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WHITE STRIPES
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Familienbande
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09. August 2001. London, Virgin Megastore. Es ist 14.00 Uhr. In dem riesigen, dreistöckigen Plattenladen-Tempel an der Oxford Street läuft wie jeden Tag das hauseigene Musikprogramm. Der typisch britische DJ faselt irgendwas von neuen Sonderangeboten und beschallt den Laden mit irgendwas total Langweiligem aus den Charts. Auch die Ankündigung, daß als nächster Song nun etwas von den White Stripes laufen würde, regt bei der potentiellen Kundschaft noch keinerlei größeres Interesse. In dem Moment aber, in dem die ersten Akkorde des Riffs von "Dead Leaves And The Dirty Ground" von unten nach oben durchs Treppenhaus des Megastores schallen, ließ sich ein fast einmaliges Schauspiel beobachten: Die versammelte Meute der Kaufwilligen rannte hektisch zu den Listening Stations, um zu prüfen, ob etwa auch der Rest des Albums "White Blood Cells" ähnlich kompromißloser Garagenrock sei wie das gerade gehörte Stück. Wenige Minuten später trugen gut ein halbes Dutzend Menschen das Album des Duos aus Detroit, Michigan, glücklich zur Kasse, und als die stets stilecht rot und weiß gekleideten Geschwister drei Tage später auch noch auf dem Cover des altehrwürdigen NME landeten, war klar: Die Stripes-Mania hat London erfaßt!
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Kein Wunder, denn "White Blood Cells" ist noch einen Hauch minimalistischer als seine Vorgänger. Aufgenommen in Memphis, Tennessee, sind die Songs zum Teil Jahre alt und im Gegensatz zu den ersten Platten der beiden Amerikaner fehlen auf dem aktuellen Album nicht nur die Coverversionen, sondern auch die zusätzlichen Instrumente. Hier gibt's nur Gitarre, Schlagzeug, Gesang. Ende. Raw Power für das neue Jahrtausend!
In der gleichen Woche, in der das Duo England im Sturm eroberte, hatte Gaesteliste.de als eines der ersten Magazine in Deutschland das zum damaligen Zeitpunkt nur als Import erhältliche Album besprochen, aber daß die Band wenige Wochen später einen Deal über angeblich mehr als drei Millionen Mark mit dem vor allem durch The Prodigy bekannten Label XL Recordings unterzeichnen würde und in ganz Europa schlicht sensationelle Konzerte vor erstaunlich großem Publikum spielen würde, konnte da ebenso wenig jemand ahnen wie die Tatsache, daß sich die White Stripes im Gaesteliste.de-Schreiber-Jahres-Poll nur Spiritualized beim Kampf um den Titel "Album des Jahres" geschlagen geben mußten und auch bei den besten Liveacts 2001 ganz vorne rangieren. Dieser Tage werden zudem noch die beiden ersten Alben der Detroiter, ihr selbstbetiteltes Debüt und "De Stijl" von XL Recordings erstmals offiziell in Europa veröffentlicht. Grund genug für uns, die schweigsame Meg und ihren glücklicherweise wesentlich redseligeren Bruder Jack bei unserem Gespräch in Köln, vor dem allerersten Konzert der Stripes in Deutschland überhaupt, zunächst einmal zu fragen, wie sie denn das zurückliegende Jahr selbst verkraftet haben.
Jack: "Das abgelaufene Jahr ist so ziemlich das hektischste, das wir bisher in unserem Leben erlebt habt. Und noch dazu kam das völlig unerwartet. Als wir im Sommer nach England kamen, sind wir eigentlich davon ausgegangen, daß es nur eine Tour im kleinen Rahmen geben würde, und letztendlich wurde es total verrückt, mit ausverkauften Konzerten und jeder Menge Presseterminen. Jetzt im Winter haben sie uns sogar in ein paar Fernsehshows untergebracht! Wir waren sogar bei 'Top Of The Pops', genau wie all die Bands, zu denen ich aufschaue: The Kinks, The Who, die Stones! Das war sehr seltsam, und irgendwie macht das für mich alles keinen Sinn! Das soll natürlich nicht heißen, daß wir uns beschweren, es gibt wirklich schlimmere Dinge, die dir passieren können!"
GL: Gab es denn einen konkreten Wendepunkt, an dem ihr realisiert habt, daß die Dinge besser für euch laufen als je erträumt?
