Mit großer Selbstverständlichkeit machen Lyschko auf ihrem neuen Album den nächsten Schritt. Eine große Überraschung ist das nicht, schließlich hat das Trio schon einen weiten Weg hinter sich. Seit mehr als einem Jahrzehnt machen Lina Holzrichter (Gesang, Gitarre), Jonah Holzrichter (Bass) und Lukas Korn (Gitarre) nun schon gemeinsame Sache, aber ihre Begeisterung für Musik reicht natürlich noch viel weiter zurück. "Bei mir hat die Musik auf jeden Fall schon mein ganzes Leben lang eine große Rolle gespielt, einfach, weil ich schon immer gerne viel Musik gehört habe. Wenn ich in meinem Kinderzimmer Gitarre geübt habe, dann habe ich das eigentlich immer zu irgendwelchen Liedern getan, bei denen ich irgendwas drübergespielt habe oder versucht habe, sie nachzuspielen", erinnert sich Lukas im Gaesteliste.de-Interview. Neu dagegen ist, dass er die Musik inzwischen auch zum Beruf gemacht hat, seit er nicht nur mit Lyschko aktiv ist, sondern auch bei Drangsal und Mia Morgan (die auf "Niedergang II" als Gast auftaucht) in der Live-Band spielt und als Produzent arbeitet: "Das alles hat mir die Band ermöglicht, beziehungsweise ohne Lyschko wäre ich niemals an den Punkt gekommen, das machen zu können." - "Ich denke, bei Lina und mir ist es auf eine Art ähnlich", sagt Jonah. "Wir sind in einem Haushalt aufgewachsen, wo Musik auch im Alltag einfach superwichtig und superzentral war. Wir haben viel Musik gehört und auch schon als Kinder mit unserem Vater zusammen Musik gemacht. Über die Jahre hat sich einfach dieser Wunsch und dieser Gedanke, das auch beruflich machen zu können, immer weiter gefestigt. Lina arbeitet jetzt im popkulturellen Bereich, und ich habe auch angefangen, noch anderweitig Musik zu machen, sodass die Musik noch zentraler in meinem Leben ist." - "Es ist ja schwer genug, überhaupt Leute zu finden, mit denen man zusammen Musik machen kann, und deshalb war es ein großes Glück für uns, dass das so geklappt hat", ergänzt Lina. "Durch die Arbeit, die wir in Lyschko reingesteckt haben, haben wir natürlich auch andere Leute kennengelernt und auch gemerkt, was uns interessiert, und das ist dann ein immer größerer Teil geworden. Jetzt bewegen wir uns alle sehr viel im Bereich Popkultur und allem, was dazugehört."
Der Community-Gedanke, der in Linas Antwort anklang, ist tatsächlich wichtig für Lyschko, denn die drei sind nicht nur im in der DIY-Spielstätte Waldmeister, dem Kulturellen Selbstversorgungsamt in Solingen, engagiert, sondern haben vor Kurzem auch das Niedergang Festival mit befreundeten Bands in der Nachbarstadt Wuppertal auf die Beine gestellt. Ist das auch eine Art Payback, weil Lyschko gemerkt haben, dass man auch etwas zurückbekommt, wenn man etwas hineingibt? "Ich glaube, der Gedanke spielt da definitiv mit rein, weil es schon immer unser Weg war, auf diese Art Musik zu machen und als Band zu wachsen", antwortet Jonah. "Wir sind nie eine Band gewesen, die sich doll durch Internetpräsenz oder Social Media weiterentwickelt hat, das war immer eher: viele Konzerte spielen, Leute kennenlernen und Kontakte knüpfen. Ich glaube, dann ist es folgerichtig, irgendwann zu sagen: 'Okay, wir machen jetzt auch Festivals mit unseren Friends, die Musik machen', und geben so, wie du gesagt hast, auch etwas zurück." - "Ich bin sehr interessiert an diesem ganzen Community-Gedanken und auch am kollektiven Arbeiten", bestätigt Lina. "Mich interessiert nicht so sehr, wenn jemand sagt: 'Du musst dies und jenes machen.' Ich finde es viel schöner, diese besonderen Tage zu haben, wenn man entweder eine tolle andere Band kennenlernt, die mega-nett ist und ein mega-geiles Konzert spielt, oder eben bei einem Festival, wenn man merkt, dass da eine besondere Stimmung im Raum ist. Das ist auch so ein bisschen dieses Gefühl: Das haben wir alles selbst auf die Beine gestellt! Wir haben das einfach gemacht - und das hat auch geklappt!
