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KEN STRINGFELLOW
 
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Ken Stringfellow
Es ist 9.30 Uhr morgens an einem Montag Ende August, in der Lobby eines Kölner Hotels. Ken Stringfellow ist etwas verschnupft und sichtlich müde. Er ist in der Stadt, um nach acht Monaten Touring mit fünf verschiedenen Bands den deutschen Journalisten sein großartiges zweites Soloalbum zu erklären. "Touched", so der Name des Werks, ist die Art von Platte, die man gleich mehrfach kauft und all seinen Freunden schenkt. Nicht, weil sie alle Sorgen vertreibt oder viel im Radio zu hören sein wird, nein, einfach deshalb, weil sie ein grandioses Gesamtkunstwerk ist, das einfach jeder besitzen sollte.
"Das Coolste daran, nicht an eine Band gebunden zu sein, ist, daß man ganz allein für sich ist. Man kann nicht kündigen oder gefeuert werden", scherzte Ken Stringfellow beim letzten Zusammentreffen mit der Gästeliste in seiner Heimatstadt Seattle. Zu diesem Zeitpunkt hatte er - abgesehen von dem nur in Kleinstauflage in Spanien erschienenen 1997er Homerecording-Album "This Sounds Like Goodbye" - seine musikalischen Ideen stets in Bands verwirklicht: Als Mastermind der großartigen Power-Pop-Band The Posies, als Sänger der Orange Humble Band, als Sideman für R.E.M., Big Star und The Minus 5 und, und, und. Eigentlich sollte auch seine nächste Platte ein Band-Projekt werden, doch Kens Mitstreiter bei Saltine waren mit ihm einfach nicht auf einer Wellenlänge. Eigentlich als Nachfolgeprojekt der zwischenzeitlich aufgelösten Posies gedacht, brach Ken die Aufnahmen mit Saltine ab, da er meinte, sich so nicht genügend von den typischen Gitarrenrock-Klischees lösen zu können. "Mit den Posies ist das in Ordnung, weil es dabei diese spezielle Note gibt, aber generell langweilt mich diese Art von Musik ziemlich. Jetzt bin ich mehr daran interessiert, langsamere Songs zu machen, weil sie mehr Soul haben."

Aufgenommen unter der kompetenten Regie von Legende Mitch Easter ist "Touched" jetzt nicht nur ein Soloalbum, sondern auch eine wunderschöne Post-Indierock-Platte geworden, genau die Art von Album, die viele alte Helden der großen Grunge-Welle seit Jahren gerne zustande bringen würden. Statt Stromgitarre darf es nun ruhig mal gerne eine Orgel sein, die den musikalischen Mittelpunkt bildet, statt Punk und Indierock ist nun 70s-Pop und Soul die größte musikalische Inspirationsquelle - also nicht auf Teufel komm raus ganz neue Wege gehen! Ken schaut sich lieber in der Vergangenheit um, ohne nur kopieren zu wollen. "Für mich ist jede Art von Musik ein fortwährender Übergang vom Alten zum Neuen", erläutert der stets freundliche und zuvorkommende Rotschopf. "Selbst der Song 'The Lover's Hymn' klingt ja nicht ganz genau so wie Al Green. Von ihm stammt nur die Inspiration, einigen Instrumenten einen bestimmten Klang zu geben. Selbst die sogenannten 'Innovatoren' würden wohl zugeben, daß sie innovativ waren, indem sie bestimmte Dinge auf eine neue Art zusammengefügt haben und daraus etwas Neues geschaffen haben. Aber natürlich basiert das auch auf Elementen, die es vorher schon gegeben hat."

