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Interview-Archiv

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SANDY DILLON
 
Nackte Songs und heilige Kühe
Sandy Dillon
Dass die neue Scheibe von Sandy Dillon, "Nobody's Sweetheart", anders klingt, als ihre letzten beiden Scheiben, ist nicht wirklich verwunderlich. Wir erinnern uns: Kurz nach den Aufnahmen zu ihrer letzten Scheibe, "East Overshoe", verstarb ihr Ehemann und musikalischer Partner, Steve Byswater, der zeitlebens an multipler Sklerose litt, an einem Herzinfarkt. Sandy lernte Steve bei einer Session in einem Schlachthaus kennen, die Mick Ronson für sie arrangierte und es war Liebe auf den ersten Blick. Bei ihren Scheiben spielte Steve Gitarre und war für den Sound und die Produktion zuständig. Da ist es natürlich verständlich, dass sich die Chanteuse mit der ungewöhnlichen Reibeisenstimme nach seinem Tod nach neuen musikalischen Ausdrucks-Möglichkeiten umsah - schon alleine deshalb, um ihren Mann nicht ersetzen zu müssen. Was indes verwundert ist, wie radikal dieser Schritt verlief. Denn noch beim letzten Interview erzählte uns Sandy, wie unangenehm ihr doch die ganze moderne Computerei sei, und dass sie größtmöglichen Wert darauf legte, ihre Songs in einer möglichst natürlichen Umgebung (damals der Küche) aufzunehmen. Dass nun die neuen Songs ausgerechnet auf einem Laptop und unter Zuhilfenahme elektronischer Sounds entstanden, ist also doch schon bemerkenswert.
Einmal abgesehen von der markanten Stimme und der inhaltlichen Nähe auch zu ihren älteren Tracks durchlebt Sandy hier ein Makeover, das ihr im günstigsten Fall eine vollkommen neue Klientel erschließen könnte und im schlechtesten Fall doch immerhin zumindest die ewigen Tom Waits-Vergleiche aufhören werden. "Das wäre doch mal was", freut sich Sandy, "ich habe mich immer gefragt, warum ich mit Tom Waits oder Captain Beefheart verglichen wurde, und bin dann zu der Überzeugung gekommen, dass den Journalisten die Frauen ausgegangen sind. Andererseits wurde ich auch öfters mit P.J. Harvey verglichen - was ich besonders haarsträubend fand und denke, dass das nur deswegen zustande kam, weil wir beide mal eine ähnliche Frisur hatten." Nun ja, mit der neuen Scheibe wird dies hoffentlich anders. Wie kam es denn nun konkret zu dieser Radikalisierung des Umdenkens, der zu dem elektronischen "Sweetheart" führte? "Nun, ehrlich gesagt wurde mir dieser Prozess aufgezwungen", erklärt Sandy, "es gab für mich nicht mal die Option zu versuchen, nach einem Ersatz für Steve zu suchen. Ich wendet mich dann also einem bewusst kalten Gegenstand, der Maschine zu. Meine Theorie war die: Wenn mir diese Maschine helfen könnte, dann könnte ich auch wieder anfangen zu leben. Ich war eine lange Zeit ziemlich... nun, du kannst es dir vorstellen. Es ging also darum, dass die Maschine keine Person war und für mich auch das schwierigste Medium, das denkbar war. Ich hatte natürlich Hilfe - Julius von der Band Kinobe, Laurie Jenkins, die mir die Technik erklären konnten. Das war aber nicht das, worum es ging. Für mich ging es früher ja immer darum, alles möglichst live einzuspielen - es war das schwierigste, das umzusetzen. Ich ersuchte es, indem ich die Songs so sparsam wie möglich arrangierte - vieles wieder weg nahm - um zu verhindern, dass es eine große, klinische Produktion würde. Es ist nämlich ein Trick der Maschine, dass sie dir erlaubt, alles zu machen, was ziemlich verlockend erscheint. Ich bin aber immer noch der Meinung, dass es dann korrekt ist, wenn man einen Song auf einer akustischen Gitarre oder einem Piano spielen kann. Für das nächste Mal würde ich dann vielleicht lieber mit meiner Band gleich nach der Tour ins Studio gehen und neues Material einspielen. Weißt du, wenn man von einer Tour kommt, spielen alle ganz toll und das wäre der richtige Zeitpunkt, ein Album aufzunehmen. Nicht, weil ich es nicht gemocht