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JOE STRUMMER AND THE MESCALEROS
 
Der kleine Master-Plan
Joe Strummer And The Mescaleros
Joe Strummer hat eine Theorie: Je teurer das Hotel, desto langsamer läuft das Wasser im Waschbecken ab. Da wir uns im Wasserturm-Hotel zu Köln befinden - so ziemlich der teuersten Absteige dortselbst - wollen wir natürlich wissen, ob er das schon nachgeprüft hat. "Nein, aber da gibt's diese merkwürdigen Hähne", meint er ganz agitiert, "das müßt ihr euch anschauen." Und führt uns ins Badezimmer, wo er rätselnd vor zwei in zwei Meter Höhe montierten Kränen steht, die sich über der Toilette befinden. "Da kann ich mir keinen Reim drauf machen", meint er verwundert. Wir auch nicht. Was aber will uns das sagen? Ganz einfach: Joe Strummer, der Ex-Frontmann von The Clash, Legende, Halbgott und Idol unserer Jugend hat sich seinen Sinn für die profanen Dinge im Leben bewahrt. Zum Einen wohl, weil er nicht anders kann - das Zimmer sieht schon mächtig profan unordentlich aus. Allerdings stehen statt leerer Bierflaschen überall Gerolsteiner-Flaschen rum. Punk-Light nennt man das wohl. Zum Anderen muß er z.Z. auch vergleichsweise kleinere Brötchen backen (was Anspruchsdenken betrifft).
Joe Strummer And The Mescaleros
"Das würde ich wohl gerne", meint er auf die Frage, ob er mit der Veröffentlichung des neuen (zweiten) Mescaleros-Albums "Global-A-Go-Go" nach einer 10-jährigen Pause wieder in einen regelmäßigen Veröffentlichungs-Rhythmus verfallen ist, "aber um ehrlich zu sein: Die letzte Mescaleros-Scheibe hat kein Geld eingespielt. Insofern gibt mir Hellcat [das neue Label] schon einen gewissen Vertrauensvorsprung." Braucht es da nicht einen Masterplan, um diesem Album zum Erfolg zu helfen? "Genau, und den habe ich auch", meint der Meister, "es ist nichts großartiges: Zur Veröffentlichung der neuen Scheibe werden wir überall so schnell wie möglich Instore-Gigs spielen. In London, New York und so. Ich hoffe, daß erstens eine ganze Menge Leute dann gleich die Scheibe kaufen werden - anstatt tröpfchenweise - und daß es zum anderen eine gute Mund-Zu-Mund-Propaganda geben wird." Nun ja: Er hatte ja gesagt, es sei kein großartiger Plan. Die Sache verwundert nun doch ein wenig: Strummer, der inhaltlich nichts von seiner politischen Brisanz und Eloquenz verloren hat ("Ich denke, das war eine provozierte Aktion, um mehr Stimmen bei der letzten Wahl zu erringen - was auch geklappt zu haben scheint", meint er z.B. zu den Rassenunruhen in Oldham), ist doch eigentlich in einer Position, wo man denken könnte, daß er es gewohnt sei, mit seiner Musik Millionen zu bewegen (Personen, nicht Geld!). Wieso baut er denn da auf Mund-Zu-Mund-Propaganda? Die Frage ist, ob Musik - außer auf der persönlichen Ebene - seiner Erfahrung nach etwas bewegen kann. "Ich habe festgestellt, daß, wenn Musik etwas bewegt, es dazu notwendig ist, daß ich mit den betreffenden Leuten direkt reden muß. Das habe ich tausend mal wiederholt." Wichtig sei es, mit den Leuten zu sprechen - egal ob sie einen verstehen oder nicht (Diesem Spruch von Travis-Frontmann Fran Healy stimmt Joe bedingungslos zu). Wenn man das überdenkt, macht es auch Sinn. Die Materie, die Joe am Herzen liegt / lag - momentan ist das die Thematik, daß fremdkulturelle Einflüsse die eigene Kultur bereichern und nicht gefährden - finden ja vorwiegend dort Gehör, wo sein Gedankengut eh auf fruchtbaren Boden fällt. Außenstehende, um die es ja eigentlich geht, und die eigentlich seine Botschaften hören müßten, erreicht er auch nicht - es sei denn, im persönlichen Gespräch. Solange es keine neue Welle gibt, auf der man reiten kann, wird das auch so bleiben.
