Gaesteliste.de Internet-Musikmagazin



SUCHE:

 
 
Gaesteliste.de Facebook Gaesteliste.de Instagram RSS-Feeds
 
Interview-Archiv

Stichwort:



 
BRAIDS
 
Brian Eno als Song-Babysitter
Braids
Vieles hat sich getan, seit Braids aus Kanada vor zwei Jahren ihr Debüt "Native Speaker" veröffentlichten. Aus dem Quartett ist mittlerweile ein Trio geworden und die musikalische Ausrichtung tendiert zunehmend zu einem komplexen, elektronischen Klangbild. Anlässlich des Nachfolgers "Flourish // Perish" trafen wir Sängerin Raphaelle Standell-Preston und Schlagzeuger Austin Tufts in Berlin, um in lauschiger Club-Atmosphäre und mit einem tönenden Soundcheck im Hintergrund über das neue Album zu sprechen. Der liebevoll geteilte Snack zwischendurch wird ebenso abwechselnd und aufmerksam von den beiden bedacht wie ihre Antworten auf unsere Fragen nach dem Schrumpfen zum Trio oder der für sie schönsten Unvergänglichkeit im Leben. Ganz nebenbei verraten sie uns auch noch, weshalb Brian Eno in ihren Augen der beste Babysitter weit und breit ist.
Kaum sind die gerade geschaffenen Songs zur Studiotür hinaus, grübeln Braids auch schon über neuem Material. Eine Pause kommt ihnen vermutlich nicht einmal in den Sinn und so verrät uns Schlagzeuger Austin Tufts in den ersten Minuten des Interviews, dass bereits neue Songs in Arbeit sind: "Wir denken gerade darüber nach, wie und wo wir unser nächstes Album aufnehmen werden. Die Winter in Montreal sind immer sehr lang und kalt. Eigentlich eine sehr uninspierierende Zeit, weil alles so dunkel um einen herum ist. Gleichzeitig wird man jedes Mal von einer so düsteren Stimmung ergriffen, was für uns ideal zum Schreiben von Songs ist. Im Sommer sind wir außerdem meistens auf Tour und kommen nicht dazu, an neuer Musik zu arbeiten."

Obwohl die Band allem Anschein nach kaum zum Stillstand kommt und ständig mit dem Kopf in der nächsten Songidee steckt, suggeriert der Titel ihres zweiten Albums "Flourish // Perish" doch, dass es im Leben von Sängerin Raphaelle & Co dennoch zumindest den Raum für abgesteckte Phasen gibt, in denen Neues zum Leben erweckt und Anderes dafür für immer außer Sichtweite gerät. Nichts ist von Dauer. Nur zwei Eckpunkte bestimmten den Verlauf und halten alles zusammen, wie uns Raphaelle erklärt: Es gibt im Leben nur zwei unausweichliche Dinge. Einmal die Blüte und dann der Punkt, an dem alles auf das unweigerliche Ende zuläuft. Niemand kann sich dieser Tatsache entziehen oder sie gar aufhalten. Wir müssen akzeptieren, dass es zum Leben dazu gehört, dass wir uns von manchen Dingen verabschieden müssen. Nur so können wir uns doch überhaupt weiterentwickeln und sicherstellen, dass überhaupt eine nächste Phase der Blüte erreicht wird. Das war uns als Statement für das Album wichtig. Besonders der emotionale Verfall, das Wiederaufstehen und das Kraft schöpfen im Anschluss daran, kamen uns dabei in den Sinn."

Eine Anspielung auf die holprigen Monate und Jahre zuvor, in denen die Band nicht nur eine persönliche, sondern auch musikalische Veränderung durchgemacht hat? Schlagzeuger Austin gesteht uns: "Die ersten vier Monate der Aufnahmen für die neue Platte waren sehr mühsam und schwierig für uns. Doch irgendwie haben wir es geschafft, uns durch diese Phase hindurch zu kämpfen. Danach haben wir fast schon so etwas wie einen Aufschwung erlebt und sind als Band noch enger zusammengewachsen. Das Komische daran ist, dass uns von aussen betrachtet zu diesem Zeitpunkt ein Bandmitglied verlassen hat (Anmerk. d. Red. Katie Lee). Es war für uns dennoch wichtig, diesen Schritt zu gehen, um auf der kreativen Ebene weiter voranzukommen." Besonders leicht fiel es allerdings keinem der verbliebenen Bandmitglieder, sich der Vorstellung zu ergeben nur noch zu dritt weiterzumachen, wie uns Raphaelle berichtet: "Diese Entwicklung war ein großer Lernprozess für uns alle. Es ist mir nicht leicht gefallen, die Entscheidung zu treffen, dass Katie uns verlassen sollte, aber es war wirklich das Beste für alle."

