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MARIKA HACKMAN
 
Das Gold liegt auf der Straße
Marika Hackman
"Any Human Friend" - das dritte Album der britischen Songwriterin Marika Hackman erschien 2019 - sozusagen am Vorabend der Pandemie. Als sie sich dann gerade daran machen wollte, das nächste Album zu planen, machten die Lockdowns ihr diesbezüglich einen Strich durch die Rechnung. Um sich abzulenken, spielte sie dann erst mal ein Album mit Cover-Versionen ein, bevor überhaupt daran zu denken war, sich mit neuen Songs zu beschäftigen. Und als es dann so weit war, hatte Marika zunächst mit den gleichen Problemen zu kämpfen wie alle Künstler, die auf Input von außen angewiesen waren; denn den gab es ja im Lockdown bekanntlich nicht. Kein Wunder also, dass Marika das nun vorliegende, vierte Album "Big Sigh" als das schwierigste Projekt ihrer bisherigen Laufbahn bezeichnet. Deswegen ist der im Titel besungene große Seufzer sicherlich auch als einer der Erleichterung zu sehen.
Inwieweit war denn das neue Album tatsächlich noch von der Pandemie beeinträchtigt? "Also, das Album habe ich ja erst nach der Pandemie gemacht", berichtet Marika, "während der Pandemie habe ich ein Cover-Album gemacht, weil ich damit zu kämpfen hatte, keine Inspirationen zum Schreiben eigener Songs finden zu können. Die Pandemie hat das neue Album insofern beeinträchtigt, als dass ich Schwierigkeiten hatte, wieder in die Welt des Song-Schreibens und Aufnehmens zurückfinden zu können und mich dazu zu motivieren, neue Wege zu beschreiten, nachdem ich ja für ungefähr ein Jahr eine Pause in der Hinsicht gemacht hatte. Das Album ist insofern ein Produkt der Pandemie, als dass diese alles schwieriger gemacht hatte." Nun ist es aber doch so, dass Marika sowieso hauptsächlich über sich bzw. aus ihrer Perspektive schreibt. Wieso war es dann so schwierig, wieder Songs schreiben zu können? "Na ja - das fühlte sich für mich so an, als dass ich mich in der Pandemie ein wenig verkrampft hatte und die Muskeln, mit denen ich meine Songs schreibe, ein wenig steif geworden waren", räumt Marika ein, "auch wenn ich meinen Blick immer nach innen kehre, wenn ich Songs schreibe, ist eine externe Stimulation ja doch ganz schön wichtig. Es geht ja darum zu beschreiben, wie man auf Dinge reagiert oder wie man sich dabei fühlt. Es brauchte also eine gewisse Weile, wieder in diesen Geisteszustand zu gelangen - und ich musste auch tiefer graben, um etwas zu finden, über das es sich zu schreiben lohnte - außer über den Stress der Pandemie." Ergab sich aus dieser Perspektive dann vielleicht sogar ein Thema für dieses Album? "Ich denke, dass das Thema dieses Mal eher vom Klang, den Arrangements und der Produktion her kommt, als von den Themen, über die ich singe. Für mich ist es schwierig, solche Sachen zu sehen, bevor ich etwas gemacht habe, weil ich oft erst im Nachhinein sehen kann, wo bestimmte Sachen herkommen - weil immer Dinge wie Romantik, Depressionen oder Ängste ihren Weg in meine Songs finden, während ich sie bearbeite. Der Aspekt, der alles zusammenhält, ist, wie ich die Songs dann im Studio angegangen bin."

