"'I DEPEND' ist Bekenntnis, ist Trost, ist Aufbruch", heißt es im Info zum neuen Album von Annie Bloch, oder anders gesagt: Mit diesen neuen Liedern lotet die in Köln heimische Musikerin das Spannungsfeld zwischen dem Wunsch nach Unabhängigkeit und der titelgebenden Erkenntnis "I DEPEND" aus und stößt dabei das Tor zu einer neuen Klangwelt auf, in der sie diese Ambivalenz auch in Töne übersetzt. Eingespielt im Kreise eines zehnköpfigen Ensembles, das weder Orchester noch Big Band noch die bloße Erweiterung einer Popband durch akustische Instrumente ist, lässt sie ihre Songs in einem ganz neuen, facettenreichen Licht schillern, ohne deshalb die markante Handschrift in puncto Songwriting und Gesang außer Acht zu lassen, die schon ihren früheren Veröffentlichungen den Glanz des Besonderen verliehen hatten. Mehr noch: Durch die wunderbar vielschichtigen Arrangements – mal angenehm kratzig, mal einschmeicheln versöhnlich - gelingt der Wechsel zwischen Songs, die von orchestralen Elementen getragenen werden, und Liedern, bei denen Bloch mit der Gitarre die Führung des Ensembles übernimmt, bemerkenswert organisch.
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Annie Bloch ist musikalisch in vielen Kontexten zu Hause. Als vom Geist Big Thiefs geküsste Indie-Folk-Solistin veröffentlichte sie schon 2019 das Album "Floor" und im vergangenen Jahr die EP "Four Trips To The Shop", für ihr 2021er-Album "When You Get Here" machte sie mit der irischen Singer/Songwriterin Muireann Ní Sheoighe Eachthighearn als Annie & Mo gemeinsame Sache, außerdem ist sie als Organistin und Komponistin mit einem Faible fürs Experimentelle in ganz Europa unterwegs und widmet sich gemeinsam mit der Cellistin Emily Wittbrodt dem musikalischen Vermächtnis von Felix Mendelssohn-Bartholdy.
Das allein beantwortet allerdings nicht die Frage, was sie zu dem (nicht nur) auf dem Papier herrlich ambitionierten Projekt "I DEPEND" geführt hat. "Ein Schlüssel von 'I DEPEND' ist für mich, dass ich am Anfang gar nicht den Plan hatte, eine Platte aufzunehmen oder ein langfristiges Projekt zu machen, sondern die Ressourcen und Kapazitäten hatte, mich während Corona einer Kompositionsidee zu widmen", verrät Bloch im Gaesteliste.de-Interview. "Ich habe dann eigentlich immer Schritt für Schritt gedacht. Als Erstes gibt es die Komposition, dann müssen die Stücke geprobt werden, dann spielen wir damit ein Konzert, und erst danach wollte ich es dann auch so aufnehmen, dass man es als ein Album veröffentlichen kann - und so denke ich auch immer noch über 'I DEPEND' nach."
Natürlich erscheint es in Zeiten, in denen immer mehr Künstlerinnen und Künstler zu echten Soloacts werden, weil alles andere nicht mehr umsetzbar erscheint, geradezu verwegen, eine Platte und Konzerte mit einem zehnköpfigen Ensemble anzugehen, aber davon lässt sich Bloch nicht abschrecken. "Ich denke, dass das effektivste Projekt, besonders wenn man sich als Kunstschaffende versteht, nicht unbedingt das beste Projekt ist und dass es sich manchmal lohnt, etwas Unpraktisches, finanziell Unlogisches zu starten, weil es nur so etwas Besonderes wird oder etwas anderes, als es schon gibt."
