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GWEN DOYLN
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"Meine Waffe ist die Verletzlichkeit"
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Eigentlich ist die Berliner/Darmstädter/Chemnitzer Musikerin Gwen Dolyn ja schon eine ganze Weile im Geschäft. So begann sie bereits früh, Musik zu machen und Songs zu schreiben, knüpfte über die heute Okta Lounge bekannte Psychedelia-Band erste Kontakte in der Szene und begann auch schon 2017 damit, erste Tracks ins Web zu stellen - zunächst Coverversionen, dann aber auch eigene Tracks, die sie 2020 mit einer ersten EP namens "Things To Tell A Crying Girl" zusammenfasste, der dann 2022 die EP "Komm schon" folgte. Dass es dann noch bis jetzt dauerte, bis ihre erste LP "X-Rated Feelings" fertig gestellt werden konnte, hat damit zu tun, dass Gwen Dolyn 2023 in Leipzig Steffen Israel von der Band Kraftclub kennen lernte und beide aus einer Laune heraus beschlossen, den Track "Duell der Letzten" von Chaos Z neu einzuspielen. Das machte den beiden so viel Spaß, dass sie beschlossen auch eigene Stücke zu fabrizieren und unter dem Projektnamen Tränen dann auch unters Volk zu bringen. Vom Erfolg ihrer LP "Haare eines Hundes" wurden Gwen und Steffen dann ziemlich überrascht, denn das Projekt Tränen ging damit durch die Decke und führte auch zu einer ausverkauften Headliner-Tour. Ihre Solo-Karriere hatte Gwen Dolyn deswegen aber noch lange nicht aus den Augen verloren und veröffentlichte eine Reihe von Singles, die sich nun - ein gutes Jahr später - auch auf ihrem Debüt.Album "X-Rated Feelings" wiederfinden.
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Das Projekt Tränen kam dann also sozusagen dazwischen? "Ja, das hat sich einfach so ergeben, als ich Steffen durch seinen Podcast kennengelernt habe", erklärt Gwen, "ich hatte mit meiner Band Toyboys zuvor ja schon 'Dr. Murkes' von EA80 gecovert und dachte mir dann, dass es doch cool wäre, 'Duell der Letzten' von Chaos Z zu covern. Das hat sich dann alles so ergeben und kam dazwischen. Dadurch, dass das alles sehr schnell ging, habe ich das Momentum dann genutzt.” Damit wären wir langsam auch schon bei der Musik, die Gwen Dolyn heute macht - denn dort sind dann so ziemlich alle Bestandteile dessen enthalten, was sie in ihrer Karriere schon mal ausprobiert hat. EA80 und Chaos Z sind ja zum Beispiel klassische Deutschpunk-Bands der ersten Stunde. Auf "X-Rated Feelings" findet sich aber zum Beispiel auch eine Coverversion des NDW-Klassikers "Dein ist mein ganzes Herz" von Heinz Rudolf Kunze. Andererseits bleibt Gwen aber keineswegs bei der deutschen Schule des Musikmachens, sondern referenziert in den englischsprachigen Tracks "After You Left My Body" und "Well Educated Brat" beispielsweise David Bowie oder Nirvana. Ihr Track "Benzos & Blut" kommt als astreiner, höchst effektiver Club-Tracks daher während "Ertrinken" klassischer New Wave-Pop ist. Das mit der befreundeten Band Mamoré eingespielte "Blut auf dem Rasen" könnte als Folktronica-Ballade durchgehen und das abschließende "F.u.K" ist mit Elektro-Punk-Versatzstücken angereichert. Die Liste von Gwens Inspirationsquellen nimmt kein Ende und enthält so unterschiedliche Sachen wie die Beatles, Creedence Clearwater Revial, Kate Bush, The Gits, Brody Dale, The Sex Pistols, Hans-A-Plast, Toxoplasma, Tallest Man On Earth, Bombay Bicycle Club und Elliott Smith.