hätte, mit dem Laptop zu arbeiten, sondern deshalb, weil ich es mag, mich zu verändern. Arbeitest du denn gerne mit einem Computer?" Was ist das denn für eine Frage? Man hat da ja nicht so viele Möglichkeiten. "Was ich sagen will", sagt Sandy dann, "ist, dass ein Computer vielleicht genauso viele gute wie schlechte Seiten hat". Macht es denn wenigstens Spaß, Scheiben auf diese Art aufzunehmen? "Ich fand's gut", überlegt Sandy kurz, "es war super, diese Sounds zur Verfügung zu haben - wie ein Mellotron oder eine Hammond-Orgel. Oder die Stimmen zu doppeln. Das ist cool - das hat John Lennon ja auch immer gemacht. Es macht auch Spaß, einen Laptop aufzubauen und einfach loszulegen. Ich würde gerne mal mit einem Laptop auf eine einsame Insel gehen und dort den ganzen Tag an Songs arbeiten. Das wäre vielleicht meine Vorstellung vom Himmel. Obwohl ich sagen würde, dass ich es nicht so befriedigend finde, wie mit Leuten zusammenzuspielen und Songs von vorne bis hinter in einem Take durchzuspielen."
Sandy Dillon
Wie z.B. das herzzerreißend persönliche "Feel The Way I Do". Der Opener des Albums ist ein solches Stück - nur zum Piano vorgetragen. Wenn man ihn beschreiben wollte, dann vielleicht als "nackten Song". "Oh, danke, das ist aber ein schöner Vergleich", freut sich Sandy, "dieser Song ist wieder einer jener kleinen Einblicke in mein Leben, die ich dem Zuhörer auf jeder Scheibe gewähre, um etwas Besonderes bieten zu können. Es ist so, als öffnetest du mit diesem Song quasi den Vorhang zu der Scheibe und es ist auch das, womit ich begann. Dieser Song war der Ausgangspunkt von 'Nobody's Sweetheart'. Der Song passte deshalb auch nur an den Anfang der CD. Der Gedanke der Scheibe ist der, dass die Person, die jetzt 'Nobody's Sweetheart' ist, sich kontinuierlich verändert. Vielleicht musst du ja einfach die ersten paar Minuten, die jemand zu dir spricht anhören, um zu erfahren, um was es wirklich geht? Der Vergleich 'nackter Song' ist insofern passend, als dass ich in einem Song mit einem solchen Text tatsächlich nach der nackten Wahrheit suche." Was auch der Grund ist, dass die Scheibe trotz aller Elektronik überhaupt nicht klinisch oder steril klingt. (Im Grunde genommen, wenn man mal die Arrangements beiseite lässt, klingt sie auch gar nicht anders als andere Sandy Dillon Tonträger). Vielmehr gibt es - neben den elektronischen und den "nackten" Songs ja auch solche, an denen andere Leute mitwirkten - z.B. das rockige "Don't Blame You Now". "Bei dem Song erinnere ich mich gerne daran, wieviel Spaß wir dabei hatten ihn aufzunehmen", erinnert sich Sandy, "mein Gitarrist, Ray Majors, bestand darauf, alles live einzuspielen, weil er aus den 60s stammt. Er war in Mott The Hoople und wollte das Sampling-Ding nicht mitmachen. Also haben wir es eingespielt und als ich meine Stimme drüberlegte, klang das wie ein Track aus den 60s, wie Jefferson Airplane, wie mir viele Leute sagten - vielleicht mit Fatboy Slim Drums drunter. Und das war das Feeling, was ich anstrebte - auch mit so einem bisschen Doors drin." Und woher kam der Beitrag von Heather Nova, die die Harmony Vocals auf "Shoreline" sang. "Gefällt er dir? Das war eine Sache, die wir schon lange machen wollten", erläutert Sandy, "wir haben denselben Agenten, daher kannten wir uns. Wir haben uns auch auf verschiedenen Gigs getroffen und immer wieder überlegt, dass wir mal etwas zusammen machen sollten, schon alleine deswegen, weil unsere Stimmen genau gegensätzlich sind. Sie ist der Engel und ich der Teufel. Wir haben es dann schließlich geschafft, 'Shoreline' zusammen zu machen. Ich denke, dass Heather sowieso mal etwas ihre dunklere Seite hervorgehen wollte [Etwas, das Heather uns gegenüber auch schon mal erwähnte]. Es ist vielleicht nicht die offensichtlichste Kombination, die man sich vorstellen kann, aber sehr interessant. Vielleicht gelingt es uns ja, auch mal zusammen aufzutreten."