Joe Strummer And The Mescaleros
"Sowas hilft natürlich", erinnert sich Joe da an alte Clash-Zeiten, "aber momentan sehe ich so was nicht kommen. Und ja, es ist fast aussichtslos, Außenstehende zu erreichen. Die Leute in meinem Alter haben eh fast alle aufgehört, sich Musik zu kaufen." Ein Spruch, den man immer häufiger zu hören bekommt. Wobei noch hinzukommt, daß populäre Musik - zumindest bei uns - als kultureller Faktor nicht wirklich ernstgenommen wird, sondern bloß als Unterhaltung gesehen wird. "Das ist nicht nur bei euch so, sondern auch bei uns oder in den USA, lediglich in Frankreich ist das ein wenig besser", fügt Strummer hinzu. Musikalisch ist die neue Scheibe ein multikultureller Gemischtwarenladen allererster Güteklasse. Das liegt auch daran, daß Strummer in diesem Falle seinen Mitstreitern freie Hand läßt. Zu diesen gehören u.a. Pablo Cook (Percussion), Martin Slattery (ex-Black Grape) und Tymon Dogg - das ist derjenige ehemalige Straßenmusikant, der Joe das Gitarrespielen beibrachte. "Ja, das war zwar nicht so geplant, aber notwendig, da mit Antony Genn nach der letzten CD der zweite Songwriter ausgefallen war", erläutert Joe dies, "außerdem mag ich diesen Band-Approach. Wenn du dir 'London Calling' anschaust, wirst du sehen, daß da 'The Clash' unter den Songs stehst, anstatt Strummer-Jones. Ich wollte damals Topper und Paul mit einbeziehen. Das haben wir jetzt wieder so gemacht. Wir waren in diesem kleinen Studio, welches ziemlich billig ist. Wenn du nicht jede Stunde ein Bündel Pfundnoten verbrätst, hilft das schon. Wir waren vollkommen frei und spielten einfach herum. Ich denke, das werde ich das nächste Mal auch wieder machen... Das Schwierigste dabei ist sicherlich, die Band zusammenzuhalten." Das beste Beispiel für die lockere, gewissermaßen plan- und richtungslose, aber organische Vorgehensweise - die übrigens hervorragend zu Joe's entsprechend ausgerichtetem Vortragsstil paßt - ist die Schlußnummer, das 18-minütige Instrumental "Minstrel Boy". "I'm right with you, Dude!", meint Joe als Wohlgefallen an diesem Track geäußert wird. "'Minstrel Boy' ist ein Traditional, was ich immer schon mal spielen wollte. Ich wußte bloß nicht wie. Da kam mir beim Essen diese Idee und ich meinte zu den Jungs: 'Laßt uns das doch als B-Seite aufnehmen' - weil das ja sowieso immer gebraucht wird. So gingen wir zurück ins Studio. Der Plan war, ein 3:40 Minuten Song aufzunehmen. Als wir dann die Zeit stoppten, lagen wir bei über 20 Minuten. Da wir nun keine Lust hatten, das Ding komplett neu anzuhören, spielten wir gleich neue Sachen dazu. Am Schluß hatten wir dann diese Multitrack-Aufnahme mit zwei Martin Slattery's, zwei Pablos usw. Für die CD mußten wir es dann noch um fünf Minuten kürzen - was uns sehr schwergefallen ist." Eine weitere Anekdote zu diesem Stück fügt Joe noch hinzu: Der komplette Track lief bei einem Freund, der eine Wand streichen wollte. Nachdem er fertig war, bemerkte er, daß er die ganze Wohnung gestrichen hatte. Das Stück ist also in der Lage, die Zeit zu raffen. Hat das eigentlich mit der vierten Dimension zu tun, über die Joe das Stück "Mega Bottle Ride" schrieb? "Das könnte schon sein", meint Joe schmunzelnd, "ich war in der vierten Dimension. Solange man dort rauchen darf, ist die auch echt in Ordnung." In Wahrheit ist dieser Song aber lediglich das Ergebnis von Joe's Arbeitsweise. Zunächst mal braucht man die Inspiration des Augenblicks - in dem Fall ein Buch, was er gerade las, wohingegen ansonsten die Ideen für echt viele Songs beim Essen zu entstehen scheinen. Und dann ist jede Menge Arbeit und Feinschliff notwendig. "Ja, da macht sich keiner Gedanken drüber, wie schwierig es ist, alles fertigzustellen und was alles dazugehört", lamentiert er und greift sich das Artwork des Albums, "nimm z.B. dieses Cover." Es zeigt die Texte der Songs. "Mir ist es schon wichtig, die Texte abzudrucken", erläutert er - wohl wissend, daß man diese nicht immer gut verstehen kann, "und ich wollte, daß es schön organisch aussieht. Deswegen habe ich mich hingesetzt und alles von Hand abgeschrieben - manche Seiten bis zu drei Mal." Auch das paßt zu Joe's Vorgehensweise: Alles muß scheinbar immer irgendwie greifbar sein. "Manchmal schreibe ich z.B. mit einer Schreibmaschine", führt er aus, "weil man da die Wörter richtig schön reinhacken kann. Manchmal mit so einem Filzstift hier - weil dann immer alles schön fließt. Es kommt halt drauf an."

