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DEADLETTER
 
Immer in Bewegung
Deadletter
"Kopfüber geht's hier in einen düster-intensiven Sound, mit dem Deadletter mit Köpfchen und trockenem Humor dem drohenden gesellschaftlichen Kollaps entgegentreten und so trotz eines dunklen Grundtenors das Licht am Ende des Tunnels nicht unbedingt der entgegenkommende Zug ist", schrieben wir vor wenigen Wochen an dieser Stelle über das von Jim Abbiss (Arctic Monkeys, Adele) produzierte Debütalbum der britischen Senkrechtstarter Deadletter und kürten "Hysterical Strength" zur Platte der Woche. Im Spannungsfeld von Schönheit und Chaos fasziniert das Sextett aus London mit motorischen Rhythmen und kantigen Gitarren und hat mit dem kribbeligen Sound eines Saxofons auch noch das gewisse Etwas, das es aus der Masse der vom Post-Punk geküssten jungen Bands in Großbritannien herausstechen lässt.
Deadletter sind eine Band, die man unmöglich überhören kann. Aber auch wenn es zunächst vielleicht der bissige Sound der Briten ist, der das Publikum fesselt, sind es doch nicht zuletzt auch die Texte von Sänger Zac Lawrence, die die Band zu etwas Besonderem machen. Bereits treffend als vertonte Poesie beschrieben, sind sie vollgestopft mit memorablen Zeilen, doch obwohl Zac es nicht darauf anlegt, politische Statements abzuliefern. Vielmehr sieht er sich als aufmerksamen Beobachter seiner Umwelt, der auf seine Umgebung reagiert und seine eigenen Gefühle dabei beschreibt und interpretiert, ohne je zu konkret zu werden oder sich bestimmten Ideologien unterzuordnen, denn wichtiger ist es ihm, Raum für Dialog zu lassen. Dass er damit einen Nerv trifft, zeigt sich nun auch in den Konzertsälen.

Dank ihrer fesselnden Live-Shows eroberten Zac und die Seinen in den vergangenen Wochen nach der britischen Heimat nun auch das europäische Festland im Sturm. Der Tag des letzten Deutschland-Konzertes der aktuellen Tournee im Gebäude 9 in Köln war nicht nur der Geburtstag des charismatischen Frontmanns, Gaesteliste.de war vor der Show auch zu einem Stück Kuchen und einem Gespräch eingeladen.
GL.de: Wenn man auf eure Sozialen Medien schaut, darf man sich einbilden, dass ihr die Tour richtig genießt, oder macht ihr nur gute Miene zum bösen Spiel für Instagram?

Zac: Nein, definitiv nicht. Im Vergleich zu der langen Tour, die wir letztes Jahr gemacht haben, fühlt sich die aktuelle definitiv intensiver an. Ich denke, das liegt vor allem daran, dass wir nicht so viele freie Tage hatten. Das war also eine größere Herausforderung, denn wir sind ständig in Bewegung. Die meisten Fahrten in der ersten Woche dauerten mindestens sieben Stunden, auch an konzertfreien Tagen, es war also intensiv, aber keineswegs unangenehm. Wir haben das Glück, dass wir als Gruppe wirklich gerne live spielen. Ich weiß, dass es für manche Leute nervig ist, aufzutreten, und dass es nicht der Teil des Musikmachens ist, der ihnen am meisten Spaß macht, aber wir haben das Glück, dass wir sehr viel Freude daran haben.

GL.de: Es scheint so, als ob viele der Läden, in denen ihr spielt, ausverkauft sind. Seid ihr überrascht von dem Zuspruch, den ihr erhaltet, vor allem jetzt auch auf dem europäischen Festland?

Zac: Ja, definitiv! Egal, wie viel man als Band spielt: Es ist nie eine Selbstverständlichkeit, dass die Venues ausverkauft sind oder man an einen Ort kommt, an dem man sich vielleicht nicht sicher ist, ob man viele Tickets verkauft hat, und dann ist der Ort voll mit Leuten. Es ist immer eine Überraschung. Ich denke, dass es für uns alle in der Band ganz gesund ist, die Erwartungen niedrig zu halten, denn das bedeutet, dass es nach einer guten Show nur Glücksgefühle gibt und echte Begeisterung.

