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MASHA QRELLA
 
Spiegelbilder der Wandlungsfähigkeit
Masha Qrella
Hier kommt zusammen, was zuvor nie zusammenpassen wollte: Auf dem just erschienenen Album "Songbook" fügt Masha Qrella all die Puzzleteile zusammen, die in den vergangenen zwei Jahrzehnten woanders nie so richtig passen wollten. Die Songsammlung aus Alt und Neu, Fremdem und Eigenem, Auftragsarbeiten und Herzensangelegenheiten, deutschen und englischen Texten mag auf den ersten Blick wie ein bunter Flickenteppich erscheinen, tatsächlich ist sie aber vor allem auch ein ehrliches Abbild des Alltags einer Musikerin, die zu speziell, zu anspruchsvoll für den Mainstream ist und deshalb die Utopie, allein von ihren eigenen Veröffentlichungen und Konzerten leben zu können, schon länger aufgegeben hat. Ihr "Songbook" ist deshalb auch das Spiegelbild ihrer Wandlungsfähigkeit. Eine Tournee steht im Mai und Oktober an.
"Songbook" ist bereits das siebte Solowerk von Masha Qrella, die schon in den 90er-Jahren als Bassistin von Contriva oder Mina im Post-Rock-Umfeld auftauchte und seit 2002 auch als Solistin immer wieder mit feinsinnigen, englischsprachigen Indie-Pop-Songs glänzen kann, die hierzulande ihresgleichen suchen. 2016 lieferte sie mit dem Album "Keys" ihr Meisterstück ab und orientierte sich danach zumindest zeitweise um. Mit der EP "Day After Day" wagte sie sich vor sechs Jahren mit einer Heiner-Müller-Vertonung erstmals an deutsche Texte, 2021 widmete sie sich auf der viel beachteten LP "Woanders" in Albumlänge den Werken des DDR-Schriftstellers Thomas Brasch und konzentrierte sich auch bei den anschließenden Konzerten auf die Songs dieses Albums. Doch nicht nur das zeigt, dass sich Mashas Fokus über die Jahre verschoben hat.

In einem anderen Interview erzählte Masha unlängst, dass sie bei der Zusammenstellung ihrer neuen Platte Gefallen daran gefunden hat, oft überhörte Nebenprojekte wie Film- oder Theatermusik, liegengebliebene Arbeiten sowie Momentaufnahmen von Begegnungen, die ihr persönlich wichtig sind, in einem größeren Kontext zu präsentieren und bei diesem Blick auf die Nebenschauplätze auch nicht zu verhehlen, dass Scheitern Teil des künstlerischen Daseins ist.

Tatsächlich hat sich Masha in der jüngsten Vergangenheit vermehrt Projekten mit einem konzeptionellen Rahmen und mehr oder weniger klar abgesteckten Vorgaben gewidmet, anstatt sich auf eigene Songs zu konzentrieren, bei denen ein leeres Blatt am Anfang steht. Der Grund liegt für Masha auf der Hand. "Um eigene Sachen zu machen, braucht man tatsächlich Zeit, und das Gefühl, dass das, was man selbst zu sagen hat, total wichtig ist, hat man ja auch nicht immer", sagt sie. "Lange Zeit war es mir einfach wichtig, mich selber einzuordnen und zu sehen, was mich umtreibt. Immer nur in mir selbst herumzuwühlen, bringt mich da nicht weit. Außerdem mag ich es auch nicht, wenn man sich im künstlerischen Bereich zwingt, etwas zu tun. Das kommt mir falsch vor, und deshalb nehme ich gerne Inputs an, die mich irgendwohin schubsen."

