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TIMID TIGER
 
Flutschi, Bing und Bong
Timid Tiger
Manchmal kommt "das nächste große Ding" eben nicht daher, wo man es sucht, sondern ist quasi schon da. Der "ängstliche Tiger" wohnt sozusagen in Köln und treibt dortselbst schon seit einiger Zeit sein Unwesen. Zunächst mal tauchte da diese schrullige Vier-Track-EP mit dem von Klaus Cornfield (Katze) entworfenen Comic-Tiger auf dem Cover auf, die unter anderem einen zunächst unscheinbaren Schrammel-Pop-Track namens "Miss Murray" enthielt. Dann fuhrwerkten Timid Tiger mit zunehmendem Zuspruch auf Kölner Bühnen herum und erfreuten das überraschte Publikum mit der bemerkenswert eingängigen, kunterbunten Tanzpop-Variante der besonderen Art. Und letztlich biss das L'Age D'Or Label (Tocotronic etc.) an und verpasste "Miss Murray" ein Facelifting und ein Re-Release als Themensong. Es folgte eine vielbeachtete Tour im Vorprogramm von Phillip Boa und nun steht die Veröffentlichung des Timid Tiger Debüts "Timid Tiger & A Pile Of Pipers" an - mit 12 "brandneuen Schluckauf-Songs" (so die Website) - selbst produziert, aber gemixt von Phil Vinall, der auch schon Placebo, Radiohead oder Pulp unter seinen Fittichen hatte und immerhin gemastered im Londoner Abbey Road-Studio. Damit ist auch ein wenig die Richtung vorgegeben: Timid Tigers Cartoon-Pop geht eher in Richtung der Inselnachbarn als sich etwa deutscher musikalischer Tugenden zu bedienen. Sogar einen Sinn für Mode haben die Jungs.
Doch wer sind eigentlich Timid Tiger? Zunächst mal ein Quintett, das sich um den kreativen Kern - Sänger Keshav und Gitarrist Christian - gebildet hat, und das neben Gitarren-Sounds auch gerne mit Keyboards hantiert. Zunächst sagt das ja noch nicht viel aus. "Also, alles fing damit an, dass Keshav und ich uns 2002 im Rose Club in Köln getroffen haben", erinnert sich Christian, "wir haben uns die ganze Nacht über Musik unterhalten und festgestellt, dass wir dieselben Stücke mögen. Irgendwann sind wir dann im Stereo Wonderland bei einer Karaoke-Show angekommen, wo Keshav für mich 'I Will Always Love You' von Whitney Houston gesungen hat. Er hat zwar das hohe C nicht ganz getroffen, aber das war für mich der Startschuss." Dazu muss man noch wissen, dass sie besagten Lokalitäten Kölner Clubs sind und "I Will Always Love You" eigentlich von Dolly Parton ist. Aber das Prinzip ist schon erkennbar: Da wurde eine Band aus der Musik heraus geboren. Wenngleich "I Will Always Love You" ja nun nicht gerade die Messlatte ist, an der sich Timid Tiger dann musikalisch orientieren. "Nein, wir haben uns dann zunächst mal getroffen und Songs geschrieben - Indie-Gitarren-Songs, Schmusesongs und so", fährt Christian fort, "das ging dann zwei Monate so und funktionierte ganz gut. Wir wollten das dann mal in einem Band-Kontext umsetzen und da kam es uns dann zu Gute, dass der Keshav vorher schon mal in einer Band gespielt hatte." - "Genau, alle bis auf Christian kannte ich schon", ergänzt Keshav, "die Band hieß damals Radio Voices. Da hatte ich aber noch nicht gesungen. Es war aber praktisch, dass die Band schon eingespielt war." Es waren ja auch schon Stimmen zu hören, die Timid Tiger als die "kölschen Franz Ferdinand" bezeichneten, während Christian und Keshav die Wurzeln der Band eher in den 60er Jahren sehen. "Das muss man in Bezug setzen", schränkt Christian ein, "die Bands aus den 60ern haben sich ja auch bezogen auf die Bands in den 20ern. Und hier meine ich die Vaudeville-Elemente. Die Kinks haben so etwas gemacht und ich meine auch die Beach Boys. Auch bei den Beatles - 'Honey Pie' oder 'Martha My Dear' - gab's so etwas. Und das ist - wie bei uns - ein Bezug auf die musikalische Historie. Wir haben dann halt mal ein Boogie-Woogie oder Rock'n'Roll Klavier drin - oder aber auch Synthies aus den 80ern oder Singer-Songwriter-Elemente aus den 60ern. So ist das zu verstehen."