Im Mittelpunkt steht natürlich dennoch die eigene Musik. Mit großer Dringlichkeit, einem gehörigen Schuss Theatralik und immer wieder auch mit memorablen Zeilen verhandelten Lyschko schon auf "Brennen" laut und kompromisslos Verwirrung, Isolation, Rausch und andere allgegenwärtige Themen des Hier und Jetzt. Auf der neuen Platte gibt es jetzt eine Menge neuer Facetten zu entdecken, und das ist nicht zuletzt einer veränderten Herangehensweise an die Songs geschuldet. "Ich würde sagen, dass man auf jeden Fall merkt, dass wir angefangen haben, wirklich Lieder zu schreiben, und dass das theoretisch auch Songs sind, die man vielleicht auch mal runtergebrochen nur mit der Akustikgitarre spielen könnte", sagt Lukas über den Unterschied zwischen "Brennen" und "Niedergang II". "Viele Songs auf dem ersten Album sind durch Jammen im Proberaum entstanden, als wir angefangen haben, irgendwas drauflos zu spielen, bis sich dann irgendwann ein vages Konstrukt von einem Song entwickelt hat. Jetzt haben wir uns hingesetzt und Lieder geschrieben." Das sieht auch Lina so: "Beim ersten Album waren wir während des Schreibprozesses einen Großteil der Zeit noch zu viert und haben auch mit Schlagzeug geschrieben. Ich glaube, das hat auch diesen Wechsel bedingt, von dem Lukas gerade gesprochen hat. Das ist einfach was anderes, weil es ja auch geil ist, mit einem Schlagzeug in einem Raum zu stehen und einfach loszulegen. Aus der Not heraus, weil wir keine feste Person mehr am Schlagzeug hatten, hat sich dann ergeben, dass wir das zweite Album wirklich komplett zu dritt geschrieben haben, auch wenn manchmal befreundete Personen dazugekommen und mit drüber geguckt und was dazu gesagt haben."
In Töne übersetzt heißt das: Während der Erstling oft herrlich ungefiltert geklungen hatte, ist die Balance zwischen Frust und Reflexion auf dem erneut von Tobias Siebert (Klez.e, Juli, Phillip Boa) produzierten neuen Album merklich ausgeklügelter. Ein echter Masterplan steckt allerdings nicht dahinter, verrät Jonah: "Wir haben uns kein Gesamtkonzept überlegt, aber wir haben insgesamt mehr über die Songs nachgedacht und mehr gegenseitig auf uns geachtet. Wir haben versucht, die Songs mehr als Ganzes zu sehen und nicht nur unsere eigenen Parts im Blick zu haben. Ich glaube aber, im Endeffekt funktionieren wir zu intuitiv, um im Vorhinein zu sagen: Das soll das Album werden, da soll es hingehen! Wir arbeiten eher aus dem Gefühl heraus, und am Ende fügen wir dann die Puzzlestücke zusammen."
Doch nicht nur musikalisch ist ´Niedergang II´ deutlicher als zuvor eine gleichberechtigte Zusammenarbeit der drei. Das gilt auch für die Texte zwischen Frust und Reflexion, mit denen Lyschko die eigene Verunsicherung mit spielerischer Leichtigkeit in Worte fassen, während es ihnen bei unserem Gespräch ironischerweise doch etwas schwerfällt, zu definieren, wonach sie mit ihren Texten suchen. "Das ist wirklich gar nicht so leicht zu beantworten, weil wir manchmal ziemlich unterschiedliche Vorstellungen davon haben, was ein guter Text ist", erklärt Jonah. "Ich glaube, Lina hat vor allem Interesse daran, mit Sprache zu spielen und weniger eindeutig zu sein in ihren Texten, während Lukas und ich vielleicht doch eher nach einer Geschichte suchen, der man folgen kann, oder nach einer guten Parole suchen, die einfach knallt. Vielleicht ist es auf dem neuen Album deshalb auch etwas mehr eine Mischung daraus, weil wir uns halt alle eingebracht haben, aber eigentlich nach unterschiedlichen Dingen in den Texten suchen." Lukas ergänzt: "Ich würde sagen, dass es mir hauptsächlich darum geht, dass ein Gefühl vermittelt wird, und das wird bei mir am besten mit parolenhaften Sachen ausgelöst, so etwas wie: 'Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein' von Tocotronic. Da bleiben keine Fragen offen!"
