Songs haben lange Beine
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Mit ihrem dritten Album "Let Go" gelang dem New Yorker Trio Nada Surf das Kunststück, ein Werk zu produzieren, das sich als jedermanns Lieblings-Scheibe entpuppte. Mit einem neuen Ansatz, der vor allen Dingen ruhigeren und akustischen Tönen den Vorzug gab, gelang es Matthew Caws, Daniel Lorca und Ira Elliot auch diejenigen zu begeistern, die eben nicht ausschließlich auf dröhnende Rock-Songs standen. Plötzlich waren Nada Surf als Geheimtipp in aller Munde. Zuletzt tauchte der Name bei uns an einer Stelle auf, an der man ihn gar nicht erwartet hätte: Der heimliche Hit "Blonde On Blonde" von "Let Go" diente als Titelthema des Marco Kreuzpainter-Filmes "Sommersturm" mit Robert Stadlober.
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"Davon habe ich noch gar nichts gehört" freut sich Drummer Ira Elliot, "aber es passierten lauter solch komische Sachen mit diesem Album. Da gibt's zum Beispiel diesen Typ, der dieses Buch mit Short Stories geschrieben hat, die auf den Titeln von 'Let Go' basieren. Sehr komisch. Und dann hat jemand sein Thesenpapier an der Uni über jeden Song geschrieben, den Matthew jemals geschrieben hat. Das war ja fast schon beängstigend für Matthew, diese intellektuelle Analyse zu lesen und dann festzustellen, dass er im Grunde genommen nur über zwei Dinge schreibt. Aktiv haben wir in letzter Zeit eigentlich nur eine Sache für den Film gemacht - eine OMD Cover-Version für eine Fernsehshow. Ansonsten hatten wir keine Zeit für so etwas." Was uns dann zu der Frage bringt, unter welchen Bedingungen das neue Album, "The Weight Is A Gift" entstanden sein mag. Um es gleich zu sagen: "Weight" knüpft nahtlos an "Let Go" an. Natürlich ist der Überraschungseffekt nicht mehr so groß - dafür aber der Erwartungsdruck um so stärker. Auch wenn man zunächst vergeblich nach einem weiteren "Blonde On Blonde" suchen mag: Mit der Zeit wächst auch dieses neue Album und offenbart eine Reihe typischer Nada Surf-Hits. Was gingen denn die Aufnahmen vonstatten? "Wir haben das Ganze ziemlich schnell eingespielt", meint Ira Elliot, "es war sogar so, dass wir ziemlich wenig vorbereitet waren, als wir mit den Arbeiten begannen. Wir waren nämlich unglaublich lange mit der letzten Scheibe auf Tour gewesen. Nun ist es so, dass wir nicht wirklich schreiben, wenn wir auf Tour sind und so mussten wir die meisten Sachen ziemlich schnell fertigen. Wir wollten als Produzenten nämlich unbedingt Chris Walla haben, der aber mit Death Cab For Cutie und anderen Sachen auch sehr beschäftigt war. Als sich also ein Zeitfenster öffnete, musste alles sehr schnell gehen. Wir hatten ungefähr fünf Stücke soweit fertig. Der Rest war Stückwerk und wir mussten uns was einfallen lassen, während wir dran arbeiteten. Eine der Lektionen, die wir bei 'Let Go' gelernt hatten, war aber, dass man auch sehr einfach und ruhig arbeiten kann. Als ich noch jünger war, spielte ich immer auf diese physikalische Art und Weise. Ich spielte immer sehr körperlich und praktisch ohne zu atmen. Ich musste erst lernen zu atmen, während ich spielte. Und da wurde mir plötzlich alles klar. Und um dieses Gefühl geht es immer noch. Es geht darum, zu relaxen und sich nicht ganz so viele Sorgen zu machen."