Was gab es denn dieses Mal Neues - abgesehen von der Tatsache, dass sich Marika als Produzentin mehr ins Spiel gebracht hat? "Also, ich habe dieses Mal zum ersten Mal auf dem Klavier geschrieben", berichtet Marika, "das hatte ich bislang noch nicht gemacht. Ich habe auch dieses Mal Instrumentals aufgenommen und mit Orchester- und Bläser-Arrangements gearbeitet. Das habe ich sehr genossen. Es war aber gewissermaßen ein wenig gruselig, auf meine Stimme zu verzichten - oder diese zu verstecken. Das hat sich dann mehr wie eine Komposition angefühlt. Ich habe auch erstmals mit dem Produzenten Sam Pettis-Davies (Thom Yorke, Warpaint) zusammengearbeitet und ich habe auch selbst eine größere Rolle bei der Produktion übernommen und Sachen vorproduziert, die ich dann ins Studio mitgenommen habe. Das waren neue Herausforderungen und ich musste mehr Mut zeigen - was immer gut ist, um sich selbst zu motivieren." Um noch mal auf die Instrumentals zurückzukommen. Was war denn der Grund dafür, so etwas zu versuchen? "Ich denke, das fing mit 'The Ground' an - einem Stück, das ich schon lange in einen Song umwandeln wollte, weil ich das Arrangement mochte - was mir aber nie gelungen war. Ich kam an den Punkt, an dem ich fand, dass alle Melodien, die ich mir für den Song ausdachte, diesem keinen guten Dienst erweisen würden. Also habe ich dann alles gelassen, wie es bis dahin war. Das hat sich dann als Idee festgesetzt. Ich wollte ein raumgreifendes Gefühl auf dieser Scheibe haben - und ich wollte, dass alles cinematisch, dynamisch und weitläufig klingt. Und wenn man dann anfängt zu singen - es sei denn man hat eine Opernstimme -, dann zieht man den Zuhörer eher in einen intimen Raum. Mit dem Zwischenspiel 'The Lonely House' wollte ich hingegen dieses Raumgefühl nutzen ohne dass ein Mensch (mit seiner Stimme) dazwischen kam."
Marika Hackman
Wovon "handelt" dann der textlose Track "The Lonely House"? "Es geht um ein Gefühl der Abgeschiedenheit", führt Marika aus, "ich bin jemand, der auch mal ganz gerne alleine zu Hause ist - und sich dabei glücklich fühlt, deswegen will ich den Begriff 'einsam' in diesem Zusammenhang vermeiden. Es geht mehr um das Gefühl, sich selbst ein wenig Raum zu nehmen." Ähnlich ist das dann vermutlich bei dem Song "On The Ground" - der aber ein wenig Text enthält. "Ja - der Text lautet 'If there's Gold upon the ground, I was happy for a while'. Das ist mir einfach so eingefallen - und ich habe diese Zeile in dem letzten Track 'The Yellow Mile' noch mal aufgegriffen. Für mich ist das einfach eine evokative Zeile. Wenn die Sonne etwa über einem Tal aufgeht und dann auf Wasserflächen trifft, dann sieht das ja aus, als wäre da Gold auf dem Boden. Dieses Bild ist dann ein eher offenes. Man blickt vielleicht auf seine Kindheit zurück und erinnert sich an gewisse pastorale Szenen." Ist es denn so, dass Marikas Songs - außer vom eigenen Leben - auch von Bildern geprägt werden? "Ja", bestätigt sie, "natürlich hat mein Songwriting verschiedene Phasen durchlaufen, aber mein Instinkt verleitet mich dazu, starke Bilder zu beschwören." Die sich dann auch in Marikas Videos wiederfinden. So prügeln sich beispielsweise in dem Video zu dem Beziehungs-Drama "Slime" zwei Frauen in Kettenhemden, während Marika in dem Video zu dem Track "No Caffeine" auf einem Karussell sitzend Blut, Rotz und Wasser speit. Sind diese Bilder dann schon da, wenn sie ihr Material schreibt? "Nein", schmunzelt sie, "solche Bilder entstehen dann eher durch die Songs.

Aber um noch mal bei dem Thema zu bleiben: Woher kommt eigentlich Marikas Faszination für Körpersäfte aller Art - die ja auch auf dieser Scheibe in Songs wie "Blood", "Slime" und "No Caffeine" wieder thematisiert werden? "Ich denke, das hängt mit der Art von menschlichen Erfahrungen zusammen, über die man nur schwer sprechen kann", verrät Marika, "Sachen wie Blut, Schleim und Krankheiten sind ja die Dinge, die uns alle miteinander verbinden. Ich finde das Thema vielleicht deswegen noch etwas faszinierender, weil ich eine Blinddarm-Operation hatte als ich 17 war und daran fast gestorben wäre. Ich wurde damals damit konfrontiert, wie unsere Körper uns im Stich lassen können - und ich wurde auch mit einer Menge an Körperflüssigkeiten konfrontiert. Das war eine sehr realer Moment für mich, an dem ich selbst realisierte, dass ich langsam erwachsen werden sollte. Das hat sich in meiner Erinnerung festgesetzt."
