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BLANCHE
 
Schattige Herzen, Sperrmüll & Aberglaube
Blanche
Bis vor kurzem löste der Name Detroit im Zusammenhang mit Musik stets eindeutige Assoziationen aus: MC5, zum Beispiel waren es, die sich gar nach der "Motor City" benannt hatten oder die Stooges und deren harter, ungeschliffener Rocksound, die dem Musikliebhaber Tränen in die Augen trieben und treiben. Erst in letzter Zeit krabbelte eine neue Generation von jungen Musikanten aus den Übungskellern und erfreut die Hörer mit einer (überhaupt nicht mehr konsistenten) neuen Variante des alten Rock'n'Roll. Eine Generation übrigens, die sich auch untereinander prächtig versteht und sozusagen musikalische Inzucht betreibt. Die White Stripes gehören als Speerspitze zweifelsohne dazu oder der zugezogene Brendan Benson und seine Wellfed Boys - und auch Blanche. Blanche? Wer ist Blanche? Nun, Blanche ist zunächst mal ein Frauenname - wer kennt nicht Blanche DuBois aus "A Streetcar Named Desire"? Mehr eine Idee oder ein Konzept also, als ein Name, der zum Beispiel eine Rock-Band assoziierte - auch nicht eine solche, wie Blanche (die Elemente aus Country, Folk, Cajun und Rockabilly in ihrem Sound integrieren - dazu später mehr). Und das war auch der Gedanke, wie uns Dan Miller, der zusammen mit seiner Frau Tracee den kreativen Kern des Quintetts bildet, erzählt.
"Wir wollten den Namen der Band als Konzept verstanden wissen", erklärt er, "der Name klingt - unserer Meinung nach - wie unsere Musik, ein wenig nackt und verstörend. Wenn man den Namen also mit Musik in Verbindung bringt, dann stellt sich jeder etwas ganz bestimmtes darunter vor." Worauf man ja erst mal kommen muss, denn zunächst mal legt der Name ja andere Assoziationen nahe. "Ja, der Name hat schon etwas von der Qualität der tragischen Charaktere in Tennessee Williams-Stücken, wie eben Blanche DuBois", räumt Dan ein, "das hat uns auch inspiriert. Es ist halt ein Name, der uns nicht sofort festlegte, sondern sogar ein wenig verwirrend erscheint." Nun gut, nachdem das geklärt ist - oder auch nicht -, muss kurz auf die Historie von Blanche eingegangen werden, denn die hat es in sich: Dan hatte vorher bereits zwei Bands: Eine Cow-Punk-Band namens Goober & The Peas und eine Country-Garagen-Truppe namens Two Star Tabernacle - was ja beides auch keine schlechten Namen waren. Was diese beiden Bands eigentlich im Nachhinein auszeichnete, ist, dass bei ersterer Jack White (und nicht etwa seine "Schwester") an den Drums saß und bei der zweiten selbiger Gitarre spielte. Beides war nicht von langer Dauer, aber selbstredend sind Jack und die Millers heute noch gute Freunde. "Jack hat auf unserer Scheibe jetzt aber nur bei dem Track 'Who's To Say' Gitarre gespielt", schränkt Dan ein, "das Stück hat er auch mit den White Stripes gecovert." (Als B-Seite der Single "I Just Don't Know What To Do With Myself". Es ist ja bekanntermaßen ein Hobby Jacks, dass er Tracks seiner Freunde covert, wie z.B. auch Brendan Bensons "Good To Me"). Ist es denn ein Zufall, dass sich auf Blanches Album eine Version des Folk Traditionals "Wayfaring Stranger" befindet - das ja auch Jack White nicht ganz fremd ist? "Nun, als ich das Stück zum ersten Mal hörte, war das auf einem Live-Album von Bill Monroe", erzählt Dan, "ich mochte es sehr, weil es so spärlich ist und ich mochte den Text. Wir haben es mit Two Star Tabernacle auch gespielt. Mir war aber nicht bewusst, dass das ein sehr populärer Song ist und dass viele Leute ihn aufgenommen haben. Als Jack jetzt zum Vorsprechen für 'Cold Mountain' ging, rief er mich an und meinte 'Rate mal, welchen Song ich in dem Film singen soll?' Es war natürlich 'Wayfaring Stranger' - was ziemlich lustig war, da er ihn ja von seiner Zeit mit Tabernacle her bereits kannte. Der Song passt auch gut zu der tragischen Phase, die wir mit Blanche zur Zeit der Aufnahmen durchlaufen haben. Es ist so wie mit der Carter Family. Folk-Songs sind zwar oft traurig, bringen aber auch eine Art von Trost mit sich." Und ein wenig Hoffnung? "Ja, ich denke schon - obwohl wir da diesen Song 'Hopeless Waltz' auf der Scheibe haben - da wollte ich einfach nicht mehr hoffnungsvoll klingen. Ich hasste die Hoffnung tatsächlich - weil du enttäuscht wirst, wenn du dir unberechtigterweise Hoffnung machst. Ich versuche aber, darüber hinwegzukommen." Was soll denn das ganze Gerede von Hoffnungslosigkeit und Tragik? Hat das was zu tun mit dem Titel der CD, "If We Can't Trust The Doctors"? "Ja, als