Gaesteliste.de Internet-Musikmagazin
Banner, 468 x 60, ohne Claim



SUCHE:

 
 
Gaesteliste.de Facebook Gaesteliste.de Instagram RSS-Feeds
 
Interview-Archiv

Stichwort:



 
BARBARA MORGENSTERN
 
Alle Krisen sind schon da
Barbara Morgenstern
Schon lang hat sich Barbara Morgenstern von ihrer ursprünglichen Routine als experimentell agierende, aber der Pop-Musik zugewandte, autodidaktische Elektronik-Spezialistin verabschiedet und sich - insbesondere auch im Rahmen ihrer Projekte als Chorleiterin und Theater-Komponistin für das Rimini Protokoll - immer mehr dem Gedanken einer zeitlosen Artpop-Ästhetik zugewandt. Folgerichtig ist "In anderem Licht" - ihr erstes Werk nach fünf Jahren Auszeit als Songwriterin - ihr bislang organischstes Album geworden. Ganz ohne elektronische Elemente erschuf Barbara hier einen akustischen Liederzyklus in einem klassischen, kammermusikalischen Setting. Obwohl Barbaras letztes Album "Unschuld und Verwüstung" 2018 lange vor Covid entstand, ist "In anderem Licht" aber keineswegs eine reine Reaktion auf die Phase der Pandemie - oder?
"Nein - denn ehrlich gesagt hatte ich während der Pandemie noch weniger Zeit, meine eigene Musik zu machen, als vorher", berichtet Barbara, "denn ich war sehr damit beschäftigt, andere Projekte wie dem Chor und dem Theater zu bearbeiten und habe dabei viel online gemacht. Ich habe dann erst nach der Pandemie mit dem neuen Album angefangen - wobei einige Stücke wie 'Zeittunnel' und 'Die Wand' schon da waren." Der Hintergrund der Frage nach dem Entstehungszeitraum des neuen Materials ist der, dass es scheint, als dass Barbara in den neuen Stücken so ziemlich alle aktuellen Krisenszenarien doch zumindest streift. "Damit liegst du punktgenau richtig", bestätigt Barbara die Annahme, "die ganzen aktuellen Krisenszenarien handele ich ab - wobei ich ja immer versuche, eine poetische Form zu finden, die in meinen Augen allgemein zugänglich ist und zwischen den Zeilen Situationen zu finden, meinen Zustand zu erklären und das auch musikalisch widerzuspiegeln." Womit wir auch schon beim Thema wären: Die oft vom reinen Pianospiel getragenen, akustischen, kammermusikalischen Arrangements beziehen sich ja auf ganz andere Prinzipien als Barbaras frühere Aufnahmen. Beispielweise fällt der vollständige Verzicht elektronischer Elemente auf. Gab es da also auch andere Inspirationsquellen als früher - beispielsweise klassische und/oder Minimalmusik? "Auch - aber eigentlich ist das Album eine direkte Weiterentwicklung der Theaterarbeit, die ich vorher gemacht habe", führt Barbara aus, "ich habe 2021 ein Stück mit Rimini Protokoll gemacht, wo ich für ein 17-köpfiges Ensemble schreiben durfte und da habe ich einfach Blut geleckt hat - zumal die Cellistin Alice Doxon und der Violinist Josa Gerhard dort auch mitspielten. Im Rahmen dieser Arbeit habe ich mich natürlich dann auch mit Komponisten wie Steve Reich oder Philipp Glass beschäftigt. Das ist ja auch so ein Allgemeinkonsens, der da ist. Ich habe dann versucht, diese Sprache weiterzuentwickeln und auf meine Musik zu übertragen. Mir ging es auch darum, mich von diesem 'Computer-Komponieren' abzusetzen, wo ich bislang im Kästchen mit einer optischen Struktur arbeitete und stattdessen wirklich organisch zu spielen und dann auch mit diesen tollen Musikerinnen zusammenzuspielen. Diese Dynamik wollte ich dann auch mit auf das Album nehmen und es freut mich, dass du sagst, dass das das organischste Album ist, das ich gemacht habe, denn das empfinde ich genauso. Es ist alles aus einem Guss und sehr schlüssig für mich."

Ist das Album auch in einem kollaborativen Prozess entstanden? "Also, ich habe alles zuvor komponiert und arrangiert - die Noten stehen noch hier", erklärt Barbara, "denn das war für mich der Reiz, mich in das Arrangieren, das Orchestrale und die Notation hineinzubegeben. Ich habe den Musikern dann die Noten geschickt und wir haben das ein eine Woche lang geprobt und sind dann ins Studio gegangen und haben die Sachen eingespielt. Das war also quasi ein Komponisten-Ansatz. Mein Wunsch wäre noch gewesen Improvisations-Passagen mit reinzunehmen, wie ich das bei meinen Konzerten ja auch mache - aber dazu war die Zeit einfach nicht da. Wir mussten dann ja noch an Details herumfeilen und die Studiozeit war ja auch auf eine Woche begrenzt. Der Plan war eigentlich, zwei Tage aufzunehmen und dann noch herumexperimentieren. Das ging aber gar nicht. Ich hoffe, dass das dann live auf der Bühne später auf der Bühne noch geht." Geht es denn dann auch mit einem größeren Ensemble auf Tour? "Das habe ich vor", bestätigt Barbara, "das hängt natürlich von den Möglichkeiten einer Reisegruppe ab. Wir buchen gerade Termine in Berlin, München und Leipzig - aber das geht noch weiter."