Eine Bemerkung, die auch Austin nur bestätigen kann: "In der Vergangenheit hätten wir uns nie vorstellen können, einmal getrennte Wege zu gehen, aber dann ist es doch passiert. Vor allem, weil wir auf musikalischer und auch auf persönlicher Ebene einfach nicht mehr auf denselben Nenner kamen. Wir mussten dieser Tatsache einfach in die Augen sehen und sie akzeptieren. Nur so waren wir in der Lage, den nächsten Schritt als Band zu machen. Kaum hatten wir das getan, hat es sich auch nicht mehr so seltsam für uns angefühlt. Würden wir in persönlicher Hinsicht nicht mit Erfahrungen wie diesen dazulernen, würden wir wohl auch als Musiker auf der Stelle treten und uns nicht weiterentwickeln. Ich empfinde es als etwas sehr Natürliches, wenn eine Band ihren Sound mit jedem Album ein wenig verändert bzw. bereit ist, neue Einflüsse zuzulassen. Ich bin heute schließlich auch nicht mehr dieselbe Person, die vor vier Jahren in den Spiegel geblickt hat. Warum sollte also meine Musik ganz ohne jegliche Veränderung ausgekommen sein?"

Eine Sache, die für die Band allerdings durchaus für immer bestehen könnte, wäre die wohl wahrhaftigste Form der zwischenmenschlichen Zuneigung. Für manche ein Klischee, für Raphaelle mehr als nur eine Floskel, wie sie beteuert: "Ich würde mir wünschen, dass die Liebe auf der Welt niemals vergeht. Das Gefühl von Liebe ist eines der schönsten Geschenke. Wenn du dich in eine andere Person verliebst, möchtest du am liebsten für immer in diesem Zustand sein. Es wäre schön, wenn die Liebe zweier Menschen auch nach deren Tod weiterleben würde. Mir gefällt die Vorstellung, dass dieser Teil von uns auch nach dem Tod bestehen bleibt." Während sie weiter im Stillen diese Vorstellung vor ihrem inneren Auge vorbeiziehen lässt, nennt uns Austin einen anderen Wunsch, an dem er am liebsten für immer und ewig festhalten möchte: "Genau in diesem Moment wünsche ich mir, dass wir als Band ewig so weitermachen wie bisher, was vielleicht ein wenig abwegig ist, wenn man sich die meisten Bands so ansieht. Trotzdem ist es für mich eine ziemlich perfekte Vorstellung von meinem Leben. Vielleicht sieht alles in ein paar Jahren ganz anders aus, aber das Jetzt scheint mir doch sehr reizvoll zu sein. Egal was jedoch mit der Band passiert, ich bin mir sicher, dass wir uns in persönlicher Hinsicht für immer und ewig lieben werden. Meine Liebe zur Musik wird mit Sicherheit auch ewig bestehen bleiben. Auf der anderen Seite ist das Leben so komplex und stellt dich andauernd vor neue Herausforderungen, dass ich die Musik in ein paar Jahren an den Nagel hängen und Vogelbeobachter werden könnte!" (lacht)

Es bleibt abzuwarten, ob dieser Fall tatsächlich eintreten wird, doch wäre so ein radikaler Berufswechsel oder gar eine Abkehr von der Musik für Sängerin Raphaelle unter anderem einem Grund zu schulden: der Kritik, wie sie sagt: "Ich nehme mir Kritik schon sehr zu Herzen, aber hoffe, dass sich das nicht irgendwann negativ auf meine Musik auswirken oder gar meine Leidenschaft dafür beeinträchtigen wird. Das Musikbusiness ist so schnelllebig und undankbar! Dann wiederum im nächsten Moment ganz auf deiner Seite. Es gibt einfach so viele Leute da draußen, die es lieben, die Arbeit anderer runterzumachen. Zum Glück gibt es aber auch eine Menge Menschen, die einen unterstützen. Manchmal kann es einem schwerfallen, sich auf das Positive zu konzentrieren, aber im Grunde kommt es ja nur darauf an." Die eben noch im Raum schwebende Verletzlichkeit wird durch das Selbstvertrauen Tufts innerhalb von ein paar Sekunden verdrängt, der sich hinsichtlich der Kritik von außen weitaus abgehärteter gibt als seine Bandkollegin: "Natürlich bekommt man auch ab und zu negative Meinungen zu hören, aber gerade dann muss man stark sein und versuchen, sich vor Augen zu halten, warum man dieses oder jenes genau so gemacht hat. Man darf sich von den Meinungen anderer nicht einschüchtern oder gar beirren lassen, wenn es darum geht, mit Selbstvertrauen ein Ziel zu verfolgen. Ich glaube kaum, dass eine Kritik von außen mich aber jemals so weit bringen würde, dass ich auf einmal Selbstzweifel hege oder anfange, die Musik aus einem völlig anderen Blickwinkel zu betrachten."

