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HALF WAIF
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Die Reise ins Mysterium
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Bereits 2019 war Nandi Rose Plunkett a.k.a. Half Waif mit ihrem Ehemann, dem Pinegrove-Drummer Zack Levine, in die Catskills in Upstate New York gezogen, um sich in der Abgeschiedenheit der ländlichen Umgebung vom Stress des Musikbusiness erholen zu können und an neuem Songmaterial zu arbeiten. Dass dann die Pandemie diese selbst gewählte Isolations-Situation noch verstärkte, führte im Folgenden dazu, dass sie mit den beiden Alben "Caretaker" und "Mythopoetics" technisch zwei Projekte während der Covid-Lockdowns realisieren musste. Für das Album "Mythopoetics" musste sie sogar ihre gewohnten Ansätze in Sachen Songwriting und Produktion ändern. Aufgrund fehlender externer Impulse griff sie etwa für die Texte auf eigene Gedichte zurück und musikalisch agierte sie alleine mit ihrem musikalischen Partner Zubin Hensler im Austausch über die Distanz auf weitestgehend elektronischer Basis. Damit kehrte sie - unfreiwillig aber mit großer Begeisterung für eine poppigere Auslegung derselben - zu ihren Roots als Solo-Songwriterin zurück.
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Ihr nächstes Album sollte dann auf jeden Fall ganz anders werden, als Antwort auf den Vorgänger wesentlich organischer sein und unter Beteiligung vieler befreundeter Musiker kollaborativ angegangen werden. Das stand bereits Ende 2021 fest, als Nandi nach der Veröffentlichung des letzten Albums begann, an neuen Songs zu feilen. Als sie dann Ende des Jahres zum ersten Mal schwanger wurde, freute sie sich darauf, das Album als Zelebration des Lebens und der Natur (ihrer bevorzugten Inspirationsquelle) anzulegen. Das Schicksal indes meinte es nicht gut mit Nandi: Ihr Kind verstarb noch im Mutterleib und in der Folge medizinischer Komplikationen der sich anschießenden Fehlgeburt wurde sie mit neuen Traumata belastet, mit denen sie dann irgendwie klarkommen musste und die sie dann mit ihrer Kunst auch verarbeiten musste. Zweifelsohne ist das nun vorliegende Album "See You At The Maypole" (und die vorhergehende EP "Ephemeral Being") nun tatsächlich ganz anders als das "Mythopoetics"-Werk geworden - aber eben nicht so, wie ursprünglich angedacht.
Einige Stücke waren ja schon vor der Schwangerschaft entstanden und andere nach der Fehlgeburt - wie balancierte Nandi diese dann gegeneinander aus? "Das ist eine tolle Frage", meint sie, "es gibt ja in der Tat schon ein paar Tracks, die ich vor der Schwangerschaft geschrieben hatte - etwa die Single 'The Museum', in der ich von einem Museum für die sicher geglaubten Gewissheiten träumte, die eben heute nicht mehr gewiss sind. Das sind dann also Sachen, die mit der Schwangerschafts-Timeline nichts zu tun hatten. Wenn ich mir das aber überlege, dann befand ich mich damals schon in dieser Gedankenwelt, in der es darum ging, wie es wäre, Leben in eine Welt zu bringen, die gerade kollabiert und eine Familie zu gründen. Diese Themen hatten sich also bereits in meinem Leben manifestiert, bevor ich auf dem Weg zur Mutterschaft war. Den Track 'Collect Color' habe ich zum Beispiel geschrieben kurz bevor ich den Test machte, durch den ich dann herausfand, dass ich schwanger war. Es gibt dann natürlich auch Songs, die den Verlust und die Folgen der Fehlgeburt thematisierten - beispielsweise den Song 'Figurine', der die Starrheit des Schmerzes beschreibt. Es geht also auf dem Album nicht alleine um das Ereignis der Schwangerschaft, sondern um die Gedankenwelt, die sich beim Eintritt in eine neue wichtige Phase des Lebens bildete." Daher stammt dann vermutlich auch der Titel des Albums "See You At The Maypole" - denn ein Maibaum steht ja für die Wiedergeburt des Frühlings nach einem gegebenenfalls dunklen Winter. "Genau", bestätigt Nandi, "davon abgesehen war ich aber auch fasziniert von dem Thema, Farben zu sammeln - was auf der Scheibe einige Male thematisiert wird. Es ging auch darum, den Sonnenschein einzufangen und so Farbe ins Leben zu bringen. Die Idee, dass wir alle irgendwie auf der Reise zu den farbenfrohen Momenten unseres Lebens sind, um diese Farben in einem starken Teppich der Menschlichkeit zu verweben - wie das die Menschen tun, die sich um einen Maibaum versammeln und dann bunte Bänder miteinander flechten -, hat mich fasziniert. Deswegen wählte ich den Maibaum als Leuchtturm für diese Reise aus. Wenn wir den Maibaum in der Ferne sehen, sind wir zwar noch nicht angekommen, aber wir werden es schließlich zum Ziel unserer Träume schaffen."
