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JACK RIVER
 
Das wilde Leben unter der Lupe
Jack River
Auch Down Under gibt es eine ziemlich aktive Indie-Szene - wenngleich das, was in dieser Hinsicht dort abgeht, durch die Pandemie-Wirren nicht immer in unseren Breiten präsent ist. Da gibt es zum Beispiel die junge aus New South Wales stammende Songwriterin Holly Rankin, die bereits 2013 eine erste EP namens "On Nature, Part One" vorlegte, als sie gerade nach Sydney umgezogen war und sich ihren Projektnamen Jack River zulegte. Das ist übrigens kein Racheakt an Männer-Bands, die sich Frauennamen geben, sondern der Name eines Flusses im australischen Bundesstaates Victoria. Anschließend arbeitete Holly dann an ihrem Sound - einer Mischung aus Indie-Rock-Elementen, Dreampop und klassischem Songwriting und veröffentlichte weitere Singles und EPs, von denen einige auch gleich mit den australischen ARIA-Awards ausgezeichnet wurden. Erst 2017 machte sie sich daran, ihr nach dem betreffenden Neil Young-Song benanntes Debüt-Album "Sugar Mountain" in Angriff zu nehmen, auf dem sie den tragischen Tod ihrer jüngeren Schwester bei einem Badeunfall im Jahre 2006 verarbeitete und das mit der vorab veröffentlichten Singe "Fools Gold" auch ihren kommerziellen Durchbruch markierte. Jedenfalls Down Under: Holly etablierte sich dort als massenkompatibler Live-Act und schaffte es, drei Tage vor dem ersten Pandemie-Lockdown ein gefeiertes Konzert zum Abschluss einer erfolgreichen Tour zu präsentieren. Eine erste US-Tour war bereits gebucht, als die Pandemie die Sache vereitelte. Seither konzentrierte sich Holly auf ihre Tätigkeiten als politische Aktivistin und nachdem sie 2020 erst mal die EP "Stranger Heart" aufgelegt hatte, erschien Ende 2021 die Benefiz Single "We Are The Youth", die Holly für die australische Fraktion der Fridays For Future-Szene eingespielt hatte. Als sie dann ankündigte, dass sie 2022 ein neues Album einspielen wollte, wäre zu erwarten gewesen, dass das die nun vorliegende, neue Jack River-Scheibe eine Art Protest-Album hätte werden können. Stattdessen ist "Endless Summer" aber eine waschechte Pop-Scheibe geworden. Wie kommt denn das?
"Du hast da schon recht: Ich hatte tatsächlich auch vor, ein Protest-Album zu machen", räumt Holly ein, "es ist aber so, dass man seine Songs nicht herumschubsen kann, wie man will. Die Songs schubsen stattdessen dich herum." Was bedeutet denn, dass Hollys Songs sie herumschubsen würden? Haben ihre Songs also ein Eigenleben? "Ja, ich denke schon", meint Holly, "die Musik und das Universum können sich manchmal ganz schön gegen dich verbünden und dir Zugang zu den Songs verschaffen, die du einfach schreiben musst und die du für deine persönliche Entwicklung brauchst. Gute Songs schreiben sich auf diese Weise wie von selbst - woher sie dann kommen, ist mir ein Rätsel." Da ist ja bestimmt auch ein bisschen Magie im Spiel - oder? "Absolut", bestätigt Holly, "wenn sich ein Song in einer Minute ausformuliert in deinem Hirn manifestiert, dann ist das Magie in Reinkultur für mich." Gilt das nur für die Texte oder auch für die Musik? "Ja, das gilt auch für die Musik. Wenn ich einen Song in meinem Kopf höre, dann sind das Texte und Melodie zugleich." Das erklärt dann auch, wieso das neue Album wesentlich poppiger geworden ist, als das, was Holly zuvor veröffentlicht hat. "Das Protest-Album könnte aber schon irgendwann kommen - denn ich denke schon, dass ich sowas schreiben könnte. Es gibt aber zumindest ein paar Protest-Referenzen auf dem neuen Album - zum Beispiel der Song 'Holy Men'. Meine ganze persönliche Welt habe ich schließlich dem politischen Wandel gewidmet. Aber ich konnte mein Songwriting nicht vollständig in diese Richtung zwingen." Um welche heiligen Männer geht es denn in dem Song "Holy Men"? Um Politiker? "Na ja - eigentlich jedermann, der sich für heiliger oder besser als andere Menschen hält", erklärt Holly, "die heiligen Männer sind religiöse Eiferer, die sich auch in der Politik engagieren." Das Problem scheint es ja heutzutage wirklich überall zu geben. "Ja, in Australierin ist die Sache etwas leiser und nicht so offensichtlich wie etwa in den USA", erklärt Holly, "aber die Kirche hat hat doch eine ziemlich gemütliche Beziehung zur Regierung - und die Kirche hat auch einen großen Einfluss auf das Bildungssystem hier. Die Leute sind nicht so fanatisch und offensichtlich wie in den USA - aber ich würde schon sagen, dass das hier tief verwurzelt ist. Gerade unser letzter Premier Scott Morrison - der ja zehn Jahre unser Land ziemlich durcheinander gebracht hat - ist extrem religiös und hat das in seine Rolle als Premier und die Entscheidungen, die er in dieser Funktion getroffen hat, einfließen lassen. Ich habe diesen Song schon vor längerer Zeit geschrieben, als ich 18 war - aber das Verhalten von Scott Morrison hat mich veranlasst, das Thema aufzugreifen und für die Massen aufzubereiten."