Und woher kommt der Soundmix: Anfangs schienen Timid Tiger sich ja in Richtung Gitarrenpop zu entwickeln, während heutzutage eher der Gesamtsound im Vordergrund steht. "Das war die Entwicklung, die wir von der ersten EP zum Album gemacht haben", erklärt Keshav, "wir haben gemerkt, dass bei der Vision von unserem Cartoon-Pop das Keyboard die Richtung sehr viel mehr prägt. Damit haben wir auch die Möglichkeit, die Sounds, die es z.B. auch bei Cartoon-Filmen gibt in unsere Musik einfließen zu lassen. Dadurch wurden die Gitarren immer mehr zurückgedrängt und die Keyboards immer wichtiger." Wie funktioniert denn bei einem solchen Projekt das Songwriting? Immerhin muss man da ja wohl die Vision und die Klangästhetik im Hinterkopf behalten, oder? "Da gibt es ganz verschiedene Herangehensweisen", erläutert Christian, "wir haben auf dem Album zwei Songs, die aus einer Jam-Situation im Proberaum entstanden sind. Die restlichen Songs wurden im Singer-Songwriter-Stil vorbereitet. Keshav und ich haben die Songs zu Hause vorbereitet und sind damit in den Proberaum gegangen. Da hat dann unser Keyboarder, Evgeni, der übrigens ein sehr guter Keyboarder und auch ein Komponist ist, Soundeffekte dazu gemacht und dann ging's los. Dann entwickelte sich langsam das Sound-Design." Woher kommt denn der Tiger überhaupt? "Die Idee entstand relativ früh", erinnert sich Christian, "wir hatten damals ziemlich viele Konzerte besucht, und dabei ist uns aufgefallen, dass sich die Show-Elemente bei diesen Konzerten im allgemeinen und unabhängig von der Musik sehr reduziert. Wir hatten dann die Idee, unser Ding ein wenig theatralischer zu machen und mehr Show-Elemente mit einzubeziehen. Da kam uns dann die Idee, Gitarrenmusik mit Hörspielelementen zu verknüpfen. Der Gedanke war dabei, ein Hörspiel mit Gesang als verbindendem Element live vorzutragen. Im Zuge dieser Überlegungen kamen wir darauf, irgendeinen Protagonisten hierfür zu suchen. Und so kamen wir auf den Tiger und auch den Bandnamen. Timid Tiger ist eine schöne Alliteration und auch ein schönes Bild. Ein Tiger ist schließlich in der Natur ja nicht als ängstlich bekannt und das war ein guter Kontrast, wie wir dachten." Und wie entstand dann die Comic-Figur? "Also, das war ein Glücksfall", erzählt Keshav, "unser erstes Konzert im Mai 2002 haben wir zusammen mit der Band Katze gespielt, in der ja Klaus Cornfield der Sänger ist. Wir kannten auch seine Comics von vorher. Er fand unsere Musik gut und wir haben ihn dann gefragt, ob er unseren Tiger zeichnen würde. Und zwar so, wie er unsere Musik hört. Eine Woche später hatten wir dann das Bild von dem Gitarre spielenden Tiger. Das war für uns ein richtiges Glückserlebnis. Wenn unsere Musik dann so klänge, wie der Tiger aussieht, dann wäre das schon eine gute Sache." Weich? "Ja, dadurch, dass die Gitarren in den Hintergrund gerückt sind, rockt es bei uns weniger, sondern macht halt 'flutschi-flutschi', 'Bing' und 'Bong'." Sind das dann auch theatralische Elemente? "Ja, aber unser großer Traum ist mal, so eine Art Cartoon Oper zu inszenieren - mit Puppen und Konfetti-Bomben", schwärmt Keshav, "also dass neben der Musik noch ganz viele Geschichten erzählt werden." Das hört sich ja fast nach den Flaming Lips an? "Genau, das ist auch eine klasse Band", bestätigt Keshav, "das wäre auch mal unser Traum, mit denen zu touren und einen riesigen Kindergeburtstag zu veranstalten. Im Augenblick fehlen uns dafür aber noch die Mittel. Aber ich denke wir fangen im Kleinen an, mit Konfetti in den Taschen und Seifenblasen."