Ken Stringfellow
Der Alleingang brachte auch gleich den Vorteil mit sich, daß Ken nach mehr als 14 Jahren in "demokratischen" Bands endlich alleine die Richtung bestimmen konnte und so erstmals in Eigenregie - und mit Hilfe einiger erstklassiger Sessionmusiker - seine musikalischen Visionen umsetzen konnte. "Natürlich haben die Leute in einer Band wie den Posies mehr Autonomie. Für diese Platte aber war es mir wichtig, mit Musikern zusammenzuarbeiten, die bereit waren, sich leiten zu lassen. Ich wußte sehr genau, was ich wollte, und alle Musiker, die jetzt an der Platte beteiligt waren, haben sich hervorragend auf die Dinge eingestellt, die ich vermitteln wollte." Der beste Beweis ist der Song "Reveal Love", den es auf einer 7"-Single zunächst in einer krachigen Rockversion von Saltine gab und nun, langsamer, ruhiger und mit um Längen gefühlvollerem Gesang in einer atemberaubenden Soloversion. "Für mich war die erste Fassung einfach noch nicht ganz ausgereift. Sie war okay, aber wie viele Songs bei Saltine ein bißchen zu sehr auf der Gitarrenrock-Schiene, zu vorhersehbar." Aber nicht nur musikalisch geht Ken neue Wege. Auf "Touched" widmet er sich auch textlich einer spirituellen Ruhe, die man so von ihm (und auch sonst kaum einem anderen Künstler seiner Generation) bisher nicht kannte. Am Tag nach dem Interviewmarathon in Köln war er beim Album-Release-Konzert im Londoner Borderline Club allerdings darum bemüht klarzustellen, daß er nicht zu einem Evangelisten werden würde, nur weil in einigen Texten plötzlich Gott auftaucht. Man müsse nur die Rückseite einiger Beach-Boys-Platten konsultieren, um seine Sichtweise zu begreifen. "Ich habe einen spirituellen Glauben", erklärt uns Ken, als wir wenige Tage später bei einer US-Tourpause noch mal mit ihm telefonieren. "Ich habe darüber bisher nie viel gesprochen, vielleicht, weil ich es selbst nicht verstanden habe, meine Ansichten nicht in Worte fassen konnte, aber sie sind auf jeden Fall vorhanden. Sie sind eher vage, weil sie nicht mit einer bestimmten religiösen Tradition verbunden sind. Der Song 'Sparrow' zum Beispiel ist ein bißchen kryptisch, aber eigentlich handelt er einfach davon, offener zu sein, und von meinem Desinteresse an Menschen, die Gott nur in festgefahrenen Bahnen wahrnehmen."

Diese neue Art des Songwritings hat übrigens nichts mit dem Versuch zu tun, die Solosongs gegenüber dem Posies-Material abzugrenzen. Bestes Beispiel dafür sind Kens Beiträge zur unlängst veröffentlichten EP "Nice Cheekbones And A Ph.D.", die zwar vor Kens Soloplatte veröffentlicht wurde, zeitlich betrachtet aber danach entstanden war. "Ich wußte, daß wir früher oder später als Posies etwas aufnehmen würden, deshalb hatte ich 'With Those Eyes' bereits geschrieben, während ich noch an der Ken-Stringfellow-Platte gearbeitet habe, obwohl ich da bereits genau wußte, daß ich den Song für die Posies zurückhalten würde. 'Matinee' habe ich während der Akustik-Tour geschrieben, als die Session näher kam und ich einfach noch einen Song brauchte. So unter Druck zu arbeiten macht mir sehr viel Spaß." Manchmal reicht es aber auch, ein paar eigene alte Songs zu neuem Leben zu erwecken. "Here's To The Future" sang Ken vor vier Jahren zur Eröffnung seines Solodebüts "This Sounds Like Goodbye". Auf "Touched" taucht der prägnante Song nun noch einmal auf, wenngleich in völlig neu arrangierter Fassung - und als Schlußstück! Überhaupt scheint Ken - wie übrigens auch Bob Dylan - ein Faible dafür zu haben, erste Songs zu letzten zu machen und umgekehrt. Auch bei den Konzerten der Posies finden sich bestimmte Songs mit schöner Regelmäßigkeit mal ganz vorne, dann wieder am Ende der Setlist. "Das ist interessant!" meint Ken grüblerisch und beantwortet damit gleich die Frage, ob es sich dabei um Absicht oder Zufall handelt. "'Here's To The Future' ist eine Art thematischer Einleitung, und...hmmm... ich weiß es wirklich nicht! Ich denke, es hat damit zu tun, daß ich davon überzeugt bin, daß alles im Leben in Kreisläufen verläuft. Deshalb sind der Anfang und das Ende stark miteinander verknüpft. Daran denke ich zwar nicht, wenn ich eine Setlist schreibe, aber da ich die Welt so sehe, macht es wohl Sinn. Wie Dylan schon sagte: 'Death is not the end'!"