Als "Wundertüte" ist "Songbook" an anderer Stelle bereits beschrieben worden, und da ist durchaus etwas dran. Auf der LP finden sich fast 20 Jahre alte verworfene Stücke aus Mashas nie veröffentlichtem dritten Solowerk genauso wie fantasievolle Coverversionen, die uns von Dinah Washingtons Jazz-Nummer "September In The Rain" zu der Manfred-Krug-Hommage "Um die weite Welt zu sehen" führen, bevor mit der gleichen Selbstverständlichkeit auch noch Vertonungen von Texten aus der Feder von Novalis oder Alexander Osang auftauchen. Doch so unterschiedlich die Quellen, so verschieden die Inspirationen auch sein mögen: am Ende tragen all diese Songs Mashas unverkennbare Handschrift und das "Songbook" wird so zum Zeugnis einer umfassenderen Sinnsuche.

Vor diesem Hintergrund war es Masha ein Anliegen, sich für die neue Platte auf die Lieder zu konzentrieren, die ihrem derzeitigen Lebensgefühl am meisten entsprechen. Deshalb verwarf sie auch ihren ursprünglichen Plan, auf deutlich mehr Theater-Songs zurückzugreifen. Stattdessen rückte sie eine betont persönliche Note in den Mittelpunkt, oder wie sie es selbst ausdrückt: "Während des Prozesses des Kompilierens hat sich herauskristallisiert, was ich erzählen möchte und welche Einblicke ich geben möchte. Da spielt mein Verhältnis zu Berlin und die Zeit, die ich in dieser Stadt verbracht habe, ebenso eine große Rolle wie biografische Momente. Ich bin einfach dem gefolgt, was ich auch mir selbst gerne erzählen möchte."

Besonders deutlich wird der Berlin-Bezug natürlich mit dem verträumt anmutenden Trip-Hop-Track "Wut und Glück", zu dem der polnische Musiker Kuba Galinsky die Musik und Alexander Osang den Text voller ambivalenter Gefühle über die Veränderungen in der Hauptstadt beisteuerten, während Masha bei "Crooked Dreams Pt. 2" nicht nur vom "verrückten" Sounddesigns der Aufnahme überrascht war, sondern auch davon, wie sich ihre in dem Song beschriebenen Gefühle für ihre Heimatstadt über die Jahre bestätigt und sogar noch intensiviert haben.

Auch mit den meisten Coverversionen, die sie extra für das Songbook aufgenommen hat, verbindet Masha prägende persönliche Erinnerungen. Mit den britischen Retro-Pop-Helden Saint Etienne, deren "Heart Failed" zu den heimlichen Highlights auf "Songbook" gehört, ist sie um die Jahrtausendwende im Umfeld des Berliner Labels Bungalow, bei dem auch ihre alte Band Mina unter Vertrag stand, in Kontakt gekommen." Irgendwann ging ich mit einem Album von Saint Etienne nach Hause und war schockverliebt, in das Album, die Band, den Sound, den ganzen Style", schreibt sie in den Liner Notes des "Songbook". "Als dann ein Jahr später 'Heart Failed' in den Radios lief, war das für mich der Jetlag-Soundtrack schlechthin. Ich dachte damals: So fühlt sich Leben zwischen Backstage und Bühne, Flughafen und Taxi zum Hotel an. Die Kühle und Melancholie entsprachen meiner Vorstellung von Glamour."

Mit Queen, deren "I Want To Break Free" Masha auf der neuen Platte ganz eigen interpretiert, verbindet sie sogar eine traumatische Kindheitserinnerung. Wegen Queen hing ich mal kopfüber aus dem 18.Stock eines Lichtenberger Hochhauses", verrät sie in den Liner Notes. "Mein großer Bruder hatte das Album aus irgendeinem Grund auf Vinyl (war ja damals nicht so einfach mit den Platten aus dem Westen) und wir hatten seit Neustem einen Plattenspieler. Ich war zehn Jahre alt, allein zu Hause und wollte Musik hören. Ich hätte eine andere Platte nehmen sollen. Vysotzki, Gerhard Schöne, egal, irgendwas von meinen Eltern. Aber mich interessierten natürlich die Platten meines Bruders. Ich hatte das mit dem Plattenspieler noch nicht so richtig raus und dengelte mit der Nadel einen Riesenkratzer über die ganze Seite. Die Platte war unhörbar geworden. Kopfüber aus dem Fenster hängend, versprach ich meinem Bruder, nie wieder seine Platten anzurühren." Rund ein Vierteljahrhundert blieb das auch so, bis sie von der britisch-deutschen Performancegruppe Gob Smack zu einer Queen-Reminiszenz ins HAU einladen wurde, wo sie "I Want To Break Free" gemeinsam mit Krite Uhe spielte, nur um sich noch einmal zwölf Jahre später nun an die Nummer für "Songbook" zu erinnern und sie noch einmal neu einzuspielen.

