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SIGUR ROS
 
Reden ist Schweigen und Silber ist Gold
Sigur Ros
Sigur Ros - und das muss nun wirklich selbst der letzte Hinterwäldler mittlerweile mitbekommen haben - sind keine Band wie jede andere. Nicht nur, weil sie aus Island kommen, sondern wohl vor allen Dingen gerade deswegen. Die neue CD "()" hat weder Titel, noch wirkliche Texte noch aussagekräftiges Artwork. Das muss man sich erst mal wegtun! Zur ersten (offiziellen) CD "Ágaetis Byrjun" ("Ein guter Anfang") hüllte sich die Band noch vielsagend in Schweigen. Da es auch niemanden außerhalb Islands gibt, der isländisch versteht, auf der neuen Scheibe die Texte aus der Phantasiesprache Hopelandic bestehen und die seit langem angekündigte bandeigene Übersetzung der Texte des Debüts auch in absehbarer Zeit nicht stattfinden wird, ist es schwierig, etwas über das geistige Innenleben der vier Eigenbrötler herauszubekommen. "Wir sind einfach zu beschäftigt die Texte zu übersetzen", meint Kjartan Sveinsson - der Herr über die Tasten bei Sigur Ros - "und wenn wir es machen, dann wollen wir es richtig machen. Es ist ja nicht ganz einfach." Was auch niemand gesagt hat.
Ach ja: Zur zweiten, geheimnisvollen und namenlosen CD "()" hat man sich dann doch zu Aussagen durchgerungen. Aber unter isländischen Bedingungen: Die Interviews müssen alle eine Stunde dauern und ein englischkundiger Freund von der Plattenfirma ist anwesend, um ggf. einspringen zu können (was sich aber als überflüssig erweist). Das hat auch seinen Grund: Nur, weil die Band eingewilligt hat, sich den üblichen Mechanismen des Vermarktungsprozesses anzunähern, heißt das noch nicht, dass man auch die üblichen Fragen auf die übliche Art beantworten möchte oder könnte. Auf Fragen etwa wie "Wie entstehen denn eure Stücke" oder "Wie arbeitet ihr denn im Studio" - also den Eckpfeilern des gewieften Investigationsjournalismus - kommen Antworten wie die von Drummer Orri Pall Dyrason: "Wir unterhalten uns nie über unsere Musik. Deswegen können wir auch nie sagen, warum oder wie wir etwas machen." So kann man die Jungs also nicht packen. Man kann sich aber auch nicht eine Stunde lang schweigend gegenüber sitzen. Ob man sich denn in Island kenne, fragen wir deshalb mal testweise - namentlich GusGus - das andere exaltierte Künstlerkollektiv von der rauhen Norsen-Insel. "Ja, durchaus", meint Kjartan gönnerhaft, "wir arbeiten gelegentlich zusammen. Stefan Arni und Siggi Kinski haben das Video zu 'Viorar Vel Til Loftarasa' für uns gemacht." Dieses ist eine ziemlich heikle Geschichte von zwei Teenage Boys, die bei einem Fußballspiel romantisch zueinander finden - sehr poetisch mit Laiendarstellern mit blassen Farben und viel Zeitlupe einfühlsam verfilmt. Ach ja, die Videos: Sigur Ros machen natürlich auch keine MTV-tauglichen Schluckauf-Videos. Wie auch: Bei Spiellängen um die sieben Minuten pro Song ginge das ja auch gar nicht. Statt dessen dreht man lieber vielsagend nichtssagende musikalische Aphorismen mit der Theatergruppe Perlan - einem isländischen Schauspieler-Kollektiv, dessen Mitglieder alle das Downes Syndrom haben. Wegen der Länge der Stücke gab es schon manches Problem: Z.B. eine Absage bei der Letterman-Show. "Die wollten uns gerade mal vier Minuten zugestehen", meint Kjartan trotzig, "da haben wir natürlich abgelehnt. Da hätten wir ja gerade mal ein Intro spielen können."
