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GRANT-LEE PHILLIPS
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Sieg der Leidenschaft
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Er ist wieder da! Gut vier Jahre, nachdem seine einstmals glorreiche Band einfach im großen Rummel des Musikbiz untergegangen ist, meldet sich Namensgeber und Mastermind Grant-Lee Phillips zurück. Nachdem er vor knapp zwei Jahren sein Solodebüt "Ladies' Love Oracle" nur per Internet vertrieben hatte, steht mit "Mobilize" nun erstmals ein Alleingang von Grant auch in den Läden. Größtenteils alleine aufgenommen, tut es dem Amerikaner merklich gut, sich aus dem Bandkorsett von Grant Lee Buffalo gelöst zu haben. Mit sanften, geschickt eingebauten Elektronik-Avancen, interessanten Arrangements und den gewohnt großartigen Songs gelingt es Grant mit Leichtigkeit, genau die Americana-Klischees zu umschiffen, die seiner früheren Band letztendlich das Genick gebrochen haben, ohne allerdings deswegen seine alte Fangemeinde zu vergraulen. Nicht zuletzt, weil seine durchdringend-markante Stimme natürlich unverändert den Mittelpunkt seiner Songs bildet. Live spielt er seine neuen Songs mal solo, mal zu dritt und mal mit einer vierköpfigen Band, stets aber mit jeder Menge Hingabe - Mitte April auch endlich wieder in Deutschland. Nachdem er schon im Januar für einige Konzerte nach England und Irland gekommen war, bedeutete der Interview-Abstecher in unsere Breiten bereits seine zweite Europareise in nur acht Wochen.
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Grant: "Ja, ich habe im Januar zwei Shows in London und eine in Dublin gespielt, aber in Deutschland bin ich jetzt zum ersten Mal seit vielen Jahren. Ich finde das ziemlich aufregend, weil ich alles mit ganz anderen Augen sehe. Es ist, als wäre ich zum ersten Mal hier."
GL: Wo wir gerade beim Thema Wahrnehmung sind: Siehst du "Mobilize" als deinen Solo-Erstling? Zumindest, was echte Veröffentlichungen in Europa angeht, ist es ja dein erstes Album nach dem Ende von GLB. Wie siehst du das?
Grant: "Das ist eine gute Frage! Ich denke schon, daß ich es selbst auch als mein erstes Soloalbum ansehe, obwohl faktisch 'Ladies' Love Oracle' natürlich das erste Album ist, das ich als Solokünstler auf die Öffentlichkeit losgelassen habe, wenn auch nur beschränkt auf das Internet. Deshalb werden viele Leute es wohl nie zu hören bekommen, obwohl ich natürlich hoffe, daß sie es dennoch irgendwie auftreiben, denn ich hatte sehr viele positive Rückmeldungen zu der Platte."
GL: Dann solltest du vielleicht einfach ein paar Exemplare auf deiner Europa-Tournee verkaufen!
Grant: "Ich denke, das sollte ich tun! In Amerika habe ich auch immer eine Handvoll Platten mit zu den Konzerten gebracht. Ich mag den Gedanken, daß man in der völlig verrückten Musikindustrie trotzdem noch eine Platte haben kann, die ganz einem selbst gehört. Das bedeutet mir sehr viel."
GL: Ist das auch der Grund, warum "Mobilize" im Gegensatz zu allen Grant-Lee-Buffalo-Alben nicht auf einem Major, sondern auf Cooking Vinyl erscheint, also einem Label, das auch für seine Künstlernähe bekannt ist?
Grant: "Ja! Cooking Vinyl hat inzwischen eine eindrucksvolle Liste an Künstlern unter Vertrag, und gerade nach meinen Erfahrungen mit viel größeren Labels ist es großartig, einen viel engeren Kontakt zu einem Label zu haben."
GL: Wir haben kürzlich mit deiner früheren Publizistin Barbara Mitchell über die Probleme gesprochen, die ihr mit Slash und später Reprise hattet. Heißt das, daß du jetzt keinen Majorvertrag mehr eingehen würdest, selbst wenn sich dir die Chance böte?
