|
|
|
BEULAH
|
|
Frankenstein trifft Shakespeare
|
Hier ist Vorsicht angebracht: Das neue Album der Band Beulah aus San Francisco heißt "Yoko" - und enthält außer dieses Namens auf dem Cover keinerlei weitere Informationen. So könnte man leicht auf den Gedanken kommen, hier ein neues Album der Lennon-Witwe in der Hand zu halten. Verkompliziert wird die Sache noch dadurch, dass Beulah keineswegs Newcomer sind, sondern - neben diversen EPs - seit 1997 bereits vier reguläre Alben mit ihrem idiosynkratischen Mischmasch aus 60s Pop und Americana-Versatzstückchen veröffentlicht haben (wobei der Rock-Faktor auf "Yoko" bewusst nach oben gefahren wurde). Erst jetzt, mit dem neuen Vertriebspartner, dem französischen Fargo-Label, sind Beulah erstmals in das Bewusstsein von uns Zentraleuropäern gerückt. Obwohl: Beulah haben in Skandinavien, Holland und Großbritannien bereits heftig und erfolgreich getourt. Ach ja: Und Yoko Ono hat Beulah Mastermind Miles Kurosky soeben gebeten, eines ihrer Stücke zu remixen - womit wir wieder beim Titel der neuen Scheibe wären. Wir baten Miles Kurosky, der erstmalig in Deutschland weilt, und sich noch ganz tierisch auf sein erstes Sauerkraut freut, mal ein wenig Licht ins Dunkel der für uns noch geheimnisvollen Beulah Welt zu bringen.
|
"Ich finde es ja gut, dass ihr uns noch gar nicht kennt", meint Miles gleich mal zu dem Thema, hier praktisch als "neu" zu gelten, "wer will schon die alten Platten hören? Die sind doch für gewöhnlich nicht so gut wie die neuen, nicht? Für unsere alten Fans klingt die neue Scheibe vielleicht ein wenig anders. Wir haben früher ja mehr Pop gemacht. Für mich klingt diese Scheibe sogar auf gewisse Art eher europäisch. Ich könnte mich da irren, aber ich denke, dass man in Frankreich oder Deutschland eher für 'herzhaftere' Dinge aufgeschlossen ist. Für etwas, in das du deine Zähne hineinschlagen kannst - im Gegensatz etwa zu flauschigem Pop. Für die Engländer ist es einfacher, mit Pop umzugehen, weil die dort immer mit ihren schnelldrehenden Next Big Things zu kämpfen haben. Früher haben wir eher Beatles'quen Pop gemacht. Mit diesem Album wollen wir aber weg davon. Wir verehren Bands wie Wilco, die mit ihrer Vergangenheit gebrochen haben. Oder solche, die nicht auf ihre Vergangenheit zurückschauen. Wie Radiohead - oder eben die Beatles, oder nimm die Jazzer wie Eric Doplhy oder Ornette Coleman. Die haben auch immer nach vorne geschaut." Wie gesagt: Miles ist erstmalig bei uns und da muss man es ihm nachsehen, dass er zwischen Europa und Großbritannien unterscheidet. Irgendwo hat er aber auch recht, mit dem, was er sagt. Auch, wenn seine Musik nach wie vor einen Touch der Fab Four weder verleugnen kann, noch will. "Genau", stimmt er zu, "aber nicht in dem Sinne, dass wir sie kopieren. Sie sind halt immer noch meine Lieblingsband, jedenfalls in Bezug auf Pop Musik. Sie sind die Shakespeares des Pop. Ich wollte den Einfluss noch zeigen, aber nicht kopistisch klingen." Ging also es darum, mit "Yoko" eine anspruchsvollere Scheibe zu machen? "Ohne Zweifel", bestätigt Miles, "ich mag es, mich selbst zu überraschen - also irgendetwas außerhalb der Norm zu machen. Ich mag auch den 'Frankenstein-Ansatz', wie ich es nenne. Ich habe also einen Haufen Teile und versuche, diese zusammenzufügen. Das mag zwar nicht sehr organisch sein, aber ich mag das Ergebnis. Das mache ich recht oft. 'Me & Jesus Don't Talk Anymore' ist z.B. so ein Stück. Da passieren Dinge, die keinen Sinn machen - die ich aber gerade deswegen mag. Für mich ist das so, dass in einem Song auch immer jede Menge andere stecken. So schreibe ich eigentlich immer. Ich finde es faszinierend, wenn ich von anderen Songwritern lese, wie sie sich hinsetzen und einen Song schreiben können. Das kann ich nicht. Ich habe immer Teile, Listen, die ich zusammensetzen muss, wie eine Steppdecke. Die Texte kommen dann ganz zum Schluss, denn ich sehe diese als etwas anderes an. Worte und Texte gehören für mich nicht unbedingt zusammen. Meiner Meinung nach müssen sie nicht mal zusammen passen." Wie soll das denn funktionieren? "Ich bin ein Fan von Soul Musik - Stax, Motown", antwortet Miles, "das ist immer eine sehr energetische, lebhafte Musik - aber die Texte sind gleichzeitig auch immer sehr düster. Manchmal erhalten die Songs durch die Texte sogar eine Art Blues-Drive. So etwas fasziniert mich."
