"Früher habe ich Musik eher für mich gemacht, denn weil ich eher schüchtern bin, habe ich mich lange nicht auf Bühnen getraut", verrät Maxi im Gespräch mit Gaesteliste.de. "Anfangs war das einfach nur für mich, weil mir das Spaß gemacht hat und Halt gegeben hat beim Verarbeiten vieler Sachen. Inzwischen mache ich Musik aber nicht mehr nur für mich." Tatsächlich ist der Weg von queer-feministischem Gedankengut zu authentischer 90er-Jahre-Indierock-Seligkeit auf "Amity Island" ganz kurz, und deshalb sind diese Songs keinesfalls nur für ein kleines Nischenpublikum gedacht. "Das ist schon Musik für alle", stimmt Maxi zu, "ganz egal, ob Leute sich davon angesprochen fühlen, ob sie sich damit identifizieren können oder ob die Songs Denkanstöße geben. Ich habe einfach Bock, mich mitzuteilen und Menschen auf verschiedenste Art und Weise zu erreichen und zu berühren."
Bevor es für Shitney Beers im Januar, Februar und März 2025 auf große Tournee durch ganz Deutschland geht, konnte man Maxi solo oder mit Band schon vor der Veröffentlichung des neuen Albums immer wieder auch im Vorprogramm von Acts erleben, bei denen man das auf den ersten Blick vielleicht nicht vermutet hätte. Wie das ist, wenn man sich aus der eigenen Nische herauswagt, konnte Maxi im vergangenen Jahr bei hochkarätigen Supportshows für Sportfreunde Stiller und Fjørt oder Frank Turner austesten: "Ich finde, auch wenn es immer noch viel Sexismus gibt und lange noch nicht alles super ist, sieht man halt schon, dass inzwischen öfter Bands mit Endo-CIS-Männern kleinere FLINTA*-Acts auf Tournee mitnehmen. Die anderen Supportacts bei Sportfreunde Stiller waren ja Get Jealous und Blush Always, und das finde ich schon ganz cool. Die Beatstakes nehmen ja auch oft FLINTA*-Acts mit, und auch Kafvka haben einen Aufruf gestartet, dass sie gerne FLINTA*-Voracts hätten."
Dass diese Auftritte bisweilen einen Sprung ins kalte Wasser bedeuten, ist Maxi bewusst, ohne dass es deshalb ein großes Problem wäre: "Mittlerweile nehme ich einfach, was kommt, und ob es passt oder nicht, sehen wir dann. Bei Frank Turner war das krass. Hamburg war die größte Show, die ich jemals gespielt haben. Da waren 5000 Leute und die waren mucksmäuschenstill! Das habe ich nicht erwartet, weil Frank ja total eingefleischte Fans hat, für die er das Nonplusultra ist, und da habe ich mich schon gefragt: Kann ich da denn mithalten? Ich bin von jedem Publikum immer wieder überrascht!"
Einen Satz nach vorn machen Shitney Beers aber nicht nur auf der Bühne, sondern nun auch auf Platte. Duellierten sich auf "This Is Pop" noch zerbrechliche Nummern mit betont reduzierten Arrangements und kratzbürstig-punkigen Songs, steht auf "Amity Island" ein muskulöser Bandsound mit 90er-Jahre-Slacker-Vibes klar im Mittelpunkt. Bemerkenswert ist dabei vor allem, wie authentisch Maxi gemeinsam mit Kevin Kuhn am Schlagzeug, Gary Szabo an der Gitarre, Raphi Stoltenberg am Bass und Obi an den Tasten und Gästen wie Brockhoff, Blondine Morrisson, Hannah Louve Benedum, Nix Kiepe oder Andergraben, die Stimme, Gitarre oder Cello beigesteuert haben, den Sound der 90er in diesen neuen Songs abbildet, anstatt sich der verwässerten Variante zu widmen, die es heute an jeder Ecke von Phoebe-Bridgers-Wannabes zu hören gibt. "Ich denke, das ist schon irgendwie Konzept", sagt Maxi. "Mein Musikgeschmack ist ziemlich nischig, was die 90er-Jahre angeht, und ich bin da schon ziemlich tief drin. Ich höre außer dem Zeugs von meinen Friends gar nicht viel neue Musik, ich bin viel mehr in der Musik der 80er und 90er drin. Ich höre Dinosaur Jr., Pavement, Elliott Smith, Tad und Sebadoh - ich liebe Lou Barlow, und auch R.E.M. sind eine der größten Bands für mich!" Die Einflüsse waren aber nicht nur während des Songwritingprozesses wichtig, sondern hinterließen auch bei den Sessions im Studio Spuren. "Wir haben uns bei den Aufnahmen ein Mood-Board gemacht, und da habe ich gesagt, dass das Album klingen soll wie 'Terror Twilight' von Pavement, 'Summerteeth' von Wilco und 'Chutes Too Narrow' von The Shins", verrät Maxi. "Ich bin da schon sehr eigen und möchte, dass meine Vision da verwirklicht wird und es so klingt, wie ich das möchte."
Inhaltlich fasziniert Maxi wie schon auf den ersten beiden Shitney-Beers-Alben "Welcome To Miami" (2021) und "This Is Pop" (2022) mit mitten aus dem Leben gegriffenen Texten, auch wenn der Bogen dieses Mal deutlich weiter gespannt ist: Misgendering, der richtige Crush zur falschen Zeit oder das Festklammern an Dingen, die losgelassen werden wollen, sind nur drei der Themen, die Shitney Beers auf "Amity Island" anschneiden. Geblieben ist das feine Händchen, auch ernsthafte Inhalte klug zu reflektieren, neu dagegen ist die Leichtigkeit, mit der Shitney Beers inzwischen oft zu Werke gehen. "Ich finde, man merkt dem Songwriting einerseits an, dass ich gewachsen bin, aber andererseits auch, dass ich mich und meine Probleme nun ein bisschen weniger ernst nehme", sagt Maxi über den Unterschied zwischen "Amity Island" und dem Vorgänger. "Deshalb sind jetzt auch viel mehr witzige, spaßige Songs auf der neuen Platte."