Sigur Ros
Aber wir sehen da einen Hoffnungsschimmer: Vielleicht reden die Herren ja wenigstens intern über das visuelle Medium. Was es denn da alles so gäbe, wollen wir wissen - außer dem Track auf dem Soundtrack zu "Vanilla Sky", der nun auf dem neuen Album eine Wiedergeburt als namenloser Opener erfährt. "Wir haben an einem Soundtrack zu einem Film von Fredrick Thor Fredricksson mitgearbeitet", erzählt Kjartan. Fredricksson ist der wohl bekannteste isländische Regisseur. (Was nicht heißt, dass er millionenschwere Blockbuster dreht, sondern dass seine Filme bei allen möglichen Festivals Preise abräumen und regelmäßig als Stuidiofilm des Monats um 2.30 Nachts auf 3-Sat laufen). "Das heißt: Eigentlich haben wir gar nichts besonderes gemacht. Fredrick fragte uns, ob wir nicht etwas zu seinem Film 'Children Of The Universe' beisteuern könnten und wir haben diese beiden Stücke von der Single 'Ny Batteri' gecheckt und die passten wunderbar. Es war einfach magisch." Was eigentlich kein Wunder ist. Fredricksson's Filme beschäftigen sich intensiv mit der isländischen Landschaft - und was könnte besser zu elegischen Landschaftsaufnahmen passen, als die pastoralen, fließenden Elegien von Sigur Ros. Das fand auch die isländische Fluglinie Icelandair, die ein Schnipsel Sigur Ros in ihren Werbesports verwendet. Was bislang die einzige diesbezügliche Berührung zum Kommerz für die Band war. Es wäre sicherlich noch mehr drin, aber da steht die Ethik vor. Denn Sigur Ros sehen das so: "Sicher, wir hätten viel Geld mit unserer Musik in der Werbung verdienen können", erklärt Kjartan das, "aber das ist unser Baby. Da möchten wir die volle Kontrolle drüber behalten. Und es soll nicht aus dem Zusammenhang gerissen werden. Es ist ja z.B. so, dass viele Leute unsere Musik aus einem bestimmten Grund mögen. Z.B. haben wir diese Rückmeldung von einem Fan bekommen, der meinte, dass unsere Musik ihm über einen Todesfall in der Familie hinweg geholfen habe. Nun stell dir mal vor, der hört ausgerechnet dieses betreffende Stück dann in einer Auto-Werbung. Nein. Das wäre nicht richtig." Also wird es keine weitere Werbung mit Sigur Ros Musik geben? "Vielleicht, wenn wir darum gebeten werden, direkt etwas für einen Werbespot zu schreiben", schränkt Orri ein, "das wäre ja nur ein Job. Aber ansonsten nein. Es ist ja auch nicht so, dass wir die Botschafter von Island sind oder so etwas." Das hat man nicht nur wegen Icelandair so der ähnlich bereits gehört, sondern auch, weil die Jungs mit ihrer Musik ja auch immer Werbung für ihr Land machen - so z.B. äußerst erfolgreich in den USA oder auch im Island Pavillon auf der Expo. Aber wie gesagt: Als Botschafter verstehen sie sich nicht.

So, wo man sich jetzt ein wenig warmgeredet hat - jedenfalls für isländische Verhältnisse - müssen wir aber doch langsam mal zum Kern vordringen. Wenn man eine CD herausbringt, die keinen Titel hat, deren Stücke keine Titel haben, deren Texte aus einer Phantasiesprache bestehen und deren Artwork das Identifizieren der Scheibe zu einer intellektuellen Leistung werden lässt, muss man doch um Himmels Willen irgendetwas dazu zu sagen haben, außer das dem so sei und man nicht wisse warum - oder? Nehmen wir z.B. den lautmalerischen Gesang ohne Inhalt. "Wir dachten halt, dass es schön ist, wenn der Hörer die Lieder für sich 'beendet'", erklärt Orri, "es ist ja nicht so, dass wir dem Hörer sagen wollen, was er zu denken hat." Und haben die Texte, die ja im Prinzip nur aus sinnlosem "Gibberish" bestehen, denn wenigstens irgendeine Art von Bedeutung? "Ja, also ich fühle schon etwas dabei. Aber die Wörter - oder sagen wir 'Un-Wörter' haben keine Bedeutung." Gibt's denn immer neuen "Gibberish" oder wird dann immer das selbe gesungen? "Es ist fast immer das selbe", sagt Orri, "wenn Jon [der charismatische Sänger der Band] die Stücke singt, muss er diese auswendig lernen, wie bei einer richtigen Sprache auch. Es ist als ob du ein Instrument spielst." "Du denkst da aber nicht wirklich drüber nach", fügt Kjartan hinzu - als ob das nötig gewesen wäre. Die Frage, ob man denn auch mal wieder in anderen Sprachen singen wolle - isländisch oder englisch etwa - kommt eine irgendwie erwartete Antwort. "Wir denken da nicht drüber nach", überlegt Orri, "wenn es passiert, dann von selber." Kjartan rutscht noch eine sympathisch ungelenke Formulierung heraus, die aber die