In der Vergangenheit hat sie über ihr Songwriting gesagt, dass es oft um ein Suchen geht, um den Versuch, Probleme in Songform zu beschreiben und zu begreifen. Was genau hat sie denn aus den Songs auf "I DEPEND" gelernt? "Ich fand es sehr spannend, dass ich erst lange nach den Aufnahmen darüber nachgedacht habe, was insgesamt die Themen des Albums sind, die mir auch beim Notieren der Songtexte für das Artwork noch mal ins Gesicht gesprungen sind", gesteht sie. "Dass es viel darum geht: Wie viel zeige ich von mir? Wie viel kann ich der anderen Person zumuten? Was ist mein Eigenes und wo geht es verloren?" Die Erkenntnis, die sie daraus für sich gezogen hat, ist, Beziehungen als etwas Ambivalentes zu verstehen, die zwangsläufig gute und schlechte Seiten haben, um intensiv zu sein.
Songs mit großem Ensemble aufzunehmen, ist nichts grundlegend Neues für Bloch. Schon auf ihrem Album "Floor" hatte sie einige Songs ausschweifend arrangiert, trotzdem hat sich nun noch einmal die Perspektive verschoben. "Die Songs vom Album 'Floors' habe ich zu dem Zeitpunkt schon lange und oft mit vier Leuten performt, und die standen für mich so als Songs", erinnert sie sich. "Bei der Album-Produktion hatte ich dann die Idee, dass es toll wäre, noch Streicher und Bläser hinzuzufügen. Beim neuen Album wurden die Stücke explizit für diese Besetzung geschrieben und machen für mich auch in kleineren Besetzungen keinen Sinn."
Gerade vor dem Hintergrund, dass Bloch auch solo oder in kleineren Besetzungen mit ihren Songs auftritt, stellt sich natürlich die Frage, was für sie den besonderen Reiz eines großen Ensembles bzw. facettenreicher Arrangements ausmacht. "Wenn ich ganz ehrlich bin, favorisiere ich immer große Ensembles", gesteht sie. "Ich favorisiere Orchesterstücke vor Kammermusikstücken, und finde Bigbands oft spannender als Quartetts. Ich frage mich manchmal, ob nicht alle am liebsten immer mit einem Orchester auf der Bühne stehen würden. Klar, man ist weniger frei, weil mehr Musik festgelegt wird, aber ich liebe einfach große, akustische Klänge."
Doch nicht nur ob der schieren Dimension ihrer Band schwimmt Bloch mit "I DEPEND" ein Stück weit gegen den Strom. Gerade in Indie-Folk-Kreisen scheint es schließlich derzeit einen Trend zu geben, sich auf die Magie des Moments und auch das spontane kollektive Zusammenwirken der beteiligten Musikerinnen und Musiker zu konzentrieren. Sie dagegen hat diese Songs nicht nur allein geschrieben, sondern mit wenigen Ausnahmen auch allein arrangiert. "Ich glaube, ich wollte herausfinden, was passiert, wenn ich mir diese Aufgabe stelle, mit einer fertigen Partitur in die Probe zu gehen", erklärt sie. "Ab einer gewissen Ensemblegröße ist es auch einfach schwer, kollaborativ zu arbeiten."
Beim Arrangieren ließ sich Bloch auch von der Stimmung der Texte leiten. Deshalb von der Klangfarbe der Instrumente auf die Inhalte zu schließen, wäre trotzdem zu kurz gedacht. "Ich finde eigentlich, dass jedes Instrument verschiedene Stimmungen kreieren kann", sagt sie. "Aber es gibt für mich ein paar klassische Klarinettenstellen, wo ich die Klarinette eingesetzt habe als dieses Instrument, das für mich eine wohlige Nach-Hause-Kommen-Stimmung auslöst. Das sind teilweise nur zwei Takte, zum Beispiel in 'On My Own Account', 'Dates' oder 'Raft'. Horn und Posaune haben für mich auch etwas sehr Erdendes. Deswegen vielleicht auch die Entscheidung, Horn und Posaune die Begleitung für 'Nothing To Prove' zu überlassen."
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