Musikalisch war Marika Hackman ja noch nie so ganz einfach zu greifen. Schien es zu Beginn ihrer Laufbahn so, dass sie sich als Folk-Songwriterin etablieren wollte, so überraschte sie im Folgenden mit Rock- Und Pop-Alben. Auf "Big Sigh" ist alles miteinander in Einklang gebracht und zugleich betrat Marika mit dem Einsatz von Orchester- und Bläser-Arrangements und indem sie erstmals auf einem Klavier komponierte, ja auch musikalisches Neuland. "Ich würde halt sagen, dass ich bereit bin, alles mal auszuprobieren", versucht sie, dieses Thema auf den Punkt zu bringen, "Ich weiß natürlich nicht, ob ich jemals eine Heavy Metal-Scheibe oder Mathrock machen werde, aber ich möchte mich nicht einschränken oder auf irgendetwas festnageln lassen. Für mich ist die beste Musik die, wenn man erkennen kann, dass ein Künstler Spaß an seiner Arbeit hat. Auch wenn es sich um schwierige Themen handelt. Wenn man das Engagement eines Künstlers spüren kann, ist das gut. Und dann ist es auch so, dass ich mich nicht langweilen und immer wieder dieselbe Art von Songs schreiben möchte. Ich möchte mich selbst herausfordern und schauen, wo mich das jeweils nächste Album dann hinführt." Das gilt dann sicherlich auch für die Live-Shows, richtig? "Zu 100%, das habe ich schon beim zweiten und dritten Album bemerkt", bestätigt Marika, "ich bin ja viel getourt und speziell nach der eher deprimierenden ersten Scheibe - die ja auch noch überwiegend akustisch war - hatte ich das Bedürfnis, mich mit einer Band im Rücken zu präsentieren und dabei Spaß zu haben und ich wollte auf der Bühne auch mal tanzen und abfeiern. Was ich dann festgestellt habe, war dass es einen Unterschied macht, wenn man dann bei solchen Shows mal einen ruhigen Song spielt und dann der ganze Raum aufmerksam in Stille verharrt." Und was ist die größte Herausforderung, wenn man solche Songs schreibt? "Die größte Herausforderung als Songwriterin ist die, bei der Sache zu bleiben und sich nicht ablenken zu lassen", überlegt Marika, "und sich nicht um das zu kümmern, was alle anderen machen und sich vor allen Dingen nicht mit anderen zu vergleichen. Man darf sich auch nicht so viele Gedanken darum machen, unbedingt etwas zu erschaffen zu wollen, was wirklich brandneu und einzigartig ist - denn das ist heutzutage fast unmöglich. Wenn man sich da gedanklich verknotet verliert man dieses direkte Gefühl der Unmittelbarkeit. Es ist aber trotzdem schwierig, weil man sich dann doch immer fragt, ob sich etwas zu sehr nach etwas anderem anhört oder ob es dieses und jenes schon mal gegeben hat." Und was macht auf der anderen Seite den meisten Spaß? "Ich mag es am liebsten, wenn ich gerade angefangen habe, an einem Song zu arbeiten und dann verspüre, wie mich die Inspiration packt", formuliert Marika, "das ist ein sehr physisches Erlebnis, das man fast erfühlen kann. Das mag ich also am Liebsten. Aber wenn man dann die Gelegenheit hat, die Songs live aufzuführen und dann das Gefühl vom Schreiben des Songs mit hunderten von Leuten vor sich teilen kann, die das hoffentlich spüren können und darauf reagieren, dann würde ich sagen, dass die meisten Künstler beipflichten würden, dass dies der Grund ist, warum sie es tun."

Gibt es vielleicht noch irgendein Projekt, das Marika Hackman unbedingt ein Mal in Angriff nehmen möchte? "Ja, ich würde gerne mal ein ganzes Album mit einem vollständigen Orchester machen. Das ist natürlich alles sehr kostspielig, aber ich könnte mir schon vorstellen, dass sich meine Live-Shows schon sehr viel anders anhören würden, wenn ich nur mehr Geld zur Verfügung hätte." Nun mit einem Orchester kann Marika bis auf weiteres sicher nicht dienen - aber zumindest geht sie mit dem aktuellen Album im Frühjahr auch bei uns auf Tour.
Weitere Infos:
marikahackman.com
www.instagram.com/marikahackman
www.facebook.com/MarikaHackman
www.youtube.com/@marikahackman/videos
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Steve Gullick-
Marika Hackman
Aktueller Tonträger:
Big Sigh
(Chrysalis/Cargo)
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