Eine Frage die sich geradezu aufdrängt, ist jene, inwieweit Nandi mit diesem Album einen Sinn im Leben finden konnte. "Diese Phase meines Lebens war sehr schmerzhaft", berichtet Nandi, "weißt du: Wir bekommen immer gesagt, dass man im Moment leben soll. Und im Moment zu leben ist ja auch eine gute Methode, sein Leben zu führen. Aber wenn der Moment so unerträglich ist, dann kann man einfach nicht im Moment leben. Der besagte Moment fühlte sich für mich so an, als brenne das Haus um mich herum. Wie sollte ich darin leben können? Das war die Frage, die ich mir mit diesem Album gestellt habe: Wie soll ich in diesem Moment leben und wieder erlernen, mein Leben zu lieben? Die letzte Zeile des Albums heißt demzufolge auch 'I Love My Life', denn zu dieser Einstellung musste ich wieder zurückfinden und aktiv die Entscheidung treffen, mein Leben zu lieben, während alles um mich herum in Flammen stand." Gibt es denn mit diesem Album eine Art Auflösung für Nandi? "Ich denke, eines der großen Themen mit denen ich mich beschäftige - sowohl in meinem Leben, wie auch in meiner Musik -, ist es loszulassen und mich den Dingen, die wir sowieso nicht kontrollieren können, hinzugeben. Als ich die Fehlgeburt hatte, sagte ich zu meinen Freunden, dass ich das nicht akzeptieren könne. Man sagte mir dann: 'Du musst das aber akzeptieren.' Wenige Monate später bekam meine Schwiegermutter dann zusätzlich noch eine sehr ernste Krebsdiagnose. Ich wurde also damit konfrontiert, sie auch noch verlieren zu müssen. Wie sollte ich so etwas also akzeptieren? Ich musste also zunächst die Reise zum großen Mysterium antreten und eben lernen, mein Leben - das nun ganz anders aussah, als ich es erwartet hatte - wieder zu lieben. Es ist diese Reise, die mir geholfen hat, diesen Weg einzuschlagen und das hoffentlich auch für den Rest meines Lebens tun wird."
