ausdruck dessen, wer ich bin.

GL.de: Auch auf "Paint A Room" ist wieder spürbar, dass dir das menschliche Element in der Musik wichtig ist. Ist das auch der Grund, warum du dich zu wirklich handgemachter Musik hingezogen fühlst?

Chris Cohen: Ja! Hinzu kommt, dass die 70er und 80er die Zeit war, die mich geformt hat. Ich glaube, ich mache die Dinge einfach so, wie ich dazu in der Lage bin. Tatsächlich benutze ich Maschinen ziemlich oft. Die Art von Musik, die ich mache, ist ohne Computer nicht möglich. Ich nutze Computer nicht nur für die Bearbeitung von Aufnahmen, sondern auch in Bezug auf die Komposition. Ich mache die Dinge einfach so, wie es mir richtig erscheint und wie es der Zeit entspricht, in der ich aufgewachsen bin. Aber ich habe damit zu kämpfen. Mir ist klar, dass sich das Paradigma sehr schnell ändert, und ich bin auch an neuen Arbeitsweisen interessiert, aber letztendlich mache ich die Dinge einfach so, wie sie mir Spaß machen.

GL.de: Im Presseinfo wird deine Musik als "casually complicated pop" bezeichnet, was es wirklich sehr gut trifft. Ist dein Faible für ein gesundes Maß an schrägen Ideen vielleicht auch darauf zurückzuführen, dass du mit deiner Musik nicht auf kommerziellen Erfolg um jeden Preis abzielst?

Chris Cohen: Ich betrachte die Sache nicht aus diesem Blickwinkel. Ich habe noch nie versucht, Musik zu machen, die absichtlich schwierig ist. Nimm jemanden wie Burt Bacharach. Meine Musik wird manchmal mit seiner verglichen, und das gefällt mir, weil ich seine Sachen liebe. Seine Musik war sehr komplex, aber alle haben sie gemocht. Ihm ist es gelungen, wahnsinnig seltsame Ideen einzubauen, weil er einen Weg gefunden hat, sie in alltägliche Sprachmuster einzubetten und sie damit so eingängig zu machen, dass die Menschen mitsingen können. Das ist etwas, nach dem ich mit meiner Musik auch strebe. Ich hoffe, dass sie in gewisser Weise den Alltag abbildet, sich aber gleichzeitig nicht an den Geschmack der Masse angepasst, um besser in Schubladen zu passen.

GL.de: Obwohl man "Paint A Room" durchaus als Fortsetzung der Vorgängerwerke verstehen kann, signalisiert das Album doch auch einen dezenten Neuanfang, weil du inzwischen vom Label Captured Tracks zu Hardly Art gewechselt bist und das Album anders als die Vorgänger nicht mehr ganz allein eingespielt hast. Was war der wichtigste Unterschied für dich?

Chris Cohen: Die größte Befreiung war sicherlich, dass ich die Gruppe von Musikern um mich hatte, mit denen ich schon seit einigen Jahren zusammengespielt hatte [Davin Givhan (Bass), Josh da Costa (Schlagzeug) und Jay Israelson (Keyboards)] und die ich in den Entstehungsprozess des Albums involvieren wollte. Es war sehr befreiend zu wissen, dass ich dieses Mal nicht alles würde allein machen müssen. Das bedeutet auch, dass ich eine neue Art finden musste, die Songs zu schreiben und sie den anderen Musikern zu kommunizieren - und zwar so, dass noch Raum für ihre Ideen blieb. Dieser Prozess war etwas Neues für mich, oder zumindest etwas, das ich schon lange nicht mehr gemacht hatte, ja, und das war sehr befreiend für mich: ein wenig von der Kontrolle abzugeben, die ich in der Vergangenheit hatte. Josh Johnson mit dem Schreiben der Arrangements zu beauftragen - ich glaube nicht, dass ich mich in der Vergangenheit wohl gefühlt hätte, so zu arbeiten, dass jemand anderes einen Teil des Songs ohne mich komponiert. Das habe ich aber wirklich gerne gemacht und es war eine tolle Erfahrung.

GL.de: Hast du dich je gefragt, warum du dich inzwischen wohler dabei fühlst, Verantwortung zu delegieren?

Chris Cohen: Eigentlich glaube ich nicht, dass ich mich wohler gefühlt habe, und es war sogar sehr unangenehm, aber es war eine Herausforderung, die ich gesucht habe. So schwierig es auch war, habe ich mich doch dadurch befreit gefühlt, und ich bin sehr zufrieden mit dem Ergebnis. Vielleicht hat das Älterwerden etwas damit zu tun oder einfach der Wunsch, neue Dinge auszuprobieren. Es war mir auch wirklich wichtig, mich mit anderen Menschen auszutauschen und Gesellschaft zu haben, denn ich habe mich unglaublich einsam gefühlt, als ich die ersten drei Platten allein gemacht habe.