Wie kann man das eigentlich alles unter einen Hut bringen, ohne sich dabei zu verzetteln? “Also, ich wünschte, ich wäre da strukturierter und ich beneide KünstlerInnen, die sich hinsetzen können und sagen: 'Ich schreibe jetzt ein Konzeptalbum zum Thema Milkshake'. Bei mir ist das aber so, dass die Themen aus meinem Leben heraus kommen und ich brauche das auch und ich renne immer herum und schreibe in meinem digitalen Notizbuch alles auf, was mir einfallt. Entweder habe ich dann Zeitdruck und weiß, dass jetzt ein Song entstehen muss und setze mich dann hin, um etwas zu machen - oder aber ich gehe an einen anderen Ort, wo ich mit Gitarre oder Keyboard ganz viele Sachen ausprobiere. Ich würde also sagen, dass alle Songs aus meinen Gefühlen kommen. Das sind dann aber immer nur so Skizzen, und die muss ich dann ausbauen.” Und wie kommen die unterschiedlichen Musikstile da zusammen? "Ich habe gestern für ein anderes Magazin eine Playlist erstellt", führt Gwen aus, "Das sind 30 sehr unterschiedlichen Songs - von südamerikanischer Folklore über italienischen Schlager, deutsche 20er Jahre Sachen bis zu 10er Jahre Indie aus Amerika und UK-Punk. Und genauso wie diese Playlist bin auch ich. Das sieht man auch auf dem Album. Ich glaube bei zukünftigen Alben ist das ein bisschen anders - aber dieses Album ist wie ein Querschnitt der letzten vier Jahre für mich.” Gwen singt ja sowohl auf Englisch, wie auch auf Deutsch. Wie entscheidet sich eigentlich die Frage nach der verwendeten Sprache bei Gwen Dolyn? "Grundsätzlich denke ich über alles immer neu nach, weil ich ein hyperaktives Gehirn habe", meint Gwen, "auch wenn vieles am Ende sozusagen 'into place' fällt, bin ich doch nie so frei, wie ich es gerne sein würde. Ich wünschte mir manchmal, dass ich eine Künstlerin wäre, die einen Joint raucht und einfach drauflos schreiben könnte. Ich weiß nicht - wie entscheide ich das denn jetzt mit der Sprache? Es ist tendenziell so, dass ich erst auf Englisch singe. Ich spreche zwar sehr gut Englisch - aber es ist nicht die Sprache, in der ich Kind war; und deswegen ist sie mir nicht so schnell unangenehm. Wenn ich dann etwas auf Englisch aufgeschrieben habe, dann habe ich in den letzten drei Jahren festgestellt, dass es mehr weh tut, wenn ich es dann auf Deutsch mache. Es ist nicht schwieriger - aber es klingt anders. Irgendwie ist man ja auch in jeder Sprache ein anderer Mensch. Ich bewundere die Leute in der Schweiz, die neben Deutsch und Schweizerdeutsch ja auch noch Französisch und Italienisch verfügen und am Ende dann sogar auch noch Englisch können. Es macht halt irgendetwas mit dem Gehirn, wenn man so viele Sprachen kann. Ich bin da leider sehr eingeschränkt. Auf Deutsch zu schreiben ist nicht schwieriger an sich. Der Anspruch ist anders und die Sprache verhält sich anders als Englisch. Es ist viel schneller unangenehm cheesy. Und das ist etwas, was man gerade in der aktuellen Popmusik wieder sehr gut wahrnimmt. Vieles, was ich dort höre wäre, ist im Amerikanischen irgendwie machbar - ist aber im Deutschen einfach nur ultra-unangenehm.” Wie vermeidet Gwen Dolyn denn diesen Effekt? "Für mich ist es wichtig, dass es so direkt wie möglich ist - und damit unangenehm. Die Sache ist die, dass Sachen für mich schnell unangenehm sind - nicht peinlich, sondern direkt. Ich versuche dann, Füllsel wegzulassen und so schnell wie möglich zum Punkt zu kommen, auch wenn der schmerzt."
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In einem Interviews sagte Gwen, dass sie ihre Musik schon ernst nehme - aber immer mit einem Augenzwinkern. "Ja", bestätigt Gwen, "ich nehme meine Musik schon alleine deswegen ernst, weil sie in den letzten Jahren mehr als je zuvor quasi meine Überlebensstrategie geworden ist. Ich habe einen Bachelor und einen Master und habe auch versucht, in Büro-Jobs zu arbeiten - aber das funktioniert für mich wirklich nicht. Insofern nehme ich meine Kunst ernst, weil ich das das Einzige ist, was mich wirklich an die Welt bindet. Auf der anderen Seite finde ich es unerträglich, wenn sich Menschen online komplett ohne zweite Ebene zeigen. Es gibt so Online-Poeten, die richtig unangenehm sind und ich denke mir dann immer: 'Leute, lacht doch mal!' Einen lustigen Moment gibt es doch schließlich immer, denn für verschiedene Emotionen muss man im richtigen Modus sein. Wenn man mit diesem Bewusstsein dann seine Musik veröffentlicht, dann holt man halt manche Leute ab und manche nicht. Ich bin auch ein sehr humorvoller Mensch und so ist es mir auch wichtig, mich selbst zu sehen. Meine Omi sagt auch immer: Man kann's nur mit Humor ertragen.” Ist es Gwen dann ein besonderes Bedürfnis sich als Künstlerin zu verwirklichen (so malt sie ja beispielsweise auch)? "Ich würde mir manchmal wünschen, dass es mehr so wäre, dass es einfach nur ein Bedürfnis ist, dass ich stillen kann - so wie zum Beispiel zu trinken", überlegt Gwen, "aber ich finde es auch extrem anstrengend. Denn ich bin niemand, der die Leichtigkeit mit Löffeln gefressen hat und dann kommt irgendwann die Muse und dann