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BRIA SALMENA
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Ein dicker Hund
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Es ist nicht ganz einfach, "Big Dog" - das Solo-Debüt-Album der kanadischen Songwriterin Bria Salmena - zu erfassen. Ihre bisherige Laufbahn als Frontfrau der kanadischen Postpunk-Band Frigs, als Gesangspartnerin des südafrikanischen Weirdmeisters Orville Peck in dessen Band, ihrem Projekt "Cuntry Covers", das sie mit ihrem Partner Duncan Hay Jennings betreibt und dem Italo-Techno-Projekt G0d's Mom mit Andrew Matthews macht ihre Vielseitigkeit bereits eindrucksvoll deutlich - was aber nicht wirklich auf die stilistische Komplexität und klangliche Vielseitigkeit des Albums "Big Dog" vorbereiten kann. Gängige Begriffe wie "Shoegaze", "Psychedelia", "Darkwave", "Grunge-Pop" oder "Electronica" laufen dann schnell ins Leere - gleichwohl alle diese Elemente in Brias’ Musik auch enthalten sind. Wie sich nun herausstellt, ist das durchaus beabsichtigt, wie uns Bria Salmena berichtet - aber wie kam es zu dem abenteuerlichen Stilmix?
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"Ich denke, dass für dieses Album das Schreiben der Songs ganz natürlich - auf einer kathartischen Ebene - stattfand", berichtet Bria Salmena, die zwischen ihren beiden Wohnorten L.A. und Toronto je nach Projekt hin und her pendelt und ihre Songs mit ihrem Partner Duncan Hay Jennings realisiert, "es ging mir darum, das zu verarbeiten, über das ich damals gerade schrieb. Das hat sich erst gegen Ende des Prozesses bewusst konkretisiert, nachdem wir realisierten, dass wir eine ganze Songsammlung beisammen hatten, die wir auf einem Album zusammenfassen konnten. Wir hatten da nämlich diese Songwriter-Schwäche, die wir bedienen wollten. Das Ziel war dabei so ehrlich wie möglich zu sein und uns dabei klar zu machen, dass wir nicht wie etwas anderes klingen müssten und immer offen für Experimente und Kollaborationen zu zeigen. Wir haben zum Beispiel Lee Ranaldo von Sonic Youth gebeten, uns ein Gitarrensolo für den Song 'See'er' einzuspielen und Meg Remy von U.S. Girls hat den Gesang produziert."
Das mal eingedenk: Wie hat sich denn dann das Thema des Albums entwickelt? "Es ging mir um das Gefühl der Verwundbarkeit", führt Bria aus, "da es ja um mein Solo-Projekt ging, wollte ich mir das zugestehen. Ich musste mich auch mir selbst gegenüber verletzlich zeigen - was sehr schwierig für mich war. Ich musste mir dann auch zugestehen, erst nachdem die Songs geschrieben waren, zu realisieren, wovon sie eigentlich handelten. Man schreibt dann ja über Dinge as dem Unterbewusstsein, über die man dann nicht weiter nachdenkt."
Heißt das, dass Bria ihre Musik in therapeutischer Hinsicht nutzt? "Musik bedeutet mir in gewisser Hinsicht alles", führt Bria aus, "ich weiß nicht, ob das etwas Gutes ist - aber ich kann einfach nicht mit der Stille existieren. Ich lebe alleine und ich kann mich nicht fokussieren, wenn ich keine Geräusche irgendwelcher Art höre. Ich habe mich neulich mit Freunden über die - ziemlich schreckliche - Frage unterhalten, ob ich lieber blind oder taub sein würde und ich würde mich immer für das blind sein entscheiden. Ich weiß nicht, ob ich an diesem Punkt in meinem Leben überhaupt irgendetwas mit der gleichen Intensität verfolgen könnte wie meine Musik. Musik ist mein Begleiter, denn Stille macht mich einfach einsam. Und natürlich verarbeite ich mein Leben über meine Songs. Als Musiker und als Künstler besteht ein großer Teil deiner Tätigkeit darin, zu recherchieren und Dinge zu beobachten und aufzunehmen, die nicht alleine dir selbst, sondern um dich herum passieren. Irgendwann bricht sich das dann in Form von Studien Bahn, die man dann zum Ausdruck bringen will. Es gibt natürlich auch Phasen, in denen man nicht schreibt - und die nutze ich dann dazu, zu recherchieren, worüber ich schreiben könnte."