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Worum geht es denn auf dem neuen Album? "Es geht darum, Herausforderungen anzunehmen und herauszufinden, wie man damit umgehen kann", erklärt Ira, "man kann sich dann entscheiden, zornig oder glücklich zu sein. Und viele der neuen Songs handeln davon, diese Wahl zu treffen." Das interessante dabei ist, dass Nada Surf auf der neuen Scheibe erstmals Lösungen, Auswege aus der Malaise aufführen: "If you want someone you love / you got to be someone you love" singt Matthew zum Beispiel in "Concrete Bed" oder "Always chose love because hate will get you anytime" in "Always Love". Wie entstehen denn diese Songs? "Matthew verfasst üblicherweise den Kerngedanken eines Songs", verrät Ira, "es kommt jedoch selten vor, dass er einen ganzen Song schreibt, aber er sagt uns niemals, was wir zu spielen hätten. Es ist also immer eine gemeinsame Bemühung von uns allen, herauszufinden, was der betreffende Song denn gerne sein möchte. Das ist übrigens für drei Leute eine schöne Sache, weil man immer aufeinander eingehen muss. Es macht Spaß, die Balance zu finden." - "Eine interessante Sache bei den Songs auf dem neuen Album ist übrigens die, dass wir eine große Lücke in unserem Leben überbrücken mussten, nachdem wir die ersten Aufnahmen gemacht hatten", ergänzt Daniel Lorca - der außer bei Nada Surf noch als musikalischer Partner bon Coralie Clément arbeitet, "es gab also einen Zeitraum von sechs Monaten, in denen die Songs wie ein Wein 'reifen' konnten. Es war so ganz schön schwierig, die Songs zu beenden - einfach deswegen, weil wir uns emotional in einem anderen Raum bewegten, als sechs Monate vorher. Das ist auch der Grund, warum dann plötzlich neue Melodien anstatt einer dritten Strophe auftauchen. Was natürlich auch gut für die Songs war." Das ist ja sowieso ein typisches Nada Surf-Ding, dass die Songs auf halber Strecke (oder im Mittelteil) in vollkommen neue Dimensionen abdrehen, nicht wahr? "Das ist genau das, was passierte", führt Daniel aus, "Matthew nahm die Aufnahmen, die bisher da waren, packte sie auf seinen 4-Track und experimentierte dann damit rum." - "Matthew hat sich in letzter Zeit auch viel Rap-Musik angehört", wirft Ira ein, "es hat ihm wohl auch geholfen, aus dem typischen Pop-Modus auszubrechen." Ist es denn nicht so, dass sich Nada Surf auch bewusst darum bemühen, den Hörer auf die bestmögliche, abwechslungsreichste Art zu unterhalten? "Wir versuchen, das Offensichtliche zu vermeiden, wenn es das ist, was du meinst", überlegt Ira, "es ist immer interessanter, links abzubiegen. Wir suchen nach einer Reihe musikalischer Ereignisse, die sich verändern." Das heißt also, der Zufall spielt eine große Rolle bei Nada Surf? "Ja, nimm zum Beispiel 'Blankest Year'", verrät Ira und spielt dabei auf einen kurzen Rock-Song in der Mitte der Scheibe ein, "das war einer der spontansten Tracks, den wir je aufgenommen haben. Matthew hatte diesen kleinen Riff und diese Textidee. Da sind wir als Rhythmusgruppe natürlich sofort drauf eingestiegen, weil das diesen gewissen Drive hatte. Und davon ließ er sich auch wieder anstecken. Wir sind ins Studio gegangen und haben es in zwei oder drei Takes eingespielt - inklusive des Textes." - "Das war dann wieder ziemlich witzig, weil Matthew sich immer einen Kopf macht, was die Texte betrifft", wirft Daniel ein, "es ist nämlich so, dass wir uns immer Gedanken darüber machen, wie die Songs die Zeit überstehen werden und ob wir diese auch lange Zeit spielen können. Was ihn hier störte, war, dass es so schnell gegangen war. Außerdem hatte er Bedenken, als seriöser Songwriter den Song mit dem Wort 'Fuck' zu beginnen. Aber das ist es ja gerade, worum es geht."
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Ein anderes Stück spiegelt die Impromptu-Methode noch besser wider: "Armies Walk" scheint ja gleich aus mehreren Stücken zu bestehen, die miteinander verwoben sind. Und eines davon ist eine glasklare Who-Referenz. "Ja, das stimmt wohl", muss Ira zugeben - der mit seinem wilden Keith Moon-Getrommel nicht unwesentlich für diesen Windruck verantwortlich zeichnet, "das ist eines dieser Stücke, die zusammengesetzt wurden. Und manchmal erlauben wir uns so ein kleines 'Who-Ya-Ya', wie wir es nennen. Es gibt ja nun verdammt wenige Bands, die das Gebiet beackern, wie The Who. Das ist aber okay - eine Menge Bands haben schließlich ihre Karriere darauf aufgebaut, wie die Stones zu klingen. Niemand klingt wie The Who, warum also sollten wir das nicht mal versuchen?" Und was ist mit Guided By Voices? "Ach ja, stimmt, die