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SOPHIE JAMIESON
 
Gewebte Songs
Sophie Jamieson
Als die britische Songwriterin Sophie Jamieson 2014 mit ihrer ersten EP "Where" auch durch unsere Republik tourte, war die Welt ja noch grundlegend eine andere. Die Krisen, die uns heute die gute Laune verderben, waren weiland ja noch in weiterer Ferne und es sprach eigentlich nichts dagegen, dass Sophie mit ihren Songs, die Kollege Carsten Wohlfeld damals nicht ganz unzutreffend als "Urban Dream Pop" klassifizierte, zum Next Big Thing in Sachen Indie-Songwritings werden sollte. Dass es dann allerdings bis 2022 dauerte, dass Sophie Jamieson ihr Debüt-Album "Choosing" realisieren sollte, lag dann nur zum Teil an den angesprochenen Krisen, denn noch bevor es so richtig losgehen konnte, geriet Sophie in eine persönliche Existenzkrise und musste sich erst ein Mal neu sortieren, um wieder zur Liebe zur Musik zurückfinden zu können. Einer der Gründe, warum es mit der nachhaltigen Karriere nicht auf Anhieb geklappt hatte, war unter anderem der, dass Sophie Schwierigkeiten zu haben scheint, sich die richtigen Leute für ihre Kollaborationen auszusuchen. Auch ihre nun vorliegende, zweite LP "I Still Want To Share" brauchte mehrere Anläufe, bis sie in dem Grammy-prämierten Produzenten Guy Massey einen musikalischen Partner fand, der sie und ihre komplexen konzeptionellen Vorstellungen verstehen und und umsetzen konnte und dem sie in kreativer Hinsicht vertrauen konnte.
So richtig einfach war die Arbeit an dem Album dennoch nicht für Sophie Jamieson. Was hat ihr denn aber am meisten Spaß daran gemacht? "Das war die Quality Time im Studio", erklärt Sophie, "einen Song damit zu beginnen, das Demo anzuhören und dann mit Guy zu überlegen, womit wir anfangen sollten und in welche Richtung es gehen sollte. Solche Situationen sind noch sehr verspielt und vermitteln - ganz ohne Druck von irgendwoher - ein Gefühl der Freiheit. Man weiß dann schon, dass etwas Schönes daraus entstehen wird, wenn man mit jemandem zusammen arbeitet, der wirklich zuhören kann und versteht, was du erreichen möchtest. Jemanden, der deine Arbeit respektiert und es versteht, dein Bestes hervorzubringen und aus einem kleinen Nugget etwas richtig Großes zu machen. Es gibt wirklich nichts Vergleichbares. Man fühlt sich dann lebendig, produktiv und frei. Deswegen war es mir so wichtig die richte Person zu finden und auch andere in die Produktion mit einzubinden - was ich bislang noch nicht so oft gemacht habe."

Führte diese Freiheit dann vielleicht auch dazu, dass die Aufnahmen sehr organisch und atmosphärisch produziert sind? Ging es darum, die Aufnahmen so weitläufig wie möglich anzulegen? "Ich denke nicht", zögert Sophie, "jedenfalls nicht absichtlich. Einige Songs verlangten hingegen von sich aus nach einem solchem Ansatz. Der Aufnahmeprozess zog sich nämlich eine ganze Weile hin und ließ uns Zeit, immer mal wieder auf bestimmte Songs zurückzukommen, und einige Sachen hinzuzufügen, die vielleicht noch gefehlt hatten, um ein einheitliches Klangbild zu erzeugen. Es ging dabei darum, eine gewisse Einheitlichkeit herzustellen und auf der anderen Seite sicherzustellen, dass alle Songs unterschiedlich zueinander klingen. Einige Songs wollten dann ein wenig Raum haben und andere viel. Ich persönlich mag Raum, denn ich mag auch die Dynamik und ich denke dass wenn man Raum und Dynamik hat, dann kann man die Zwischenräume füllen - vielleicht wie ein Weber das tun würde. Ich mag es, Intensität zu erzeugen und brauche einen gewissen Raum, um damit spielen zu können."