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Was ist eigentlich Brias wertvollste Tugend als Musikerin und Künstlerin? "Das bin ich noch nie gefragt worden", räumt sie ein, "Authentizität ist sicherlich ziemlich wichtig. Ich möchte jedenfalls nichts mehr machen, an das ich nicht selbst glaube. Ich habe so etwas nämlich zuvor schon gemacht - und habe dann gemerkt, dass man das nur für eine gewisse Zeit machen kann. Ich werde also nichts mehr machen, das nicht meine kreativen Absichten repräsentiert. Wenn es um das Schreiben selbst geht, dann muss das ausdrucksstark und fließend sein." Welche Grenzen zieht Bria Salmena denn dann in Bezug auf die Offenheit und Authentizität ihrer Songs - wenn ihr Ziel ist, sich verwundbar zu zeigen? "Also ich werde bestimmt nicht jedes einzelne Detail wörtlich nehmen", erklärt sie, "es gibt aber einige Songs auf der Scheibe, die extrem persönlich sind und in denen ich mich öffne und Dinge zulasse - das war aber notwendig für den Prozess. Nicht als bewusste Entscheidung, sondern weil es durch die Songs selbst vorgegeben wurde."
Ist das Schreiben von Songs etwas, was Bria Salmena Spaß macht - oder ist es schlicht eine Notwendigkeit? "Ich denke, dass das Schreiben von Songs für mich zu diesem Zeitpunkt eine Notwendigkeit ist, um begreifen zu können, wie ich überhaupt in diesem Leben existiere. Manchmal genieße ich das auch - aber ich wünschte mir manchmal, ich hätte noch eine andere Form, mich ausdrücken zu können. Ich habe natürlich so Dinge über mich herausgefunden, die ich selbst noch nicht wusste. Das ganze Konzept des Albums - inklusive des Artworks und der Videos - zielte darauf ab, mir meine Verletzlichkeit zuzugestehen und darin eine Kraft zu finden, die mir weiter half und meine Sicht auf eine Menge Dinge zu revidieren. Es ist ein Prozess, der immer noch andauert und der mir Angst macht, aber er hat mir auch viel Kraft gegeben. In dem Sinne ist dieses Album auch eine Statement in Sachen Empowerment."
Wie schreibt man eigentlich Songs, wie jene, die auf "Big Dog" versammelt sind? "Das kommt natürlich drauf an", überlegt Brian, "alle Songs entstehen irgendwo in Duncans oder meinem Kopf und wir schicken uns dann Ideen hin und her. Alle meine Songs beginnen tatsächlich mit einer akustischen Gitarre - denn das ist das Instrument meiner Wahl zum Schreiben. Duncan ist da schon vielseitiger. Er kann auch mit einem Synthesizer schreiben. Das Ziel war immer eine Basis in der akustischen Welt zu haben und darauf mit einer eher elektronischen Instrumentierung aufzubauen. Wir wollten einen Sound finden, der uns repräsentierte - wobei wir anfangs noch gar nicht wusste, was das sein könnte."
