Die Liebe, das Meer und der Tod
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Also wer Ai Phoenix sagt, der muss eigentlich auch Glitterhouse sagen. Wer sich eine solch ulkige Band (die aber auf eine durchaus sympathische Weise ulkig ist) auf den Buckel lädt, der muss das Herz zweifelsohne am rechten Fleck haben - und (was noch wichtiger ist) auf einer gleichen, ulkigen Wellenlänge senden. Was meint: Hier haben sich die richtigen gefunden. Allerdings muss wohl das Verständnis des Begriffes "ulkig" vielleicht noch ein wenig erläutert werden. In dem Fall bedeutet das: Sich auf höchst eigenständige Weise den Konventionen verweigernd auf originelle Weise sein eigenes Ding durchziehen und das mit einer seltsamen Mischung aus melancholischer Ernsthaftigkeit und subtilem Humor.
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Das neue Werk von Ai Phoenix, "I've Been Gone - Letter One", das die Band natürlich auch auf der anstehenden, von Gaesteliste.de präsentierten Tour live darbieten wird, stellt sich im Vergleich der bisherigen Scheiben sogar als Tonträger mit "richtigen Songs" dar. Es gibt also weniger fragmentierte, auf Atmosphäre bedachte und auf Inspiration hoffende Fingerübungen. Patrick Lundberg und Mona Mørk - die treibende kreative Kraft hinter dem Projekt - erzählen uns kurz, was seit der letzten Scheibe so passiert ist:
"Also, im Februar 2003 gingen wir nach Høyanger, wo unser Drummer und der Gitarrist herkommen und nahmen unsere neue Scheibe auf", erklärt Patrick (die letzte entstand übrigens in der Kommunen-eigenen Küche!), "erinnerst du dich an das Glitterhouse Festival? Da spielte ja Pedro von Sister Sonny bei uns Bass. In Høyanger machten er und zwei andere Sister Sonny Musiker auch mit. Und ein junger Musiker namens Kristian Stockhaus, der auch eine eigene Band hat. Mit anderen Worten: Wir haben uns konzentriert, unsere Scheibe aufzunehmen und jede Menge Spaß dabei." Was gibt's denn Neues seit der letzten CD? "Den Umstand, dass 'Bosse' [Terje Axel - das dritte feste Ai Phoenix Mitglied] den Mut fand, uns zwei eigene Songs zu präsentieren", erinnert sich Mona, "für ihn - wie auch für Patrick und mich - ist der Umstand, dass uns ein Song gefällt, Grund genug, ihn einmal auszuprobieren. Und was soll ich sagen: Seine fanden einen ganz natürlichen Platz auf der Scheibe. Seit kurzem proben wir für die Tour im März. Gestern hatten wir unseren ersten Gig und der war sehr beflügelnd. Kristian und sein Bassist werden uns auf der Tour begleiten und es ist immer gut zu wissen, dass wir Leute gefunden haben, die auf der gleichen Wellenlänge schwimmen, weil wir als Trio ja auf Unterstützung angewiesen sind." Was bedeutet denn der kryptische Titel der neuen CD? Wie wir ja wissen, sind die codierten Textzeilen von Ai Phoenix ja so etwas wie ein Markenzeichen. "'I've Been Gone' stammt von dem Song 'The Last Resort'. Es ist so eine Art Zusammenfassung für 'weggehen' und 'wieder zurückkommen'. 'Letter One' - zusammen mit dem abgebildeten Segelschiff auf dem Cover, suggeriert eine Stimmung von einsamen Seeleuten, die Briefe nach Hause schreiben, wobei diese erst Jahre später gelesen werden. Es ist also das Haupt-Thema der Scheibe: Nostalgie und Szenen, die an Filme erinnern - eigentlich wie immer bei uns..." Auf der eigentlichen CD heißt es "L'amour, La Mer, La Mort" - die Liebe, das Meer, der Tod. Wäre das nicht ein cooler CD-Titel gewesen? "Das stammt von einem Tattoo eines alten Freundes von uns, der in seinem geheimen Leben ein Seemann ist. Eigentlich existiert es gar nicht: Er hat es mal auf ein Stück Papier gezeichnet und es sah toll aus", sagt Mona, "immerhin versinnbildlicht es die drei wichtigsten Faktoren im Leben eines Seemannes. Wenn du es mit dem christlichen Slogan 'Glaube, Hoffnung und Liebe' vergleichst, ist das so etwas wie der bodenständige Gegenpart dazu." Ja nun - aber auf der Scheibe gibt's doch gar keine Songs über die See, oder? "Jeder wünscht sich doch ein Fenster zur See, nicht?", fragt Mona, "es ist einfach schön, überwältigend und entspannend zur See hinauszuschauen. Für mich steht das auch für dieses Verlangen, das die meisten Leute haben, ihr alltägliches Leben hinter sich zu lassen und z.B. in Urlaub zu gehen, um ihren Seelenfrieden zu finden. Auf der anderen Seite kann der Ozean natürlich unberechenbar und tödlich sein. Vor allen Dingen macht die See die Menschen zu tolpatschigen Fremden. Reisende sind stets der Dreh- und Angelpunkt unserer Scheiben. Als Fahrer, Seeleute, Pilger, Piloten, Zugreisende... Schließlich kommt die See auch in dem Song 'Small Red Heartshaped Pillow' vor. In dem Fall ist die See ein Synonym für die seltsame Anziehungskraft, die jene Elemente auf Leute haben, die zu groß sind, um sie wirklich begreifen zu können. Wie nun mal die See, der Weltraum oder der Tod."