Was auf keinen Fall heißen soll, daß Ken keine Abwechslung in seine Konzerte bringen würde. Im Gegenteil: "Mit den Posies spielen wir eigentlich nie zweimal das gleiche Set, und es gibt unendlich viele Möglichkeiten, Dinge auszuprobieren. Wir haben zum Beispiel kürzlich eine Show mit 'Burn And Shine' angefangen, das eigentlich das typische Klischee eines Schlußstücks ist. Das war ziemlich abgefahren", erinnert sich Ken. "Auf meiner Solotour hab ich einen Weg in London ausprobiert und dann einen anderen an der Westküste, und an der Ostküste wird es wieder anders sein, aber ich hab jeweils ein paar Tage hintereinander das gleiche Set gespielt, was ich seit Jahren nicht mehr gemacht habe. Das hat aber mehr mit den technischen Beschränkungen zu tun, dem Set-Up der Instrumente auf der Bühne zum Beispiel." Schließlich ist Ken die Abwechslung fast wichtiger als alles andere: "Ich könnte mir nicht vorstellen, ein Jahr lang in einer Broadway-Show mitzumachen. Das würde mich völlig aus der Bahn werfen. Es gibt da eine gute Geschichte zu Janet Jackson: Nicht nur, daß ihr Set und ihre Ansagen jeden Abend identisch sind, sondern sie bricht auch jeden Abend an der gleichen Stelle in Tränen aus, weil sie vom begeisterten Publikum so überwältigt ist. - Das ist Showbiz! Da kann ich nicht mithalten!"

Zu guter Letzt wollte die Gästeliste - mit ihrer mobilen Abhörstation bewaffnet - beim Blind Date Kens musikalischen Einflüssen etwas genauer auf den Zahn fühlen. Er selbst war zwar davon überzeugt, daß er bei diesem Test miserabel abschneiden würde, und erklärte uns auch gleich noch, warum. "Ich versuche stets, nicht zu kategorisch zu denken, ich hätte sonst das Gefühl, ich hätte nicht die Freiheit, Sachen zu machen, die aus dem Rahmen fallen. Für manche Leute funktioniert es, ein enzyklopädisches Wissen zu haben, aber nicht für mich. Wenn ich eine Platte höre, habe ich in dem Moment Spaß daran, aber wenn ich sie weglege, ist sie so lange aus meinem Gedächtnis verschwunden, bis ich sie wieder auflege. Was nicht heißt, daß sie mir im Moment des Hörensnichts bedeutet hat. Ich speichere die Informationen nur nicht, ich versuche den Platz freizuhalten, damit sich andere Ideen dort entwickeln können. Ich denke, ich brauche einfach ein bißchen mehr Platz in meinem Kopf als andere Leute", sinniert Ken lachend. Daß er sich dem Blind Date trotzdem stellt, ist für ihn dennoch klar. "Ich will's auf jeden Fall probieren!" Also, los!

* Velvet Crush "Why Not Your Baby"
("Teenage Symphonies To God", Creation, 1994)

Musikalisch könnten Velvet Crush fast die kleinen Brüder der (frühen) Posies sein, das Stück stammt von Gene Clark (The Byrds), und der Produzent des Songs hat auch "Touched" produziert.