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Welche Art von Spiritualität zapft Nandi eigentlich an? Institutionalisierte Religion ist es offensichtlich ja nicht. "Ich liebe diese Frage", freut sich Nandi, "ich arbeite nämlich gerade an einem Buch - Memoiren, die ungefähr dieselbe Zeitspanne abdecken, wie das Album-Projekt. Das Buch behandelt aber alle Aspekte tiefer gehender. Das Buch behandelt aber auch die Frage, an was ich eigentlich glaube. Wenn so etwas wie mit der Fehlgeburt passiert und man realisiert, dass sich sein Leben in eine andere Richtung bewegt, als die, die man erwartet hat, dann fragt man sich ja unweigerlich, woran man glaubt. Ich glaubte damals an gar nichts mehr. Dieses Albumprojekt war dann in gewisser Weise eine Reise zurück zu einer Art von Glauben. Deswegen mag ich deine Frage auch sehr. Ich bin nicht religiös, aber tief spirituell. Ich komme dann auch schnell auf die Natur zurück - denn das ist, wo ich den Geist und das Göttliche finde." Kann es sein, dass die Musik auch ein Teil dieser Art von Religion ist? "Ja, das stimmt wohl", lacht Nandi, "besonders wenn ich mich zurückziehe um Songs zu schreiben. Das ist dann wie eine Art Gebet." Korrespondiert das angesprochene Buch irgendwie auch mit Nandis Musik? "Ja, ich liebe es zu schreiben und will das in der Zukunft noch mehr verfolgen", antwortet sie, "die Musikalität von Worten auf einer Seite borgt von der Musikalität des Song-Schreibens, aber ein Buch zu schreiben ist ein anderes Format, das dir erlaubt, sehr viel Tiefer in das Sujet einzutauchen. Es ist sehr schön, das selbe Thema mit zwei Kunstformen betrachten zu können."
Gab es denn dann musikalisch überhaupt einen bestimmten Plan? "Ja - anfangs dachte ich daran, dass die Songs wie deutsche Kunstlieder klingen sollten", erklärt Nandi, "kennst du dich damit aus? Franz Schubert oder Robert Schumann? Was mich an dieser Art von Musik fasziniert, ist, dass man hier zwar ein paar Strophen hat - aber nicht notwendigerweise einen Refrain. Auf meinem letzten Album 'Mythopoetics' wollte ich vor allen Dingen große Refrains und einen großen Pop-Sound haben. Diese Scheibe war das Gegenteil. Es ging mir nicht um die Refrains, sondern das Erzählen. Ich denke, dadurch entstand sogar ein gewisses Folk-Feeling." Von welcher Art von Musik ließ sich Nandi denn für das "Maypole"-Album inspirieren? "Ich tendiere dazu, das nachher immer zu vergessen", meint Nandi, "aber dieses Mal habe ich mir zum Beispiel Sybille Baier, Judee Sill, Nico Muhly, oder Phil Elverlum a.k.a. Mount Eerie angehört. Das sind alles Songwriter, die jenseits eines Pop-Anspruches wagemutiger in ihren Song-Formaten sind." Fasst man das zusammen, so ließe sich etwa sagen, dass "Mythopoetics" vielleicht zugänglicher und gefälliger ausgefallen ist, "Maypole" dafür aber interessanter und vielschichtiger. "Ja, das stimmt", pflichtet Nandi bei, "Zubin und ich waren begeistert von der Idee, die Geschichten die Songs leiten zu lassen und mit verschiedenen Formaten zu arbeiten. Nicht nach großen Pop-Momenten suchen zu wollen, war befreiend für uns und so konnten wir etwas wagemutiger an die Sache herangehen, was die Texturen und Songstrukturen betraf."
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Nun ist das so, dass Nandi es heutzutage ja wohl geschafft hat, die dunkle Phase ihres Lebens mit diesem Projekt zu überwinden. Ist das Kapitel damit für sie abgeschlossen? "Oh - das ist auch eine gute Frage", zögert Nandi, "es macht mich emotional darüber nachzudenken. In gewisser Weise ist das Kapitel beendet - denn ich bin jetzt eine Mutter und habe einen 15 Monate alten Sohn, der heute nicht hier wäre, wenn ich nicht das durchgemacht hätte, was ich durchgemacht habe. Aber ich denke auch, dass wir unsere Geschichten für immer mit uns herumtragen. Ich fühle nicht mehr das Gewicht - aber diese Geschichte ist definitiv ein Teil meines Lebens und sie beeinflusst auch, wie ich heute die Welt sehe und meine Lebensphilosophie. In diesem Sinne dauert sie auch noch an."
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Weitere Infos:
halfwaif.com/
halfwaif.bandcamp.com www.facebook.com/HalfWaif www.instagram.com/halfwaif soundcloud.com/halfwaif
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Interview: -Ullrich Maurer- Foto: -Logan White-
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Aktueller Tonträger: See You At The Maypole (Epitaph/Indigo)
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