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Also soll dies auch durch das Artwork symbolisiert werden, nicht? "Das Artwork betont die cinematischen, nostalgischen und abenteuerlichen Themen unserer Songs. Die Anstecknadel auf dem Cover steht dabei für unser 'Punk-Element' - was bei uns bedeutet: Konfrontation, Ehrlichkeit, Simplizität und unsere Wut gegen die Tendenz, die Realität zu glorifizieren. Das musste einfach dabei sein, weil es der Sache mehr Gewicht verleiht und außerdem wichtiger ist als Schönheit oder Melancholie. Übrigens: Die Boote auf der CD stammen von einer Teedose, die in einem Haus gefunden wurde, das 15 Jahre lang leer stand." Details wie diese sind wichtig für Ai Phoenix und machen in der Summe einen großen Teil der Faszination dieser Band aus. Manchmal geht das ja ein wenig unter, weil ja nicht jeder immer auf die Texte hört. Da hilft Mona dann nach, indem sie sich z.B. eine Krone aus Zaundraht bastelt oder leuchtende Blumengirlanden auf der Bühne verteilt. Wie bereits angedeutet, geht es musikalisch dieses Mal ein wenig konkreter und weniger verträumt zu, als auf der letzten Scheibe (live legen Ai Phoenix ja prinzipiell auch mal gerne los). Vor allen Dingen klingt die Musik aber auch auf der neuen Scheibe, die in einem "richtigen" Studio aufgenommen wurde, wieder ausgesprochen organisch. "Das soll sie auch", erläutert Patrick, "obwohl wir es gekonnt hätten, haben wir nämlich keine Effekte oder Filter bei den Instrumenten oder den Stimmen verwendet. Wir wollten nämlich, dass sie besonders direkt und gegenwärtig klingen. Fast alle Songs sind erste Takes! Wir haben so gearbeitet, dass wir zunächst die Rhythmus Gitarre mit den Drums, dann die Stimmen aufnahmen und dann die Gäste dazu baten, wobei die sich dann ihre Parts ausdachten. Jeder hatte was zu sagen, wir haben uns aber trotzdem nicht gestritten und das, obwohl es eine gewisse Spannung gab. Das half uns letztlich, uns zu konzentrieren." - "Die Techniker waren aber alte Freunde von Bosse und Patrick", fügt Mona noch hinzu, "es war also letztlich doch wieder eine Familienangelegenheit von Freunden, die zusammenkamen, um das bestmögliche zu machen. Und ein Vorteil war, wenn du es so nennen willst, war natürlich, dass wir unsere Heimatstadt für eine Woche verließen, um uns auf die Scheibe zu konzentrieren. Ansonsten war das ja so, dass immer alle kamen und gingen, wie es gerade passte - nach dem Job, auf dem Weg zur Bar oder zur Geliebten... Außerdem hatte der Drummer nicht die ganze Zeit die Küche blockiert..." Als wir uns das letzte Mal unterhielten, erzählte uns Patrick, dass er vorhabe, den Stil seiner Texte zu ändern. Das scheint er aber doch gar nicht getan zu haben? "Ähem - also als wir uns das letzte Mal unterhielten, war das vielleicht ein wenig anmaßend", räumt Patrick ein, "eigentlich sind all die Texte unterschiedlich. Manche sind autobiographisch - wie z.B. 'Autobahn', das wir quasi als Rocktour-Klischee-Song geschrieben - andere sind fiktiv. Das erlaubt mir dann, mich auf meine Charaktere zu konzentrieren. Wie z.B. bei 'Hell Into The Fire'."