Grant: "Ich denke, heutzutage muß man als Musiker allen Chancen gegenüber offen sein, die sich einem bieten. Wenn ich für eine weitere Platte einen Majorvertrag angeboten bekäme, würde ich mit aller gebotenen Vorsicht genauso darüber nachdenken wie über einen Indievertrag. Natürlich lehrt mich die Erfahrung, daß das Majorsystem jede Menge Fallen bereithält. Eine davon ist, daß du einfach im Gedränge verloren gehst. Die Erwartungen sind unglaublich hoch, aber alles, was zählt, sind Radioairplay und die daraus resultierenden Verkäufe. Für jemanden wie mich, der weniger an Singles, sondern viel mehr an Alben interessiert ist und daran, sich selbst weiter zu entwickeln, kann sich ein Majorvertrag schnell als Desaster entpuppen, wenn man gezwungen ist, sein Image dem jeweils neuesten Trend anzupassen."
GL: Würdest du zustimmen, daß "Mobilize" zwei verschiedene Ziele verfolgt, einerseits neue Wege geht, gerade was den Gebrauch von Elektronik angeht und die sparsamen Arrangements, andererseits aber auch mehr von der großartig gespenstischen Atmosphäre des GLB-Debüts "Fuzzy" beinhaltet als alle deine folgenden Platten?
Grant: "Ja! Das ist eine sehr passende Beobachtung. Ich sehe das selbst ganz ähnlich!"
GL: War das denn geplant oder eher Zufall?
Grant: "Das ist einfach so passiert! Ich habe mir jedenfalls zu keinem Zeitpunkt gesagt, daß ich zum Sound von 'Fuzzy' zurückkehren sollte oder wollte. Die Gemeinsamkeit liegt vor allem auch in der Herangehensweise. Damals habe ich auch sehr isoliert gearbeitet [Grant Lee Buffalo als Band gab es während der ersten Anläufe zu 'Fuzzy' noch gar nicht]. Ich halte es für sehr wichtig, daß man sich während des Aufnahmeprozesses so gut wie möglich abschottet, ansonsten schwirren dir immer diese Stimmen im Kopf umher, die wissen wollen, was denn als Single ausgekoppelt werden soll und ob die Songs auch kurz genug sind und so etwas, und das kann eine ziemliche Qual sein, wenn du ein flüssiges und bewegendes Album machen willst. Insofern war meine geistige Einstellung zu Beginn der 'Mobilize'-Aufnahmen recht ähnlich wie die Anfang der 90er, als ich mit 'Fuzzy' angefangen habe."
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GL: Die neue Platte ist auch die erste seit knapp zehn Jahren, die du ohne den Input einer echten Band gemacht hast...
Grant: "Ab der zweiten Platte gab es für uns einfach keine andere Möglichkeit, als uns als wirkliche Band zu definieren, bei der jeder von uns alles geben sollte und das hat natürlich dann auch meine Art, Songs zu schreiben, beeinflußt und die Herangehensweise an die Aufnahmen. Dieses Problem der Dynamik hat uns immer verfolgt, nicht zuletzt, weil ich ja 100% der Songs geschrieben habe. Du sprichst da aber einen wichtigen Punkt an. Bis wir bei Slash unterschrieben hatten, sah es ein bißchen so aus, als hätte ich schon in den frühen 90ern meine Solokarriere starten können. Trotzdem kann ich nicht sagen, daß ich an Grant Lee Buffalo nur schlechte Erinnerungen habe. Es variiert. Es war nicht alles schlecht, aber eben auch nicht alles rosig."
GL: Eine der witzigsten Geschichten zu Grant Lee Buffalo ist ja wohl die, daß einer von euch bei einer Pinkelpause mitten in der Nacht an einer Autobahnraststätte irgendwo in Italien zurückgelassen wurde und der Bus mit dem Rest der Band, ohne es zu merken, einfach weiterfuhr! Die Geschichte ging damals sogar durch die News auf MTV...
Grant: "Ich muß zugeben, das war ich, hahaha! Um ganz ehrlich zu sein, es waren ich und meine Frau, allerdings wurde sie in den Berichten nie erwähnt!"
GL: Was damals wie heute aber immer wieder erwähnt wurde, sind deine engagierten Texte. Billy Bragg hat uns kürzlich erzählt, er wäre froh, schon immer ein politisch motivierter Songschreiber gewesen zu sein, der sich nicht à la David Gray oder Ryan Adams plötzlich gezwungen sähe, zur veränderten politischen Weltlage Stellung zu nehmen. Inwieweit, glaubst du, werden die Ereignisse der letzten Monate dein Songwriting beeinflussen, gerade wo du ja schon immer Situationen in den Staaten kritisch unter die Lupe genommen hast?