Auf dem Album "Choosing" ging es ja darum, Sophies Kampf mit sich selbst darzustellen. Auf dem neuen Album geht es aber stärker um die verschiedenen Ebenen von Beziehungen und deren Bedeutung. Der Titel des neuen Albums "I Still Want To Share" legt ja schon nahe, dass Sophie immer noch ein gewisses Mitteilungsbedürfnis hat. Schlägt mit diesem Album nun ein neues Kapitel auf, oder geht es vielleicht um eine Erweiterung und/oder Ergänzung der Dinge, mit denen sie sich zuvor beschäftigt hat? Wie sieht Sophie selbst dieses Album? "Es begann schon mit etwas Neuem, als ich dieses Kapitel aufschlug", räumt Sophie ein, "ich hatte ein paar Ideen und dann entstand ein Themenkreis mit vielleicht vier Elementen. Erst im letzten Jahr - während des Aufnahmeprozesses - wurde mir dann klar, dass das gar nichts Neues war, sondern - wie du vermutest - eine Erweiterung des letzten Albums. Es geht um Akzeptanz und darum, wie viel Liebe du verdienst und inwieweit es okay ist, zu versuchen, diese zu erlangen und herauszufinden warum du zuvor mit einer Abwesenheit der Liebe zu kämpfen hattest. Das erste Album hat sich darum gedreht, wie man mit Schmerz umgeht und das neue Album erforscht, wo dieser Schmerz ursprünglich her kommt. Deswegen fühlt sich das neue Album für mich konzeptionell größer an, thematisch weiter gefasst und vielleicht auch nachvollziehbarer - obwohl es mir nicht zusteht, dass dann zu beurteilen." Hat das Album vielleicht auch mit der Perspektive zu tun? Denn wenn man die Perspektive wechselt, kann man ja die Dinge anders bewerten? Das legt etwa der Track "Camera" nahe, in dem ja darauf eingegangen wird, wie schwierig es ist, den Fokus auf etwas einzustellen. "Das ist interessant, dass du das sagst", meint Sophie, "den Song schrieb ich nämlich ursprünglich, weil ich damit ausdrücken wollte, dass ich damals versuchte, etwas zu kontrollieren - die Narrative zu bestimmen. Aber die Perspektive hat sich heute in dem Sinne geändert, dass mir klar geworden ist, dass ich von dieser Position Abstand nehmen sollte. Der Song 'How Do You Want To Be Loved' ist vielleicht der, der diese Art der Neubewertung am besten einfängt. Diesen Song habe ich vor zwei Jahren geschrieben und im Laufe der Zeit hat sich vieles in der Bewertung der hier beschriebenen Beziehung und meiner Rolle darin verändert. Ich denke, dass ich hiermit auf den Kreislauf dieses Albums eingehen möchte. Jedes Mal wenn man den Kreislauf durchläuft, sehen die Dinge anders aus. Es ist eine Art sich wiederholender Bewegung, die aber nie exakt dieselbe ist und die sich bei jedem Durchlauf weiter entwickelt. Je öfter man den Kreis durchläuft, desto weniger persönlich wird die Sache und es wird stattdessen einfach deutlich, wie die Menschen an sich sich in bestimmten Situationen verhalten oder wie sie auf bestimmte Dinge reagieren. Jeder nimmt dabei seine eigenen Eindrücke mit."