Sandy Dillon
Ist "Nobody's Sweetheart" als eine Art Übergangs-Scheibe zu verstehen? "Ja und nein", sagt Sandy, "viele Leute haben gesagt, dass diese Scheibe so verschieden sei. Für mich klingt die Sache gar nicht so verschieden. Wenn ich die Songs mit meinem 'Daumen-Klavier' spielte, das Steve für mich gebaut hat, dann klängen sie alle für mich genauso. Wenn die Leute aber ein anderes Arrangement hören, meinen sie, es sei total verschiedenes Material. Ich sehe mich immer noch zuerst als Songwriter. Der Witz unter meinen Freunden ist immer der, dass ich - anders als andere - zuerst meine Avant-Garde-Kunst-Scheiben gemacht habe, und dann die Elektronische. Was jetzt als links-thematisches Statement noch bliebe, wäre vielleicht, eine reinrassige Pop-Scheibe zu machen. Darüber könnten wir stundenlang lachen. Für mich als Musiker ist es sowieso ärgerlich, wenn man immer in Kategorien gepackt wird." Tom Waits, zum Beispiel. "Oder Björk - kannst du dir das vorstellen? Nachdem jetzt alle Vergleiche aufgebraucht sind, sowohl bezüglich Frauen wie auch Männern, werde ich demnächst vielleicht mit Tieren verglichen. Das ist übrigens auch ein Grund, warum diese Kuh in dem Booklet der CD abgebildet ist!" Anstelle der üblichen Pressefotos? "Genau. Das Artwork ist sehr wichtig für mich. Zunächst sollte die Kuh auf's Cover - weil ich die Kuh bin. Auf verschiedene Weise. Zunächst mal ist es ziemlich lustig - 'so eine blöde Kuh', wenn du weißt, was ich meine. In Indien ist die Kuh aber eine heilige Kreatur. Es ist ein gutes, nicht nur ein blödes Tier. Außerdem ist die Kuh das Tier, von dem du alles bekommen kannst. Zum Beispiel Milch - das erste, was du in deinem Leben brauchst. Und diese Scheibe war für mich ein Neuanfang, eine Wiedergeburt - auch wegen des Computers. Deshalb auch die Melkmaschine auf der Rückseite des Albums, die quasi die Musik aus dem Computer saugt. Für mich war auf diesem Album die Musik die Milch, die ich zum Leben brauchte. Und wenn du dir das Bild von der Kuh und das von mir auf dem Cover ansiehst, wirst du die Ähnlichkeit erkennen können. Es ist kein trauriges Bild, aber auch kein fröhliches. Es ist 'Nobody's Sweetheart' - es ist die Kuh." Hm. Das muss man erst mal wirken lassen. Zum Glück hat dies alles mit der Musik von Sandy Dillon nichts zu tun, zeigt aber, dass sie sich durchaus auf allen Levels über die Zusammenhänge von Ursache und Wirkung ihre Gedanken macht. "Nobody's Sweetheart" ist somit nicht mehr und nicht weniger als eine wohldurchdachte, emotionale Standortbestimmung von Sandy Dillon im Jahre 2003.
Weitere Infos:
www.indian.co.uk/artists/dillon/
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Pressefreigaben-
Sandy Dillon
Aktueller Tonträger:
Nobody's Sweetheart
(One Little Indian/Virgin)
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