GL.de: Schön, dass ihr das so seht, denn bei vielen jungen Bands heute scheint es hier umgekehrt zu sein. Die Erwartungen sind turmhoch, und dann kann man nur enttäuscht werden...

Zac: Ich finde, wenn man mit der Erwartung durchs Leben geht, dass einem alles nach einem Fingerschnippen zu Füßen liegt, wird man eine ziemlich negative Existenz führen. Ich glaube nicht, dass man zu anmaßend sein darf. Manchmal fragen mich die Leute: Was ist dein "Kneif dich"-Moment des Jahres, und es ist immer ziemlich schwer, sich auf einen festzulegen. Das ganze Ding, alles, was wir tun - ich muss immer wieder innehalten, um zu kapieren, dass das wirklich passiert. Als ich 14, 15 war, fühlte es sich wie ein Wunschtraum an, jetzt sind wir in Ländern unterwegs, in denen ich kaum die Sprache spreche, und die Leute singen meine Texte mit und tanzen zu dem Groove der Jungs - das wird niemals nicht überwältigend sein!

GL.de: Beim Smalltalk vor den Interviews hast du erwähnt, dass ihr nebenbei noch arbeiten geht. Welche Rolle spielt die Musik jetzt in eurem Leben?

Zac: Wir befinden uns an einem interessanten Punkt, denn die Musik steht jetzt an erster Stelle. Eigentlich stand sie schon immer an erster Stelle, aber ich denke, es gab eine Zeit, in der wir vielleicht nur ein paar Mal im Monat aufgetreten sind, während sie jetzt Vorrang vor allem anderen hat. Trotzdem ist die Musik nicht die Sache, die unser Einkommen garantiert, die unsere Rechnungen bezahlt. Es ist eine seltsame Realität, in der wir leben, denn das Musikmachen ist die treibende Kraft und die Hauptpriorität in unserem Leben, dennoch bin ich auch Gärtner, ebenso Alfie und George, Will macht Gelegenheitsjobs und Nathan unterrichtet andere Leute in Saxophon und anderen Instrumenten, und trotzdem ist die Band die Sache, die uns alle vorwärtstreibt, aber es ist nicht unsere Haupteinnahmequelle, obwohl ich vermute, dass es jetzt ein 50/50 Split ist. Die Musik zu haben, macht die anderen Dinge erträglicher, zu wissen, dass du das dafür machst. So sehr ich auch die Gartenarbeit genieße und die Freiheit der Gedanken schätze, die sie ermöglicht, aber wenn das das A und O wäre, weiß ich nicht, ob ich ein glückliches Leben führen würde.

GL.de: Beim Hören von "Hysterical Strength" kann man sich schnell einbilden, dass ihr eher Künstler und Performer als Musiker seid. Darf man das so sagen?

Zac: Dem kann ich nur zustimmen! Ich glaube nicht, dass wir uns schämen, wenn wir sagen, dass wir sowohl Performer als auch Musiker sind. Die Performance ist uns sehr wichtig. Für mich selbst ist es besonders wichtig, dass ich in der Lage bin, in eine andere Version von mir zu schlüpfen, wenn ich auf der Bühne stehe. Das soll nicht heißen, dass ich falsch oder nicht echt bin, wenn ich da oben stehe, aber die Person, die auf der Bühne steht, ist nicht die Person, mit der du gerade sprichst. Ich denke, das ist nur natürlich, wenn man ein Künstler ist. Man muss eine Art von Rolle annehmen, und ich bin mir immer noch nicht 100%ig sicher, was für eine Rolle das ist, aber es ist definitiv nicht diese!

GL.de: Ja, beim Line-Check in Bonn vor einigen Wochen hast du gedankenversunken auf dem Schlagzeugpodest gesessen und im Singer/Songwriter-Outfit deine Gitarre gestimmt, und bist 45 Minuten später mit nacktem Oberkörper wie Iggy Pop auf der Bühne herumgesprungen… Was macht die Musik für dich dann zum besten Ventil? Du könntest ja auch Schriftsteller oder Dichter sein?