wir die Songs aufgenommen haben, sind uns eine ganze Menge schrecklicher Dinge passiert", erinnert sich Dan, "Tracees Vater starb und mein Bruder war geistig verwirrt - das war für mich das Schlimmste, denn er war immer mein bester Freund gewesen, war mit mir zusammen in einer Band gewesen und ist ein talentierter Maler. Als wir ständig in diesen Warteräumen in Kliniken und Praxen saßen, dachten wir viel über das Leben und den Tod nach, wie man das nun mal an solchen Orten tut. Das führte zu dem Songtitel 'Superstition', der die Zeile 'you can't trust doctors' enthält. Es ist ja so: Du glaubst vielleicht an Gott, aber wenn dir das fehlt - auch der Glaube in die Politik oder so, dann kommst du schnell zum Aberglauben. Wenn du mal überlegst, was dann noch übrig bleibt, dann sind es Ärzte. Ärzte treffen Entscheidungen, du bist von ihnen abhängig und ausgeliefert. Aber auch Ärzte können Fehler machen. In hundert Jahren wird man vielleicht auf diese Zeiten mit Verwunderung zurückblicken und sagen, wie primitiv das medizinisch doch alles war. Heutzutage ist es aber so, dass auf jeden Fall ein gesundes Misstrauen den Ärzten gegenüber angebracht ist. Hoffentlich wird das in Zukunft besser - ich habe aber meine Zweifel, denn wir verlassen uns vielleicht zuviel auf die Technik." Na, das ist doch mal eine ordentliche Begründung für einen Songtitel. Wie finden die Millers denn überhaupt ihre Themen? "Na ja, das kommt aus unserer Umgebung", meint Dan, "Tracee und ich leben auf dieser Straße, wo es öfter Garagen-Verkäufe gibt oder aber die Möglichkeit, dir aus Sperrgut etwas herauszusuchen. Des einen Müll ist des anderen Schatz. Wir hatten nun einen Tisch im Sperrmüll gefunden, der uns vom Stil her sehr gefiel. Ein Kind rief uns 'Garbage Picker' hinterher, als wir diesen abtransportierten. Ich nahm nun diese Idee als Basis für einen Song: Was wäre, wenn du herausfändest, dass die Person, die du liebst, ihr ganzes Leben auf den Resten anderer Leute aufgebaut hätte? Das ist eine Art von Humor, wie ich sie mag. Es ist ja schwer, Humor in der Musik zu verwenden - ich hasse offensichtlich lustige Musik - wenn wir also so etwas machen, dann muss eine menschliche Emotion dahinterstehen und auch ein wenig Düsternis."
All das soll übrigens nicht mal heißen, dass die Musik von Blanche irgendwie depressiv oder auch nur melancholisch wäre. Das liegt - neben der überschäumenden Art, in der das Ganze dargeboten wird (woran vor allen Dingen der jubilierende Pedal Steel Player David Feeney einen gewissen Anteil hat) - auch daran, dass sich in der Musik von Blanche alle möglichen Einflüsse finden lassen - vom Appalachen-Folk bis zum New Orleans-Swing. Das ist ja kein typischer Detroit-Sound mehr, oder? "Nein, aber wenn du dir die ganzen Bands aus Detroit anhörst, wirst du feststellen, dass es den typischen Detroit-Sound eigentlich auch gar nicht gibt", schränkt Dan ein, "Detroit ist eine Stadt voller Immigranten. Es gibt eine ganze Historie verschiedener Stile. In den 40ern und 50ern gab es eine Menge Leute aus dem Süden, die hier herzogen, um in der Autoindustrie zu arbeiten. Auch heute noch. Und die haben natürlich ihre Musik mitgebracht. Daher kommt die R'n'B und Soul-Musik. Das Komische an Detroit ist, dass hier nicht viel los ist, aber an gewissen Stellen eine Ganze Menge seltsames Zeug passiert. Tracee und ich gehen z.B. gerne zu diesen Seniorentreffen, wo es immer diese Country-Jamborees gibt. Da kommen einfach die Leute mit ihren Freunden aus dem Süden zusammen um ihre Musik zu spielen. Und dann gibt's natürlich auch den Rock'n'Roll. Für mich ist es so, dass ich zwar die Stooges mag, aber mich eher von Bands beeinflusst fühle, die wiederum von den Stooges beeinflusst worden sind - The Gun Club z.B., oder The Birthday Party." Eine weitere sehr schöne Eigenart von Blanche ist, dass Dan ein paar Songs mit seiner Frau Tracee im Duett singt. Eine Tradition, die seit den Zeiten von Lee Hazelwood und Nancy Sinatra ja ein wenig ins Hintertreffen geraten zu sein scheint. "Nun ja, ich denke, das ist eine sehr spannende Sache", überlegt Dan, "man hat dann auch immer gleich diese Sonny & Cher oder eben Lee & Nancy Assoziationen - obwohl es bei uns ja immer ein wenig düsterer ist. Tracee und ich führen eine sehr gute Ehe, und ich denke auch, dass sich das in unseren Songs widerspiegelt. Obwohl man ja nie wissen kann, wie so etwas weiter geht - aber da spielt schon wieder mein Pessimismus rein. Aber frag Tracee doch vielleicht selber mal..."
