Gaesteliste.de: Um am Anfang zu beginnen: Wie kam es dazu, dass du Platten aufgenommen hast, und wann war das?
Steve Albini: "Es fing in den späten 70ern als Hobby an. Ich spielte in einer Band - Just Ducky - und wir haben unsere Sachen ganz einfach selbst aufgenommen. 1980 bin ich dann nach Chicago übergesiedelt und habe ein Demo-Tape für eine befreundete Band aufgenommen, 1981 folgte dann das erste Big-Black-Album. Das war die erste wirkliche Platte, an der ich gearbeitet habe."
Gaesteliste.de: Was gefällt dir am besten an Chicago?
Steve Albini: "Es ist eine Stadt mit viel Gewerbe, deshalb kommt man leicht an Hardware, Rohmaterialen und so weiter. Es ist sehr zentral gelegen, das macht Touring und Kommunikation um einiges einfacher. Ich bin an einer ganzen Menge anderer Orte gewesen, aber ich kann mir nicht vorstellen, woanders zu leben und trotzdem genauso viel zu arbeiten, wie ich das jetzt tue."
Gaesteliste.de: Städte wie Chicago, Washington DC, Olympia und Louisville scheinen eine ganz andere Art von Szene zu haben als die großen Showbusiness-Städte wie Los Angeles und New York. Warum ist das deiner Meinung nach so?
Steve Albini: "Die Leute hier (und in den anderen Städten,die du genannt hast), sind vor allem wegen allgemeiner Lebensumstände (Arbeit, Familie, Schule) hier, nicht wegen des Showbusiness'. Deshalb werden hier Musik und andere kreative Dinge aus Leidenschaft und Kameradschaft in Angriff genommen, nicht, um daraus eine Karriere zu machen. Karrierismus geht stets mit einer unschönen Unehrlichkeit und Konservatismus einher."
Gaesteliste.de: Ist es für dich einfacher oder komplizierter, [deine eigene Band] Shellac aufzunehmen?
Steve Albini: "Einfacher. Wir sind ja keine Anfänger, und wir haben eine sehr realistische Sicht der Dinge, die im Studio möglich sind, deshalb machen wir uns keine Illusionen über irgendeine 'Magie', die plötzlich über uns hereinbricht."
Gaesteliste.de: Auf dem aktuellen Shellac-Album "1000 Hurts" finden sich eine Reihe neuer Elemente, die es von Shellac bisher so noch nicht zu hören gab: Das Radio bei "QRT", Todds Gesang bei "New Number One" oder das "Gitarrensolo" bei "Canaveral"...
Steve Albini: "Wir haben eine konzeptionellen Vorgaben für die Band, außer der, dass wir Musik machen wollen, die das Ganze für uns interessant hält. Wenn neue Dinge dazukommen, sind das zumeist Dinge, auf die wir zufällig gestoßen sind oder die wir ausprobiert haben, nicht wegen eines ausgearbeiteten Plans."
Gaesteliste.de: Habt ihr je darüber nachgedacht, auf eine breiter gefächerte Instrumentierung zurückzugreifen? Bob spielt ja sehr gut Trompete und tut das auch auf einer ganzen Reihe Platten anderer Bands wie Dianogah, Barry Black, Superchunk oder Low.
Steve Albini: "Unsere normale Instrumentierung bietet genügend Ausdrucksmöglichkeiten, selbst die schränken wir noch ein, nicht anders herum. Es zeugt von Selbstüberschätzung eines Künstlers, wenn er glaubt, sein Medium schränke ihn ein, und das ist uns allen [in Shellac] bewusst. Ich glaube nicht, dass irgendjemand je die Möglichkeiten, die eine konventionelle Rockband bietet, voll ausgeschöpft hat, die Leute werden zu Sklaven ihrer eigenen Bequemlichkeit. Sich stets bewusst zu sein, was man gerade tut, und immer alle Möglichkeiten auszuschöpfen, ist befriedigender, als sich einfach zufällig ein paar Sounds herauszugreifen und sie deiner Musik hinzuzufügen, um so auf einfache Art Vielfältigkeit zu erzeugen. Dennoch: Ich möchte nicht ausschließen, dass wir andere Instrumente benutzen - bisher haben wir das lediglich nicht gewollt."
