Kombiniere = Alfie!
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Also manchmal ist das Schicksal doch schon recht konkret mit seinen Andeutungen: Am Tage, an dem das Interview mit Lee Gordon, dem Mastermind der Londoner Kapelle Alfie ansteht, trudelt die "Pet Sounds" Audio-DVD ins Haus. Hört man sich zunächst diese und danach die neue, dritte Alfie Scheibe, "Do You Imagine Things" an, macht dies perfekten Sinn. Denn dies ist eine Scheibe, die auf mehr als eine Weise an Brian Wilsons großes Meisterwerk erinnert. Da sind zum Beispiel die vielschichtigen, gestaffelten Harmoniegesänge, die abenteuerliche stilistische Bandbreite, das Einbeziehen klassischer Instrumente, der komplexe Aufbau der Stücke, der allgemeine Spannungsbogen - und, und, und...
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Da fragt man sich natürlich, mit welchem Hintergedanken die Jungs denn wohl ins Studio gegangen sein mögen. Lee Gordon lacht zunächst mal herzhaft. "Das ist aber nett, dass du unsere Scheibe in Bezug zu 'Pet Sounds' bringst", freut er sich, "aber ich denke, dass wir mit dieser Scheibe etwas ambitionierter zu Werke gingen. Wir haben in der Vergangenheit immer gefühlt, dass wir bislang immer ziemlich unter Druck standen - vielleicht weil wir auf einem kleineren Label waren." Alfie gehörten ja zum Stall von Damon Goughs Twisted Nerve Label. Dort trennte man sich nicht eben im friedlichen Eierkuchen. Nun, mit ihrer dritten Scheibe, sind Alfie auf dem EMI-Label Parlophone gelandet - und dort gibt's natürlich andere Arbeitsbedingungen. "Wir hätten z.B. an der letzten Scheibe noch einen Monat herumgefeilt - das war aber nicht möglich. Diese Scheibe betrachten wir nun als so eine Art Neustart - und das verlangt ja gewissermaßen auch nach einer Vision. Wir hatten nun die Möglichkeit, die Vision zu realisieren, die wir eigentlich immer schon hatten", erklärt Lee den Prozess, "wir hatten nun zum Beispiel die Möglichkeit, Demos aufzunehmen. Also haben wir 30 Ideen gesammelt, aus denen wir uns dann 11 aussuchen konnten." Jetzt darf man sich aber bitte um Himmels Willen keine zu Tode produzierte, schnieke Mainstream-Produktion vorstellen. Die neue Alfie-Scheibe klingt gar nicht so unterschiedlich zum Vorgänger, "A Word In Your Ear". Es gibt nur von allem mehr und es ist schlicht besser. "Ja, das war uns wichtig", stimmt Lee zu, "wir wollten nie ein poliertes Album machen. Es ist nur so, dass wir mehr über den Klang an sich gelernt haben. Jeder von uns hat eine ganz bestimmte Meinung davon, wie etwas klingen sollte. Wir haben mit Ken Nelson zusammen gearbeitet, der ja Coldplay gemacht hat. Zunächst waren wir besorgt, dass er uns einen Charts-Sound verpasst. Denn ich mach keine Sachen, die großartig und perfekt klingen. Ich mag Fehler! Ich denke, es ist uns gelungen, eine Scheibe mit Charakter zu machen, bei der die Leute noch erkennen können, dass wir es sind. Wir wollten ja nicht ein Album machen, das sich millionenfach verkauft, sondern das beste, das wir machen konnten." Ist das nicht ein Problem mit der neuen Plattenfirma? EMI ist ja nicht eben für behutsame Repertoire-Pflege bekannt? "Das ist sicherlich ein Punkt", räumt Lee ein, "aber zunächst mal sind wir ja bei Parlophone, einem Sub-Label - und die wussten ja, was sie eingekauft haben, die kannten ja die alten Alfie-Scheiben. Dann haben wir das Thema natürlich angesprochen. Die Jungs sagten uns, dass es allen helfen würde, wenn wir einen Hit schrieben, der sich als Single auskoppeln ließe. Aber da wüsste ich nicht, wie man so etwas macht. Schon alleine deswegen, weil ich denke, dass alle unsere Stücke potentielle Singles sind - jedenfalls in meinen Augen."
