Die Übersetzung der Stille
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"Ich bin so aufgeregt", freut sich Ben Harper - quasi noch zwischen Tür und Angel, "da gibt's diese australische Radiostation, die wollen 'With My Own Two Hands' spielen." Besagtes Stück ist die erste Single von Bens neuem Album "Diamonds On The Inside" - eine elegante Hommage an Bob Marley mit Bunny Wailer als Gaststar und einer einfachen Botschaft: Du musst dich selbst aus dem Dreck ziehen, wenn du etwas verändern möchtest. Warum aber ist Ben so aufgeregt, wenn seine Single im Radio läuft? Dafür ist sie doch da. "Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie ich das erste Mal 'Imagine' oder 'What's Going On' gehört habe", erläutert Ben seine Begeisterung, "das war für mich ein prägendes Erlebnis. Und stell dir mal vor: Jetzt bin ich in der Position, so etwas bei anderen zu bewirken. Ist das nicht toll?" Man merkt schon: Auch beim sechsten eigenen Album und nach etlichen Kollaborationen mit berühmten Künstlern (zuletzt mit den Blind Boys Of Alabama) hat sich bei Ben die Begeisterung für sein Tun noch nicht abgenutzt.
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"Mann, ich kann es nicht erwarten mit dem neuen Material auf Tour zu gehen", freut er sich, "denn ich habe die neuen Sachen bislang nur akustisch live gespielt. Und es ist mir egal, ob ich damit vor 500 oder vor 50.000 Leuten spiele." Solche Aussagen kann sich Ben mittlerweile erlauben. In den USA und auch in Frankreich ist Ben Harper doch zu einem auch kommerziell erfolgreichen Act herangewachsen. Das Schöne ist aber, dass das ohne den üblichen Hype und die üblichen Marketingmechanismen passierte - und auch ohne das übliche stilistische Schubladendenken. Ben bringt dieses Phänomen sehr schön am Beispiel seiner Coverversion des Beatles-Klassikers "Strawberry Fields" auf den Punkt, die er für den Film "I Am Sam" einspielte. "Sean [Penn - der Star des Films] wollte mich gerne dabei haben und die Sache passte gut ins Konzept", erklärt Ben dieses Experiment, "und die Beatles sind ein großer Einfluss für mich." Das überrascht nun doch ein wenig, weil Ben bislang immer eher solche Leute wie Taj Mahal oder John Lee Hooker als Referenzen anführte. Es macht aber Sinn, denn: "Die Beatles - und nur die Beatles - haben mich gelehrt, dass es okay ist, verschiedene Musikstile auf einer Scheibe zu spielen. Sie haben das als erste erfolgreich getan und das ist, was ich - auf meine Art - auch machen möchte. Ich weiß, die Beatles führt jeder als Einfluss an und es ist ein Klischee - es ist aber so. Ich meine, es ist cool John Lennon gut zu finden, weil er so 'alternative' war, aber ich sage: Nein! Es sind die Beatles." Wenn man genau hinhört, kann man das auf der Scheibe auch heraushören. Es sind die kleinen Sachen, wie ein Mellotron hier und eine Harmoniefolge da. "Da hast du aber ein gutes Ohr", schmunzelt Ben, "aber ich gebe es zu. Ja, man kann es hören." Dafür gibt es auf Bens neuer Scheibe aber auch jede Menge Sachen, die aus einer ganz anderen Ecke kommen. Z.B. krachende Funk-Tracks. Was interessiert denn einen Sänger - der Ben ja nun mal vorwiegend ist - am Funk? "Nun es gibt eine große Tradition soulig vorgetragener Funk-Songs. Solomon Burke, George Clinton etc. Und was macht James Brown? (kreischt) Ist das Gesang? Es klingt wie eine Trompete. Nein, was mich am Funk reizt, ist der Groove - und nichts sonst." Und den gibt es reichlich auf "Diamonds" - wenn auch nicht nur auf Funk-Stücken. "Mann, ich