Mit offenem Visier
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Sie sind waschechte Superstars: Mit ihrem vor wenigen Wochen veröffentlichten - und das an dieser Stelle schon ausführlich gewürdigten - Album "Automatic" im Gepäck kommen Wesley Schultz und Jeremiah Fraitas alias The Lumineers nun auf Tour, und das nicht im kleinen Rahmen, denn die im April anstehenden Deutschlandkonzerte finden in den größten Sportarenen der Republik statt. Klingt nach Big Business (und das ist es natürlich auch), trotzdem gelingt es dem Duo aus Denver, Colorado, auf seinem inzwischen fünften Werk fast schon unerwartet ehrlich und echt zu klingen und dem allgegenwärtigen "Höher, schneller, weiter"-Denken bemerkenswert bodenständige Alternative-Folk-Songs entgegenzusetzen. Man könnte fast sagen: Statt dem Ruf des Geldes in die Beliebigkeit zu folgen, machen The Lumineers einfach, was sie wollen. Gaesteliste.de sprach mit Wesley Schultz über das unwirkliche Gefühl, Stadionkonzerte zu spielen, eine neue Offenheit beim Songwriting und die Rückkehr zu einer musikalischen Neugier und Unschuld.
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GL.de: Wesley, was macht dich als Musiker derzeit besonders glücklich?
Wesley Schultz: Weil der Artikel ja erst erscheint, wenn das Album schon draußen ist, ist das keine gute Antwort, aber: Ich mag den Moment, bevor die Platte veröffentlicht wird. Wenn noch niemand sie gehört hat und du das Gefühl hast, dass sie das Beste ist, was du je gemacht hast. Das ist wie ein Geheimnis, das du nachts mit in den Schlaf nehmen kannst. Das hat etwas sehr Unschuldiges. und in dem Moment, in dem die Platte in die Welt hinaus entlassen wird, verfliegt es dann, dieses besondere Gefühl des unbegrenzten Potenzials für eine Sache, die du so sehr liebst und an die du so sehr glaubst!
GL.de: Kurz ein Blick zurück. Eure letzte US-Tournee endete im altehrwürdigen (und ausverkauften) Baseball-Stadium Wrigley Field in Chicago. Trotz all eurer Errungenschaften zuvor war das eine Riesensache, oder?
Wesley Schultz: Auf jeden Fall! Ich glaube, es gibt keine Band, die es von Anfang an darauf anlegt, in Stadien welcher Art und Größe auch immer aufzutreten! Wir hatten davor des Öfteren in Arenen gespielt, und das war genauso surreal. Ganz ehrlich: Jedes Mal, wenn wir an einem Venue ankommen, kann ich nicht glauben, dass dort Leute auf unser Konzert warten! Ich kann mir kaum vorstellen, dass irgendjemand, geschweige denn wir, so viele Leute anziehen könnte!
GL.de: Wie gelingt es, nach einem Auftritt wie dem Wrigley-Field-Gastspiel künstlerisch den nächsten Schritt zu machen?
Wesley Schultz: In gewisser Weise war mein Plan, einfach den Kopf in den Sand zu stecken und mich daran zu erinnern, dass es in puncto Erfolg zwangsläufig immer ein Auf und Ab gibt, und wenn du dich daran misst, ist das vergebliche Mühe! Ein Beispiel: Jared und ich waren wirklich stolz auf unser drittes Album, "III". Das war eine Platte, die um das Thema Sucht und Abhängigkeit kreiste und einer Menge Leute ist es zunächst schwergefallen, sich da einzuhören. Erst mit der Zeit hat die Platte ein großes Echo ausgelöst. Wenn man das Album nur nach den ersten Reaktionen beurteilt hätte, wäre man auf dem falschen Dampfer gewesen.
GL.de: Tatsächlich seid ihr ziemlich gut darin, den Verlockungen des Pop-Starruhms auszuweichen. Was ist euer Geheimnis?
Wesley Schultz: Meine größte Sorge - und ich weiß, dass Jeremiah diese Sichtweise teilt - ist, etwas zu machen, von dem du glaubst, dass es gut ist, aber weil du es aus den falschen Gründen machst, fühlt es sich völlig ausdruckslos an. Bis dir das bewusst wird, ist es dann aber leider zu spät. Wir haben versucht herauszufinden, was uns wirklich bewegt, was für uns aufregend ist. Wir haben uns wie kleine Kinder gefühlt, als wir die Platte gemacht haben, nicht zuletzt auch, weil sie so schnell entstanden ist. Wir haben gar keine Demos aufgenommen, sondern sind mit ganz schlichten Skizzen einfach ins Studio gegangen und haben die Songs in Echtzeit entstehen lassen, anstatt das alles schon in der Vorproduktion zu machen. Das hat eine ganz andere Art von Neugier und Unschuld hervorgebracht. Ich denke, es geht darum, nicht der Idee zu verfallen, dass der eigene Erfolg mit dem gleichen Maß gemessen werden kann wie der aller anderen. Ich habe kürzlich "A Complete Unknown", den Bob-Dylan-Film mit Timothee Chalamet gesehen sehen, und mich dabei daran erinnert, wie sich Dylan wie ein Phönix immer wieder neu erfunden hat, anstatt sich bei allen beliebt zu machen. Veränderung ist sein Ding und dasselbe gilt für die meisten der Künstler, denen ich über die Jahre treu geblieben bin.
