GL.de: Jo, viele, vor allem junge Bands haben heute nur noch den großen Erfolg im Sinn und scheinen bisweilen die DIY-Jahre als reine Pflichtaufgabe zu betrachten. Ihr dagegen bleibt euren Idealen seit mehr als einem Jahrzehnt treu und seid - passend zum Titel des neuen Albums - nie der Versuchung erlegen, euch dem Mainstream an den Hals zu werfen. Woher kommt das?
Jo: Das ist das alte Klischee: Wir machen Musik nur für uns selbst! Es stimmt aber, wir haben Musik immer nur gemacht, weil wir Freude daran haben. Der einzige Ehrgeiz, den ich - und ich denke, die anderen würden diese Ansicht wahrscheinlich teilen - für die Band hatte, war, dass sie sich selbst trägt, dass wir uns dabei nicht selbst ruinieren müssen und dass sie Leute erreicht, die die Musik zu schätzen wissen. Aber die Hauptsache ist, dass wir weitermachen und Musik schreiben und erforschen können. Ruhm war nie etwas, das wir als greifbar empfunden haben, und er war nie wirklich unser Ziel! Natürlich kann ich den Reiz verstehen, eine große Band sein zu wollen. Es wäre toll, wenn man keinen Brotjob haben müsste, aber wir waren immer glücklich, unser eigenes Ding machen zu können.
GL.de: Hast du manchmal das Gefühl, dass es auch Vorteile hat, einen Job neben der Musik zu haben und nicht alles auf eine Karte zu setzen?
Jo: Ja! Ich erinnere mich, dass ich ein Interview mit einer Band gelesen habe, deren Name mir gerade nicht einfällt. Es war eine Band, die größer war als wir und in der Lage war, sich nur von der Musik zu ernähren, aber es schien mir, dass sie in einer Tretmühle gefangen waren. Jedes Jahr mussten sie etwas veröffentlichen, und sie mussten diesen ganzen Kreislauf aus Produzieren, Veröffentlichen, Touren immer wieder durchlaufen, und ich denke, das führt wahrscheinlich dazu, dass man Platten veröffentlicht, die nicht unbedingt das sind, was man sich gewünscht hat, die nicht immer das perfekte Werk sind, das man sich erhofft hat. Ich möchte nicht das Gefühl haben, dass ich Platten raushauen muss, das würde der Sache den Spaß rauben! Wenn das Musikmachen auf diese Weise zu einem Job wird, ist es nicht mehr wirklich das, was ich tun möchte. Natürlich kann man auf diese Weise immer noch interessante Sachen machen, trotzdem finde ich es gut, eine Trennung zwischen dem, was ich für meinen Lebensunterhalt tue, und meinen künstlerischen Aktivitäten zu haben.
GL.de: Stichwort "Perfekte Veröffentlichung". Erstmals habt ihr uns drei Jahre auf ein neues Album warten lassen. Brauchte es das zusätzliche Jahr lediglich, um eure Ideen zu perfektionieren, oder hat es einfach mehr Zeit beansprucht, überhaupt zu neuen Ansätzen zu kommen?
Jo: Ich denke, es war wohl eher Letzteres, denn die Pandemie - das ist solch ein Klischee, aber es ist wahr! - hat alles für jeden Einzelnen von uns verändert, die Weltsicht aller war plötzlich ganz anders. Ich persönlich hatte das Gefühl, dass ich keine Texte schreiben konnte, die nicht nur um banalen Unsinn wie Isolation kreisten, um die Dinge, über die eh alle schrieben. Ich brauchte einfach eine Weile, um mir klar zu werden, über was ich schreiben könnte. Ich weiß auch, dass Rob wirklich damit zu kämpfen hatte, sich interessante Sachen für die Gitarre auszudenken, die nicht einfach nur eine Wiederholung unserer früheren Ideen waren. Deshalb war der Plan von Anfang an, etwas zu machen, das in eine etwas andere Richtung geht. Es hat nur ein bisschen länger gedauert, bis wir in den Groove gekommen sind und angefangen haben, Sachen zu schreiben. Wir bekamen einen Anstoß, als Rob den Poly-Synthesizer als ein interessantes Werkzeug entdeckte und wir feststellten, dass wir damit etwas machen konnten. Das wurde der Kern, aus dem der Rest des Albums hervorging, wenn ich mal eine schreckliche Metapher verwenden darf (lacht).
GL.de: Ist die Begeisterung für Synth-lastige Musik neu für euch, oder war die bisher lediglich nicht so präsent in eurem Sound?