Blanche
Gutes Stichwort: Wie fühlt man sich denn angesichts des Vorangestellten, wenn man dann Songs wie "Do You Trust Me" singt - in denen es eher um Misstrauen geht? Ist das jetzt ironisch gemeint? "Nein", widerspricht Tracee, "das ist überhaupt nicht ironisch gemeint. Ich denke nämlich, dass man auch wenn man eine großartige Beziehung hat, die Dinge nicht einfach als gegeben hinnehmen kann. Du kannst dir nämlich wirklich nie ganz sicher sein, auch wenn du dein Gegenüber liebst. Ich habe jedenfalls festgestellt, dass die Leute dich in Beziehungen aller Art - seien es Freundschaften, familiäre oder romantische Beziehungen - immer wieder überraschen." Hm. Wenn man das mal im Hinterkopf behält: Was ist denn Tracees bevorzugte Tugend per se? "Tugend?", überlegt sie, "ich denke, dass die wichtigste Tugend tatsächlich die Loyalität ist. Diese ist mir sehr wichtig und ich nehme mir das auch wirklich zu Herzen. Wenn du mal drüber nachdenkst, ist das auch irgendwie beängstigend - gerade in Bezug auf das 'Vertrauen'." Und wie denkt Tracee über die Duett-Thematik? "Ich finde, das ist irgendwie lustig", meint sie, "es kommt natürlich von Herzen, ist aber schon ein wenig seltsam, nicht? Es funktioniert aber sehr gut, weil die Chemie zwischen uns stimmt und das ist sehr inspirierend. Es führt auch dazu, dass jede unserer Shows anders ist." Tracees Gesangsstil ist sehr unterschiedlich von Dans (sie haucht die Texte irgendwo dahin, während er eher croont). Das führt - zusammen mit dem Mumbo-Jumbo an verschiedenen Stilen und der doch recht unterschiedlichen Herkunft der Musikanten - zu einem sehr eigenen, unsteten, aber nicht unsympathischen Stil. "Das kommt tatsächlich von den verschiedenen Einflüssen der Beteiligten", meint Tracee, "selbst bei Live-Shows ist das immer so eine Art Achterbahnfahrt, bei der keiner weiß, wo die Reise hingeht. Wir sind zwar immer zusammen auf dem Plan, aber der kann sich jederzeit ändern." Ist das auch wichtig bei den Aufnahmen? "Ja, wir versuchen immer, das bei den Aufnahmen zu berücksichtigen", stimmt Tracee zu, "die Aufnahmen laufen nicht besonders organisiert ab. Das hat immer etwas Beiläufiges. Wir haben z.B. in Warn Devefers Studio [His Name Is Alive] aufgenommen. Das ist sehr groß und hat eine professionelle Atmosphäre. Während z.B. die Aufnahmen bei Brendan Benson in einer Art altem Herrenhaus stattfanden. Das ist fast wie ein Spukschloss. Die Atmosphäre spielte also eine große Rolle. Letztlich kommen wir dann alle an einem Tisch zusammen und irgendwie kommt dann ein fertiger Song dabei heraus." Das hört sich jetzt sicherlich leichter an, als es ist. Eines jedoch ist wichtig - und Tracee erwähnte es ja auch in einem Nebensatz: Die Songs von Blanche kommen alle von Herzen und diese Art von Emotionalität ist es auch die Blanchens Musik letztlich auszeichnet. Wenn überhaupt, dann ist das auch das verbindende Element der neuen Detroiter "Szene". Es ist jedoch zu befürchten, dass sich das vollständige Blanche Universum erst im Live-Umfeld erschließt. Hoffentlich findet sich dann jemand, der das Wagnis auf sich nimmt, eine namentlich unbekannte Band dieser Art auch mal in unseren Breiten zu buchen...
Weitere Infos:
www.blanchemusic.com
www.loosemusic.com/bands/blanche.shtml
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Pressefreigaben-
Blanche
Aktueller Tonträger:
If We Can't Trust The Doctors
(Loose/Soulfood)

 
 

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