Geht es der Band am Ende also auch textlich tatsächlich eher darum, Gefühle greifbar zu machen, als eine Botschaft zu vermitteln? "Ich glaube, das ist die Art, wie wir alle am besten funktionieren", sagt Jonah. "Wir schreiben auch die Texte aus dem Gefühl heraus. Wenn uns ein Thema nicht aus dem Kopf geht, wird höchstwahrscheinlich auch ein Song darüber geschrieben werden, aber das passiert ohne Vorsatz." - "Wir sind generell nicht so gut im Vorsätze fassen, vor allem auch, was musikalische Sachen angeht", verrät Lina. "Das hat vielleicht schon mal funktioniert, aber eigentlich würde ich sagen, dass wir eher intuitiv und emotionalisiert Musik hören und auch machen, anstatt zu sagen: 'Es fehlt noch die Ballade!' oder: 'Das Album ist zu poppig, wir brauchen noch einen Rock-Song!' Klar, am Ende war es uns bei der Auswahl der Songs schon wichtig, dass ein paar von den aggressiveren Liedern noch ihren Platz finden, aber während des Schreibens hat das keine Rolle gespielt."
Klanglich war nicht zuletzt die deutschsprachige Popmusik der Nuller-Jahre von Juli oder Wir Sind Helden ein Einfluss, und Lukas verrät auch, dass Lina während der Entstehung von "Niedergang II" viel Rosenstolz gehört hat, doch das war noch nicht alles. "Für mich waren in jedem Fall immer die Hits von The Cure ein Vorbild, weil die super-poppig sind, aber trotzdem noch dieses Gefühl, von dem ich eben gesprochen habe, in den Vordergrund stellen und dabei super-traurig sind", sagt Lukas. Besonders "Lovesong" von The Cure war der Band ein leuchtendes Beispiel als eine Nummer, die musikalisch minimal ist und trotzdem maximale Gefühle auslöst.
Dass die Songs dieses Mal nicht im Proberaum laut und rau und mit einem Schlagzeug im Rücken entstanden sind, hinterließ ebenfalls Spuren und eröffnete der Band ganz neue Möglichkeiten, sich klanglich auszubreiten. Beim Hören des neuen Albums wird deshalb schnell deutlich, dass Pop dieses Mal kein böses Wort für Lyschko ist, wenn sie auf den Spuren der Idole ihrer Kindheit ohne Scheu vor großen Gesten den Geist der alten Zeiten in die Gegenwart tragen. "Ich glaube, wir hatten einfach Bock, auch mal einen guten Popsong zu schreiben, und haben uns dementsprechend vielleicht auch ein bisschen mehr von solchen Strukturen leiten lassen", sagt Jonah, und Lukas ergänzt: "Ich denke, dass das auch dem veränderten Schreibprozess geschuldet ist. Wenn man zusammen mit einem Schlagzeuger oder einer Schlagzeugerin in einem Raum spielt, dann wird man am euphorischsten, wenn es laut ist und wenn man Krach macht. Wenn man dann nur zu dritt vor den Monitorboxen sitzt, hat man diese euphorischen Momente eher, wenn man merkt: 'Krank, der Chorus geht gerade mega auf', oder: 'Krass, die Vocal-Melodie macht etwas mit mir!' Ich denke, da hat sich ein bisschen die Gewichtung verändert." - "Das heißt aber nicht, dass das eine besser als das andere ist", fügt Lina hinzu. "Ich kann mir auch vorstellen, dass wir es irgendwann vielleicht auch noch mal geil finden, uns eine Woche mit Schlagzeug einzuschließen und zu gucken, was dabei herumkommt, wenn wir zu der alten Herangehensweise zurückkehren. Dieses Mal war es für uns einfach spannend, einen anderen Ansatz auszuprobieren und das auch bis zum Ende durchzuspielen, um zu sehen, was passiert, wenn wir wirklich zu dritt konsistent und konzentriert arbeiten, wenn wir uns jeden einzelnen Part genau angucken und wir alle immer wissen, was genau die anderen machen."
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