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THE DELINES
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Die große Flucht
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Irgendwie hat es Willy Vlautin geschafft, sich mit seinen Passionen in einer Zwischenwelt aus Musik, Schriftstellerei und Spielfilmen einzurichten - und alles miteinander zu verbinden. Seine Bücher - zuletzt sein vorletzter Roman "The Night Always Comes" - werden mittlerweile regelmäßig verfilmt. Seine dezidiert cinematisch anlegten Songs für seine Band The Delines kommen als verkappte Soundtracks zu Film Noir-Projekten daher - die er dann mit Charakteren besetzt, die ganz auf die Vorlieben und Möglichkeiten seiner musikalischen Partnerin Amy Boone zuschneidet, die diese Charakter dann als Sängerin verkörpert. Und mit seinem letzten Roman "The Horse" schlug Willy eine Brücke zwischen der Welt der Musik und seiner schriftstellerischen Tätigkeiten, indem er die Sorgen, Nöte und Motivationen des alternden Songwriters Al ergründete und dabei aus über 200 fiktiven Songtiteln, die in dem Buch eine Rolle spielen, einige herausfilterte, die er dann für das neue Delines-Albums zu richtigen Songs ausformulierte - darunter der Titeltrack "Mr. Luck & Ms. Doom", "Nancy And The Pensacola Pimp", "Sitting On The Curb" & "There's Nothing Down The Highway". Das Cover der neuen LP zeigt einen Coyoten, der für Willy Vlautin als "König der Schwindler" eine ideale Verkörperung der Charaktere darstellt, die auch das neue Album in großer Zahl bevölkern.
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Die Sache ist dabei die, dass der Charakter Al aus dem Buch "The Horse" Country-Songs schreibt, während die Songs für die Delines ja eher in Richtung Soul und Jazz gehen. Willy muss das also schon auseinanderhalten. Das ist vermutlich auch der Grund, warum er für gewöhnlich die Romane und seine Musik auseinanderhält, oder? "Ja, ich schreibe gerade an einem neuen Buch, das fast fertig ist und ich schreibe aber auch dauernd an Songs", berichtet Willy, "aber ich bin eigentlich nicht daran interessiert, über Rock'n'Roll zu schreiben und ich bin auch nicht daran interessiert, Bücher über Rock'n'Roll zu lesen. Ich mag Biographien von Musikern, aber keine Romane über Musik. Das hat sich für mich immer irgendwie falsch angefühlt. Die meisten Romane über Rock'n'Roll handeln ja von Rockstars - und über diese Welt weiß ich rein gar nichts. Persönlich, politisch und spirituell interessiere ich mich als Autor nicht für den Rock'n'Roll - einfach weil es so viel interessantere Geschichten zu erzählen gibt. Als ich aber älter wurde, habe ich mich für das Thema interessiert, warum überhaupt jemand Songs schreibt. Warum verbringen Menschen ihr Leben damit, einem bestimmten Song hinterherzujagen? Warum schreibt jemand Romane, die nie veröffentlicht werden? Warum malt jemand Bilder, die nie jemand sieht? Warum zeichnet jemand Comic Books, die er niemandem zeigt? An diesem Thema war ich mehr interessiert, als an Rock'n'Roll-Geschichten. Das wollte ich dann ergründen. Einiges davon hat Spaß gemacht in Bezug auf die Musik. Deswegen habe ich die Sache mit den Casino-Musikern aufgenommen, denn ich bin mit dieser Szene in Reno aufgewachsen. Es hat auch Spaß gemacht, mir die Songtitel auszudenken - wohingegen es echt schwierig war, herauszufinden, warum Al diese Songs geschrieben hat und warum er so am Ende ist. Nachdem ich das nun aber gemacht hat, werde ich höchstwahrscheinlich nicht wieder über Musik schreiben - einfach weil mich das Thema vom erzählerischen nicht so interessiert." Und woran liegt es, dass Willy sich dabei immer mit der düsteren Seite seiner Charaktere beschäftigt, wenn er eine Geschichte gefunden hat, über die es sich zu schreiben lohnt? "Ja, das ist alles ganz schön 'noirisch'", muss Willy beipflichten, "ach, ich weiß nicht. Ich schreibe eigentlich düstere Songs seit ich 11 Jahre alt bin. Das ist irgendwie genetisch veranlasst und es ist das, was mich ausmacht. Zu meiner Entschuldigung muss ich anführen, dass ich für Amy auch einige richtige Liebeslieder geschrieben habe - die es halt nur nicht auf die Scheibe beschafft haben. Das hat wirklich Spaß gemacht und es ist irgendwie auch gut für mich. Aber wenn es um mich geht, dann tendieren meine Songs dahin, ins Düstere abzudriften."