Jo: Ich habe das frühe Synth-Zeug wie Tangerine Dream schon lange auf dem Schirm. Das war immer verwoben in viele andere Sachen, die ich mir angehört habe. Ich denke, dass das schon immer ein wenig unter der Oberfläche blubberte. In letzter Zeit habe ich mich ein bisschen mehr damit beschäftigt, vor allem, weil ich Rob damit bekannt gemacht habe. Ich habe mir gedacht: Vielleicht gibt es etwas, das ich mir vor Jahren angehört habe und das ihn jetzt interessieren könnte, während er früher immer nur gesagt hat: "Was IST das?" Ich denke da an die kosmischen Sachen wie Cluster und all diese Bands.
GL.de: Schon beim Songwriting war der Poly-Synth dieses Mal ein wichtiges Werkzeug. Was hat das bewirkt?
Jo: Dadurch, dass es gewissermaßen ein naives Ausprobieren war, mit dem wir die Möglichkeiten des Poly-Synths entdeckt haben, haben einige der Songs in ihrer Struktur Ähnlichkeiten mit den Liedern unserer ersten Platte. Einerseits gehen wir zwar heute viel weiter, andererseits schließt sich da irgendwie aber auch der Kreis in einer seltsamen, aber auch befriedigenden Weise. Es ist schon lustig, dass ich so viel davon spreche, was für eine große Weiterentwicklung das neue Album ist, aber eigentlich denke ich nicht, dass es eine besonders radikale Abkehr ist. Das sind immer noch wir, es sind lediglich andere Klangmuster entstanden, und das kommt hoffentlich rüber.
GL.de: Allen Veränderungen zum Trotz klingt das Album in der Tat immer noch nach Desperate Journalist. War das ein besonderes Anliegen für euch, oder ist das unumgänglich, wenn man mehr als zehn Jahre mit den gleichen vier Leuten in einer Band spielt?
Jo (lachend): Vermutlich ist es einfach Letzteres! Wir kennen uns alle so gut, dass wir gewissermaßen vorhersagen können, wie die anderen etwas spielen werden. Das ist eine Art unausgesprochenes Verständnis. Das ist das Schöne daran, so lange zusammen in einer Band zu sein. Manchmal machen wir etwas, von dem ich glaube, dass es vollkommen verrückt und bizarr ist und dass alle es hassen werden, aber am Ende stelle ich dann fest, dass es irgendwie doch nach uns klingt (lacht). Ich kann mich nicht erinnern, dass wir je gesagt hätten: "Oh, hier müssen wir ein wenig zurückschrauben" oder: "Lasst uns hier noch etwas einfügen, das mehr wir ist." Das passiert alles ganz natürlich, was für sich genommen wirklich schön, aber auch ungewöhnlich ist.
GL.de: Was ist für dich denn angesichts der Veränderungen der rote Faden, der all eure Platten verbindet?
Jo: Ich glaube, alles hatte schon immer eine gewisse Dramatik an sich. Es gab immer eine Art Melancholie, ich will nicht sagen Melodrama, aber ich denke, manchmal ist es ein Schritt in diese Richtung (lacht). Wir werden ja auch gerne als Post-Punk-Band bezeichnet, und obwohl ich nicht glaube, dass wir eine sind, gibt es dieses Element, das den Post-Punk ausmacht, nämlich, dass Bands eine Art angeborene Sensibilität für das Songwriting haben, gleichzeitig aber vermeiden wollen, sich ständig zu wiederholen, so wie Wire hintereinander "Pink Flag", "Chairs Missing" und dann "154" gemacht haben. Hoffentlich haben auch wir diese Art von Energie: zu verstehen, wo unsere eigenen Stärken liegen, aber gleichzeitig auch zu versuchen, neue Wege zu gehen.
GL.de: Du hast gerade Post-Punk erwähnt, gleichzeitig hast du an anderer Stelle aber auch schon gesagt, dass es dir ein Anliegen ist, dass eure Musik immer schräger, gleichzeitig aber auch poppiger wird. Hat sich deine Sicht auf "Pop" mit der Zeit gewandelt?
Jo: Ich stand schon immer sehr auf Popmusik. Ich bin damit aufgewachsen, dass ich viel Non-Mainstream-Popmusik wie Scritti Politti oder Prefab Sprout gehört habe und dann aber auch diese Art von Pop-Indie wie Garbage. Ich mochte auch viele Popstars aus den 90ern wie Britney Spears und die Spice Girls (lacht)! Ich hatte also nie ein wirkliches Problem mit dem Pop. Aber in Bezug auf das, was wir als Band machen wollten, wurde es erst im Laufe unserer Entwicklung angemessener, uns dem zuzuwenden. Als wir begonnen haben, diese Art von eher studiobasierten Sachen zu machen, wurde es ein nützlicher Bezugspunkt.
|