Ken (nach wenigen Sekunden): "Velvet Crush! Mit 'Why Not Your Baby'... das hätte ich schon mal geschafft (lacht)!"

Gästeliste: Richtig! Produziert von Mitch Easter, deshalb habe ich es ausgesucht. Meines Wissens spielt er auch die großartige Pedal Steel auf diesem Song.

Ken: "Ja, Mitch spielt auf meiner Platte allerdings nicht die Pedal Steel. Er hat aber eine, von einer Firma namens Emmons. Zuerst habe ich überlegt, Ben Keith zu engagieren [den legendären Neil-Young-Sideman und Produzenten], aber dann fand ich heraus, daß er a) auf Tour war und es b) eine MENGE Geld kosten würde. Also wollte ich einen komplett amtlichen Country-Typen aus den Südstaaten als Ersatz. Mitch hat dann die Firma angerufen und gefragt, ob sie jemanden empfehlen könnten. So haben wir einen Typen, Ron Preston hieß er, engagiert, und der war wirklich the real deal! Ich hatte gehofft, daß er uralt sein würde, er war's nicht, aber das ging trotzdem in Ordnung. Er war so um die 40 und spielte unglaublich. Ich wollte jemanden, der überhaupt nichts von meiner Musik wußte, und ein bißchen hat ihn das Stück ["Down Like Me"] wohl auch verwirrt. Die Akkorde hatte er ruckzuck herausgehört, aber der Song war weder Rock noch Country und das war ihm verdächtig. Er mochte das Stück aber, und genau diesen Gegensatz wollte ich haben."

* Readymade "D-Major Day"
("Snapshot Poetry", Tam Tam, 1999)

Wiesbadens Finest, deren Musik zwar keine offensichtlichen Parallelen zu Ken oder The Posies aufweist, die aber streckenweise auf sehr ähnliche Einflüsse zurückgeht, nicht zuletzt wegen der schönen Beach-Boys-Harmonien dieses Songs. Eine Verbindung, die auch Ken hört?

Ken: "Für mich hört sich das melodisch und tempomäßig ein bißchen nach Matthew Sweet an. Das war das Erste, an das ich dachte, als der Gesang einsetzte. Diese Vibes waren auf jeden Fall da, und als ich das Riff hörte, dachte ich zuerst, daß sei bei 'Inbetween Days' [von The Cure] geklaut. War's aber natürlich doch nicht."

* Swervedriver "Duel"
("Mezcal Head", Creation, 1993)

Legendäre britische Band der Shoegazer-Generation um Ride und Slowdive und Kens Posies-Kollege Jon Auer hat ein großartiges Cover des Swervedriver-Titels "These Times" auf seinem aktuellen Minialbum "6 1/2".

Ken: "Ich werde keinen dieser Songs erkennen, das weiß ich jetzt schon!"

Gästeliste: Kleine Hilfe: Jon hat einen ihrer Songs gecovert.

Ken: "Oh, ist das GBV [Guided By Voices]? Ah, Swervedriver, du machst es mir auch nicht gerade einfach mit diesen kleinen Lautsprechern. Ich mag sie, aber Jon kennt sich mit denen viel besser aus. Sie gehören zu der Sorte Band, die ich mag, wenn ich sie irgendwo höre, aber es gibt andere Bands, deren Platte ich immer und immer wieder und viel mehr im Detail höre. Für Jon gehören sie wohl in letztere Kategorie. Was wie gesagt nicht heißt, daß ich sie nicht mag. Sie haben eine Wahnsinns-Show in Seattle gespielt, 1997 oder so."

* Built To Spill "Girl"
("The Normal Years", K Records, 1995)

Wahrscheinlich die beste Band aus dem US-Nordwesten in den letzten Jahren, jetzt bei einem Major gelandet. Dies ist eine frühe Single, ein Doug-Martsch-Solosong mit einem grandiosen over the top Gitarrensolo.