Grant: "Ein Ereignis wie der 11. September ist natürlich schwerlich zu ignorieren. Jeder von uns ist ja durch die Medien täglich dem Anblick irgendwelcher Katastrophen in irgendwelchen fernen Winkeln der Welt ausgesetzt, und das stumpft natürlich ein bißchen ab. Wenn etwas Ähnliches dann sozusagen vor deiner Haustür passiert, kommen alle aus ihren Löchern. Meine besten Songs entstehen, wenn ich meine eigenen Gefühle ausdrücke, und sie sind einfach beeinflußt von - und gleichzeitig Stellungnahme zur - Welt um mich herum. Mir geht es nicht darum, bestimmte Themen anzugehen, um mit einem Song etwas offen zu legen oder zu verändern. Es gibt viele Wege, die Welt zu verändern und zu einem mitfühlenderen Ort zu machen, und Musik spielt dabei auch eine Rolle, sei es als Entertainment oder eben als motivierende Kraft wie im Falle von Billy Bragg."
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GL: Wenn du sagst, du schreibst am besten über deine eigenen Gefühle, wo ziehst du da den Trennstrich? Gibt es Dinge, die du nicht in Songs verarbeiten würdest, weil sie zu persönlich sind?
Grant: "Meine Songs sind weder völlig real, noch frei erfunden. Es ist ein Zusammenspiel von beidem. Das ist für mich die Kunst des Geschichtenerzählens."
GL: Die Platte ist in den Staaten bereits letzten August erschienen. Macht es das einfacher für dich, jetzt an die Interviews und die Veröffentlichung in Europa heranzugehen, weil du weißt, die Platte hat bereits ihren Platz in der Welt gefunden?
Grant: "Meine Erfahrung sagt mir, daß die Reaktionen in den Staaten und in Europa manchmal ziemlich stark variieren können. Grant Lee Buffalo zum Beispiel hatten in Europa einen viel besseren Start als in den USA. Deshalb hüte ich mich davor zu denken, nur weil die Platte - wie in diesem Fall - in Amerika sehr gut gelaufen ist, wird sie das auch in Europa oder anderswo tun. Alles, auf das ich mich verlassen kann, ist, daß ich meinen Job bestmöglich erledigt habe. In vielerlei Hinsicht ist dies wohl meine ehrlichste Platte überhaupt. Zumindest denke ich, daß sie mich von all meinen Platten bisher am besten repräsentiert."
GL: Letzte Frage: Bedeutet das, daß dir nach sechs Platten die Meinung der Öffentlichkeit nicht mehr ganz so wichtig ist, mal abgesehen vom finanziellen Aspekt?
Grant: "In erster Linie ist es schon so, daß ich Platten veröffentlichen möchte, zu denen ich voll und ganz stehen kann. Nicht zuletzt deshalb, weil ich festgestellt habe, daß die Reaktionen dann besser sind, wenn ich selbst auch Spaß bei der Arbeit hatte! Leider ist es so, daß die Reaktionen und die Verkäufe einer Platte stets die Zukunft des Künstlers in irgendeiner Weise beeinflussen werden. Das heißt allerdings nicht, daß ich, selbst wenn ich plötzlich keine einzige Platte mehr verkaufe, einfach alles hinwerfe, hahaha! Letztendlich bin ich froh, daß ich nie in der Position war, in der meine Musik jemandem mit aller Macht aufgezwungen wurde. Ich bin zwar auf ein paar Magazincovern gewesen, aber der Rummel hat meines Wissens nie die Stufe erreicht, wo er jemand auf die Nerven gegangen wäre. Ich bin sehr zufrieden damit, denn ich denke, genau das ist die beste Voraussetzung für das, was ich anstrebe: Langlebigkeit! Ich mache Musik aus Leidenschaft, und deshalb ist mir das viel wichtiger als ein Haufen Geld oder der große Durchbruch!"
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Weitere Infos:
www.grantleephillips.com
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Interview: -Carsten Wohlfeld- Fotos: -Pressefreigaben-
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Aktueller Tonträger: Mobilize (Cooking Vinyl/Indigo)
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