Gibt es denn irgendwas, was sich wie ein roter Faden durch sein Gesamtwerk zieht? "Nö, eigentlich nicht", antwortet Joe und macht auch keine Anstalten, das weiter auszuführen. Und was ist mit seiner Stimme, die doch gewiß Wiedererkennungswert hat? "Ja, das kann schon sein", stimmt er zu, nur um dann wieder einzuschränken, "aber manchmal, wenn ich einen Song von mir höre, mag ich gar nicht glauben, daß ich das gewesen bin. Ich kann mich manchmal auch gar nicht mehr dran erinnern, das aufgenommen zu haben." Ja, so ist das eben mit dem Künstlerdasein: Es zählt immer nur der Augenblick - was Joe in einem Nebensatz auch noch mal bestätigt. Wir wollen noch wissen, wie wichtig es für Joe ist, ein Engländer zu sein, in Zeiten wo... "Moment mal, ich bin britisch!", begehrt er auf. Ein Umstand, den man zunächst mal gar nicht so richtig nachvollziehen kann, wo die Briten doch sonst immer Wert darauf legen, aus England, Schottland, Wales oder sonstwoher zu stammen. Doch Joe hat dafür eine Erklärung: "Meine Mutter stammt aus Schottland - und zwar aus dem äußersten Norden. Aufgewachsen bin ich im Süden. Früher war mir das nicht so bewußt, aber zur Zeit lege ich viel Wert darauf, als Brite angesehen zu werden. Es geht um diese Art von Zusammengehörigkeitsgefühl, das es eigentlich seit dem zweiten Weltkrieg nicht mehr gegeben hat."

Joe Strummer And The Mescaleros
Das Thema Clash ist bei Joe momentan nicht aktut. Die lockere Art aber, wie er (nicht unstolz) damit umgeht - geduldiges Signieren der alten Scheiben, gespielter Ärger als Kommentar zu Clash Cover-Versionen von Bon Jovi und Robbie Williams und nicht zuletzt der lockere Plauderton, mit dem er die alten Saufbrüder erwähnt - lassen jedoch darauf schließen, daß irgendwann eine Clash-Reunion nicht ganz ausgeschlossen erscheint. Obwohl das momentan sicherlich nicht Thema ist. Im Prinzip ist Joe Strummer 2001 weniger durchkalkuliert, gottgleich und stringent als manche Leute das vielleicht gedacht haben mögen. Zur geeigneten Zeit läßt er z.B. einfach mal den begeisterten Musikfan raushängen und freut sich wie ein kleiner Junge über den Umstand, daß ihm Pete Townsend neulich einen Preis überreichte und kann sich gar nicht über Zak Starkey's Qualitäten als Nachfolger von Keith Moon / Kenny Rogers einkriegen - oder aber er begeistert sich über die Möglichkeiten des Samplings und versteigt sich in diesbezügliche Anekdoten. Das alles macht ihn aber auch irgendwie sympathisch, denn ein wenig Beliebigkeit muß man sich ja schließlich bewahren im Leben. Und eben den Blick für's Profane: "So ein Mist", meint er dann auch beim Photoshoot, bei dem er uns das neue Schwimmbad gegenüber des Hotels zeigt, "jetzt sind die ganzen Nackten weg. Heute Vormittag haben sie sich noch da drüben getummelt! Das war ziemlich cool." Und dann dreht er sich um und meint, man müsse jetzt ja wohl doch ein Bier trinken gehen. Immer nur Punk-Light geht ja auch nicht.
Weitere Infos:
www.joestrummer.co.uk
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Ullrich Maurer-
Joe Strummer And The Mescaleros
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