Eine Identitätskrise der etwas anderen Art hat Joachim Liebens - seines Zeichens Frontmann der belgischen Erfolgsband The Haunted Youth. Aber weniger seiner zuweilen regelrecht nihilistisch anmutenden Songtitel wegen - wie etwa "I Feel Like Shit And I Wanna Die" - sondern wegen seines auf internationalem Terrain unaussprechlichen Vornamens. "Ich weiß selbst schon nicht mehr wie ich heiße", meint der Mann auf die Frage nach der Aussprache seines Namens, "ich habe es dann mal mit Joa versucht." Spätestens seit im Herbst letzten Jahres das Debütalbum "Dawn Of The Freak" erschien und The Haunted Youth auf jedem Festival spielten, das sich nicht wehrt, sind die Belgier aus den Next-Big-Thing-Hitparaden nicht mehr wegzudenken - obwohl (oder vielleicht gerade weil) Joachim Liebens offensichtlich all seine negativen Energien in seinen Songs verbrät und dabei veritable Darkwave-Indiepop-Hits wie "Teen Rebel" oder "Broken" generiert."
"Na ja - ich habe halt meine besseren und meine schlechteren Momente - wie jeder andere auch", meint Joachim zu diesem Thema, "und die beste Weg, meine Musik zu erklären ist, diese als Tagebuch zu betrachten. Ich kann damit meine Gedanken festhalten - vielleicht sogar in Songtiteln - und am Ende kommt alles zusammen, und daraus entstehen dann meine Songs. Es ist also nicht so, dass ich irgendetwas fühle, und dann einen Song darüber schriebe. Es funktioniert für mich anders. Ich erzähle nicht unbedingt meine eigene Geschichte. Wenn etwas für mich nicht passt, dann kann das ja auch die Geschichte von jemand anderem sein. Für mich ist wichtig, dass ein Song eine Hymne für das gewählte Thema ist. Wenn ich zum Beispiel einen Song wie 'Coming Home' schreibe, dann soll das eine Hymne an die Heimkehr sein und alle Aspekte des Themas von außen und innen ausleuchten und dann auch weitergehende Dinge, wie zum Beispiel in dem Fall das Wiedersehen oder die Versöhnung ansprechen." Das ist ja nachvollziehbar - aber warum sind dann Joachims Songs alle irgendwie dystopisch und/oder nihilistisch? Geht es vielleicht darum, die Songs durch Übertreibungen größer als das Leben zu machen? "Meine Songs sind für mich ein Soundtrack für Dinge, die du nicht selber erleben möchtest", meint er zu diesem Thema, "das ist meine Art zu leben. Ich verwende Musik, um durch den Tag zu kommen und etwas habe für das es sich zu leben lohnt. Ohne Musik wäre ich heute nicht da, wo ich bin, um ehrlich zu sein." Eine gute Gelegenheit, die Sache mit unseren zehn Fragen ein wenig zu vertiefen.
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1. Was ist deine Definition von "guter Musik"?
Naja - entweder fühle ich etwas, wenn ich Musik höre - oder eben nicht. Und wenn ich das richtige zur richtigen Zeit verspüre, dann ist es gute Musik. Es gibt eine Menge gute Songs, die man sich 15 Mal anhören kann, und sie dich jedes Mal berühren. Das ist gute Musik.
2. Was war der wichtigste Einfluss bei den Aufnahmen zur neuen Veröffentlichung?
Meine eigenen Erfahrungen. Ich habe schon Momente, in denen ich mich von anderen Künstlern inspirieren lasse, aber das, was in meinen Songs zum Ausdruck kommt, entsteht nicht durch andere Künstler, sondern durch das, was in meinem Inneren passiert. Das sind nicht Worte, sondern so etwas wie eine autarke Wesenheit, mit der ich das abmachen muss, was durch meinen Kopf geht. Es fühlt sich dann nicht ein Mal an, als ob ich es geschrieben hätte, sondern dass es einfach gesagt werden mussten. Das ist dann immer zugleich sehr persönlich, was das rauskommt, wie auch universell. Denn manchmal improvisiere ich einfach Sachen - und weiß dann erst viel später, was das für mich bedeutete, nachdem ich mich damit beschäftigt habe.