Kurzschlussreaktionen sind dennoch manchmal unausweichlich. Das musste Raphaelle vor Kurzem selbst erfahren und gibt etwas kleinlaut zu: "Letztens habe ich mich auf Twitter mit jemanden angelegt, der eine sehr schlechte Review zu unserer Platte geschrieben und sie uns daraufhin auch noch prompt geschickt hat. Jeder darf seine Meinung haben, absolut - aber es gibt ja nun wirklich keinen Grund, uns dann genau so eine Review vor den Latz zu knallen. Das habe ich ihm auch gesagt. Sowas ist überhaupt nicht cool und kann mich schon mal aus der Fassung bringen. Erst recht, wenn man so viel Arbeit in die Songs investiert hat. Ich fühle mich von schlechten Reviews vor allem deshalb so angegriffen, weil ich immer das Gefühl habe, dass die Kritiker nicht nur meine Musik, sondern auch meine Person angreifen. Für mich ist beides sehr stark miteinander verbunden. Dennoch habe ich in diesem Moment wohl etwas überreagiert, aber die Sache ist längst vom Tisch, da ich mich bereits entschuldigt habe."

Geteiltes Leid ist bekanntlich halbes Leid. Für eine Band wie Braids, die jedoch alles in Eigenregie macht, lasten eventuelle Seitenhiebe noch schwerer auf den eigenen Schultern. Hilfe von außerhalb schließen sie, zumindest für den Moment, aus. Auch wenn es laut Austin deswegen manchmal alles etwas länger dauert: "Wir schreiben und produzieren unsere Musik auf eigene Faust. Dafür müssen wir meistens sehr viel Geduld aufbringen. Wenn wir an Musik arbeiten, nehmen wir uns generell sehr viel Zeit, damit sich die Ideen bestmöglich entfalten können. Bei diesem Prozess lassen wir uns niemals hetzen. Das führt sowieso zu nichts." Eine Ausnahme würden sie allenfalls für Brian Eno machen. Der Erfolgsproduzent könnte sich in Windeseile den Songs der jungen Kanadier annehmen, wie uns Raphaelle verrät: "Brian Eno würde ich sofort mit ins Boot holen, wenn wir aufnehmen. Ansonsten fühlen wir uns momentan ganz wohl dabei, alles alleine zu machen. Es braucht schon viel Vertrauen, damit man anderen einen Einblick in seine Songs gewährt. Erst recht einem Produzenten, der die Stücke noch in ihrer Rohform vor sich hat. Ich kann mir allerdings kaum vorstellen, dass es mir jemals leicht fallen würde, unsere Songs in die Händen von jemand anderen zu geben. Wir sind da wirkliche Control Freaks. Ich frage mich, ob es mir mit meinen Kindern später auch so gehen wird... ob ich dem Babysitter jedes mal eine Szene machen werde, wenn ich mal weg bin. Brian Eno dürfte meine Song-Babys allerdings jederzeit zu sich nehmen!" (lacht)

Braids
Dieser hätte dann sicherlich auch ein wachsames Auge auf all die kleinen quirligen Details, die sich in der Musik der Band widerspiegeln. Austin kommt nicht darum herum sich einzugestehen, dass Braids unweigerlich darauf zusteuern, stets komplexe Songs zu schaffen: "Ich schätze, wir sind eine Band, die sich jedes mal wieder gerne von der Komplexität von Musik einfangen lässt. Wenn wir zusammen Musik machen, kommen wir früher oder später immer wieder an den Punkt, an dem wir ein wenig über die Stränge schlagen und so überwältigt sind, dass wir am liebsten ganz viele kleine Details in unsere Songs einfließen lassen. Wir können gar nicht anders als komplexe Songstrukturen entstehen zu lassen. Außerdem ist es für uns sehr zufriedenstellend, wenn wir das Resultat im Anschluss hören und darin viele verschiedene Elemente enthalten sind. Es ist wunderbar, wenn man sich darin verlieren kann." Während der Zuhörer im besten Fall davon angezogen wird und sich gleichzeitig fallenlassen kann, trägt genau dieser Moment für Raphaelle auch immer ein Stück Wehmut in sich, wie sie nachdenklich zugibt: "Ich bin manchmal sehr traurig. Die Musik hilft mir sehr dabei aus diesem Zustand auszubrechen und etwas mehr Licht ins Dunkel zu lassen. Ich brauche sie als Ventil, sonst würde ich vermutlich eingehen." Auch Schlagzeuger Austin unterstreicht diese Aussage mit einem zustimmenden Nicken: "Wenn man Musik macht, gibt man ganz automatisch einen Teil von sich preis. Das muss nicht einmal in textlicher Hinsicht sein, sondern passiert allein schon über die Musik selbst. Ich glaube sogar, dass es essenziell ist, um Musik zu machen. Wenn du dich nicht angreifbar machst, hast du sehr wahrscheinlich auch nichts zu geben. Du kannst dir beim Spielen keine Gedanken darüber machen, was andere wohl gerade davon halten. Du kannst nur deinem Gefühl vertrauen und dich davon leiten lassen. Ich hasse es, wenn ich mir Bands live ansehe und sie mir alle vorkommen wie Schauspieler, die besonders cool aussehen wollen. Als ob ihnen nichts auf der Welt etwas anhaben könnte."