kann dir sagen, diese Scheibe ist die Blaupause für die nächsten fünf", beschreibt Ben den Herstellungsprozess, "wir sind dieses Mal ganz ohne zu Proben ins Studio gegangen. Viele der Sachen sind live eingespielt, vieles ist in einem Take aufgenommen worden. Das war tierisch sage ich dir. Ich habe meine Songs vorgespielt und die anderen haben mich beobachtet und etwas eigenes dazu gemacht, improvisiert - das war großartig. Die ganze Scheibe ist sehr direkt, sehr rauh, sehr kantig. Das wollte ich aber." So ist also auch der knackige Sound zu erklären, der "Diamonds" auszeichnet? "Ich höre heutzutage anders als früher", meint Ben hierzu, "ich habe eine andere Geschmackspalette, aus der ich mich bedienen kann. Die wichtigste Lektion, die ich beim Musikmachen gelernt habe, ist die, mir Fehler zu erlauben - und diese nicht auszumerzen." Das kommt z.B. sehr schön bei der zentralen Ballade des Albums "Amen Omen" zum Tragen, die besonders organisch und lebendig klingt. "Simplizität und Unvollkommenheit müsste man eigentlich feiern", lacht Ben, "darum geht's auf der Scheibe. Ich habe alles rauh gelassen. Wir haben alle zusammen in einem Raum gesessen - zusammen die Kerzen gerochen, haben einander zugehört und das war es, worum es ging."
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"Amen Omen" klingt wieder nach einem jener universellen Slogans, die Ben zuweilen ausgibt. "Danke - ich wünschte, das wäre bei den Interviews, die ich heute führe, deutlicher geworden. Ja, das ist für mich das zentrale Stück. Es beinhaltet für mich alles, was mir wichtig erscheint: Dunkel, und Hell, Gut und Böse, Ying und Yang, Hoch und Tief. Und musikalisch ist das an einem Stück aufgenommen worden. Ich spiele und singe dazu in einem einzigen Take. Das ist schon etwas besonderes." Es scheint so, dass Bens neues Album überhaupt positivere Vibes ausstrahlt, als die Vorgänger - auch der Titel klingt sonniger. "Was den Titel betrifft, denke ich schon, dass er zu den anderen passt - wenn du sie in einer Reihe siehst. Was die Botschaft betrifft: Es ist schon eine Weiterentwicklung, eine geänderte Perspektive zu erkennen", zögert Ben, "wenn ich an etwas glaube, glaube ich fest daran. Und was ich glaube, ist, dass die Veränderung ein allgemeines Ideal ist. Veränderung bringt Wachstum. Aber Wachstum ist nur dann Wachstum, wenn es Fortschritt gibt. Wenn etwas stagniert, ist es Depression." Wie vermittelt denn jemand, der sich in Bens Position befindet, seine Gedanken an sein Publikum. Wie sieht er seine Funktion? "Es gibt keine Funktion", verwirft er diesen Gedanken, "ich sehe es als eine Art Konversation, so wie wir sie jetzt führen. Ich grabe vielleicht ein wenig tiefer als üblich, aber es ist nicht so, dass ich vorgebe, etwas zu wissen, was niemand sonst weiß. Ich habe nur mein Leben, meine Sichtweise und meine Zeit, mit der ich das beste machen möchte. Ich glaube an die Kraft des Glaubens. Und ich glaube daran, ein Optimist zu sein. Und ich bin ein Realist. Und ich realisiere, dass es da eine ganze Menge Zynismus, Pessimismus und Negativität gibt. Aber wenn mich das berührte, dann gewännen SIE. Und SIE werden nicht gewinnen in meinem Leben. Mein Leben wird in der Richtung erfolgreich sein, in die ich es lenke. Das ist meine Philosophie. Und die verändert sich und wächst natürlich ständig." Ben sagte einmal, dass er sich bewusst entschieden habe, nicht über Politik zu singen, sondern stattdessen eher über die Liebe. "Die Sache ist die", erklärt er das, "wenn du in