Gaesteliste.de: Deine Beziehung mit Corey Ruskuand Touch and Go Records dauert nun bereits eine ziemlich lange Zeit an. Was sind die Vorteile, mit jemandem wie ihm zusammenzuarbeiten?
Steve Albini: "Er ist ehrlich, redlich und klug. Er würde nicht aus purer Ignoranz schlechte Vorschläge machen oder Forderungen aus reiner Gier stellen oder unrealistische Erwartungen haben. Er behandelt Bands wie Freunde, und mehr kann man sich kaum wünschen. Er ist ein enger persönlicher Freund von uns, und wir hängen von ihm genauso ab wie vom Sonnenaufgang."
Gaesteliste.de: Hast du jemals darüber nachgedacht, dein eigenes Label Ruthless zu einem Fulltime-Job zu machen?
Steve Albini: "Nein, das war ein reines Sideproject, das erklärt vielleicht auch den geringen Erfolg. Ich hatte einfach nicht das Temperament oder die Geduld, das durchzuziehen, und ich habe die Finger davon gelassen, bevor es zu einer Reihe von Enttäuschungen kommen konnte."
Gaesteliste.de: Du mischst seit 20 Jahren im Underground mit, was hat sich am stärksten
verändert? Gibt es überhaupt gravierende Unterschiede?
Steve Albini: "Nein. Die Mentalität im Underground ist ziemlich konstant, abgesehen von den Leuten, die nicht aus freien Stücken im Underground sind. Diese Leute haben oft große Erwartungen oder Träume, sie sind unzufrieden mit ihrer Situation und starten deshalb störende Versuche, wichtiger genommen zu werden, als ihnen zusteht. Ich dagegen bin vollkommen zufrieden damit, Musik um ihrer selbst Willen zu machen und das Publikum, das sich dafür interessiert, selbst dahinter kommen zu lassen."
Gaesteliste.de: Wen zählst du derzeit zu deinen musikalischen Favoriten?
Steve Albini: "Nina Nastasia, High Dependency Unit, The Southern Journey Series Of Field Recordings (Alan Lomax), Robbie Fulks, Bill Withers, Judd Judd, Dead Meadow, Willie Nelson, Dolly Parton, die frühen Crazy Horse, Dead Moon... Ich könnte die ganze Nacht so weitermachen! "
Gaesteliste.de: Welche Tontechniker hatten den größten Einfluss auf deine Arbeit?
Steve Albini: "Iain Burgess, Bob Weston, John Loder, Peter Deimel, Alan Blumlein und Alan Lomax."
Gaesteliste.de: In den letzten Jahren haben sich immer mehr Leute darauf spezialisiert, mit digitalem Aufnahme-Equipment, vor allem ProTools, zu arbeiten. Kannst du dir vorstellen, einen ähnlichen Weg zu gehen?
Steve Albini: "Nein! Dieser Trend geht von Leuten aus, die keine Ahnung von technischen Dingen haben, sich aber mit Aufnahmen beschäftigen wollen, ohne Zeit und Geld in Equipment zu investieren, geschweige denn sich wirklich damit auseinandersetzen zu wollen. Die meisten kleineren semi-professionellen Studios arbeiten nach dieser Methode, aber nicht unseres. Auch in den wirklich professionellen Studios wird ProTools häufig eingesetzt, allerdings eher wegen der Special Effects, die man damit erzielen kann, nicht wegen der Soundqualität. Diese angesprochenen Special Effect werden allerdings bald aus der Mode kommen, und deshalb denke ich nicht, dass dieser Trend ein Studio auf Dauer definieren wird. Kannst du dich daran erinnern, dass Schlagzeugern gesagt wurde, sie könnten anfangen, ihr Zeug zu verkaufen, weil die Maschinen 'übernehmen' würden? Eine ähnliche falsche Prophezeiung ist die, dass ProTools den analogen Bandmaschinen den Rang ablaufen wird. Es ist ein Trend, und bestimmte Aspekte werden bleibenden Eindruck hinterlassen, aber sie werden analoge Systeme nicht komplett ablösen, weil diese haltbarer sind, besser klingen und flexibler sind."