Zu ihren Rückschlüssen kommt Sophie ja nun über ihre Musik. Was bedeutet Musik denn für sie? "Das ist eine sehr schwierige Frage", zögert Sophie, "denn das erscheint mir immer rätselhafter. Musik zu machen ist in den letzten Jahren für mich immer schwieriger geworden. Songs zu schreiben ist mir zwar leichter gefallen, aber eine Musikerin zu sein ist schwieriger und schwieriger geworden. Die Welt ist immer brutaler geworden und was mich aufrecht erhält, ist schlicht der Fakt, dass ich immer noch Musik mache. Ich habe mehr und mehr meiner Sicherheit und manchmal meiner Gesundheit dem Musik-Machen geopfert, um weitermachen zu können. Ehrlich gesagt, zahlt sich das aber meistens gar nicht aus und es scheint nicht vernünftig zu sein. Ich träume immer mal wieder, das Ganze hinter mir zu lassen - es gibt aber nichts vergleichbar Umfassendes für mich. Damit meine ich nicht nur Musik zu machen oder zu hören, sondern die ganze Welt der Kunst und die der Künstler und die Gemeinschaften, die sich daraus ergeben; die Verbindungen zu Musikern und die Welt, die jeder Musiker erschafft. Musik ist so voller Möglichkeiten. Außerdem erlaubt sie dir, etwas zu erfahren, dass zulässt zu sein, wie du dich fühlst. Erst gestern habe ich ein Album gehört, das ich zuletzt gehört haben, als ich meinen ersten Liebeskummer hatte und sogleich fühlte ich mich an jene Zeiten erinnert und verspürte den Schmerz dieser Zeiten. Ich fühlte mich von diesem Gefühl überwältigt und konnte diese spezifische Erinnerung gar nicht von der Musik trennen. Es wird aber immer schwieriger für mich, mich so rau und emotional zu geben. Das wird nämlich immer beängstigender - und deswegen wird die Musik auch immer sinnlicher für mich." Hat das dann auch spirituelle Dimensionen für Sophie? "Vermutlich irgendwie schon", mutmaßt Sophie, "das ist wieder eine dieser Sachen, die sich erst im Rückblick ergeben, wenn man ein Album macht und erst danach erkennt, was es darstellt. Ich kaue immer noch daran herum, was es spirituell bedeutet, wenn ich Musik mache. Nicht, dass ich dem ein Label verpassen könnte, aber das kommt irgendeiner Form von höherer Macht schon ziemlich nahe."

Was hat denn das rote Tuch zu bedeuten, mit dem sich Sophie Jamieson durch die Videos zu den Songs der neuen Scheibe bewegt, die sie mit ihrer Songwriter-Kollegin Malena Zavala realisierte? "Natürlich hat das eine bestimmte Bedeutung", lächelt Sophie, "wir haben die Videos erst mal gedreht und dann habe ich sie editiert. Ich habe erst dabei so richtig verstanden, worum es mir ging. Im Wesentlichen musste ich diese Videos mit einer fesselnden visuell verbindenden Komponente untereinander machen. Die Sache mit dem roten Tuch hatten wir zunächst in einem Video angewendet und dann dachte ich mir, dass wir es auch in den anderen verwenden sollten - aber auf eine leicht abgewandelte Weise. Während der Filmaufnahmen lernten wir dann, wie wir mit dem Tuch arbeiten und wie wir es am besten einsetzen könnten. Es war dazu notwendig, loszulassen und nicht allzu bewusst zu agieren, um nicht zu kühl oder steif rüberzukommen. Ich musste mit dem Tuch herumlaufen und so ging es am Ende darum, vielleicht selbst wie ein Tuch zu werden - oder an ihm zu ziehen, sich darin zu verstecken, mit ihm zu kämpfen. Das offenbarte sich aber erst bei den Dreharbeiten. Was das bedeutet fand ich dann erst beim Editieren heraus. Das war ein sehr interessanter Prozess, den ich sehr zu schätzen gelernt habe. Das ist als schriebe man einen Song, den man ins Studio mitnimmt, und erst dort entscheidet, wie man ihn präsentieren möchte."

Ob Sophie nun den Themenkomplex, den sie mit den Alben "Choosing" und "I Still Want To Share" angesprochen hat, hinlänglich gründlich abgearbeitet hat - oder ob das nächste Album ein drittes Kapitel in diesem Zusammenhang geben wird, wird sich zeigen. Sophie hat das Material für das kommende Album bereits geschrieben, aber die Songs haben ihr noch nicht verraten, in welche Richtung sich das Projekt entwickeln wird. So ist das eben, wenn man als authentische Künstlerin von der Muse getrieben wird - und nicht vom Kalkül.
Weitere Infos:
sophiejamieson.com
www.facebook.com/sophiejamiesonmusic
www.instagram.com/sophiejamiesonmusic
www.youtube.com/@sophiejamiesonmusic/videos
Interview: -Ullrich Maurer-
Foto: -Tatjana Rüegsegger-
Sophie Jamieson
Aktueller Tonträger:
I Still Want To Share
(Bella Union/Rough Trade)
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