3. Warum sollte jeder deine neue Veröffentlichung kaufen?
Ich bin nicht gut darin, Sachen zu verkaufen. Ich möchte einfach Musik machen, die gegen Angstzustände hilft und ich möchte so was wie musikalische Therapie anbieten.
4. Was hast du dir von deiner ersten Gage als Musiker gekauft?
Ich glaube, ich habe mein Haus gemietet, in dem ich jetzt lebe. Das hängt aber alles zusammen, weil mein Haus auch mein Studio ist und meine Freundin und mein Hund da leben. Es hat eine ganze Weile gedauert, mich von meinen Eltern unabhängig zu machen und auf meinen eigenen Beinen zu stehen.
5. Gab es einen bestimmten Auslöser dafür, dass du Musiker werden wolltest?
Ich habe immer schon Geräusche gemacht. Ich erinnere mich daran, wie meine Eltern mir als Kind dieses Spielzeug-Drumkit gekauft haben und ich es in ein paar Wochen kaputt gespielt habe, weil ich das so aufregend fand. Alles was Klänge verursacht, fand ich interessant. Ich bin da hineingewachsen. Es hatte einfach sein sollen, dass ich Musiker werden würde. Am Anfang war ich noch unsicher - das ist der Grund, warum es lange dauerte, bis ich etwas zustande brachte. Aber je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr wollte ich es schaffen und ich habe dann ununterbrochen an meiner Musik gearbeitet. Das hat mir soviel Sinn und Energie gegeben, dass mein Leben dadurch erst lebenswert wurde.
6. Hast du immer noch Träume - oder lebst du den Traum bereits?
Im Moment lebe ich tatsächlich meinen Traum.
7. Was war deine größte Niederlage?
Hm. Es gab diesen Moment, an dem ich in Belgien bekannt wurde und alles so schnell passierte, dass ich einfach noch nicht bereit dafür war. Ich verlor die Kontrolle über die Sachen, die ich wirklich auf den Punkt bringen wollte. Das hat mich eine Weile frustriert, aber am Ende muss man akzeptieren, wie sich sein Leben unter diesen Bedingungen auf Tour und im Studio verändert. Ich habe mich damit jetzt aber arrangiert und heutzutage ist die Angst davor, eine schlechte Show zu spielen das, was mir Sorgen macht. Denn ich will meinem Publikum etwas bieten, denn die Leute verdienen das, weil sie so viel Geld dafür ausgeben. Es gibt so viel Mistmusik da draußen, dass ich diesbezüglich schon einen Unterschied machen will.
8. Was macht dich derzeit als Musiker am glücklichsten?
Der Umstand, dass ich das alles beruflich machen kann und gute Leute um mich haben kann, die mich als Person nicht ersticken und die ich nicht ersticke - wie meine Band. Als Bandleader muss man ja auch beschützen, was man liebt. Wir sind alles Freunde und haben eine so tiefe Verbindung, dass das wirklich alles zusammenpasst. Das ist alles ganz natürlich zusammengekommen - und das ist auch das, was uns als Live-Band gut macht. Das nimmt auch viel von dem Rockstar-Bullshit, der gemeinhin mit dem Job verbunden ist. Ich mag es nämlich nicht, mich über andere Menschen zu stellen. Rockstars sollten sich von der Bühne runterbewegen und den Menschen zeigen, dass wir alle gleich sind. Das möchte ich auch live vermitteln und dafür brauche ich auch die Band.
9. Welches ist das schlechteste Lied, das je geschrieben wurde?
Da gibt es so viele schlechte Songs. Ich würde mich für "Work" von Rihanna entscheiden, denn ich hasse diesen Song.
10. Wer - tot oder lebendig - sollte auf deiner Gästeliste stehen?
David Bowie, Lemmy von Motorhead, der Drummer von Motorhead, Prince, Yungblud - und Post Malone, mit dem würde ich nämlich gerne Backstage abhängen. Es sind aber einfach zu viele, um sie jetzt wirklich alle aufzuzählen...
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