GL.de: Wie sehr unterscheiden sich die fertigen Songs auf "Paint A Room" von dem, was du anfangs im Kopf hattest, bevor deine Mitstreiter hinzukamen?

Chris Cohen: Nun, ich habe zunächst allein Demos aufgenommen, aber ich habe versucht, mich davon abzuhalten, alles perfekt zu machen. Dann bin ich mit meiner Band auf Tour gegangen und wir haben die Songs im Anschluss an die Konzerte aufgenommen. Ich denke, den Musikern ist es gelungen, den Geist der Parts einzufangen, die ich ihnen vorgegeben hatte, und sie dabei gleichzeitig auch besser zu machen.

GL.de: Haben deine Mitstreiter den Songs etwas hinzugefügt, auf das du selbst nie gekommen wärst?

Chris Cohen: Ich denke, dass ich nichts von dem, was sie beigetragen haben, selbst hätte machen können. Alles, was die Musiker beigetragen haben, hätte ich allein sicherlich anders gemacht, aber das heißt nicht, dass es besser oder schlechter gewesen wäre. Gleichzeitig muss ich sagen, dass ich nicht glaube, dass es definitive Versionen meiner Songs gibt. Jedes Lied, das ich je aufgenommen habe, hätte auch viele andere Richtungen einschlagen können. Es gibt viele verschiedene Versionen meiner Songs! Den einzigen besten Weg, den gibt es nicht!

GL.de: Wann genau ist dir bewusst geworden, dass die Idee eines mit deiner Band und Gästen eingespielten Albums für dich wirklich funktioniert?

Chris Cohen: Wenn ich ehrlich bin, ist das erst ziemlich kurz vor Schluss passiert. Egal, ob ich allein oder mit anderen Leuten arbeite, ist es immer so, dass es nicht funktioniert, bis es funktioniert. Aber wenn es dann funktioniert, lasse ich die Finger davon. Es dauert eine ganze Weile, bis ich an den Punkt komme, an dem ich mir sicher bin, dass es funktioniert - ich bin immer bereit, etwas zu verwerfen und von vorne anzufangen -, aber wenn ich dann eine Melodie und Akkorde und die Struktur eines Songs habe, bin ich normalerweise ziemlich sicher, dass ich den Song auf die ein oder andere Weise fertigstelle. Zu diesem Zeitpunkt weiß ich noch nicht, ob das die finale Version sein wird. Ich mache einfach weiter und weiter, bis ich das Gefühl habe, dass es klick macht. Wenn dieser Punkt einmal erreicht ist, versuche ich, nicht mehr viel an dem Song zu verändern.

GL.de: Wonach suchst du textlich in deinen Songs?

Chris Cohen: Für mich sind die Texte wie der Geist des Liedes, der spricht. Ich versuche herauszufinden, was der Song sagen will, es beginnt auf eine nonverbale Weise. Das Ziel ist für mich, dass der Song spricht und erst später einen Sinn ergibt. Normalerweise ist es so, dass die Musik zuerst kommt. Ich höre mir einfach den Song an und versuche zu verstehen, was der Song aussagt. Das basiert unweigerlich auf meiner persönlichen Erfahrung. Eigentlich würde ich gerne anders arbeiten, ich würde gerne Musik schreiben, die auf dem Text aufbaut, aber das habe ich, soweit ich mich erinnere, bisher nur ein einziges Mal gemacht... Ich glaube, das liegt einfach an der Art, wie ich bin. Durch die Musik habe ich gelernt zu sprechen, und ich kann mich nicht daran erinnern, dass ich jemals etwas so dringend sagen wollte, dass ich mich gefragt hätte: Wie kann ich das in Musik umsetzen?
GL.de: Eine letzte Frage: Was macht dich als Musiker derzeit besonders glücklich?

Chris Cohen: Ich bin einfach froh, dass ich den Luxus habe, weiterhin Musik machen zu können!
Weitere Infos:
chriscohen.bandcamp.com
www.instagram.com/chrifcohen
www.facebook.com/pages/chris-cohen/147680308689555
Interview: -Carsten Wohlfeld-
Foto: -Katie Garner-
Chris Cohen
Aktueller Tonträger:
Paint A Room
(Hardly Art/Cargo)
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