Auch in dem Song "Stranger's Dream" geht es um Hollys Kritik an dem gerade abgewählten Premier Scott Morrison. Hier geht es darum, dass Morrison die Sache mit dem Klimawandel nicht mit dem notwendigen Nachdruck behandelt hat. Wer ist aber der Fremde, von dem Holly da singt? "Och, ich denke, ich bin da eine Fremde", lacht sie, "ich bin die Fremde - aber auch die Autorin, die das Gefühl vermitteln will, dass sie jemand anderes Leben lebt. Ich weiß aber gar nicht so genau, wer diese Person ist - und ich denken, das ist etwas, was jedem irgendwann im Leben mal passiert." War es denn für dieses Projekt notwendig, die früheren Rock-Roots so weit zurückzufahren? "Nun, ich räume ja ein, dass ich bei einigen Songs etwas weit gegangen bin", zögert Holly, "aber wie ich sagte, lasse ich mich ja von dem leiten, was die Songs mit vorgeben. Ich bin mir also nicht sicher, denn ich habe es genossen diese trippy Songs wie 'Honey' oder 'Stranger's Dream' zu machen. Aber ja - so wie sich die Welt gerade präsentiert, weiß ich es gerade nicht, in welche Richtung ich mich musikalisch bewegen werde. Es ist ja auch so, dass sich das Publikums verändert hat, seit ich meine erste Scheibe gemacht habe und ich denke, ich muss mich auch verändern und mich auf das einstellen, was ich wirklich gerne machen will. Das ist eine sehr lange und verwirrende Antwort - entschuldige."
Wie ist denn die Situation für die Live-Musik nach der Pandemie in Australien? "Oh, unsere Live-Szene ist immer noch ganz schön dezimiert", berichtet Holly, "ich denke, die Öffentlichkeit realisiert gar nicht so richtig, wie schwierig das für uns Musiker gerade ist. Denn die Leute haben immer noch Angst davor, Tickets zu kaufen. Auch haben sich die Gewohnheiten geändert und es ist ganz schön schwer, junge Leute dazu zu bewegen, zu Live-Shows zu gehen. Ist das bei euch denn nicht so?" Doch doch - das war ja der Grund der Frage. Wie hat denn die Pandemie die Produktion des Albums beeinträchtigt? "Naja, die Pandemie hat ja die ganze Welt durcheinander gebracht", führt Holly aus, "ich war gerade dabei eine Tour durch die USA vorzubereiten und bei SXSW zu spielen. Aber der Lockdown passierte dann ein paar Tage, bevor wir losfahren wollten. Ich habe dann den Lockdown genutzt, um dieses Album vorzubereiten. Allerdings musste ich dazu eine Menge Zoom-Sessions organisieren - was für eine Musikerin, die gerne mit anderen zusammen in einem Raum spielt, doch ziemlich herzzerreißend war. Wir haben das dann aber hinbekommen und wir sind froh, dieses neue Album nun veröffentlichen zu können, weil wir doch viele Jahre darauf warten mussten, wieder in den Flow kommen zu können." Wie hat man sich das Ganze denn technisch vorzustellen? Holly arbeitete ja mit einer Vielzahl von Produzenten: Konstantin Kersting, Xavier Dunn, Josh Fountain, Edwin White, Joel Quartermain, Lewis Stephenson und hauptsächlich Matt Corby. Welchen Einfluss hatten diese Umstände beispielsweise auf musikalische Entscheidungen? "Naja, die Hälfte passierte über die Distanz und die andere Hälfte im richtigen Leben", stellt Holly klar, "es kommt natürlich auf die Chemie an und das Verständnis für den Song - aber mit Einigen ging das besser über die Distanz und mit anderen weniger. Wenn das nicht klappt, dann macht es die Sache für mich insofern schwieriger, als dass ich viel Energie darauf verwenden musste, Sachen, die sonst über die gemeinsame Energie oder die Atmosphäre vermittelt werden können, über Worte zu kommunizieren. Es kam dann noch dazu, dass die Instrumente weitestgehend von den Produzenten gespielt wurden. Ich selbst habe keine Instrumente gespielt, sondern stattdessen mitproduziert, indem ich viel über den Sound gesprochen habe und wie ich mir den vorgestellt hatte und nach verschiedenen Dingen gefragt." Das hört sich aber so an, als sei dieser Prozess gar nicht zu empfehlen? "Nein", bestätigt Holly diese Vermutung, "manchmal ist das magisch, wenn alles funktioniert und man eine spürbare Verbindung zu der Person, mit der man zusammenarbeitet, aufbauen kann. Aber es ist ein solches Privileg, mit den anderen in einem Raum sein zu können, wenn man Musik macht - und es macht auch so viel Spaß - dass ich definitiv die Nicht-Pandemie-Version bevorzuge. Und es gibt da ja noch diese Inkonsistenz des Daseins als Musikerin: Du kannst nun wirklich die am härtesten arbeitende und produktivste Person im Raum sein - aber es bedeutet leider nicht, dass du damit auch erfolgreich sein wird." Dann ist es ja sicherlich tröstlich, wenn man dies dann auf mehreren Schultern verteilen kann.