Ken: "Ich kenne diesen Song! (Pause) Das wird ganz schön peinlich für mich, wenn du mir gleich sagst, was das ist..."

Gästeliste: Kleiner Hinweis: Die Band veröffentlichte früher bei K Records und ist nun bei Warner Bros.

Ken: "Ahhh, ja! Du meinst Built To Spill, richtig? Ich bin wirklich schlecht mit solchen Sachen..."

* Pernice Brothers "Clear Spot"
("Overcome By Happiness", Rykodisc, 1998)

Ex-Scud-Mountain-Boy Joe Pernice auf dem Weg zum Popstar - mit der bestdenkbaren Melange aus Burt Bacharach, Big Star und Elvis Costello. Die Pernice Brothers waren zudem diesen Sommer mit den Posies auf US-Tournee.

Ken (nach nicht mal fünf Sekunden): "Wow. Hi Joe! Seine Stimme erkenne ich zum Glück überall!"

Gästeliste: Du wirst auf dem Cover des Chappaquiddick-Skyline-Albums [Joe-Pernice-Side-Project] erwähnt, weil du NICHT mitwirkst...

Ken: "Wir versuchen schon lange, etwas im Studio miteinander zu machen, irgendwie kommt es aber zeitlich nie hin. Damals hatte er mir ein Tape geschickt, aber ich war immer beschäftigt, immer auf Tour und hatte einfach nicht genügend freie Zeit, in einem Studio aufzutauchen."


* The Bee Gees "I Can't See Nobody"
("Bee Gees First", Polydor, 1967)

Ein mehr oder weniger offensichtlich hörbarer Einfluß für Ken, der auch ein anderes Stück dieser LP vor ein paar Jahren gecovert hat. Ken mag seine "Karriere" früh gestartet haben, aber die Gibb-Zwillinge blicken im Alter von 52 schon auf 46 (!) Jahre Showbiz zurück!

Ken (sofort): "Bee Gees... exzellent!"

Gästeliste: Du hast mir mal erzählt, daß die Bee Gees mit zu den ersten Bands gehört haben, die du gehört hast, als du angefangen hast, Platten zu kaufen.

Ken: "Ja, ich hab so 1979 angefangen, Platten zu kaufen. 'Spirits Having Flown' war eine meiner ersten. Von den früheren Bee-Gees-Sachen wußte ich zuerst gar nichts, aber jetzt mag ich sie sehr. Als mein älterer Stiefbruder auszog, hat er mir tonnenweise Platten vermacht, eine davon 'Cucumber Castle'..."

Gästeliste: ...die wohl nicht viele als Bee-Gees-Meisterwerk bezeichnen würden...

Ken: "Keine Ahnung, ich finde alle ihrer Alben sehr interessant. Auch diejenigen, die allgemein als nicht besonders gut gelten. Diese Typen haben mehr Talent, als ihnen gemeinhin zugesprochen wird. Ihre frühen Platten sind unglaublich, 'Horizontal' zum Beispiel, und ich mag besonders 'Odessa'... Ich mag sie einfach und ihre späteren Sachen genauso. Eigentlich... ich mag die Produktion ihrer ganz neuen Platten nicht, aber ihr Gesang ist immer noch ausgezeichnet. Ich hab sie kürzlich in Los Angeles live gesehen, das war phantastisch! Sie haben aus allen Perioden der Band Stücke gespielt. Sogar 'Massachusetts'! Ich war völlig aus dem Häuschen!"

Gästeliste: Den Song spielst du selbst mit den Minus 5, richtig?

Ken: "Ja, immer!"

* Billy Bragg "Walk Away Renee"
("Reaching To The Converted", Cooking Vinyl, 1999)

Wohl eine der besten und witzigsten Coverversionen aller Zeiten: Johnny Marr von den Smiths spielt im Hintergrund die berühmte Melodie des Four-Tops-Stücks und Billy Bragg rezitiert dazu eine traurig-überdrehte Geschichte über seine Ex-Freundin, die nicht ein Wort des Originaltextes enthält!