GL.de: Auch wenn du gerade Dylan gelobt hast: Inspiration für das neue Album habt ihr aber nicht nur bei den alten Helden gefunden. Textlich waren es ausgerechnet Künstler der jungen Generation, die euch dazu ermutigt haben, euch dieses Mal tiefer in die Karten schauen zu lassen, richtig?
Wesley Schultz: Ja! Dass wir uns mit Noah Kahan und auch mit Zach Bryan zusammengetan haben, hat eine große Rolle gespielt, wenn ich ehrlich bin. Wenn man sein Ding als Künstler schon eine Weile macht, dann neigt man dazu, manchmal zu sehr zurückzublicken, und so war ich in meiner eigenen kleinen Höhle gefangen. Als dann die jüngeren Künstler anfragten, fühlten wir uns sehr geehrt, und deshalb fing ich an, in ihre Musik einzutauchen und in die Musik einiger anderer neuerer Künstler. Ich fand heraus, dass man von diesen neuen Künstlern etwas lernen sollte!
GL.de: Dich scheint vor allem die Offenheit, mit der die Youngster ihre Geschichten erzählen, beeindruckt zu haben?
Wesley Schultz: Ja! Das führte dazu, dass die Texte unserer neuen Platte weniger gefiltert sind und außerdem dieses Mal mehr Platz für Humor ist. Als ich aufgewachsen bin, habe ich durch meinen Vater viel Warren Zevon und Talking Heads gehört, und sowohl Warren Zevon als auch David Byrne hatten in ihren Texten immer jede Menge schrägen Humor - auch wenn du bisweilen danach suchen musstest und oft ein Augenzwinkern im Spiel war. Das hat sich auch auf unsere neue Platte niedergeschlagen, aber das ist vor allem passiert, weil das Visier offen war und ich das Gefühl hatte, dass du belohnt wirst, wenn du sagst, was dir durch den Kopf geht.
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GL.de: Jetzt spielt ihr weltweit wieder riesige Shows. Im April und Mai seid ihr in München, Köln, Hamburg und Berlin zu Gast. Ist die Aussicht, diese textlich unumwundenen und klanglich zurückgenommenen Songs in Sportarenen zu spielen, eine beängstigende Aufgabe?
Wesley Schultz: Nein! Wir hatten bereits eine Reihe Proben, und für mich hören sie sich prima an (lacht)! Es macht einfach eine Menge Spaß, sie zu spielen. Das Schöne ist, dass wir nach all den Jahren die Möglichkeit haben, immer mal wieder Songs auszutauschen. Am Anfang, wenn du nur ein Album draußen hast, gibt dir das in unserem musikalischen Genre nur ein, zwei Möglichkeiten, dein Set aufzubauen, damit nicht alles auseinanderfällt. Jetzt haben wir dagegen viel mehr Freiheiten und fühlen uns nicht mehr groß eingeschränkt, wie wir die Songs präsentieren und in welcher Reihenfolge. Mit fünf Alben im Rücken haben wir eine viel größere Auswahl, und das führt dazu, dass die Band besser spielt, weil das Ganze eine wahre Freude ist! Du kannst deine kreativen Muskeln auf eine ganz andere Art und Weise spielen lassen. Da gibt es kein: "Ok, der dritte Song ist immer…". Du kannst viel stärker auf die Situation reagieren, und ich denke, das kitzelt das Beste aus uns heraus, wenn wir live spielen. Ganz abgesehen davon verstehen Jeremiah und ich uns wirklich gut. Wenn du so lange zusammen unterwegs bist wie wir, dann gibt es auch immer mal Zeiten, in denen nicht alles glattläuft und du Lösungen findet musst. Deshalb halten es die meisten Bands ja auch nicht so lange zusammen aus. Es ist schwer, diese Art von musikalischer Ehe aufrechtzuerhalten. Wir haben einige schwierige Zeiten zusammen erlebt, aber wir haben das durchgestanden und wollten immer noch zusammen in einer Band sein. Es gibt da eine gegenseitige Wertschätzung. Ein bisschen Reibung hat zudem noch nie geschadet, das sieht man ja bei Oasis, oder bei Mick und Keith und sicherlich früher auch bei John und Paul. Wenn du dir Mühe gibst, einen Weg zu finden, um eine echte Verbindung herzustellen, und das funktioniert - es gibt nichts Besseres! Jeder kennt diese Shows, wo der Vibe einfach schlecht ist und du merkst, dass die Musiker sich nicht mehr leiden können und nur dort sind, um die Gage einzustreichen. Das ist das Letzte, was wir wollen würden! Nimm dagegen nur mal Bruce Springsteen: Egal, wann ich ihn gesehen habe, er vermittelt immer das Gefühl, dass er an keinem Ort der Welt lieber wäre als auf dieser Bühne, und es fühlt sich total aufrichtig an. Genau das ist die Herausforderung, der wir uns auf Tour stellen: Es geht darum, nicht nur so zu tun, sondern es wirklich zu fühlen.
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Weitere Infos:
www.thelumineers.com
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Interview: -Carsten Wohlfeld- Foto: -Noa Griffel-
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Aktueller Tonträger: Automatic (Dualtone/Bertus)
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