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Ein seltsames Phänomen ist bei der Musik von Ai Phoenix zu beobachten: Der Zuhörer kann manchmal einfach nicht erkennen, ob das betreffende Stück nun melancholisch oder beflügelnd sein soll. Manche scheinen einfach beides zu sein. "Wenn jemand empfindet, dass unsere Stücke zugleich traurig und fröhlich sind, dann denke ich, dass es uns tatsächlich gelungen ist, genau die Musik zu machen, die wir im Sinn hatten", freut sich Mona, "das ist es, was z.B. mein Herz berührt, wenn ich einen Film wie 'Happy Together' sehe oder einen Song von Leonard Cohen höre. Ich denke einfach, dass wir versuchen, diese Momente zu beschreiben, wenn alles auf dich eindringt, wenn deine Abwehr Risse bekommt. Wie es z.B. passiert, wenn du alleine bist, wenn du verreist, aber auch wenn du betrunken bist oder dich verliebst. Es geht um Momente, wenn du ehrlicher und verletzlicher bist, als du es selbst vielleicht möchtest - sowohl dir selbst, wie auch anderen gegenüber. Ich gebe dir mal ein Beispiel: Du gehst mit deinen besten Freunden aus, nimmst einen Drink, hörst die Stimmen um dich herum und plötzlich überkommt dich ein Gefühl der Traurigkeit, weil dir bewusst ist, dass die Zeit WIRKLICH vergeht und dies alles irgendwann enden wird. Hier vermischen sich Glück und Traurigkeit. Du denkst an etwas Schönes, das aber bereits der Vergangenheit angehört und nie mehr so passieren wird." Da kommt es ja zupass, dass die Songs selber dann eher einen tröstlichen Charakter haben, so wie Kinderlieder, nicht wahr? "Also manches Mal finde ich großen Trost in einem Song", überlegt Mona, "für mich wird das immer die ultimative Aufgabe sein, die ein Song haben kann - zu trösten. Musik wird oft ja als Unterhaltung präsentiert - und manchmal ist das ja auch gut so - aber sie kann ja auch extrem wichtig für die Leute sein. Eine Melodie z.B. kann ja eine sehr starke und direkte Beschreibung eines Gefühls sein, für dessen Beschreibung mit Worten du ein ganzes Buch schreiben müsstest. Musik ist eine Sprache für sich. Wenn alte Leute ihre eigenen Kinder, ihren Namen und sogar ihre Sprache vergessen, erinnern sie sich immer noch an Lieder aus ihrer Kindheit. Das ist rührend und seltsam. Natürlich sind aber nicht all unsere Songs mit diesen Ambitionen geschrieben worden. In vielen geht es einfach um Sex, Wein, und Rock'n'Roll. Aber alle haben eines gemeinsam: Sie sind ehrlich." So können wohl nur wahre Künstler denken. (Man stelle sich mal Gespräche mit solcherlei Inhalten am Fließband oder im Büro vor!) Eine Frage interessiert vielleicht noch: Für eine Band mit Ai Phoenix' Potential, fliegen diese ja ganz schön unter dem Radar, nicht? "Wir tun immer noch alles um uns von Stress und Zeitdruck fernzuhalten", räumt Mona ein, "das bedeutet natürlich auch, dass bei uns alles sehr langsam passiert und wir unsere 'Chancen' eigentlich selten nutzen. Wir werden oft gefragt, warum wir nicht 'durchstarten'. Immerhin hatten wir viel Glück und haben die richtigen Leute getroffen. Viele Band lieben es ja, im Spotlight zu stehen - ja, es ist deren Hauptmotivation. Nicht so bei uns: Wir mögen es, unser Ding zu machen, manchmal Konzerte zu geben, unsere CDs rauszubringen - ansonsten aber unser Leben zu leben. Es ist nett zu touren und nette, idealistische Leute mit Liebe zur Musik zu treffen. Es ist aber auch nett, nach Hause zurückzukehren..."
Und was wird uns auf der Tour erwarten? "Wir werden Songs von unserem neuen Album und der Vinyl-Ausgabe spielen. Es wird traurige, fröhliche und gemischte Songs geben. Die beiden Musiker, die uns begleiten, Kristian und Frode, passen wirklich gut zu uns", schwärmt Mona, "sie werden auch die Shows mit eigenen Songs ihrer Band Stockhaus beginnen. Das ist eine de coolsten Underground-Bands in Norwegen. Wir werden so gut spielen, wie wir können und hoffentlich werden einige Leute kommen, die unsere Begeisterung für Piraten, Piloten, Flucht, Realität, Wein, Freunde, die Vergangenheit, die See, die Zukunft, Helden oder was sonst auch immer teilen..."
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Weitere Infos:
www.bgnett.no/~mokster/ai/
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Interview: -Ullrich Maurer- Fotos: -Pressefreigabe / Ullrich Maurer-
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Aktueller Tonträger: I've Been Gone - Letter One (Glitterhouse/Indigo)
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