mir den Liebeslied-Autoren suchst, liegst du falsch. Wenn du in mir den Rocker suchst, den Reggae-Sänger, den sozio-politischen Kommentator, dann wirst du feststellen, dass ich nicht eines dieser Dinge bin. Betrachte das ganze wie ein Kaleidoskop oder wie einen Quilt. Die Beatles waren nicht 'Revolution', sie waren nicht 'Walrus' und nicht 'Yesterday'- sie waren das Ganze. Und ich will das Ganze meines Selbst sein. Wenn du in mir etwas Singuläres suchst, wirst du enttäuscht sein. Wenn du mir aber erlaubst, alles zu sein, was ich bin, denke ich, dass du musikalisch sehr angetan sein wirst." Gibt es denn musikalisch irgend etwas, was Ben nicht machen würde? Z.B. hat er bislang ja noch keinen Hip Hop verwendet. "Nun ja, ich habe Breakbeats verwandt", überlegt er, "aber ich bin kein Rapper, sondern ein Sänger. Es ist gut, seine Grenzen zu erweitern, man muss sie aber auch respektieren. Ich werde nicht plötzlich eine Trance-Scheibe oder so was machen - es sei denn, ich fühlte das. Es geht darum, das, was du im Moment fühlst, zu akzeptieren und umzusetzen - und dabei die Grenzen zu respektieren. Es ist zuweilen ein schmaler Grat."
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Woher kommen denn Bens Charaktere? Z.B. ein Mädchen namens "Truth", wie in "Diamonds On The Inside"? "Mann, ich weiß nicht, woher meine Inspirationen kommen", gibt Ben zu, "sie sind einfach in der Luft. Es ist meine Art, Stille zu übersetzen. Wenn ich nichts höre, gibt mir das die Gelegenheit, alles zu hören. Daher kommen die Ideen. Vielleicht habe ich ja mal ein Mädchen namens 'Truth' getroffen oder vielleicht ist es nur eine Metapher für Beziehungen oder vielleicht sogar für das Leben. Ich weiß nicht - es kommt überall her..." Was dann ja auch wieder zur Philosophie des Ben Harper passt. Auf der sehr empfehlenswerten DVD "Pleasure + Pain", die außer dem Dokumentarfilm gleichen Namens noch einige Bonus Tracks enthält, sieht man Ben u.a. mit der legendären Gospel-Vokal-Gruppe Blind Boys Of Alabama zusammenarbeiten, auf deren letzten beiden Scheiben, "People Get Ready" und "Higher Ground" er u.a. auch die Gitarrenparts beisteuerte. Das Ergebnis klingt, als seien die Protagonisten für einander gemacht - was ja angesichts des enormen Altersunterschiedes doch ungewöhnlich erscheint. "Wie du vielleicht weißt, bin ich quasi in einer Musikalienhandlung aufgewachsen [das war der Laden von Bens Großvater, der auch ein Instrumentenbauer ist]. Die Blind Boys habe ich dort schon gehört, als ich ein Kind war", erinnert sich Ben, "das war auch mit Sicherheit das einzige Musikgeschäft, wo du die Blind Boys hören konntest, bevor die anderen sie kannten - du konntest Nusrath Fateh Ali Kahn, du konntest Ravi Shankhar hören. Auf der Scheibe 'Spirit Of The Century' haben die Blind Boys dann ein Stück von mir, 'Give A Man A Home' aufgenommen. Das hat ihnen dann einen Grammy eingebracht. Das erste Mal als ich sie traf, spielten sie auf dem Jazz Festival in New Orleans - wo ich auch auftrat. Da kam ihr Manager auf mich zu und sagte, dass die Blind Boys mit mir bei meiner Show auftreten wollten. Da sagte ich mir 'heilige Scheiße', denn das ist das Beste, was mir als Musiker passieren kann. Das ist der Grund, warum ich jeden Tag mit einem Traum aufwache. Und dass ich einige davon erfüllen kann ist einfach unglaublich." Der Film "Pleasure + Pain" zeigt einige dieser Träume, an denen Ben arbeitet. Einer davon ist, mit seiner Mutter zusammen zu spielen, die selbst eine Songwriterin ist. "Ich kann