Schon in der Vergangenheit hatte Masha immer wieder mit ihren stilvollen Coverversionen glänzen können - allen voran ihre viele Jahre bei ihren Konzerten nicht wegzudenkende Version von Bryan Ferrys "Don't Stop The Dance"! - doch dass sie sich an Superhits wie "I Want To Break Free" oder sogar "Whitney Houstons "I Wanna Dance With Somebody" heranwagt, ist allerdings neu. Der ursprüngliche Grund für das Whitney-Houston-Cover war der letztlich nicht von Erfolg gekrönte Versuch, einen Filmmusikauftrag zu ergattern, was uns nun eine entschlackte Indie-Folk-Version beschert.
Bleibt zum Schluss noch die Frage, was ein Song eigentlich haben muss, damit er für eine Masha-Coverversion infrage kommt. "Wenn es ums Singen geht, muss es so sein, dass ich denke: Es ist okay, wenn ich das singe, das kann man mir abnehmen", sagt sie lachend. "Häufig sind es Songs, die nicht ganz so auffällig sind. Bei Manfred Krug war das zum Beispiel so. Da habe ich gedacht: Das ist jetzt nicht der schillerndste Song von ihm, aber dadurch kann ich ihn leichter nachvollziehen und einen eigenen Ausdruck finden." Eines allerdings gilt sowohl für die eher obskuren Nummern wie für die Welthits: "Es muss immer einen Bezug zu mir geben. Ich brauche immer eine eigene Erzählung, die mit dem Original vielleicht gar nichts mehr zu tun hat, wie in dem einen Fall mit meinem Bruder", gesteht Masha. "Das ist mir schon wichtig, dass ich die eigene Geschichte dahinter sehe, während ich einen Song interpretiere. Oder es muss so anders klingen, dass sich eine schöne neue Sicht ergibt wie bei dem Whitney-Houston-Cover, das jetzt eben Berliner Hinterhof und nicht New Yorker Glamour ist."

Ein netter Effekt der Veröffentlichung des "Songbook" ist auch, dass Masha, mit Andreas Bonkowski und Andi Haberl an ihrer Seite, nun endlich wieder auf Tournee geht. Im Mai und Oktober ist sie in ganz Deutschland unterwegs. Anders als zuletzt, als neben den Songs von "Woanders" wenig Raum für alte Songs blieb, schwebt ihr dieses Mal eine Setlist mit Liedern aus allen Phasen ihrer Karriere vor. Wer nun glaubt, dass Masha sich durch ihre alten Alben hören muss, um sich inspirieren zu lassen, liegt allerdings falsch. "Mir die Platten noch einmal anzuhören, habe ich bisher noch nicht gemacht – ich habe die ja alle noch im Kopf", verrät sie. "Ich habe allerdings vor, ein paar alte Sachen rauszukramen, auf die ich jetzt richtig Lust habe." Im Sinn hat sie dabei sogar Lieder von "Unsolved Remained", die sie seit Jahren nicht mehr gespielt hat. "Das hängt auch noch ein bisschen davon ab, was bei den Proben entsteht", gesteht sie, bevor sie lachend hinzufügt: "Ich habe schon eine ewig lange Setlist gemacht, aber davon können wir gar nicht alles spielen!"




Weitere Infos:
mashaqrella.de
Interview: -Carsten Wohlfeld-
Foto: -Diana Näcke-
Masha Qrella
Aktueller Tonträger:
Songbook
(Staatsakt/Bertus)
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