Ken (sehr genau zuhörend, ohne genau zu wissen, was er dort hört): "Es hört sich irgendwie nach Billy Bragg an, aber...hmm"

Gästeliste: Du hast diesen Song vor Jahren sogar mal selbst als Demo aufgenommen. Das ist "Walk Away Renee" - zumindest die Gitarrenmelodie.

Ken: "Ohhh, daran hab ich überhaupt nicht gedacht! Wie witzig! Die Gitarre war einfach nur da, ich habe überhaupt nicht darauf geachtet, sie war einfach irgendwie da. Das ist wirklich witzig! Wir haben bei den allerersten Posies-Acoustic-Shows auch einige Billy-Bragg-Stücke gespielt: 'Greetings To The New Brunette' und 'St. Swithin's Day'. Beides großartige Songs!"

* The Flamin' Groovies "Shake Some Action"
("Shake Some Action", Phillips, 1976)

Sensationelle - heute leider etwas unterbewertete - Rock N Roll-Band aus San Francisco. Zusammen mit "You Tore Me Down" aus dem gleichen Album wohl ihr bekanntester Song.

Ken (nach dem Bruchteil einer Sekunde): "Das kenne ich, das aber auch ein bißchen ikonenhaft! Eine Menge Bands haben dieses Stück gecovert."

Gästeliste: Die Posies aber nie?

Ken: "Nee, wir haben früher viel mit den Dharma Bums aus Portland gespielt, und die haben diesen Song auch gecovert, da wäre es ein bißchen überflüssig gewesen, wenn wir uns auch noch daran versucht hätten."

* Peter Schilling "Major Tom"
("Fehler Im System", Atlantic, 1983)

Das deutsche Original seines einzigen echten Hits. Bekanntlich ein Paradebeispiel für die NDW, das hier auftaucht, weil Ken sich bei einem der berüchtigten (und alkoholdurchtränkten) Posies-Covers-Medleys an einem Teil dieses Stücks versucht hat.

Ken (beim Synthie-Intro): "Ist das The Fixx?"

Gästeliste: Kleiner Hinweis: Du hast dieses Stück letztes Jahr in Brüssel gespielt!

Ken (mit einem weiteren Beweis für sein fotografisches Gedächtnis): "Oh, Peter Schilling! Ich hab den Anfang dieses Stücks wohl seit 20 Jahren nicht mehr gehört! Der Song hat sich einfach in mein Gehirn eingegraben, wahrscheinlich, weil ich ihn damals eine Million Mal auf MTV gesehen habe... oh, die deutsche Fassung hat mehr Wörter im Refrain, das ist schwerer zu singen!"

* The Supremes "Someday We'll Be Together"
("Greatest Hits Volume 3", Motown, 1969)

Wahrscheinlich immer noch das beste Soul-Trio aller Zeiten, auch wenn TLC sie inzwischen in puncto Verkaufszahlen eingeholt haben. Dies war einer ihrer letzten Songs mit Diana Ross als Leadsängerin und wohl auch einer ihrer besten.

Gästeliste: Wenn du an Soul Music denkst, kommt dir da zuerst Motown oder Stax/Memphis in den Sinn?