Welche Funktion haben denn in diesem Zusammenhang die Timid Tiger-Texte? "Die Texte sind zum einen autobiographisch und entstehen zum großen Teil auch dann, wenn die Musik entsteht", erklärt Christian, "wenn ich z.B. zu Hause an der Gitarre sitze, verarbeite ich meine täglichen Erlebnisse - das hat auch immer eine seelenreinigende Wirkung. Aber: Es ist auch immer versetzt mit diesem bunten, kitschigen Comic Elementen, die gewisse Bilde erzeugen, die nicht alltäglich und ein bisschen abgedreht sind. Das schöne ist ja auch, dass du in der Cartoon-Welt Dinge tun kannst, die du im richtigen Leben nicht tun kannst. Z.B. in eine Schlucht zu springen wie Kojote Karl, ohne das was passiert. Das kann der Tiger halt auch. Und ansonsten erzählen wir ein paar skurrile Geschichten aus dem Comic-Land." Was hat es denn z.B. mit den "Ladybird / Ladygirls / Ladyboys"-Songs auf sich, die die Scheibe quasi einrahmen? "Das gehört wegen des Inhaltes zusammen", führt Christian aus, "es gibt auch einen kleinen textlichen Verweis auf die Beatles. Aber hauptsächlich ist es eine Geschichte, die mir auch im Leben passiert ist. Da gab es einen Menschen, der zu mir gekommen ist und auch einfach - ohne ersichtlichen Grund - wieder verschwunden ist. Da fand ich das Bild des Marienkäfers (Ladybird) ganz witzig, der sich auf einen Grashalm setzt, nach obern krabbelt und wenn es am schönsten ist, wieder wegfliegt." Was auch belegt, dass es nicht nur lustig zugeht, in der kunterbunten Timid Tiger-Welt. Was ist denn beim überhaupt das Wichtigste für Timid Tiger? "Eine gewisse Atmosphäre widerzuspiegeln", beharrt Keshav fast, "besonders auch das Cartoon-hafte. Das versuchen wir auch immer herauszuheben. Was ja auch der Grund für den verstärkten Einsatz der Keyboards, weil Gitarrensounds ja doch eher festgelegt sind." - "Und ich finde es immer ganz schön, wenn bei den Zuhörern eine Art Kopfkino abläuft", meint Christian. Was bei den oben beschriebenen Basis-Strukturen ja nun wahrlich kein Problem sein dürfte. Was ist aber - eingedenk dessen - das wesentliche bei den TT-Songs? Wonach suchen die Songwriter? "Das ist bei uns so, dass jedes Lied für sich steht und die Atmosphäre an sich darstellen soll", überlegt Christian, "obwohl man nicht sagen kann, dass Text und Musik von der Stimmung her immer in Einklang gebracht werden. Manchmal funktioniert auch ein trauriger Text in einem witzigen musikalischen Arrangement oder umgekehrt." Warum gibt es denn eigentlich keine klassische Timid Tiger-Ballade? Alles spielt sich zumindest im Mid-Tempo-Bereich ab. "Wir hatten ja auf der EP ein Stück namens 'Kelly'", erinnert sich Keshav, "und das ist eine Ballade. Wir hatten auch überlegt, das auf die Scheibe mit drauf zu nehmen, weil auch das eine Richtung ist, die uns gut gefällt und die wir verfolgen möchten, aber es passte nicht auf das Album." - "Konzeptionell ist das Album ja auch eher fröhlich angelegt", ergänzt Christian, "und da Balladen immer ein wenig melancholisch wirken, haben wir uns entschlossen, keine mit drauf zu nehmen. Wir haben aber noch zwei Balladen in der Hinterhand, die aber in der Stimmung nicht gepasst."

Timid Tiger
Nun ja: Die Jungs haben ja auch noch Zeit. Und im Live-Kontext ergeben sich dann ja auch noch mal andere Möglichkeiten, nicht wahr? "Ja, aber mir ist es schon wichtig, dass wir eine positive Stimmung verbreiten und die Leute zum Tanzen anregen", erläutert Christian, "wir konnten schon bei der Phillip Boa-Tour beobachten, dass das auch ganz gut funktioniert. Die Resonanz war überwältigend. Das haben wir beim Merchandising-Verkauf gemerkt." Spielt es für Timid Tiger eigentlich eine Rolle, eine Band aus Deutschland zu sein? "Überhaupt nicht", meint Christian, "weil wir auch eigentlich keine typische deutsche Band sind. So kommt Keshav ja z.B. aus Indien und wir machen ja auch keine deutschen Sounds." Nun passiert ja auf dieser Debüt-CD musikalisch ja schon so einiges. Gibt es denn auch bereits Pläne die Zukunft betreffend? "Nun, zunächst mal wird die Scheibe erscheinen, dann werden wir einige Konzerte in der näheren Umgebung geben, im Sommer einige kleine, aber feine Festivals spielen und im Herbst eine Headliner Tour angehen", erzählt Keshav, "erst mal muss das Album ja auch seine Wirkung entfalten." - "Wir haben aber bereits ein paar Ideen für das nächste Album", ergänzt Christian, "wir haben ja auch ein paar Songs, die es nicht auf dieses Album geschafft haben, die aber trotzdem stark genug sind. Der Tiger ist ja noch ziemlich jung und zum Teil auch naiv. Deswegen läuft er ja auch so leichtfüßig durch's Leben. Verschiedene Entwicklungen, die wir jetzt durchlaufen, werden auch in die Musik einfließen, die sich somit auch entwickeln wird. Das hier ist jetzt eher die Zirkus-Lustig-Knaller-Scheibe. Da kann durchaus noch mehr passieren. Vielleicht wandelt sich der Tiger irgendwann zur Fledermaus und macht einen Vampir-Rock..." Wie heißt es doch gleich: Das schöne am Leben ist ja, dass es immer weiter geht. Das gilt demnach auch für einen ängstlichen Tiger.
Weitere Infos:
www.timidtiger.com
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Pressefreigaben-
Timid Tiger
Aktueller Tonträger:
Timid Tiger & A Pile Of Pipers
(L'Age D'Or/Rough Trade)
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