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TINDERSTICKS
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Alles ist möglich
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"Als wir 'Curtains' gemacht haben, gab es viele Probleme in der Band, die dann nach den Aufnahmen zu 'Simple Pleasure' richtig in den Vordergrund traten. Danach löste sich die Band praktisch auf - wir hatten weder ein Label noch einen Manager, ganz zu schweigen von Geld, um die Band am Leben zu erhalten", erinnert sich Pianist Dave Boulter beim Gespräch mit Gaesteliste.de im Hamburger Literaturhauscafé. "Bei 'Can Our Love...' ging es also in erster Linie darum, wieder eine echte Band zu werden. Deshalb ist die Platte etwas halbherzig - wir mussten uns erst wieder richtig kennen lernen. Jetzt herrscht bei uns eine sehr positive Atmosphäre, und wir haben das Gefühl, dass große Freiräume vor uns liegen - es ist eine Menge möglich."
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Das hat nicht zuletzt auch mit der unschönen Erfahrung zu tun, ein Bandmitglied mitten in einer Tournee zu verlieren. Auf der Konzertreise zu "Can Our Love..." spielten die Tindersticks allabendlich mit lokalen Orchestern, was nicht nur eine echte Herausforderung, sondern auch ziemlich anstrengend war. So anstrengend sogar, dass Drummer Al Macauly nach wenigen Shows erschöpft nach Hause fuhr. Doch auch aus dieser mittleren Katastrophe ging die Band gestärkt hervor, wie das wunderschöne neue Album "Waiting For The Moon" fraglos beweist. "Dass wir die Tournee trotzdem fortgesetzt haben, hat die Stimmung für dieses neue Album vorgezeichnet", ist sich Dave sicher. "Wir hatten es schon in Teilen aufgenommen, aber als wir es danach fertig stellten, war dieses Alles-ist-möglich-Gefühl allgegenwärtig."
Und als wollten uns die Tindersticks daran erinnern, dass sie keine normale Band sind, scheinen sie auf ihrem neuen Album das Pferd von hinten aufzäumen zu wollen. Das wunderschön folkige, schlagzeuglose Schlaflied "Until The Morning Comes" jedenfalls wäre bei fast jeder Band an das Ende des Albums gestellt worden. Bei den Tindersticks steht es an erster Stelle. "Wir hatten ziemlich große Probleme, die richtige Reihenfolge zu finden", gesteht Dave. "Die Aufnahmen waren im November beendet, und dann haben wir vier Monate gebraucht, um uns auf die jetzige Reihenfolge zu einigen. Sie spiegelt ungefähr den zeitlichen Ablauf beim Schreiben der Songs wider. Wahrscheinlich sollte ich das nicht sagen, aber für mich macht es mehr Sinn, Seite zwei der Vinylversion zuerst zu spielen. Ich persönlich habe das Gefühl, dass die letzten Songs vor die ersten gehören."
Auch auf der neuen Platte gibt es wieder ein Duett zu hören. Dieses Mal singt Stuart Staples mit der franko-kanadischen Chanteuse Lhasa De Sala. Das Ergebnis, "Sometimes It Hurts", klingt fast so, als wollten die zwei Lee Hazlewood und Nancy Sinatra nacheifern. "Das erste Duett, das wir aufgenommen haben, war zusammen mit Carla [Torgerson] von den Walkabouts", erinnert sich Dave. "Der Song wurde speziell für sie geschrieben, nachdem wir wochenlang im Tourbus das Walkabouts-Covers-Album 'Satisfied Mind' gehört hatten. Ann Magnuson haben wir ausgesucht, weil Stuart und ich beide große Bongwater-Fans sind, und wir haben uns Ann als wirklich starke Persönlichkeit vorgestellt, die dem Duett ihren Stempel würde aufdrücken können, aber letztendlich war der Song wohl etwas außerhalb ihrer Stimmumfangs, und deshalb sind ihre Stärken dabei nicht so gut eingefangen. Ähnlich war es bei Isabella Rossellini - sie ist ja eigentlich gar keine Sängerin! Das Duett auf der neuen Platte ist also das erste seit langer Zeit, bei dem wir das Gefühl hatten, dass jemand wirklich in der Lage ist, den Song so zu singen, wie wir uns das vorgestellt haben. Dieses Duett ist vermutlich das erfolgreichste, das wir aufgenommen haben."
Trotz einiger soundtechnischer Überraschungen - zum Beispiel das Country-Flair, das einige Songs besitzen - sind auch auf "Waiting For The Moon" alle Tindersticks-Markenzeichen vorhanden. Nicht selten sind die Stücke düster, melancholisch, vielschichtig - und auch dieses Mal wieder reichhaltig orchestriert. Sind die aufwendigen Streicher-Arrangements eigentlich inzwischen zu einem "Muss" geworden? "Ich denke, Dickon [Hinchliffe, der "Orchesterchef" der Band] hat auf das, was man auf dem neuen Album hört, seit unserer ersten Platte hingearbeitet. Auf dem ersten Album hat er einfach zehn Violinen übereinander gespielt, um einen dichteren Sound zu erreichen, auf der zweiten hat dann Terry Edwards Dickons Ideen aufgeschrieben und so versucht, sie noch besser umzusetzen, aber für Dickon bedeutete das, dass ihm etwas von der Art, wie er die Musik fühlte, weggenommen wurde. Seitdem hat er seine Partituren alle selbst geschrieben, und ich denke, dass das bei diesem Album einen Höhepunkt erreicht hat. Deshalb wäre es nun die offensichtlichste Entscheidung, auf der nächsten Platte völlig auf Streicher zu verzichten, aber wer weiß? Würden wir unsere Songs aufnehmen und dann zu einem Arrangeur gehen, der uns die Streicherparts schreibt, wäre das wohl etwas anderes, aber Dickon ist ein so wichtiger Teil der Band, dass wir die Streicher nie als etwas besonders Extravagantes angesehen haben."
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Zumindest auf der kommenden Tournee werden die Tindersticks keine Streicher dabeihaben. Nicht zuletzt deshalb, weil die Band inzwischen erkannt hat, dass sie immer dann am besten ist, wenn die Musiker auf der Bühne völlig relaxt sind und ganz in der Musik aufgehen können - was natürlich komplizierter wird, je größer das Ensemble ist. "Eines der Probleme der Shows mit den Streichern war, dass es natürlich sehr schwierig war, sie zu finanzieren. Natürlich sollte man sich über so etwas vor einem Konzert keine Gedanken machen, aber an manchen Abenden wussten wir: Egal, wie viele Leute heute kommen, sobald wir auf die Bühne gehen, verlieren wir Geld. Und dann überhaupt zu spielen, macht natürlich nur Sinn, wenn du wenigstens Spaß dabei hast, und das war auf der letzten Tour zumindest streckenweise nicht der Fall. Jetzt wollen wir es einfach mit sechs Musikern auf der Bühne versuchen und Spaß am Spielen haben. Mal schauen, wie das funktioniert."
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Weitere Infos:
www.tindersticks.co.uk
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Interview: -Carsten Wohlfeld-
Fotos: -Pressefreigaben-
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Aktueller Tonträger: Waiting For The Moon
(Beggars Banquet/Zomba)
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