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THE WEATHER STATION
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Das Fundament muss stehen
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Nachdem Tamara Lindeman mit ihrem 2021er Album "Ignorance" und dem darauffolgenden "How Is It That I Should Look At The Stars" für ihr Projekt The Weather Station musikalisch neue Maßstäbe setzte, sich von ihren Folk-Roots löste und eine für sie ganz neue Sound-Ästhetik im Breitwand-Format etablierte, legt sie nun mit ihrem neuen Album "Humanhood" noch mal ordentlich nach. Während sie sich auf den Vorgängeralben mehr oder minder deutlich mit den Themen Umweltzerstörung und Klimawandel befasste, weitete sie für das neue Werk das Blickfeld und betrachtet die Menschlichkeit als solche - natürlich mit einer investigativ/philosophischen Grundhaltung. Musikalisch setzte Tamara zwar auf die gleichen Elemente wie bei den Vorgängeralben - nämlich eine versierte Kernband, die um engagierte Gäste ergänzt wurde und Songs, die sie nicht wie früher auf der Gitarre, sondern auf Tasteninstrumenten geschrieben hat -, aber die Parameter wurden neu gesetzt. Die Band erarbeitete die neuen Songs, die Tamara als Skizzen vorgezeichnet hatte, kollaborativ in zwei Live-Sessions. Durch Overdubs, elektronische Störfeuer, Field Recordings und improvisierte Passagen wurden diese Aufnahmen dann ergänzt, verbunden und geformt. So entstand weniger eine neue Songsammlung, sondern ein immersives Hörerlebnis, das sich wie ein Soundtrack zum Thema "Menschlichkeit" vor dem Hörer ausbreitet.
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Interessant ist dabei der Umstand, dass Tamara selbst das ganze Projekt weniger als Dokument eines musikalischen Auflösungsprozesses betrachtet, sondern in gewisser Weise als Pop-Album. Inwieweit fühlt sich Tamara denn von der Musik geführt, geleitet oder gar bestimmt - oder zieht sie es dann doch vor, ihre Musik und den Prozess zu kontrollieren? "Das ist eine interessante Frage", schmunzelt sie, "denn es trifft beides zu. Ich versuche schon, so viel wie möglich zu bestimmen und auszuwählen. Manchmal brauche ich Mitstreiter, die mir helfen können. Besonders mit Melodien und Akkordfolgen. Ich interessiere mich nämlich schon für Strukturen und Pop-Songs. Ich weiß zwar nicht genau, wie ich Pop-Musik definieren sollte, aber für mich fühlen sich die Songs auf der neuen Scheibe wie Pop-Songs an, weil sie doch Melodien und Wiederholungen haben. Das ist ein wenig wie das Fundament, auf dem man sein Haus aufbaut - wobei dann das Haus selber schon diese Elemente haben kann, die man nicht erwartet. Diese Basis bestimmt viele Dinge. Ich kann nicht alle Worte verwenden, die mir in den Sinn kommen. Ich kann nicht alle Melodien einsetzen, die ich einsetzen möchte. Ich muss mich an Regeln halten und komme immer wieder auf das Fundament zurück und schaue in welche Richtung ich von da aus gehen kann. Es gibt dann natürlich dann auch wieder Dinge, die meine Perspektive auf den Song verändern. Ich brauche also beides: Kontrolle und Offenheit."
Wie dem auch sei - durch das strukturelle aufbohren der einzelnen Songs ergibt sich ein wiederum erweitertes Sounddesign. "Na ja - das liegt daran, dass ich sehr entschlossen bin", schmunzelt Tamara, "ich meine: Ich mach das jetzt schon so lange, dass ich mich in gewisser Weise als Außenseiterin sehe. Ich glaube, dass ich immer noch einen Anfängergeist habe, wenn es um die Musik geht. Ich komme ja aus einer Tradition, in der die Musiker, mit denen ich arbeitete, klassisch ausgebildet sind - und ich denke, dass ich dabei eine Außenseiter-Perspektive einnehme. Was sich für mich bedeutungsvoll anfühlt, ist dann etwas Neues zu versuchen. Nun ist aber alles schon ein mal versucht worden und es ist schwer, seinen Platz in der Musik zu finden. Aber was ich immer versuche, ist die Elemente, die mir zur Verfügung stehen, so zu verändern, dass sie neu klingen. Wenn ich zum Beispiel ein Gitarrensolo habe, dann versuche ich zu verhindern, dass das in eine erwartbare Richtung geht, indem ich alle Elemente miteinander kombiniere, sodass sie wenigstens ein wenig neu und individuell klingen. Was mir an dieser Scheibe gefiel, war die fröhliche Mischung all dieser verschiedenen Musiker und ihrer Stile und dieser aus dem Zusammenhang gerissenen Zutaten zu verbinden, so dass am Ende etwas ganz eigenes dabei herauskam." Wie vermeidet man dann am besten, dass dabei etwas in eine falsche Richtung läuft? "Das ist eine großartige Frage", meint Tamara, "ich würde gerne besser in dieser Hinsicht werden. Aber mit jeder Scheibe lerne ich auch mehr. Vieles davon hat einfach mit Kommunikation zu tun. Man muss wissen, wie man mit den Leuten kommuniziert, mit denen man zusammenarbeitet und man muss wissen, wie man nach den richtigen Sachen fragt. Das Wichtigste für jemanden, der eine Scheibe macht, ist heranzuzoomen, die Details zu erkennen und darauf zu achten, wirklich intensiv daran zu arbeiten. Später muss man dann aber herauszoomen, um das große Ganze zu sehen und sich das Ergebnis so anzuhören, als habe man es noch nie gehört - und das ist sehr schwer." Hilft es denn, wenn die Musiker ihre eigenen Ideen beisteuern? "Absolut", bestätigt Tamara, "und die Musiker, mit denen ich auf dieser Scheibe zusammenarbeite, sind sehr cool. Ich kenne sie ja sehr gut und ich kann ihre Persönlichkeiten aus ihren Beiträgen heraushören."