bringen eine sehr überzeugende Who-Imitation", räumt Ira ein, "ich bin auch ein großer Fan dieser Band!" Verbringen Nada Surf eigentlich viel Zeit damit, die Reihenfolge der Songs hinzubekommen? Eigentlich alle Nada Surf-Scheiben haben einen sehr schönen "Flow". Auch natürlich das neue Werk. "Ja, damit verbringen wir eine Menge Zeit", bestätigt Ira, "es ist nämlich so, dass das der letzte Teil des Prozesses ist, den du selbst kontrollieren kannst. Danach müssen nämlich die Leute entscheiden, was sie denken. Also ist die Bewegung der Songs sehr wichtig. Jeder macht seine Vorschläge und dann raufen wir uns zusammen." - "Ja, das Interessante dabei ist, dass wir immer mit fast denselben Vorschlägen zu Tage kommen", wirft Daniel ein, "das muss mit der Art zusammenhängen, wie wir zusammen arbeiten und denken. Für uns ist ein Album mehr als die Summe seiner Teile. Ergo müssen wir sehr viel Energie und Arbeit in alle Aspekte stecken - auch die Anordnung der Songs." Einmal eine andere Frage: Wie kommt denn eine Gitarrenband - und die ist Nada Surf nun mal - ohne "richtige" Gitarrensoli aus? "Nun, wir sind ja nur zu dritt", meint Daniel, "da haben wir keine Zeit, herumzunudeln." - "Nun es gibt ja ganz kleine Soli", ergänzt Ira, "aber wir kommen ja auch eher mit einer Punk Rock-Attitüde. Da brauchst du keine Gitarrensoli. Und es geht ja auch gar nicht: Matthew muss ja ständig mit Akkorden und Arpeggios arbeiten. Da bleibt keine Zeit für Gitarrensoli - obwohl er übrigens ein brillanter Soloist ist!" - "Und dann ist das auch eine tief verwurzelte Reaktion gegen das, was wir als Teenager in den 80ern erlebt haben", führt Daniel aus, "es gab da solch exzessive Gitarrensoli. Obwohl ich z.B. die Soli von Mick Jones mag, aber wenn ich an Gitarrensoli denke, habe ich immer das Bild von Slash mit breiten Beinen und einem Helikopter im Hintergrund im Kopf. Das ist nun wirklich nicht unser Ding. Und noch eine Sache: Wir sind die am wenigsten Blues-orientierte Band, die du dir vorstellen kannst." Ist das nicht ein Problem? Denn Blues ist ja die Basis, auf der letztlich alles aufbaut. "Nun, das muss ich erklären", beeilt sich Daniel auszuführen, "ich mag den Blues. Blues ist aber mehr ein Gefühl. Die meiste Musik, die ich mag, ist Blues. Aber nicht, was die Struktur oder die Melodie betrifft. Nimm z.B. den Flamenco - ich komme ja aus Spanien. Flamenco ist Blues für mich. Die Flamenco-Spieler schütten ihr Herz in einem einzigen Wehklagen aus. Wenn ich sage, dass wir nicht auf dem Blues basieren, dann meine ich den klassischen, amerikanischen 12-Bar-Blues." Apropos Flamenco: Sind denn die Tage vorbei, in denen es französisch-sprachige Nada Surf-Songs gab? "Nein, ich habe in der Tat noch ein paar Songs auf Tasche", gibt Daniel zu, "aber die Art, in der wir diese Scheibe aufnahmen, ließ keinen Raum dafür. Ich zögere nämlich immer sehr, mein Material vorzustellen. Das fällt mir bei Coralie leichter - obwohl da ja der Gott des Songwriting, Benjamin Biolay, dabei ist. Aber bei diesen Jungs ist das was anderes. Es ist so, als müsste ich meine Freundin zum ersten Mal meinen Eltern vorstellen. Da bin ich immer sehr nervös. Das ist so ähnlich, wie zu Hause in Madrid zu spielen. Das ist auch der einzige Moment, an dem ich Lampenfieber habe - wenn ich weiß, dass meine Freunde und Verwandten im Publikum sind. Aber wenn mal wieder mehr Zeit ist, dann werde ich sicher mal wieder ein paar französische Sachen machen. Wir haben z.B. vor, Benjamin zu bitten, mit uns zusammen etwas speziell für den französischen Markt zu machen. Es soll aber auch in diesem Fall alles ganz natürlich passieren." Das heißt also, es gibt immer Möglichkeiten, zu wachsen - vielleicht so wie in dem Song "Your Legs Grow"? "Ja, die Idee bei dem Song ist die, dass, wenn man sich in eine knifflige Situation begibt - sagen wir mal tiefes Wasser -, man Möglichkeiten findet, da wieder herauszukommen", beschreibt Ira Matthews diesbezüglichen Song, "im übertragenen, poetischen Sinne bedeutet das dann eben, dass deine Beine wachsen." Dann dürfen wir also - im übertragenen, poetischen Sinne - gespannt sein, wie groß Nada Surf noch werden können...
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Weitere Infos:
www.nadasurf.com
www.barsuk.com/web.cgi?nada&nadanews www.nadasurfan.com
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Interview: -Ullrich Maurer- Fotos: -Pressefreigaben-
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Aktueller Tonträger: The Weight Is A Gift (CitySlang/Rough Trade)
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