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JOHANNA AMELIE
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"Mein Leben ist zu kurz, um in der Musik Kompromisse zu machen"
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Große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus: Im kommenden Jahr plant Johanna Amelie die Veröffentlichung eines neuen Albums, und gemeinsam mit ihrer Hannoveraner Kollegin SOBI möchte sie auch eine Reihe mit familienfreundlichen Konzerten aus der Taufe heben ("Wir wollen einfach ein bisschen die Strukturen sprengen!", sagt sie selbst), doch schon jetzt schlägt die in Berlin heimische Singer/Songwriterin, Musikerin und Produzentin ein neues Kapitel auf: In den Songs ihrer just erschienenen EP "Horizon" verbindet sie die analoge Handwerkskunst, die zuvor bei ihren Liedern stets im Mittelpunkt stand, mit sanften elektronischen Beats und rückt so ein Stück weit näher an den Pop-Zeitgeist heran. Im Gaesteliste.de-Interview spricht sie über veränderte Lebensumstände, neue musikalische Herausforderungen und ihre anhaltende Sorge um unseren Planeten.
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"Musik hat für mich immer eine große Rolle gespielt", verrät Johanna Amelie bei unserem Gespräch. Ich würde sagen, dass das der rote Faden in meinem Leben ist, weil ich schon als Kind Musik gemacht und miterlebt habe, da meine Eltern und Großeltern Musikerinnen und Musiker sind. Anfangs war das natürlich nur ein Hobby, aber dann habe ich beschlossen, das auch beruflich zu machen, und deshalb das Fach Musikproduktion studiert. Da habe ich zum ersten Mal gemerkt, dass die professionelle Beschäftigung mit Musik vieles verändert hat. Ich hatte eine Phase, wo alles sehr analytisch war und wo ich auch gar nicht mehr richtig auf Konzerte gehen oder Alben von meinen Lieblingsartists hören konnte, ohne alles ständig zu analysieren oder auch da reinzuprojizieren: Wie würde ich das machen? Da hat sich auf einmal eine völlig neue Welt aufgetan."
Drei Alben und mehrere EPs hat Johanna innerhalb von nur fünf Jahren zwischen 2018 und 2022 veröffentlicht, arbeitete mit Moritz Krämer oder Tristan Brusch zusammen, und am Ende war es nicht etwa die Pandemie, sondern schlichtweg das Leben, das sie eine Auszeit nehmen ließ. Nach einem Jahr Elternzeit meldet sie sich nun mit "Horizon" zurück und setzt dabei nicht nur klanglich neue Prioritäten. "Jetzt, in einer Phase meines Lebens, in der ich auch Mutter bin und viele Verantwortungsbereiche jongliere, ist das Musikmachen eine Art Luxus, und ich freue mich immer wahnsinnig, wenn ich es schaffe, jeden Tag eine Stunde in mein Studio zu gehen, um zu üben oder zu komponieren", gesteht sie. Gleichzeitig haben aber auch die post-pandemischen Umwälzungen in der Unterhaltungsindustrie, die es gerade kleineren Acts heute nicht leichter machen, dazu beigetragen, dass sie ihr Tun jetzt mit etwas anderen Augen sieht: "Zuvor war ich sehr darauf fokussiert, von der Musik 100% zu leben, deshalb war ich ja auch sehr viel auf Tour", erzählt sie. "Inzwischen hat sich das Ganze auch wirtschaftlich so verändert, dass es viel aufwändiger ist, da durchzukommen. Das hat dazu geführt, dass ich nach neuen Wegen suche, Musik zu machen: So, dass es mir damit gut geht und ich aber auch weiterkomme."
Auch deshalb hat sich Johanna nun in puncto Plattenfirma, Verlag und Booking neu aufgestellt. So erscheint die neue EP bei Listenrecords, dem Berliner Label, auf dem auch CATT, Charlotte Brandi oder Joy Bogat zu Hause waren oder sind. "Ich habe Leute gewählt, die mich da abholen können, wo ich gerade stehe", erklärt sie. "Das fühlt sich für mich tatsächlich an wie ein Neuanfang." Wichtig war ihr dabei, mit Menschen zusammenzuarbeiten, die ihre Absichten als Künstlerin verstehen und sie auch nicht verbiegen wollen. "Ich bin davon überzeugt, dass es auf diesem Planeten genug Menschen gibt, die meine Musik mögen könnten", sagt sie und muss lachen. "Wenn ich diese Menschen erreichen kann, dann kann ich auch davon leben. Das ist schon mein Plan, aber ich möchte dafür nicht um jeden Preis alle Trends mitmachen oder mich verstellen müssen, um anderen zu gefallen. Mein Leben ist zu kurz, um in der Musik Kompromisse zu machen und Abkürzung zu finden zum vermeintlichen Erfolg. Das ist nicht mein Weg!"