Willy ist auch gut darin, sich insbesondere in seine weiblichen Charaktere hineinversetzen zu können. Das gilt sowohl für jene aus seinen Romanen ("The Night Always Comes" wird zum Beispiel aus der Perspektive seiner weiblichen Protagonistin erzählt) wie auch für seine Songs. "Ich schreibe natürlich viel über weibliche Charaktere, weil wir eine Frau als Sängerin haben", führt Willy aus, "also versuche ich natürlich Songs zu schreiben, mit denen sie sich identifizieren kann. Wir reden viel über diese Sache. Wir sind ja auch beide mit Film-Noir und Noir-Büchern aufgewachsen und fühlen uns beide zu diesem Genre und dieser Seite des Lebens hingezogen." Und woher kommt diese literarische Vorliebe für Personen des anderen Geschlechtes? "Nun, ich habe aber immer schon viel über Frauen oder aus der Perspektive von Frauen geschrieben", führt Willy aus, "ich bin ja auch von einer Frau aufgezogen worden. Und die zugänglichsten, nettesten und unterstützendsten Personen in meinem Leben waren immer Frauen gewesen und in meinen frühen 20ern war meine Cousine meine beste Trink-Partnerin. Als ich dann begann, Geschichten zu schreiben, beschloss ich, dass alle Frauen-Charaktere wie meine Cousine sein müssten. Ich habe das nie im romantischen Sinne betrachtet, sondern immer nur versucht über echte Menschen zu schreiben. Ich fühle mich wohl dabei, auf diese Art zu schreiben - ob ich nun wirklich gut darin bin oder nicht. Ich bin sicher, dass die Frauen in meinem Leben mich schon wissen lassen werden, wenn ich etwas versaue. In der Schriftstellerei ist meine amerikanische Lektorin eine Frau und meine Agentin auch. Und was Amy betrifft, so schreibe ich die Art von Songs, von denen ich annehme, dass sie diese auch singen möchte - und das beinhaltet halt nicht viele Geschichten über Männer."
Wo findet Willy eigentlich dann seine weiblichen Protagonistinnen? "Ich versuche immer an die Art von Charakteren zu denken, die Amy verkörpern könnte", meint Willy, "viele dieser Charaktere sind dann Frauen, die am Rande leben und versuchen, irgendwie im Leben zurecht zu kommen. Maureen aus 'Maureen's Gone Missing' hat zum Beispiel vielleicht Geld von einem Drogenhändler gestohlen. Und dann gibt es Lorraine oder Nancy oder die Frau von 'Left Hook Like Frazier' - all diese Frauen mit gebrochenem Herzen, die sich vor schlechten Männern in acht nehmen müssen, die aber irgendwie für sich zurecht kommen müssen."