Es gibt noch eine Assoziation musikalischer Natur, die sich insbesondere angesichts der puristischen Klavier-Passagen aufdrängt - und das ist das deutsche Kunstlied, das ja unbegreiflicherweise in unseren Breiten ein reines Schattendasein führt und kaum als Referenz für zeitgenössische Musik herangezogen wird. "Das stimmt", lacht Barbara, "das ist auf jeden Fall eine Inspirationsquelle für mich. Gerade Schubert-Lieder finde ich harmonisch, bildlich und lautmalerisch sehr interessant und auch wunderschön. Mir geht es aber oft so, dass ich mir denke, dass da alles schon gesagt ist und ich dem nichts hinzuzufügen habe. Es reizt mich aber nicht so, so etwas zu re-interpretieren, weil man sich dann ja auf ein großes Glatteis begibt. Ich arbeite dann lieber mit dem Hintergedanken daran zu komponieren und das weiterzuführen. Das finde ich hochspannend." "In anderem Licht" behandelt ja die Krisenzenrien unserer Tage - von der Pandemie über die Spaltung der Gesellschaft bis hin zur Klimakrise. In gewisser Weise bringen uns diese Krisenszenarien, die wir alle gemeinsam erleben, ja auch wieder näher zusammen, oder? "Genau", bestätigt Barbara, "ich erlebe das jetzt im Nachhinein in vielen Gesprächen, mit denen das alles verarbeitet wird. Wir haben das alle gemeinsam erlebt und sind durch ähnliche Prozesse gegangen und hatten alle diesen totalen Kontrollverlust dabei." Hat - in diesem Zusammenhang - die neue Scheibe eher eine Kommentarfunktion? Oder enthält sie eine Botschaft? Gibt es irgendeine Art von Auflösung? "Das ist bei mir immer ein Kommentar", attestiert Barbara, "immer ein Kommentar und auch eine Suche nach dem nächsten Schritt, denn alles führt ja auch immer weiter. Da gibt es bei mir eigentlich immer viel mehr Fragestellungen als Antworten. Zum Beispiel ist das Lied 'Knallgelber Mond' nach einem Picknick mit Freunden entstanden, bei dem wir in der knallenden Hitze gesessen haben und diese körperlichen Abgründe erfahrbar waren, weil es ja einfach nicht regnete. Den Mond anzuschauen war zwar recht schön aber eigentlich drehen wir innerlich immer am Rad, weil wir alle Angst vor den Veränderungen haben. Und daraus können sich ja nur Fragen ergeben. Es geht mir dann auch um das Teilen von Erfahrungen und die Hoffnung, sich über dieses Teilen dann auch mit anderen Verbinden zu können. Das ist das Prinzip in allen Texten so gewesen." Warum gibt es denn - eingedenk dieses Hintergrundes - bei Barbara Morgenstern auch immer mal wieder englische Texte, wie etwa dieses Mal bei dem Song "Creatures"? "Das mache ich ja gerne und oft - immer mal wieder englische Texte oder Refrains einzubinden", gesteht sie, "ich habe einfach Spaß an solchen Wortwitzen: Was ist das Animalische an der Sprache? Was ist das Animalische in uns? Und ich beziehe mich auf diese 'One Health'-Bewegung, die besagt, dass der Mensch nicht außerhalb des Tierreiches steht, sondern Teil desselben ist und sich auch so begreifen sollte. Das ist ja auch ein Pandemiethema - ist ja klar, nicht? Aus diesem Gedanken heraus habe ich Worte gesammelt, die aus dem Tierreich kommen und die wir selber auch benutzen und daraus einen Text gebastelt. Und da es für die One-Health-Sache keinen deutschen Begriff gibt, war daraus ein englischer Text entstanden."
Was hat das Bild des Covermotives zu sagen? "Das zeigt eine Naturszene auf einem Gemälde von Friedrich Preller dem älteren, der mein Ur-Ur-Ur-Ur-Großvater war", führt Barbara aus, "ich fand es schön diese Verbindung herzustellen, denn er war ein Maler, der sich viel mit Naturthemen beschäftigt hat und Landschaftsstudien auf vielen Reisen nach Italien gemalt hat. Ich fand auch dieses alte, skizzenhafte auf diesem Bild sehr schön. Ich war mit meiner Tochter bei meiner Schwester zu Hause, die diese ganzen Bilder von ihm hat und bin auf dieses gestoßen und dachte dann: Toll, das passt einfach." Im Frühjahr wird Barbara Morgenstern mit dem Album "In anderem Licht" auch mit einem größeren Ensemble auf Gastspielreise gehen.
Weitere Infos:
www.barbaramorgenstern.de
www.facebook.com/barbmorgenstern
www.instagram.com/barbarellamorgenstern
www.youtube.com/@BarbaraMorgensternMusic/videos
Interview: -Ullrich Maurer-
Foto: -Maria von Kummer-
Barbara Morgenstern
Aktueller Tonträger:
In anderem Licht
(Staatsakt/Bertus)
jpc-Logo, hier bestellen

 
 

Copyright © 1999 - 2024 Gaesteliste.de

 powered by
Expeedo Ecommerce Dienstleister

Expeedo Ecommerce Dienstleister