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Kommen wir mal zu einer großen Frage - die sich aber für jemanden, der so intensiv über seine Kunst nachdenkt, wie Tamara das tut, geradezu aufdrängt: Was bedeutet die Musik als Solches für Tamara und inwieweit hat sich das im Laufe der Zeit für sie verändert? "Oh - Musik bedeutet mir sehr viel - und das hat sich nicht verändert", überlegt sie, "am Ende bin ich zunächst mal ein Musik-Fan. Nicht in dem Sinne, dass mich auf irgendetwas konzentriere oder ich alles aufsauge, was es gibt. Musik ist für mich vor allem Kommunikation. Musik ist auch ein Begleiter. Ich spüre manchmal, das ich von einer Scheibe oder einem Song gesehen werde. Das bedeutet mir viel und gibt mir das Gefühl, weniger alleine zu sein. Es ist auch sehr interessant, weil meine Lieblingsscheiben entweder von Freunden oder Leuten, von denen ich ein Fan bin stammen. Ich habe aber immer das Gefühl, dass die Leute, die diese Musik machen und die Scheibe zwei unterschiedliche Dinge sind. Ich fühle eine gewisse Verbundenheit mit der Musik und weiß doch, dass diese ein Teil der Personen repräsentiert, die die Musik machen - und das ist doch anders, als wenn ich diese bei einer Show sehe oder treffe. Das ist alles sehr emotional und unterbewusst. Musik ist eine so schöne Kunstform, die ich sehr liebe. Es gibt eine Menge unausgesprochener Kommunikation in der Musik. Jede Form von Musik führt zu einer Gemeinschaft, wenn du sie mit anderen machst oder hörst."
Das Thema 'Humanhood' beschäftigt Tamara auch nach der Fertigstellung der LP weiter, oder? "Genau", bestätigt sie, "ich bin momentan an einem Punkt angekommen, an dem ich über das Thema schreibe. Ich bringe einen Newsletter heraus und ich schreibe Essays über das Thema. Eigentlich hasse ich die sozialen Medien - aber diese bieten die Möglichkeit, der Welt Ideen und Gedanken zu präsentieren und so Diskussionen anzuregen. Für mich fühlt sich das an, als sei ich von meinem Schiff mit dem Album auf eine Laufbahn zur Welt gesprungen und beschäftige mich nun mit Videos und dem Schreiben. Ich denke zur Zeit tatsächlich die ganze Zeit über das Thema nach - speziell mit den Wahlen in den USA im Hinterkopf. Es ist schwierig - aber es zwingt uns eben auch auf die dunkle Seite der Dinge zu blicken." Wohl auch deswegen, weil es keine Antworten und Lösungen gibt, oder? "Es ist so ein seltsamer Moment in unserer Geschichte", meint Tamara, "und es gibt doch so viele Antworten und Lösungen. Es gibt eine Menge Probleme wie den Klimawandel oder Isolation und Einsamkeit, für die es viele offensichtliche Lösungen gibt. Es gibt so viele Gegenmittel zu den Problemen unserer Zeit - was aber seltsam ist, ist dass die Menschen sich oft entscheiden, diese nicht anzuwenden. Menschen die einsam sind, werden noch einsamer und was den Klimawandel betrifft, ist es seltsam, dass nichts passiert. Ich versuche das demütig zu beobachten und zu verstehen. Unser Problem ist nicht die Mathematik oder die Technologie oder die Wissenschaft, sondern Menschen, die lieber einer Ideologie folgen anstatt sich dazu entscheiden, sich selbst zu retten. Ich denke aber, dass die Menschen selber tatsächlich glauben, sich auf diese Weise retten zu können. Das ist schwer zu verstehen und es sind wirklich seltsame Zeiten, in denen wir leben."
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In Songs wie "Window" oder "Body Moves" greift Tamara Lindeman diese Gedanken sogar inhaltlich auf. Wie sich das Ganze weiterentwickelt, werden wir abwarten müssen. Zwar haben The Weather Station während der Sessions zum aktuellen Album weitere Stücke eingespielt - ob und wie diese das Licht der Welt erblicken, steht indes noch in den Sternen. Genauso wie eine Tour: Zunächst sind nur Showcases in Hamburg und Berlin im Februar eingeplant.
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Weitere Infos:
www.theweatherstation.net
www.facebook.com/TheWeatherStn www.instagram.com/theweatherstation www.youtube.com/@TheWeatherStation/videos
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Interview: -Ullrich Maurer- Foto: -Brendan George Ko-
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Aktueller Tonträger: Humanhood (Fat Possum/Membran)
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