Ken (nachdem er sofort mitgesungen hatte): "Ein bißchen von beidem. Die Motown-Sachen sind natürlich aufwendiger produziert, aber dabei völlig genial. 'Tears Of A Clown' [von Smokey Robinson & The Miracles] ist für mich ein Höhepunkt in zeitgenössischer westlicher Kunst. Das Stück ist so vollendet und perfekt. Motown hatte ja nach den ersten Hits auch das beste Aufnahmestudio der damaligen Zeit, zum Beispiel das erste 16-Track-Mischpult, und, und, und! Die Sachen aus Memphis beeindrucken mich immer, weil sie mit viel primitiveren Mitteln aufgenommen wurden und deshalb so echt klingen. Vor allem Al Green und Willie Mitchell, diese Abteilung. Deren Aufnahmen leiden überhaupt nicht unter den Umständen bei den Aufnahmen. Wie Mitch Easter meinen Song 'The Lover's Hymn' [das Highlight auf "Touched"] aufgenommen hat, das sollte genau dieses Al-Green-Ding sein. Mitch hat seine Sache wirklich gut gemacht! Abgesehen davon weißt du natürlich, daß das alte Stax-Mischpult jetzt in Seattle steht. Damit habe ich definitiv auch schon einige Male aufgenommen."

* Air "Sexy Boy"
("Moon Safari", Source, 1997)

Die französische Elektro-Pop-Sensation, die im Gegensatz zu vielen anderen Seelenverwandten auch live ziemlich heiß ist. Nicht zuletzt, weil inzwischen Kens Kumpel Jason Falkner (ex-Jellyfish, ex-The Grays) zur Air-Tourband gehört, ähnlich wie ja Ken inzwischen dem "R.E.M. Sextett" angehört.

Ken (nach ungefähr 20 Sekunden): "Oh ja, ich hab ein bißchen gebraucht! Ich hab sie kürzlich in Seattle gesehen. Sie haben im Aro.Space gespielt, was ich für ziemlich witzig gehalten habe."

Gästeliste: Und wie ist das mit Jason?

Ken: "Ich denke, bei Air ist es ein bißchen ausgeglichener. Meiner Meinung nach brauchen mich R.E.M. nicht, um eine Platte zu machen. Sie kommen auch ganz gut alleine klar. Air sind in gewisser Weise auf ihre Gäste angewiesen. Nicht, daß die beiden Jungs in Air nicht talentiert wären, aber es ist symbiotischer. Na ja, bei R.E.M. ist es ähnlich symbiotisch, aber bei Air haben die Gäste ein größeres Gewicht."

Gästeliste: Viele waren von dem zweiten regulären Air-Album im Frühjahr etwas enttäuscht. Aber wenn man beispielsweise an R.E.M. zurückdenkt, die hatten auch kleinere Probleme beim zweiten Album.

Ken: "Man könnte argumentieren, daß 'Reckoning' eine simplere Version von 'Murmur' ist, aber die Platte hat sehr gut Songs UND kam nur ein Jahr später heraus. Sie haben's einfach durchgezogen. Air haben eine sehr ikonenhafte Platte abgeliefert, aber dann drei Jahre gewartet. Da verliert alles ein bißchen die Proportionen."

* Maria McKee "I Can't Make It Alone"
("You Gotta Sin To Get Saved", Geffen, 1993)

Der wohl beste Track des letzten Maria-McKee-Albums, das nicht sofort in den Sonderangebotskisten verschwunden ist. Ken und Jon singen auf einem anderen Stück der Platte Backing Vocals.

Ken (verloren schauend): "?!?"

Gästeliste: Ein Tip: Du bist auf einem der anderen Stücke der Platte vertreten.

Ken (immer noch verloren schauend): "Mir liegt es auf der Zunge, aber du wirst es mir trotzdem sagen müssen."

Gästeliste: Maria McKee!