Jack: "Vor unserem allerersten Konzert in England durften wir direkt eine Peel-Session aufnehmen, und John [Peel] war ziemlich begeistert davon. Er war schon vorher ein großer Fan von uns gewesen und hat uns toll unterstützt. Das war schon eine ziemlich große Sache für uns."
GL: Hattet ihr denn überhaupt irgendwelche Erwartungen vor dem ersten Abstecher nach Europa? Wie weit oben auf eurer Liste war zum Beispiel die Peel-Session?
Jack: "Das war immer ein Traum, mal zu John Peel eingeladen zu werden, aber keiner, von dem ich gedacht hätte, daß er jemals Wirklichkeit wird. Alleine die Tatsache, daß er uns mochte, war schon eine große Überraschung."
GL: Spielt es für euch eine Rolle, ob ihr den größten Erfolg zu Hause in den Staaten habt oder jetzt in Europa, wo ihr ja vor wesentlich mehr Leuten auftretet?
Jack: "Nicht wirklich. Daß wir überhaupt die Chance haben, Platten aufzunehmen und sie zu veröffentlichen, ist schon mehr, als wir erwarten. Wenn dann auch noch Leute zu den Konzerten kommen, egal wo und wie viele, ist das für uns nur das Sahnehäubchen."
GL: Machen sich denn inzwischen Unterschiede bemerkbar zwischen dem Publikum zu Hause in den Staaten, in England oder jetzt auf dem europäischen Festland?
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Jack: "In vielen Ländern spielen wir ja jetzt zum ersten Mal, und viele Leute sind nur da, weil es einen so großen Hype um uns gegeben hat. Deshalb ist die Reaktion des Publikums anfangs oft ziemlich verhalten. Viele Leute stehen erst einmal nur vor der Bühne und versuchen, sich eine Meinung zu bilden, und wägen ab, ob der Hype gerechtfertigt war. Gestern haben wir zum Beispiel in Groningen gespielt, und wir wußten, daß unsere Platten sich in Holland schon ganz gut verkauft hatten, aber offensichtlich waren die Leute, die uns schon länger kannten, gestern leider zu Hause geblieben. Das Konzert war zwar ausverkauft, aber die meisten Leute hatten wohl erst eine Woche vorher zum ersten Mal von uns gehört."
GL: Sind das schon die ersten Anzeichen des Backlashs, daß ihr für die Fans der ersten Stunde schon nicht mehr "hip" genug seid?
Jack: "Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was ich davon halten soll. Ich habe das nie gemocht, daß Leute sagen: 'Hey, das ist unsere kleine Geheimband, und wenn jemand anders sie auch mag, will ich nichts mehr von ihr wissen'. Das wäre ja ein bißchen so, als wenn ich ein Baseball-Team mag, und nur, weil sie in der World Series spielen und auf einmal Leute auf der Straße Mützen mit ihrem Logo tragen, finde ich sie nicht mehr gut. Das ist doch Blödsinn, aber leider kann man dagegen nichts machen."
GL: Eure Einflüsse liegen irgendwo zwischen dem Vorkriegs-Blues von Son House, Blind Willlie McTell oder Charley Patton und dem Bluesrock der späten 60er von Led Zeppelin oder Rory Gallagher. Wie erklärt ihr euch, daß kaum ein Twenty-Something diese Musik hört, die White Stripes aber phantastisch findet und eben nicht lieber Nu-Metal hört?
Jack: "Ich kann es mir wirklich nicht erklären! Vor ein paar Tagen in England haben wir 'Death Letter' von Son House gespielt, das ja auch auf einer unserer Platten ist, und in der ersten Reihe haben ein paar Mädels mitgesungen. Das war schon sehr seltsam, 16-jährige, weiße Girlies ein Son-House-Stück singen zu sehen! Das ist absurd und großartig zugleich!"
GL: Und wie seid ihr selbst zu dieser Art von Musik gekommen?
Jack: "Wirklich nur durch Zufall. Jemand spielte mir ein Stück von Son House vor, das war die erste richtige Blues-Platte, die ich je gehört habe. Ich konnte mich damit unglaublich gut identifizieren. Danach konnte ich nicht mehr genug davon kriegen. So kam ich zu Robert Johnson und Blind Willie McTell, und die zählen jetzt zu meinen Alltime-Favorites."