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Es gibt ja Musiker, die sagen, dass sie Musik selbst in solchen Fallen vorgibt, im welche Richtung es gehen soll. "Sicherlich", geht Bria darauf ein, "ich denke, man muss sich selbst ein wenig aufgeben in dieser Hinsicht, denn wenn man versucht, Dinge zu erzwingen, dann funktioniert das nicht. Ich war schon in solchen Situationen, in denen ich versucht habe, etwas zu erzwingen - und das klingt dann einfach beschissen. Ich genieße es lieber, dass sich die Dinge mir offenbaren - denn dadurch passieren glückliche Zufälle. Man muss offen sein für Experimente." Nun ist es aber doch so, dass man als Musiker bestimmte Dinge kontrollieren muss. "Deswegen haben wir auf diesem Album mit Menschen zusammengearbeitet, die wir wirklich schätzen", meint Bria, "es ging aber nicht so sehr darum, das zu kontrollieren, sondern vielmehr zu sehen, was passieren könnte. Mit Graham Walsh und Meg Remy als Produzenten zusammen zu arbeiten bedeutete, das Ohr von Leuten zu haben, die ihrerseits in einer experimentellen Arbeitsweise aufblühen und denen wir vertrauen konnten. Was wir also kontrollierten, war das Potential des ganzen Prozesses - wobei wir jederzeit offen für Ideen anderer waren. Wichtig war es, dass uns bestimmte Ergebnisse dieser Arbeitsweise dann auch selbst überraschen sollten."
Der Titel des Albums "Big Dog" bezieht sich einerseits darauf, dass das Projekt für Bria Salmena eine wirklich große Sache ist und andererseits auf einen Spitznamen, den ein Freund ihr verpasste, als sie emotionale Unterstützung brauchte. Aber auch in Bezug auf die Musik ist das ein passender Begriff, denn diese klingt auch ziemlich 'Big'. Soll die Musik dann demzufolge größer als das Leben rüberkommen? "Nein", meint Bria, "nicht notwendigerweise. Das Gefühl, dass Musik größer als das Leben erscheinen kann, hat nichts mit großen Sounds zu tun. Ich liebe auch Musik, die nuanciert und leise sein kann. Beides hat seine Wirkung. Wir auf diesem Album zwar große Klangräume erzeugen - aber wir wollten auch Songs wie 'Twilight' und 'Peanut' haben, die eher ätherisch und beruhigend sein sollten."
Das Album "Big Dog" strahlt eine gewisse Coolness, Souveränität und Ernsthaftigkeit aus, die die Frage nahelegt, inwieweit Bria Salmena das Ganze überhaupt genießt? "Also als Person nehme ich schon mal nicht besonders ernst", lacht Bria, "wenn du dich selbst zu ernst nimmst, dann lebst du kein sehr erfülltes Leben, um ehrlich zu sein. Aber es macht natürlich Spaß. Duncan und ich wollen sicher stellen, dass das Projekt auch unterhalten soll und aufregend für uns sein soll. Denn wenn das nicht der Fall wäre, dann stellte sich ja die Frage, warum wir es überhaupt machen sollten. Das wäre dann ja wie ein Büro-Job. Das können wir deswegen beurteilen, weil wir beide Seiten schon selbst erlebt haben - und gerade deswegen das Ganze heute für uns nun so gut wie möglich kuratieren wollen." Und was macht Bria Salmena dabei am Glücklichsten? "Was mich am glücklichsten macht? Das sind einige Dinge", überlegt Bria, "ich finde das Gefühl schön, wenn man einen Song schreibt und dabei Dinge findet, über die man sich ausdrücken kann. Ich mag es auch, mich mit darüber mit anderen auszutauschen. Und ich mag es, live aufzutreten und damit die flüchtige Form von Songs zu erforschen, die sich immer wieder verändern können. Das mag ich sogar noch mehr, als sie im Studio aufzunehmen."
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Weitere Infos:
www.briasalmena.com
www.instagram.com/briasalmena www.facebook.com/briasalmena briasalmena.bandcamp.com www.youtube.com/watch?v=wvafDKHfkU8 www.youtube.com/watch?v=AQsBTAg6doM
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Interview: -Ullrich Maurer- Foto: -Matthew Tammaro-
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Aktueller Tonträger: Big Dog (Sub Pop/Cargo)
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