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Wie kommt denn heutzutage die Musik für die Delines zustande? Als Willy Vlautin sein Vorgänger-Projekt Richmond Fontaine betrieb, war dieses ja eher als Backing Band für einen Solo-Songwriter angelegt. Ist das bei den Delines anders? "Ich schreibe die Songs und präsentiere diese der Band als Folk-Songs", beschreibt Willy den Prozess, "ich habe dann einige vage Vorstellungen von Melodie, Arrangements und Rhythmus - aber wirklich nur rudimentäre. Und dann höre ich, was die Band dazu zu sagen hat. Sean Oldham ist zum Beispiel ein großartiger Jazz-Drummer, der alles machen kann. Ich schreibe ja im Grunde genommen Folk-Songs und er versucht dann immer, etwas anderes daraus zu machen. Großes Glück haben wir auch mit Cory Gray. Der ist ja unser Keyboarder - aber er ist auch ein toller Trompeter und ein großartiger Arrangeur für Streicher und Bläser. Seit dem Album 'The Imperial' schreibe ich die Songs immer so, dass ich große Bereiche für die Streicher und Bläser-Parts für Cory freilasse. Es ist mir dabei immer wichtig, dass die Sache sehr cinematisch angelegt wird. So schreibe ich ja die Songs auch und ich und der Produzent John Askew sind geradezu besessen von Filmen und Soundtracks und legen es geradezu darauf an, dass ich die Scheiben anhören, als befändest du dich in einem Film." Zum Thema Film passt denn auch, dass Willys vorletztes Buch "The Night Always Comes" gerade für Netflix verfilmt wird - mit Vanessa Kirby in der Rolle der Titel-Protagonistin Lynette und Jennifer Jason Leigh als deren Mutter.
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Zwei große Fragen an Willy bleiben noch: Hat er etwas über sich selbst gelernt, als er die neuen Songs geschrieben hat? Und was bedeutet die Musik für ihn heutzutage in philosophischer Hinsicht? "Für dieses Projekt wollte ich herausfinden, wie die Delines mehr Energie entwickeln könnten, ohne auf die Country-Punk-Sachen zurückgreifen zu müssen. Für die Delines zu schreiben, ist meine Lieblingsbeschäftigung, weil es mit hilft, nicht ganz zu düster zu erscheinen, wenn ich für Amy schreibe. Das rettet mich irgendwie - obwohl die neue Scheibe zugegebenermaßen ja schon düster ist, auch wenn es ein paar Songs wie 'JP & Me' gibt, die wenigstens etwas romantischer sind. Meine Beziehung zur Musik im Allgemeinen ist folgende: Ich erinnere mich an 1999, wo ich an einem Punkt angelangt war, an dem ich der Musik ziemlich zynisch gegenüber stand - als Bands von Freunden von mir populär wurden und dann aufhörten die Jungs zu sein, die ich kannte, weil die Rockstars werden wollten. Das hat mich traurig gemacht und da habe ich mir gesagt, dass ich die Musik, die liebte, auch akzeptieren wollte. Ich hörte mir zum Beispiel ab da Soundtracks oder italienische Komponisten aus den 60ern an - aber so gut wie keine Rockmusik mehr. Für mich ist Musik so etwas wie eine große Flucht. Du legst einen schönen Song auf und für drei Minuten lebst du in einer Welt voller Romantik. Wenn es ein Rock-Song ist, lebst du in einer Welt voller Energie und wenn es ein Folksong ist, dann tauchst du in eine alternative Welt ein. Musik ist für mich der Begleiter, mit dem du dem Alltagsleben am einfachsten entfliehen kannst. Du bist auf ein Mal in Irland, Deutschland oder in Kanada, du bist verliebt, du bist untröstlich, du bist bei einer Party - all das innerhalb eines einzelnen Songs. Das ist die Leitlinie meines Lebens geworden, seit ich ein kleines Kind war. Wenn man dann älter wird, ist der Schlüssel dazu, nach der Musik zu suchen, die dich so fühlen lässt wie früher. Man muss dabei offen sein. Ich kann heutzutage etwa keine Punkmusik mehr hören, weil sie mich einfach nicht mehr so fühlen lässt wie früher. Die Zielrichtung muss sich also ändern - was aber gar kein Problem ist, weil es endlose Welten gibt, in die man mit der Musik entfliehen kann."
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Weitere Infos:
www.thedelines.com
www.facebook.com/thedelines www.instagram.com/The_Delines www.youtube.com/watch?v=U_4Yf_b40lg www.youtube.com/watch?v=6LPsMAABDQo
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Interview: -Ullrich Maurer- Foto: -Paolo Brillo-
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Aktueller Tonträger: Mr. Luck & Ms. Doom (Decor/Indigo)
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