Nutzt Holly denn ihre Musik, um ihre Erfahrungen und Beobachtungen zu verarbeiten? "Zu 100%", bestätigt sie, "die Songs, die ich am meisten mag, sind für mich sehr real. Es handelt sich dabei um Konversationen über das Leben mit mir selbst, über Fragen, zu denen ich noch keine Antworten habe." Hat das dann auch einen therapeutischen Effekt? Auf ihrem Debüt-Album etwa machte Holly ja den frühen Tod ihrer jüngeren Schwester zum Thema. "Ja - das Leben ist manchmal ganz schön wild", meint Holly, "Musik war definitiv das Vehikel, durch das ich mich in dieser Hinsicht selbst heilen konnte. Ich habe mir viel Zeit damit gelassen, diesen Prozess zu realisieren. Tatsächlich ist es so, dass ich gar keine Musikerin geworden wäre, wenn ich meine Schwester nicht verloren hätte. Diese Erfahrung hat mich in die letzten 15 Jahre meines Lebens katapultiert. Musik oder die Kunst als kreatives Ventil zur Verfügung zu haben, erlaubt es uns, mit den Emotionen zu spielen und eine Verbindung mit anderen einzugehen, die ähnliches erlebt haben. Dass wir uns gerade über dieses Thema unterhalten können - du in Deutschland und ich in Australien - ohne die üblichen Verfahrenswege einzuhalten, kommt ja durch die Musik zustande. Den Tod meiner Schwester über die Musik ansprechen zu können, hat es mir ermöglicht, mit hunderten von fremden Personen Kontakt aufnehmen zu können, die dieses Thema nachvollziehen können. Das ist es auch, was ich an meinem Job am meisten liebe: Allerlei wundervolle Leute auf der ganzen treffen zu können, die alle diese einzigartige, universelle Sprache der Musik sprechen, die uns eigen ist." Eine Sache, die wir noch nicht angesprochen haben, ist der Umstand, dass Holly - während sie an den neuen Songs arbeitete - feststellte, dass sie schwanger war und deswegen das Album vor der Geburt ihrer Tochter Maggie fertigstellen musste. Hat dieser Umstand eigentlich ihre Musik in irgendeiner Weise beeinflusst? "Nein", meint sie, "ich denke, das Schreiben von Songs ist eine persönliche und individuelle Sache - genauso wie eine Mutter zu werden. Ich denke, das hat mich dazu gebracht, auf mich selbst in einer Weise zu achten, auf die ich das in den letzten Jahren nicht getan habe. Eine Mutter zu werden, ist wie durch ein Vergrößerungsglas auf die Welt und das Chaos um dich herum zu schauen. Man sieht das Leben in seiner Schönheit sehr viel größer als zuvor. Ich denke das wird meine Herangehensweise und meine Begeisterung steigern, wenn ich das nächste Mal im Studio bin. Man hat nämlich weniger Zeit, herumzuspielen. Das finde ich auch aufregend."

Hat Holly denn angefangen, Lieder für oder an oder über ihre Tochter zu schreiben? "Ja, das habe ich", räumt sie ein, "zumindest ansatzweise. Aber ich denke, dass ich gerade erst aus dieser Blase herauskomme, von der die Leute, die schon Eltern sind, immer erzählen. Ich will jetzt mal zu meiner Gitarre greifen und ihr Songs vorsingen - aber momentan ist die Zeit so verdreht, dass ich noch nicht dazu gekommen bin. Es ist natürlich ganz witzig, sich nun all dieser Kindermusik gegenüber konfrontiert zu sehen und an all die Lieder erinnert zu werden, die wir als Kinder auch alle gesungen haben. Denn diese Lieder sind ja ziemlich universell und ich finde es interessant herauszufinden, warum das so ist. Das ist ein interessanter Aspekt für mich."
Weitere Infos:
www.jackrivermusic.com
www.instagram.com/jack_river
www.facebook.com/jackrivermusic
www.youtube.com/@JackRiverMusic/videos
Interview: -Ullrich Maurer-
Foto: -XingerXanger-
Jack River
Aktueller Tonträger:
Endless Summer
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