mache ich irgendetwas. Ich renne hingegen schon mein ganzes Leben mit einem extremen Druck und einem extrem überaktiven Hirn rum und mache mir unglaublich viele Sorgen über alles und versuche etwas zu machen und diese Selbstgenügsamkeit zu bekommen, die mit bisher einfach fehlt.” Was bedeutet Musik denn für Gwen Dolyn? "Das mag sich jetzt banal anhören - aber Musik ist halt überall und ein Weg, sich zur Welt zu connecten", führt Gwen aus, "ich glaube auch, dass Leute, die Lyrik schreiben ohne Musik zu machen, wahrscheinlich ähnliches sagen würden. Im Endeffekt gibt es ja - zumindest bei mir aber bestimmt auch bei anderen Menschen und solchen, die keine Musik machen - diese große Sehnsucht, sich zu connecten. Irgendwie habe ich immer dieses Gefühl, dass ich hinter einem großen Schleier oder einer durchsichtigen Wand bin und mich nichts so richtig berühren kann. Selbst wenn ich auf einem wunderschönen Fels spazieren gehe und es wunderschöne Farben gibt und die Luft toll ist. Ich weiß noch, dass ich mir als Kind immer gewünscht habe, dass ich mich in Wind auflösen könnte oder eine Materie, die in die Bäume reingehen kann. Und so etwas ist für mich Musik - bzw. hat Musik das Potential wirklich in andere Materie oder sogar in mich eindringen zu können. Das führt dazu, dass ich manchmal wochenlang gar keine Musik höre, weil ich das einfach nicht ertrage. Musik ist also etwas sehr intensives, das einen mit der Welt verbindet.” Manche Leute bezeichnen Musik ja auch als Religion. "Ja, das sagen viele - und ich frage mich dann immer, ob sie die Musik dann anbeten? Für mich gibt es so richtig keine Religion - ich würde mir das aber wünschen. Ich wünschte, ich hätte eine Religion - gerade an Tagen wie gestern, wo Trump wiedergewählt worden ist. Eine Struktur, in die man sich fügen kann und an die man glaubt und von der man erwartet, dass sie einem weiterhilft.”
Wie funktioniert denn das Songwriting bei Gwen Dolyn? "Das Musik-Schreiben kommt im besten Fall aus irgendeinem Schmerz heraus - der irgendwohin muss. Manchmal ist es so, dass man sich wie in einer Expositionstherapie die ganze Scheiße immer wieder anhört, dann verliert es seine Schärfe. Beispielsweise habe ich die erste Demo zu 'After You Left My Body' geschrieben, als ich ultra-traurig war - zwei Jahre nach dem Schwangerschaftsabbruch, um den es da geht. Ich würde mal sagen, dass mir das gut getan hat. Deswegen bin ich nicht weniger traurig, aber jetzt, wo es diesen Song gibt, gibt es eine Art kleiner Erleichterung.” Gibt es da eigentlich Grenzen, was solche persönlichen Dinge geht? Man macht sich ja schließlich verletzlich, wenn man sich so öffnet. "Ja, total", stimmt Gwen zu, "den Leuten, die mich auf der Bühne sehen, ist es ja nicht so klar, weil die mich ja nicht richtig kennen - aber klar ist das ja total intim. Ich habe aber momentan einfach keine andere Möglichkeit. Meine Waffe ist die Verletzlichkeit - ich habe keine andere Wahl."
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Kommen wir mal zur Musik als solcher. Die Scheibe ist ja von Max Rieger von den Nerven und Thomas Zehnle produziert worden. Warum gab es zwei Produzenten und welche Aufgaben hatten die? "Max hatte nur ganz kurz Zeit und deswegen musste ich den Rest mit seinem Freund Thomas machen", verrät Gwen, "so habe ich Thomas kennengelernt und der spielt jetzt auch live bei mir Bass. Normalerweise ist das so, dass ich mit einem Demo komme, auf dem ich nur ein bisschen Gitarre oder Keyboard spiele und dazu singe und im Fall von den Songs, die ich mit Max gemacht habe waren auch schon drumbeats dabei. Max und Thomas arbeiten vollkommen gegensätzlich. Thomas ist sehr technisch und logisch und Max sehr intuitiv. Das ist auch der Grund, warum ich mit Max nur ganz kurz gebraucht habe, um im Endeffekt fünf Songs fertig zu stellen. Beide haben mir aber geholfen, die Struktur hinzubekommen und die Atmosphäre, die ich mir gewünscht habe und mit meinen eingeschränkten instrumentalen Fähigkeiten alleine nicht hinbekommen habe. Bei den beiden Elektrosongs hat Thomas auch die Beats programmiert.” Was ist denn die größte Herausforderung als Songwriterin? Vielleicht vor einem leeren Blatt zu sitzen und dann irgendwo anfangen zu müssen? "Ja - ich finde das ganz furchtbar", meint Gwen, "ich hasse das - wie auch Proben für Konzerte. Diese unfertigen Sachen empfinde ich als Qual.” Nicht dass man das den Konzerten von Gwen Dolyn irgendwie anmerken könnte, denn diese sind ebenso facettenreich, überraschend und auf sympathische Weise unstrukturiert wie ihre LP - und wie sie selbst. Davon kann man sich auf der anstehenden Tour überzeugen.
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Weitere Infos:
www.gwen-dolyn.com
www.instagram.com/gwen.fm www.youtube.com/@Gwen_Dolyn/videos
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Interview: -Ullrich Maurer- Foto: -Stefanie Schmid Rincon-
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Aktueller Tonträger: X-Rated Feelings (Duchess Box/Bertus)
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