Ken: "Oh! Sie war's! Ja, Jon und ich... das ist eine aberwitzige Geschichte... wir haben ursprünglich auf zwei Stücken der Platte gesungen und wirklich eine gute Figur gemacht. Später ist sie dann komplett durchgeknallt und ... sie ist ein echter Freak, ein echter Freak... ich würde nicht gerade sagen, daß sie der netteste Mensch ist, dem ich jemals begegnet bin. Zu uns selbst war sie nicht gemein, wohl nicht zuletzt, weil Jon seine Flitterwochen verschoben hat, um auf ihrer Platte zu sein (lacht), aber alleine die Tatsache, daß wir diese tollen Parts eingesungen haben und sie nur einen kleinen Teil verwendet hat, ist schon verdächtig. Sie ist unglaublich schroff mit ihrem Bandleader, Bruce Brody, umgegangen - vielleicht wollte sie uns damit ja beeindrucken, was weiß ich. Noch einmal, zu uns war sie nicht gemein, aber uns diese tollen Sachen singen zu lassen und sie dann nicht zu benutzen, damit hat sie uns nur Zeit gestohlen. Wir sind zwar bezahlt worden, aber für mich ist das nicht das Wichtigste. Es geht um die Arbeit."

* Vashti Bunyan "Diamond Day"
("Just Another Diamond Day", Phillips, 1970)

Einer der obskursten, aber liebenswertesten British-Folk-Platten überhaupt. Veröffentlicht vor 30 Jahren und damals vom Publikum mit Desinteresse gestraft, obwohl an der Platte diverse Mitglieder von Fairport Convention und die Nick-Drake-Kollaborateure Joe Boyd und Robert Kirby mitwirken, darf man heute für eine Originalausgabe der Platte locker DM 1.000 (sic!) auf den Tisch legen. Wurde letztes Jahr auf dem kleinen Label Spinney neu aufgelegt.

Ken (nach dem Intro mit Blockflöte und Akustikklampfe): "Sind das die Musiker von 'El Condor Pasa' bei der Mittagspause? (Und etwas ernster nach der ersten Strophe) Ist das ein Bridget-St.-John-Outtake?"

Gästeliste: Ich habe es ausgesucht, weil diese Platte wohl am ehesten an dein Cover von Bridgets "Ask Me No Questions" herankommt. Das ist Vashti Bunyan, sie hat nur diese eine Platte gemacht und ist dann verschwunden.

Ken: "Interessant! War sie auf dem gleichen Label wie Bridget, Dandelion? Nein? Hmm, weißt du sonst noch was darüber? [Am Rande: Ken hat das Album inzwischen, allen anderen sei www.anotherday.co.uk empfohlen.]

* The Cure "Just Like Heaven"
("Kiss Me Kiss Me Kiss Me", Fiction Records, 1987)

Einer der schönsten Songs dieser unverwechselbaren Band. Nimmt man das Bandfoto auf dem ersten Posies-Album "Failure" als Maßstab, waren The Cure nicht nur musikalisch wichtig für Ken...

Ken (nach wenigen Akkorden): "Yeah! Wir haben The Cure vorher schon erwähnt, stimmt's?"

Gästeliste: Hörst du dir diese Sachen heute noch an oder sind das nur Erinnerungen an deine Jugend?

Ken: "Ich höre die Sachen, die ich damals viel gehört habe, auch heute noch. Aber wie gesagt, ich will möglichst ohne Grenzen denken. Dieser Songs ist - und dieses Wort habe ich heute etwas zu viel benutzt - ikonenhaft. Im Grunde sehr einfach, aber wenn jemand außer The Cure diese Akkorde spielen würde, wäre es einfach nur langweilig. Wie sie den Song aufgenommen haben, ist einfach atemberaubend. Ich liebe ihn. Diese Platte ist auch mit weitem Abstand mein Lieblingsalbum von The Cure. Es hat diese überemotionale Seite, die überemotionale Menschen sofort anspricht. Einen Teenager nimmt diese Musik sofort gefangen, denn so fühlt man sich schließlich, alles ist ein bisschen over the top. In gewisser Weise fühle ich immer noch so, wenn auch nicht mehr so stark wie damals. Diese Musik geht an deinem Gehirn vorbei direkt ins Herz."

Weitere Infos:
go.to/posies
www.kenstringfellow.com
Interview: -Carsten Wohlfeld-
Fotos: -Stefan Claudius-
Ken Stringfellow
Aktueller Tonträger:
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