Einstudierte Shows sind für Braids absolut tabu. Während der Spielraum für Improvisationen live aufgrund der Komplexität der Songs jedoch begrenzt ist, fallen im Studio alle Grenzen und es entwickelt sich zum Teil eine ganz eigene Dynamik, wie uns Raphaelle versichert: "Im Studio haben wir, was den Spielraum für's Improvisieren angeht, 100% die Freiheit das zu tun, was uns gerade in den Sinn kommt. Auf der Bühne sind wir natürlich etwas eingeschränkter. Da liegt der Improvisationsfreiraum bei vielleicht 5%. Einfach, weil wir seit dem letzten Album eine ganz schöne Entwicklung durchgemacht haben. Alles ist viel elektronischer geworden und wir haben zudem ein Bandmitglied weniger als vorher. Da kann man nicht mehr ganz so locker und spontan sein." Einziger Glückskeks im Bandgefüge ist Austin Tufts, der sich mit den Sticks in der Hand noch am meisten Freiheiten nehmen kann: "Ich habe innerhalb der Band wohl noch den größten Freiraum, was Improvisationen angeht, aber im Großen und Ganzen sind wir doch weitestgehend an die Studiofassungen gebunden. Gerade, weil wir so viel mit Loops arbeiten. Wir kommen aber langsam immer näher an den Punkt, an dem wir auch live mehr improvisieren können als bisher. Es wird allerdings noch ein wenig dauern, bis wir alle Songs je nach Laune auf den Kopf stellen können."

Mit dem letzten Album tourten die Kanadier fast unaufhörlich und auch für "Flourish // Perish" wird die Band wieder einige Monate unterwegs sein. Wie schafft man es da, all die Erlebnisse für sich einzuordnen, fragen wir Raphaelle, die uns erklärt, dass eine Sache besonders wichtig ist, um nicht im Trubel der Ereignisse unterzugehen: "Ich brauche hier und da ein wenig Zeit für mich, um alles um mich herum wirklich in mir aufzunehmen. Da ist es gut, auch mal alleine zu sein, um alles ins rechte Licht zu rücken, was einem auf Tour und im Beisein der anderen vielleicht entgeht." Für Austin gehört es dagegen auf Tour dazu, seine Augen durch die Linse seiner Kamera über das vor ihm Liegende schweifen zu lassen: "Ich habe ein Hobby, das ich zum Glück auch auf Tour ausüben kann, denn ich fotografiere unheimlich gerne. Auch jetzt habe ich meine Kamera bei mir." Im Gegensatz zu Raphaelle zieht er sich jedoch nicht zurück, sondern spürt weit weg von der Heimat besonders das Verlangen, mit seinen engsten Vertrauten zu kommunizeren, wie er uns sagt: "Wenn wir auf Tour sind, versuche ich so engen Kontakt wie nur möglich mit meiner Familie und meinen Freunden zu Hause zu halten." Eine Aussage, die auch an den Beginn des Interviews anknüpft, bei dem Austin das Abendessen mit den Worten "Sharing is caring..." mit Raphaelle teilt. Sich mitteilen, anteilnehmen, auf den anderen aufpassen und dabei eng miteinander verknüpft bleiben - für Braids kein Zwang, sondern Essenz ihres so nahtlosen Zusammenspiels, welches sie uns auf "Flourish // Perish" auch zu dritt eindrucksvoll unter Beweis stellen.

Weitere Infos:
www.braidsmusic.com
www.facebook.com/Braidsmusic
www.twitter.com/Braidsmusic
Interview: -Annett Bonkowski-
Fotos: -Pressefreigaben-
Braids
Aktueller Tonträger:
Flourish // Perish
(Full Time Hobby/Rough Trade)
jpc-Logo, hier bestellen

 
Banner, 234x60, ohne Claim, bestellen
 

Copyright © 1999 - 2024 Gaesteliste.de

 powered by
Expeedo Ecommerce Dienstleister

Expeedo Ecommerce Dienstleister