GL: Auffällig ist auch, daß ihr bisher jedes Jahr ein neues Album veröffentlicht habt. Besteht da nicht das Risiko, daß irgendwann mal die Qualität darunter leiden könnte, auch wenn ihr bisher kein Problem damit hattet?
Jack: "Ich zögere die Dinge nicht gerne hinaus, deshalb konnten wir uns bisher auch nie dazu entschließen, mit einem größeren Label zusammenzuarbeiten. Dort dauert alles so lange. Ich möchte neue Dinge angehen und weiterkommen, ich möchte nicht ein Jahr darauf warten, bis unsere Platte erscheint. Ich bin jetzt jung, diese Zeit möchte ich nicht mit Warten verschwenden, hahaha!"
GL: Die Tour dieses Jahr ist nun aber wesentlich länger geworden als ursprünglich geplant. Fangen die Konzerte schon an, euren weiteren Plänen im Weg zu stehen?
Jack: "Ja! Wir wollten eigentlich unser viertes Album schon vor dieser Winter-Tournee Aufnehmen, aber bei der Tour-Planung ging einiges schief, und wir kamen nicht zum aufnehmen. Das ist für uns eine neue Erfahrung, nicht genug Zeit für alles zu haben. Trotzdem mögen wir das Livespielen eigentlich lieber. Im Studio können wir nur besser dokumentieren, was wir geschrieben haben."
GL: Ihr geht also an eure Alben nicht mit einem Konzept heran?
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Jack: "Nein, wir gehen Song für Song vor. Das erste Album hat einen sehr zornigen Unterton. Danach haben sich die Stücke meiner Meinung nach doch sehr verändert und auf der neuen Platte gibt es ja Stücke wie 'Hotel Yorba' oder 'I Smell A Rat', die nichts mit dem zu tun haben, was wir vorher gemacht haben. Die neue Platte ist fast wie eine Sammlung von Singles. Das fand ich sehr spannend, weil so jeder Song seine eigene Persönlichkeit entwickeln konnte."
GL: Das heißt also, daß das vierte Album wohl auch kaum spektakuläre Veränderungen mit sich bringen wird?
Jack: "Ja! Für mich hatte die Band noch nie etwas wirklich Spektakuläres an sich, und ich wüßte nicht, was sich daran in Zukunft ändern sollte, hahaha!
Meg: "Wir wollen unbedingt mal in Island spielen!"
Jack: "Mensch, verrat doch nicht all unsere Geheimnisse, hahaha!"
GL: Apropos spektakulär: Ihr habt gerade beim Soundcheck Bob Dylans "Love Sick" gespielt, nicht gerade der typischste Song für euch. War das mehr ein Scherz?
Jack: "Nein, wir haben den Song einmal live gespielt, vor ungefähr anderthalb Jahren. Heute ist er mir plötzlich wieder eingefallen, und wir haben gerade mal getestet, ob wir ihn noch draufhaben, und wir werden ihn dann gleich auch in der Show spielen."
GL: Eure Setlist ist also immer für Überraschungen gut?
Jack: "Wir machen erst gar keine Setlist! Wir fangen in der Regel mit dem gleichen Stück an und hören auch jedes Konzert mit dem gleichen Stück auf, aber dazwischen ist fast alles möglich."
Meg: "Wir haben ungefähr 40 Coversongs drauf, wir haben vor ein paar Tagen mal eine Liste gemacht. Die meisten haben wir allerdings nur einmal gespielt, hahaha."
Jack: "Natürlich wissen wir schon, welche Songs das Publikum hören will, aber das beeinflußt uns nicht wirklich bei der Auswahl der Songs. Wir versuchen auch immer, ein paar Songs unterzubringen, die so etwas wie Medizin sind, die wir den Leuten einfach unter's Essen mischen können."
GL: Irgendwelche "famous last words"?
Jack: "Ich fänd' es schön, wenn die Leute, die zu unseren Konzerten kommen, zuerst zumindest eine unserer Platten gehört hätten, damit sich nicht nur alles um den Hype dreht!"
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Weitere Infos:
www.whitestripes.com
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Interview: -Carsten Wohlfeld- Fotos: -Pressefreigaben-
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Aktueller Tonträger: White Blood Cells (XL Recordings/Connected)
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