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Nun gut - schaun wir mal, wie sich das entwickelt. Wie sind denn die Tracks überhaupt entstanden? Die neuen Stücke klingen dermaßen komplex und vielschichtig, dass man sich weder vorstellen kann, wie diese geschrieben wurden, noch, wie man sich diese merken können sollte... "Nun, da steckt natürlich eine Menge Arbeit drin", meint Lee nicht ganz überraschend, "weißt du, alle fünf in der Band schreiben Songs. Es entsteht viel durch unsere Zusammenarbeit im Studio. Auf jeden Fall entstehen alle Songs in einem demokratischen Prozess. Vom Anfang an haben wir die Songwriting-Credits geteilt." Scheiben wie diese (also solche von Songwritern, die einen ähnlichen Ansatz verfolgen - Elvis Costello, Andy Partridge, Difford & Tilbrook) wachsen ja mit der Zeit ständig. Man muss sich indes mit diesen beschäftigen, darin investieren. Ist so etwas planbar? "Puah", meint Lee, "ich stimme zu, dass man sich da reinhören muss, es macht aber auch Spaß, sich so etwas anzuhören. Wenn ich mir Scheiben kaufe, dann am liebsten solche. 'Pet Sounds' zum Beispiel wird besser und besser und besser - und es ist jetzt 30 Jahre alt! Das sind Alben, die du als Musiker am liebsten gerne machen möchtest. Ich weiß jetzt nicht, ob wir das erreicht haben, aber wir haben es versucht. Und, ehrlich gesagt, ich denke, dass es viele moderne Bands heutzutage gar nicht mehr versuchen. Die versuchen immer, einen riesen Hit zu haben und darauf ihre Karriere aufzubauen. Ich kann das verstehen, denn du wirst heutzutage ohne diese Songs ja überhaupt nicht mehr gesignt. Das interessiert uns aber nicht so sehr. Wir haben uns unsere Reputation erspielt. Ich meine, ich liebe es live zu spielen, ich liebe es, auf Tour zu gehen, ich liebe es, Leute zu treffen. Das ist aber nicht der Hauptgrund, warum wir Musik machen. Wir wollen Musik erschaffen. Wir haben da übrigens einen guten Background. Ein paar von uns haben zum Beispiel eine klassische Ausbildung. Alle Arrangements auf der Scheibe - seien es nun die Stimmen, die Streicher oder die Bläser - sind innerhalb der Band entstanden. Ich denke, wir hatten viel Glück, dass wir uns in dieser Konstellation zusammengefunden haben, diese Kombination ist ideal."
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"Kombination" ist übrigens ein guter Begriff, um Alfie zusammenzufassen, nicht wahr? "Gewissermaßen", überlegt Lee, "ich kann nur für mich sprechen, weil alle in der Band eigene Meinungen haben, aber ich denke, dass das, was uns treibt, das Bedürfnis ist, zu versuchen, etwas Neues zu schaffen - und natürlich uns zu verbessern. Das kannst du nur, indem du wirklich du selbst bleibst. Ich weiß nicht, ob wir etwas Neues sind oder ob wir etwas Neues schaffen können, aber wir versuchen es. Und das Ergebnis ist eine Kombination unserer Bemühungen." Und wie geht so etwas? "Wir lieben Musik. Wir hören uns den ganzen Tag Musik an", schwärmt Lee, und outet sich als wirklicher Fan, "wenn ich etwas höre, das ich interessant finde oder was mich berührt, dann möchte ich immer wissen, wie so was gemacht wird und es gleich selber ausprobieren. Bei den anderen ist das auch so. Du beginnst also so, alles zusammenzuführen - zu kombinieren - und so etwas Neues zu schaffen. Heutzutage ist das alleine ja schon eine ziemliche Leistung. Natürlich ist jede Band irgendwie einzigartig, aber dennoch ist es bei uns schon etwas Besonderes, weil wir ja die Leute mit der klassischen Ausbildung in der Band haben und wie du vielleicht weißt, ist es ziemlich schwierig jemanden zu finden, der dann auch bereit ist, Folk und Rock zu machen - und das auch richtig versteht." Das stimmt wohl. Kommen wir dann zu einem naheliegenden Thema: Wie setzt man das alles denn live um? "Das ist in der Tat ein Problem", räumt Lee ein, "als wir unsere Stimm-Arrangements fertig hatten, haben wir uns natürlich auch angeschaut und uns gefragt, wie wir das denn bitte jetzt live umsetzen sollten. Wir haben es dann aber einfach mal versucht und ich muss sagen, dass es überraschend gut geklappt hat. Natürlich sind wir nur zu fünft in der Band und so müssen wir ein paar Kompromisse eingehen - um zum Beispiel Streichersounds oder so etwas hinzubekommen. Wir arbeiten da mit ein paar Backing-Tracks, aber das meiste ist schon live. Hoffentlich können wir jetzt auch mal in Europa touren [Europa = außerhalb Englands], denn das war uns aus Kostengründen bislang nicht möglich." Nun, einige der Jungs waren mal mit Damon Gough als Backing-Musikanten unterwegs. Ein komplettes Alfie-Set, mit all der vertrackten musikalischen Grandezza, die sich da auf "Do You Imagine Things" versammelt hat, dürfte interessant zu beobachten sein - insbesondere da Lee ja meinte, dass er Fehler möge...
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Weitere Infos:
www.alfie-uk.com
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Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Pressefreigaben-
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Aktueller Tonträger: Do You Imagine Things?
(Regal/Labels/EMI)
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