Ist das der Grund, warum Miles Texte immer mit so ungewöhnlichen Bildern arbeiten? "Jawohl und auch weil ich die Leute überraschen möchte", erläutert Miles und gibt uns ein Beispiel, "nimm meine Mutter - die hört nun überhaupt nicht auf Texte. Die mag aber gute Musik, und wird vielleicht dadurch auf die Texte aufmerksam. Ich mag es, dass du Songs analytisch auseinandernehmen kannst." Und wie entstehen diese Songs? "Ganz einfach: Ich setze mir selbst eine Deadline", lüftet Miles das Geheimnis, "das kennst du ja bestimmt auch von deiner Arbeit als Journalist her. Wenn du eine Deadline hast, dann musst du es tun. Wenn ich für's Studio bezahlt habe und noch einen Text brauche, dann muss ich ihn schreiben. So habe ich es in der Schule und auf dem College auch gemacht - und so meine besten Arbeiten geschrieben. In solchen Situationen ist man ja immer verletzlich und auch emotional. Man muss sich konzentrieren. Man kommt dann sehr schnell darauf, was wichtig ist und was gesagt werden muss. Man probiert keinen Unsinn aus. Im Rückblick ist dann zwar nicht immer alles das bestmögliche Ergebnis, aber - und das ist mir wichtig - es ist real und ehrlich. Das mag ich. Es ist vielleicht manchmal ganz gut, dass einem die eigenen Dinge auf eine positive Weise peinlich sind. Ich meine das in dem Sinne, dass ich manchmal dem Publikum vielleicht zuviel von mir verrate, denn all meine Songs sind sehr persönlich. Aber letztlich ist das gut so, weil es ehrlich ist. Ich mag keine Trennwand zwischen mir und dem Publikum errichten. Ich bin ein menschliches Wesen und es ist meine Aufgabe, zu kommunizieren und meine Gefühle und meine Gedanken zu transportieren." In diesem Sinne ähneln Beulah ziemlich den Long Winters aus Seattle (siehe GL-Story). Indes ist das bloß ein Zufall: Miles steht nicht so auf die Long Winters, weil diese ihm auf einer Tour mal das ganze Essen weggegessen haben.