Zac: Ich glaube, in erster Linie habe ich eine Leidenschaft für Musik. Ich habe schon immer gerne gesungen, und schon als Kind habe ich gerne bei irgendwelchen doofen Bühnenshows in der Schule mitgemacht und all solche Sachen. Der erste Blick, den ich auf die Möglichkeit, eines Tages Künstler sein zu können, werfen konnte, war über das Medium Musik. Ich würde sagen, dass meine Leidenschaft für die Literatur inzwischen überwiegt, aber ich habe das Glück, dass ich sie auf musikalische Art und Weise ausdrücken kann. Ich zweifle nicht daran, dass ich diese Leidenschaft eines Tages auch auf literarische Weise zum Ausdruck bringen werde, aber im Moment denke ich, dass die Musikalität meinen Sinn für Bedeutung stärkt - ich weiß gar nicht so genau, ob das wirklich stimmt! Das Musikmachen ist einfach der gemeinsame Nenner für uns sechs, den wir mit dem größten Effekt für uns selbst und dann auch für andere Menschen erreichen können.

GL.de: Ihr lebt jetzt in London, aber wie wichtig ist es, dass ihr ursprünglich Kleinstadtjungs aus Yorkshire seid?

Die Initialzündung für unsere Ambitionen war und ist die Tatsache, dass wir in kleinen Käffern aufgewachsen sind, auch wenn ich sie eigentlich nicht so nennen möchte, weil das immer so negativ klingt und wir viele Freunde haben, die es in diesen Kleinstädten zu etwas gebracht haben. Aber für uns war das kein Ort, an dem wir das hegen und auf die Spitze treiben konnten, was wir als Künstler machen wollten. Trotzdem ist deine Herkunft immer Teil deiner Identität, und unsere Identität ist verwurzelt im Kleinstadtleben.
GL.de: Ihr habt eure ersten Erfolge auf der Bühne gefeiert. Für "Hysterical Strength" war deshalb euer Ziel, die Live-Energie auch im Studio einzufangen. Das ist nie einfach, wie ist es euch geglückt?

Zac: Es war in der Tat schwierig, aber wir hatten das Glück, mit einem Produzenten wie Jim Abbiss aufzunehmen, der in der Vergangenheit einige Debüt-Alben produziert hat, die den Live-Sound der Band wirklich gut einfangen. Ich denke, es war auch hilfreich, dass er auf uns zukam, nachdem er uns live gesehen hatte, anstatt dass wir ihm einen Haufen Demos geschickt haben. Er kam zu einer Show und trat dann an uns heran, da hatte er wohl schon eine vorgefasste Meinung, was er mit uns machen wollte, und das ist dem Sound der Platte letztendlich definitiv zugutegekommen.

GL.de: Ihr sollt aber auch einige Reibereien mit Jim Abbiss im Studio gehabt haben?

Zac: Die hatten wir, die hatten wir! Das war alles nichts Dramatisches, aber es gab einige Meinungsverschiedenheiten, die letztlich sehr hilfreich waren. Es waren Meinungsverschiedenheiten in beide Richtungen. Manchmal schlug er etwas vor, das wir nicht verstanden haben, aber als wir es dann ausprobiert haben, funktionierte es prächtig, und umgekehrt war es genauso. Wenn du in einer Umgebung bist, in der die Leute sofort zu Kompromissen bereit sind, ist das für gewöhnlich kein gutes Zeichen. Es sollte immer ein bisschen Hin und Her geben, denn wenn du herausgefordert wirst, dann wirst du dich entweder voll und ganz hinter deinen Vorschlag stellen oder du machst dir Gedanken, ob die Idee es wert ist, sie weiterzuverfolgen. Erst wenn sich Widerspruch regt, wird dir bewusst, ob du wirklich hinter dem stehst, was du vorantreiben willst.

GL.de: Interessant ist, dass ihr euch offensichtlich von Bands aus der Vergangenheit inspirieren lasst und eine echte Old-School-Herangehensweise habt, zum Beispiel, die Band mehr durch Live-Shows als über Social Media oder ähnliche Wege zu puschen, trotz scheint ihr mit Nostalgie nichts am Hut zu haben. Ist das Konzept?