Wenn Maxi dem Ernst des Lebens mit einem Augenzwinkern begegnet, dann neigen die Lieder auf "Amity Island" stärker zu den Extremen. Die Songs, die witzig sind, sind bisweilen geradezu albern (man höre nur "Simp", eine Nummer über einen gastroenterologischen Notfall im Skiurlaub), während die Lieder, die einen ernsteren Hintergrund haben, tiefgründiger und eindringlicher sind als je zuvor. "Einerseits ist es schon überlegter, aber andererseits auch unüberlegter, wie zum Beispiel bei 'Septic Tank' oder 'Simp'", sagt Maxi. "Ich habe in den letzten Jahren gelernt, mich selbst ein bisschen auf die Schippe zu nehmen. Ich erinnere mich, dass ich beim letzten Album in Interviews oft gesagt habe, dass es ums Scheitern geht - und das war auch wirklich so -, aber bei der neuen Platte sage ich mir nun: Scheitern ist nicht unbedingt schlecht, es ist okay, zu scheitern."
Bisweilen geht es aber auch genau darum, die eigenen Probleme am Schopf zu packen und zu überwinden. Mit dem am Anfang der LP stehenden Song "Intro" schlägt Maxi ganz leise mit Banjo und Stimme den Bogen zurück zu den solistischen Anfängen, allerdings steht weniger der klangliche Rückbezug als der inhaltliche im Vordergrund. "I've been sober for / Almost 12 whole months / I can't fuck this up / I won't fuck this up" heißt es da, bevor das Lied mit dem Mantra "No more hurting friends / No more Carelessness / No More selfharm now / No more helplessness" endet. "Ich trinke jetzt seit zweieinhalb Jahren nicht mehr, und das war auf jeden Fall ein heftiger Weg", erinnert sich Maxi. "Der 'Intro'-Song ist so ein bisschen ein 'Das muss noch ganz kurz raus, bevor alles andere kommt.' Ab da gibt es jetzt einen Cut, ich habe ein neues Leben angefangen, und was danach kommt, ist Spaß! Das ist ein 'Was bisher geschah...'"
Ein wenig kann man sich dabei einbilden, dass es Maxi leichter fällt, viele Gedanken in Songform auszusprechen als sie in einem direkten Gespräch zu äußern. "Auf jeden Fall! Gerade, wenn ich eine Person gut finde, dann sorge ich sehr oft dafür, dass die Person das nicht direkt weiß, und schreibe lieber einen Song darüber." Doch wie entscheidet sich dann, was ein Song wird und was nur eine private Erinnerung bleibt? "Das ist mega-unterschiedlich. Manchmal sind Sachen direkt da, und weil ich nicht weiß, wie ich damit umgehen soll, schreibe ich dann einen Song darüber. Aber manchmal daddel ich auch einfach auf der Gitarre herum, und dann ist es am Anfang eher eine Art Fantasiesprache, bis ich anfange, einzelne Wörter zu benutzen, und dann denke ich: Ah, es wäre cool, darüber mal einen Song zu machen!"
Ein Beispiel dafür, dass der Zufall bisweilen die besten Songs schreibt, ist der dem Album als erste Single vorausgeschickte Ohrwurm "Maya Hawke". "Drei Akkorde machen schon viel her, wenn man sie mit einem lässigen Solo und einer eingängigen Synthmelodie paart. Um Maya Hawke zu beeindrucken, wird's zwar nicht reichen, aber der einfache Geist gibt sich mit dem Simplen zufrieden", lässt sich Maxi im Presseinfo zitieren und fügt bei unserem Gespräch hinzu: "Eigentlich wollte ich gar nicht, dass der Song auf dem Album landet. Für mich war das so ein Dulli-Song, und es konnte ja niemand wissen, dass den alle so gut finden! Die Band, das Label - alle finden den total gut! Das ist halt so ein Song, der in zwei Minuten entstanden ist, und das sind nur drei Akkorde. Eigentlich geht es auch eher um USA-Kritik als um Maya Hawke! Der Name hat einfach gut reingepasst!"
Dagegen wird bei "N4N" gleich schon bei den ersten Zeilen "Is it my hair or is it my stare that makes you think you can call me a girl" klar, dass es um Misgendering geht, oder wie Maxi das zur Veröffentlichung der Single bereits ausführlich erklärte: "Es geht um meine ganz persönliche Erfahrung und mein Gefühl, was wahrscheinlich nicht alle nicht-binären Menschen teilen. Hier geht es nur um mich. Ich bin es leid, mich zu entschuldigen, bevor ich Leute verbessere, ich bin es leid, mich ständig erklären zu müssen, ich bin es leid, immer noch das Wasser testen zu müssen, bevor ich mich sicher genug fühle, mich zu outen, ich bin es leid, mich bei jeder neuen Person, die ich kennenlerne, überhaupt outen zu müssen, ich bin es leid, ständig auf andere Rücksicht zu nehmen, obwohl sie mich verletzen, ich bin es leid, mir von Leuten erklären zu lassen, dass das doch nicht sein kann, weil ich so feminine Gesichtszüge habe, ich bin es leid, in Artikeln oder Interviews immer noch Frontfrau, Sängerin, Songwriterin genannt zu werden."
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