|
Kommen wir aber noch mal zu dem Titel der neuen Scheibe: Warum "Yoko"? "Ich mag einfach das Wort", meint Miles, "es regt mich zum Nachdenken an. Ich finde es aufregend. Es macht mich grinsen. Es ist ein komplexes Wort, wenn du mal drüber nachdenkst - und die Frau natürlich, und was die Frau getan hat und was sie für die Pop-Kultur bedeutet. Sie ist sicherlich eine der einflussreichsten Persönlichkeiten des ausgehenden 20. Jahrhunderts. Sie ist eine wichtige Komponente in der Kunst und der Gesellschaft. Sie ist eine Geschäftsfrau, ein wenig verrückt. Sie macht immer noch Kunst, arbeitet immer mutig am Rande. Wir werden oft mit den Beatles verglichen - also war sie unsere Muse, die es uns auch ermöglichte, uns von den Beatles zu lösen. Nächste Woche werde ich ihren Song 'Let Me Count The Ways' von 'Milk & Honey' remixen, weil sie uns darum gebeten hat. Mein Plan ist, nur ihre Stimme zu verwenden, und neue Beulah Musik darum herum zu bauen. Denn sie hat um einen Beitrag von Beulah gebeten. Das finde ich sehr aufregend. Das war, als seien die Engel zu uns runtergestiegen und wir machen jetzt das, was sie uns gesagt haben. Es geht um eine EP von ihr - und für mich ist es etwas ganz Neues, weil ich so etwas noch nie gemacht habe. Ich habe nämlich nie Zeit so etwas zu machen wie Remixe oder Produzieren. Denn wenn ich etwas mache, dann möchte ich es nämlich auch perfekt machen. Wenn ich mal Zeit habe, dann möchte ich auch Romane schreiben - ich habe zwei in Arbeit. Ich möchte mich mal in der Fotografie versuchen, ich möchte Siebdruck machen." Ist das Cover auch Teil der Referenz an Yoko? "Nicht ganz", schränkt Miles ein, "ich wollte, dass das Foto auf dem Cover wie ein Stück konzeptioneller Kunst aussieht, die die Einsamkeit versinnbildlicht - weil viele der Songs auf dem neuen Album von Einsamkeit handeln. Es ist nämlich so, dass alle Leute in der Band in der letzten Zeit eine Scheidung durchlaufen haben. Es geht ja sowieso immer nur um die Liebe oder um die Trennung, nicht wahr? Es geht auch um's aufwachsen. Ich fühle mich manchmal entwurzelt, so als habe ich nicht viel erreicht - mit 33 fühle ich mich immer noch wie mit 20. Es geht um eine Phase der Einsamkeit und des Suchens. Darum geht es mir in meiner Musik. Das ist es, was ich an die Öffentlichkeit trage. Die besten Schreiber sprechen immer über das, was sie wissen. Das, wovon du am wenigsten weißt, bist du selbst. Also sprichst du darüber, dich selber zu finden. Darum geht es. Christopher Escherwood, der 'Cabaret' geschrieben hat, hat einmal gesagt: 'Ich bin nichts weiter als eine fotographische Linse'. So sehe ich mich auch. Ich kann nicht über Politik schreiben. Obwohl mich das interessiert - aber wer bin ich denn, dass ich anderen Leuten sagen soll, was sie zu denken haben? Ich hasse George Bush - aber das sage ich den Leuten nicht. Denn das ist ein Moment des Gegenwart - in 10 Jahren interessiert das niemanden mehr. Während ein ordentliches Liebeslied zeitlos ist."
|
Das erinnert an die Erlebnisse von Wilco und Billy Bragg bei den Arbeiten an den Woody Guthrie Songs... "Genau, dort entdeckten sie ja den privaten Woody Guthrie", stimmt Miles zu, "das ist ein gutes Beispiel: Wer hat denn heutzutage noch einen Bezug zu den politischen Themen von Woody - wie z.B. den 'Grand Coolee Dam' oder so was. Aber Songs wie 'Ingrid Bergman' oder 'Mountain Leaves' berühren dich heute noch genau so, wie zu dem Zeitpunkt, in dem sie geschrieben wurden. Das ist es, was ich mit 'ehrlich' und 'wirklich' meine." Da kann man mal sehen, welch philosophischer Unterbau sich zuweilen hinter einer unscheinbaren (wenngleich musikalisch sehr unterhaltsamen) Pop-Rock-Scheibe verbergen kann. Miles Kurosky offenbart sich jedenfalls als intelligenter, philosophischer Mensch, der in der Musik seine Berufung gefunden zu haben scheint. Was ein wenig im Widerspruch zu den zuvor geeigneten Selbstzweifeln bezüglich des bisher erreichten stehen mag. Und was gibt's als nächstes von Beulah? "Nun, ich habe schon wieder viele Ideen", verrät Miles, "aber es ist schwer zu beschreiben. Es verändert sich auch. Momentan habe ich eine Vision von etwas jazzig, orchestralem, ambientmäßig, angehäuften Krach, der aufbricht und sich in diese engelhaften Chöre wandelt. Das ist in meinem Kopf - aber wie ich das rausbringen soll, weiß ich nicht. Ich möchte auf jeden Fall den Pop und die Melodie behalten. Es ist eine sehr aufregende Zeit für mich!"
|
Weitere Infos:
www.beulahmania.com
|
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Peter Ellenby-
|
Aktueller Tonträger: Yoko
(Fargo/Zomba)
|
|
|
|