dir sagen, das war ein bewegender Moment, als ich das erste Mal mit ihr zusammen probte", gerät Ben in's Schwärmen, "wir planen nun, etwas zusammen aufzunehmen. Wir haben drei Songs zusammen geschrieben, wir haben uns Cover-Versionen von John Prine, Kate Wolf und Bob Dylan ausgesucht. Wir suchen noch ein paar Songs und werden dann eine Scheibe aufnehmen." Warum ist der Film eigentlich so rauh und ungeschliffen? (Das Korn ist grob, die Farben verwaschen, die Kamera z.T. verwackelt) "Das war es, was wir wollten", erklärt Ben, "es sollte das wahre Ding werden. Es ist ehrlich, es ist Underground, es zeigt die Wurzeln." Ist das in Zeiten von Hochglanzproduktionen nicht ein bisschen wagemutig? "Nun, wenn es nicht wagemutig wäre, wollte ich gar nichts damit zu tun haben", beharrt Ben, "es wäre zu leicht ihnen das zu geben, was sie wollen. Weißt du, wenn ich wollte, könnte ich genau das, was im Radio läuft, machen und vermutlich kämen auch Hits dabei heraus. So arbeite ich aber nicht. Ich habe noch nie versucht, einen Song zu schreiben. Ich habe eine Idee und bleibe mir selbst treu. Alles was du von mir hörst, ist meine Verpflichtung zu meiner eigenen Ehrlichkeit und meiner eigenen Kreativität. Du hast also recht: Es wäre leicht, ein Hochglanz-Rock'n'Roll Produkt zu machen - aber das bin nicht ich. Es muss rauh sein, es muss organisch sein und man muss es schmecken können. Und es muss dich ein wenig nervös machen."
Nervös werden hier aber eher wohl zunächst die Plattenbosse, oder? "Nun, als ich sagte, dass ich mit der neuen Scheibe ohne Proben ins Studio gehen wollte, kamen da schon Zweifel auf", gibt Ben zu, "das lag aber daran, dass die ganze Führungsriege bei Virgin gewechselt hatte. Sie fragten mich, ob ich ihnen nicht ein paar Stücke vorspielen könnte und ich sagte: 'Nein, ihr könnt meine Babies erst dann hören, wenn ich fertig bin.' Schließlich haben sie es aber auch akzeptiert." Was sicherlich auch damit zu tun hat, dass der Name Ben Harper schon mal für eine gewisse Qualität steht. Seit dem letzten Album mit neuem Material, "Burn To Shine", sind ja einige Jährchen ins Land gegangen. Was ist denn mit dem Material geschehen, das Ben zwischenzeitlich angehäuft haben muss? Sein Freund, Joseph Arthur, der ja des öfteren für ihn Support spielt, beklagte sich ja erst kürzlich wieder darüber, dass es ihm nicht möglich sei, genügend Material zu veröffentlichen. "Joseph ist ja auch verrückt", schränkt Ben ein, "er würde ja musikalische Romane veröffentlichen, wenn er könnte. Für mich ist das aber okay. CDs können ja auch zu lang sein. Ich habe z.B. kaum Doppel-CDs in meiner Sammlung - das "White Album", "Blonde On Blonde" - aber es ist selten. Natürlich können CDs auch zu kurz sein. Es ist schwierig. Oft sehen die Künstler das selber auch nicht. Ich bin da schon ein bisschen stolz, dass es mir gelingt. Dieses Mal war alles klar - da gab es keine Zweifel bezüglich der Songs." Und so klingt die Scheibe denn auch. Ben Harper wäre ein gutes Role-Model für all diejenigen, die da alle erfolglos nach einem bestimmten Rezept suchen, um erfolgreich zu sein.
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Weitere Infos:
www.benharperlive.net
www.benharper.net www.virginrecords.com/ben_harper/
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Interview: -Ullrich Maurer- Fotos: -Ullrich Maurer-
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Aktueller Tonträger: Diamonds On The Inside (Virgin)
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