Sache zumindest ganz gut beschreibt. "Da ist nichts hinter den Songs als der Song", sagt er - und führt dann noch ein wenig aus: "Die Sachen haben keine über den Song hinausgehende Bedeutung. Was ist, das ist. Es gab nicht mehr zu sagen auf dieser Scheibe." Musikalisch hat sich die Scheibe graduell ein wenig von "Ágaetis Byrjun" entfernt. Die viel beschworenen Assoziationen zur isländischen Landschaft bleibt aufgrund der grundsätzlichen Langsamkeit der Musik natürlich erhalten. Aber die Scheibe erscheint von der Struktur her ein wenig simpler als die letzte Scheibe. Nicht, dass das Absicht war - denn man spricht ja nicht über die Musik - aber etwas muss doch da passiert sein, zumal Sigur Ros die neuen Stücke bereits vorher live gespielt hatten und dann in ihrem eigenen Studio - einem umgebauten Schwimmbad - aufnahmen. "Wir kommen halt zusammen und beginnen zu spielen", erläutert Kjartan den Prozess, "und dann passiert etwas und es entsteht etwas. Wir denken ja nicht viel darüber nach. Es gibt ja auch keinen Songwriter. Was aber dieses Mal passiert ist - und das wird der Grund sein, warum dir die CD simpler vorkommt - ist, dass wir mehr zusammengespielt haben als noch beim letzten Mal. Es gibt auch keine größeren Passagen, die wir mit Strings aufgefüllt haben, sondern diese sind mehr integriert. Sie sind weniger dominant, unaufdringlich. Alles ist verwoben - das mag simpler klingen. Auf der neuen CD haben wir auch mehr mit Dynamik gearbeitet, als auf der letzten CD." Ohne sich darüber abzustimmen, natürlich. Und was ist mit dem famosen Sigur-Ros-Sound - jene freischwimmenden Klangwolke, die zuweilen an Walgesang und an Unterwassermusik erinnert. Kommt das von dem Schwimmbad? "Das Schwimmbad hat seinen eigenen Sound", stimmt Orri zu - nur um dann wieder einzuschränken, "aber das ist sehr subtil. Wir tun eigentlich nicht viel, um die Instrumente zu verfremden. Es gibt ein paar Effekte auf den Vocals und den Gitarren - das war es dann schon." Wie bereits bekannt sein dürfte, bearbeitet Jon sein Instrument mit einem Geigenbogen - was einen einzigartigen Sound erzeugt, den man - so Kjartan - mit nichts anderem erzeugen könne - weder mit einem E-Bow, noch mit Keyboards. "Wir mögen es eigentlich ganz gern, wenn die Instrumente möglichst natürlich klingen. Das, was du hörst, kommt durch unser Zusammenspiel zustande. Wir verwenden die Effekte auch direkt beim Spielen und setzen sie nicht nachher drauf."

Sigur Ros
Also irgendwie mag man nicht so recht glauben, dass man Musik wie diese entstehen kann, ohne dass man sich darüber unterhält oder darüber nachdenkt. Aber irgendwie kann man auch nicht glauben, dass die Sonne in Island manchmal nicht untergeht. Und darüber denkt auch niemand nach. Vielleicht muss man einfach von einem semi-mystischen Ort kommen, um magische Musik wie diese fabrizieren zu können. Für eine isländische Band haben Sigur Ros jedenfalls ein enormes Arbeitstempo entwickelt. Neben der aktuellen CD und den zugehörigen Touren gibt es ja auch die Projekte mit den Videos, den Soundtracks und der Theatergruppe Perlan. Daneben fanden die Herren auch noch Zeit, eine thematisch aus der nordischen Sagenwelt entstammende Sinfonietta namens "Odin's Magic Raven" zu komponieren, in der neben einem Orchester auch ein Chor und selbst entwickelte Instrumente wie ein Stein-Xylophon zum Einsatz kamen. Das schöne an der Musik von Sigur Ros ist, dass diese absolut zeitlos und generationsübergreifend funktioniert. Es finden sich - so Kjartan - im Publikum der Band ebenso ältere Leute, wie seit kurzem auch "younger boys" - aber man kann Sigur Ros auch ohne anzuecken beim Kaffeekränzchen mit den Eltern, beim Small Talk am Kaminabend, im Aufzug oder im Auto hören - ohne dass sie dabei verliert oder sich abnutzt. Sogar die Amerikaner haben diese Musik für sich entdeckt - und das will schon etwas heißen. Mit dem anspruchsvollen Gesamtkunstwerk "()" sind Sigur Ros auf jeden Fall noch einzigartiger, sonderlicher und origineller geworden - was in Zeiten von Retorten-Pop der fünften Generation schon ziemlich magisch anmutet.
Weitere Infos:
www.sigurros.com
www.sigur-ros.co.uk
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Pressefreigaben-
Sigur Ros
Aktueller Tonträger:
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(FatCat/Pias/Connected)

 
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