Zac: Für uns ist sdas etwas ziemlich Natürliches. Wenn du in einer Gruppe bist, die einer festgelegten Struktur folgt, an die man sich immer halten muss, läufst du Gefahr, dass du zu einer Karikatur deiner selbst, zu einer Karaokeband wirst. Wir dagegen haben das große Glück, dass wir sagen können: Solange wir sechs an der Entstehung einer Nummer beteiligt waren, ist sie ein Deadletter-Song, und ich habe das Gefühl, dass sich viele Gruppen nicht bewusst sind, dass man das so machen kann. Nur weil unser erstes Album so klingt, wie es klingt, heißt das nicht, dass unsere nächste Platte nicht ganz anders sein kann. Sie wird von den gleichen Leuten kommen, aber klanglich vielleicht nicht das Gleiche sein."

GL.de: Eben klang es bereits an, deine Texte sind sehr wortgewandt, sie sind bereits als vertonte Poesie beschrieben worden. Wann hast du gemerkt, dass du ein Händchen dafür hast?

Zac: Ich habe immer schon gerne Texte geschrieben, aber es gab Zeiten, da schrieb ich sie nur, um irgendwas zu haben, was zur Musik passt. Als ich 20,21 war und dann - eigentlich will ich von der Zeit nicht sprechen - in der Pandemie, als ich viel für mich allein schrieb, ohne dass ich etwas von der Band hörte, das mich auf eine Idee brachte, die ich dann später zu Hause ausformulierte, das war die Zeit, in der ich mir klar wurde über die Art und Weise, wie ich schreiben wollte. Es wurde wichtig für mich, dass die Worte auch ohne musikalische Begleitung für sich etwas aussagen. Während der Pandemie habe ich angefangen, auch wieder viel mehr Literatur zu lesen. Meine Philosophie bei der Herangehensweise an das Songwriting ist, dass es kein einziges Wort gibt, das ohne Grund in einem Text vorkommt. Jedes einzelne Wort hat seinen Platz. Deshalb editiere ich meine Texte auch nicht sonderlich viel. Ich bin davon überzeugt, dass alles, was ich schreibe, einen Sinn erfüllt, und alles muss da sein, damit die Geschichte, die ich erzählen möchte, umfassend dargestellt wird.

GL.de: Wenn du sagst, dass du viel während der Pandemie geschrieben hast: Kannst du dich hinsetzen und loslegen, oder ist die Kreativität doch eher wie ein Blitzschlag: Man weiß nie, wann es einen trifft?

Zac: Es ist Letzteres. Ich habe das schon in ein paar anderen Interviews erwähnt, aber ich bin überzeugt davon, dass ein Text, wenn ich mich hinsetze und ihn schreibe, - und das Gleiche gilt für das Schreiben der Musik im Proberaum oder im Studio - in dieser Form nur in genau der Zeit entstehen kann, die ich dafür aufwende. Das finde ich geradezu unheimlich, denn wenn ich kurz zuvor ein Glas Wasser verschüttet hätte oder jemand an die Tür geklopft hätte, wäre der Text vielleicht nie geschrieben worden. Für mich geht es beim Texten deshalb vor allem um Instinkte und das Glauben an den Moment, in dem du etwas tatsächlich niederschreibst.

GL.de: Zum Schluss: Wir haben gehört, dass ihr in Gedanken schon beim zweiten Album seid?

Zac: Ja, wir haben eine Menge Ideen, und wenn alles gut läuft, sollte die nächste Platte Ende des Jahres fertig geschrieben sein, einen Großteil haben wir schon jetzt zusammen. Ich würde sagen: Es ist immer noch Deadletter, aber es wird keine stringente Fortsetzung des ersten Albums geben. Sicher wird es Momente geben, die an unsere früheren Sachen erinnern, in erster Linie aber wird es eine Fortsetzung unserer Geschichte und unserer Weiterentwicklung als Gruppe Menschen sein.

GL.de: Also keine Pause in Sicht für euch? Man muss das Eisen schmieden, solange es heiß ist?

Zac: Ganz genau! Das ist echt wichtig für uns gerade. Das ist auch keine große Sache, denn wir schreiben eh ständig neue Songs, wir haben Schwung und Antrieb, warum sollten wir da nicht eine weitere Platte in Angriff nehmen? Es ist nicht so, dass wir uns dazu zwingen mussten, alles passierte ganz natürlich, und wir hatten das Gefühl, dass es das Beste ist, einfach weiterzumachen!

Weitere Infos:
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Interview: -Carsten Wohlfeld-
Foto: -Daniel Delikantnyi-
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