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Wie es klingt, wenn Johanna ihrer eigenen Vision folgt, kann man nun auf der ´Horizon´-EP hören, denn mit den bei einer dreiwöchigen Artists-Residency in Paris entstandenen Songs löst sie sich soundtechnisch ein Stück weit von alten Mustern. "Der wichtigste Unterschied ist sicherlich, dass ich die Songs dieses Mal allein geschrieben habe", sagt sie. "Bei der Platte davor habe ich ja sehr viel mit anderen Künstlerinnen und Künstlern zusammengearbeitet, und das war auch cool, aber in Paris war ich halt ganz allein, und ich habe mich gefragt: Wenn ich mich allein ausdrücke und Arrangements mache – wie soll das klingen? Das Ergebnis habe ich in dieser EP eingefangen."
Trotz vieler Veränderungen ist ´Horizon´ aber natürlich keine komplette Kehrtwende. Wenn Johanna in ihren Liedern Liebe, Trauer und Klimawandel in den Fokus rückt, knüpft sie damit an die Vergangenheit an. "Ich kann am besten über Sachen schreiben, die mich wirklich berühren und für mich ein Gefühl von Dringlichkeit und Wichtigkeit besitzen", erklärt sie. "Das kann Romantik oder Trauer sein, aber eben auch dieses: Hallo, die Welt geht gerade kaputt, und es ist nicht zu sehen, dass das Steuer herumgerissen wird." Mit dem Christine & The Queens-Cover "Comme si" führt sie zudem eine kleine Tradition fort, denn französischsprachige Songs hatte es auch schon auf früheren Veröffentlichungen von ihr gegeben. "Im Original haben Christine & The Queens den Song auf Englisch und Französisch herausgebracht", erzählt Johanna. "Weil ich beide Versionen cool fand, wollte ich eine Art Remix machen. Weil ich ja in Paris war und auch Französisch spreche, war ich einfach inspiriert, eine Künstlerin von dort zu covern." In "Greece" verarbeitet Johanna derweil eine Trauererfahrung. "In dem Song habe ich zwei Bilder vermischt", verrät sie. "Es gibt ein Foto, wo ich in Griechenland bin mit einer Katze auf dem Arm - das ist für mich ein ganz starkes Bild von Familienurlaub. Ich habe dann versucht, diese Kindheitserinnerung in eine Art Familiendrama umzuschreiben." Auf den Spuren von Orpheus und Eurydike erzählt sie von einem magischen, griechischen Ort, der bekanntlich Unmögliches möglich macht, nämlich Verstorbene ins Leben zurückholen zu können.
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Im Mittelpunkt steht aber die berührende Klavierballade "Tide", die es auf "Horizon" in gleich zwei Versionen zu hören gibt: In der ausproduzierten Studioversion und in einer herrlich reduzierten Live- Session-Version. Inhaltlich nimmt Johanna in dem Lied Themen auf, die ihr schon lange wichtig sind und nun für sie mit Blick auf die Zukunft ihres Kindes nun noch einmal an Bedeutung zulegt haben: den fortschreitenden Klimawandel und die Verschmutzung der Weltmeere, oder wie sie es selbst mit bitterer Ironie in dem Song ausdrückt: "We don't want to talk about anything until the end of the world is officially cancelled." In gewisser Weise schließt sie damit an ´Earth Wanted Plastic She Didn’t Know How To Make It´, der ähnlich inspirierten Single aus ihrem 2022er-Album "Fiction Forever". Das eindringliche Bild der kilometerhoch steigenden Wellen in "Tide" hat sich Johanna aus dem Sci-Fi-Film "Interstellar" geborgt hat. Die bedrohlichen Wellen sind für Johanna eine Metapher für den Moment der Realisation, dass die Menschen ihren Lebensraum zerstören und das nicht rückgängig gemacht werden kann. "Dieses Bild hat mich total geprägt", verrät sie. "Die Angst, die das in mir ausgelöst hat, habe ich in den Song gepackt, weil ich denke, dass es wichtig ist, darüber zu sprechen, denn das beschäftigt mich nach wie vor."
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Weitere Infos:
www.johannaamelie.com
www.facebook.com/johannaameliemusic www.instagram.com/johannaameliemusic
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Interview: -Carsten Wohlfeld- Foto: -Steffi Rettinger-
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Aktueller Tonträger: Horizon EP (Listenrecords)
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